DGUV Information 207-025 - Prävention von Gewalt und Aggression gegen Beschäftigte im Gesundheitsdienst und in der Wohlfahrtspflege Eine Handlungshilfe für Arbeitgeber und Arbeitgeberinnen

Online-Shop für Schriften

Jetzt bei uns im Shop bestellen

Jetzt bestellen

Abschnitt 4.7 - 4.7 Für den Notfall vorbereitet

Auch ein umfassendes Präventionskonzept kann einen Gewaltvorfall nicht völlig ausschließen. Bereiten Sie sich und Ihr Team daher gut auf eine solche Situation vor. Dies gilt für alle Ebenen im Unternehmen: die gesamte Einrichtung, die jeweilige Abteilung oder die konkrete Station, Wohn- oder Pflegegruppe.

Der Notfallplan

Systematisches Agieren erfordert auch, einen Notfallplan individuell für die Einrichtung zu erstellen. Die Beschäftigten werden anhand des Notfallplans unterwiesen. Alle Beschäftigten können den Notfallplan in allen Bereichen der Einrichtung unmittelbar einsehen, zum Beispiel als Aushang mit den wichtigsten Notfallmaßnahmen in Stationszimmer oder Gruppenraum.

  • Der Notfallplan beschreibt festgelegte Abläufe der Rettungskette sowie wichtige örtliche Gegebenheiten.

  • Der Notfallplan enthält Notruftelefonnummern, Namen der Ersthelfer und -helferinnen, Adressen der nächsten durchgangsärztlichen Anlaufstelle, betriebliche Ansprechpersonen für weitere Maßnahmen der unmittelbaren Betreuung, der Nachsorge und anderen betrieblichen Reaktionen.

Nach einem Übergriff hat die persönliche Sicherheit der Betroffenen Priorität. Sorgen Sie für eine ruhige Atmosphäre und geben Sie Betroffenen die Möglichkeit, den Arbeitsplatz kurzfristig - am besten in Begleitung - zu verlassen. Bei körperlichen Verletzungen muss jemand schnell Erste Hilfe leisten können. Für eine ärztliche Behandlung sollte die Adresse des nächsten Durchgangsarztes bekannt sein.

Auffanggespräche

Ein Gewalterlebnis ist für die betroffenen Beschäftigten mit starkem Stress verbunden. Wer sich hilflos und ausgeliefert fühlt, kann eine psychische Verletzung davontragen, auch wenn keine äußeren, sichtbaren Verletzungen entstanden sind. Die Folgen zeigen sich oft erst später.

Unmittelbar nach einem belastenden Ereignis ist soziale Unterstützung von elementarer Wichtigkeit. Möglichst noch in der Akutphase können Kolleginnen und Kollegen sowie Vorgesetzte die Betroffenen auffangen und seelisch unterstützen. So erlebt die betroffene Person Schutz, Sicherheit und Rückhalt und erfährt Anteilnahme und Wertschätzung. Bestärken Sie sie darin, dass ihre Gefühle, Gedanken und ihr Verhalten eine verständliche Reaktion auf ein außergewöhnliches Ereignis sind. Indem Sie ihre Verwirrung, Aufregung oder ihr Entsetzen akzeptieren, helfen Sie ihr, sich zu fangen.

ccc_3646_13.jpg

Geeignete Gesprächstechniken zum Auffangen in Krisen- und Schocksituationen unterscheiden sich von der alltäglichen Kommunikation. Nicht hilfreich sind Schilderungen eigener Erfahrungen und Vergleiche mit ähnlichen oder dramatischeren Ereignissen, um Verständnis und Nähe zu erreichen. Bagatellisierungen, Kritik oder gar Scherze machen die Situation für den Betroffenen nur schlimmer. Ruhige, beruhigende und wertschätzende Empathie ist in den ersten Minuten und Stunden die wichtigste soziale Unterstützung an einem geschützten Ort. Wichtig ist, mit der betroffenen Person keine tiefgreifenden Gespräche zu führen. Auch sollte man sich nicht zu stark auf das emotionale Erleben der Situation fokussieren. Daher sollten Sie dieses nicht über Nachfragen und Gespräche vertiefen, da dies zu Retraumatisierungen führen kann. Eine gezielte Aufarbeitung sollte bei Bedarf erst im Rahmen einer späteren psychotherapeutischen Betreuung stattfinden.

Wenn von einem Übergriff betroffene Personen nicht über das Erlebte sprechen wollen, so ist dies in jedem Fall zu akzeptieren. Der Gesprächsbedarf dieser Person bestimmt das weitere Vorgehen nach einem gravierenden Vorfall.

Denken Sie auch daran, Angehörige der Betroffenen in dieser Richtung umfassend zu informieren. Es ist für Betroffene alles andere als hilfreich, wenn sie von ihren Angehörigen unter hoher emotionaler Anspannung ausgefragt werden.

Betriebliche psychologische Erstbetreuerinnen und -betreuer einsetzen

In der Akutsituation adäquat mit schockierenden oder traumatisierenden Ereignissen umzugehen, kann Aufgabe von dafür geschulten Erstbetreuerinnen und -betreuern in Ihrem Betrieb sein. Wichtig für ihre Einsatzmöglichkeiten ist, dass sie so in die Strukturen Ihres Unternehmens entsprechend eingebunden sind, dass sie im Bedarfsfall auch zur Stelle sein können.

Diese kollegialen Erstbetreuerinnen und -betreuer sollen keinesfalls psychologisch beraten, sondern erst einmal beruhigen, stabilisieren, die Möglichkeit zum Reden bieten. Sie können die Situation einschätzen helfen und durch das weitere Vorgehen lotsen: die betroffene Person zu einem Durchgangsarzt oder zu einer Durchgangsärztin begleiten, Vorgesetzte und Betriebsleitung informieren und gegebenenfalls eine Meldung an die zuständige Unfallversicherung initiieren.

Diese Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter werden speziell für Auffangsituationen geschult, beispielsweise von Notfalltherapeuten oder -seelsorgern. Sie sind sofort erreichbar und kennen die Geschichten und Menschen im Haus. Durch das schnelle Auffangen und die soziale Unterstützung können psychische Traumatisierungen verhindert oder gemildert werden.

Der Tag danach

Gehen Sie nicht einfach zur Tagesordnung über. Stellen Sie sicher, dass sich jemand um die weitere Betreuung von Betroffenen kümmert. Fragen Sie, was helfen könnte. Die Wünsche und Bedürfnisse können dabei sehr unterschiedlich sein - und sich auch erst in den Tagen oder Wochen danach zeigen. Deshalb ist es wichtig, auch weitere Gesprächsangebote zu machen. Grundsätzlich muss allen klar sein, dass es bei einem solchen Gespräch nicht um die Analyse des Vorfalls oder gar Schuldzuweisungen geht. Signalisieren Sie Ihre Unterstützungsbereitschaft, informieren Sie über weitere Ansprechpersonen. Nehmen Sie eventuelle Unsicherheiten oder Ängste ernst, aber reden Sie niemandem ein Problem ein. Die Kunst dabei ist, den Vorfall weder zu dramatisieren noch zu bagatellisieren. Den Betroffenen soll vielmehr Sicherheit gegeben werden, dass sie sich die Zeit zum Verarbeiten nehmen können, die sie brauchen, und dabei die Unterstützung des Betriebes haben.