DGUV Information 207-025 - Prävention von Gewalt und Aggression gegen Beschäftigte im Gesundheitsdienst und in der Wohlfahrtspflege Eine Handlungshilfe für Arbeitgeber und Arbeitgeberinnen

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Abschnitt 4.6 - 4.6 Sonderfall Alleinarbeitsplätze

Im Rahmen der Gefährdungsbeurteilung sollten Sie auch Konstellationen in den Blick nehmen, in denen die personelle Besetzung regelhaft besonders gering ist. Ein Beispiel könnten Nachtdienste sein.

Alleinarbeit bedeutet, dass eine Person - auch kurzfristig - außerhalb von Ruf- und Sichtweite anderer arbeitet. Grundsätzlich sollte niemand bei einer möglicherweise gefährlichen Tätigkeit allein arbeiten. Als gefährlich gilt beispielsweise auch die Arbeit mit Klientinnen oder Klienten, die sich gegen Betreuung, Unterstützung, Behandlung oder Pflege wehren.

Mit einer gewissenhaften Risikoabschätzung lässt sich entscheiden, ob und mit welchen Sicherheitsmaßnahmen Alleinarbeit vertretbar ist oder ob zwei oder mehr Personen erforderlich sind.

In der DGUV Regel 112-139 "Einsatz von Personen-Notsignal-Anlagen" wird hierzu folgendes Vorgehen beschrieben:

  1. 1.

    Schätzen Sie folgende drei Kriterien ein und vergeben Sie entsprechende Bewertungsziffern (Beschreibung siehe Tabelle und Kasten auf Seite 21):

    • Gefährdungsziffern (GZ: gering, erhöht, kritisch)

    • Dauer bis zur tatsächlichen Erstversorgung (EV: kurz, mittel, lang)

    • Notfallwahrscheinlichkeit (NW: gering, mäßig, hoch)

  2. 2.

    Berechnen Sie mit den vergebenen Bewertungsziffern das Risiko für diesen Alleinarbeitsplatz.

  3. 3.

    Bei einer geringen Gefährdung ist keine besondere Überwachung von Einzelarbeitsplätzen erforderlich. Ein normales Festnetztelefon ist ausreichend, um im Bedarfsfall dennoch Hilfe herbeiholen zu können. Liegt jedoch eine erhöhte Gefährdung vor, dann führen Sie bitte Maßnahmen nach dem T-O-P-Prinzip ein, um das Gefährdungspotenzial zu reduzieren.

  4. 4.

    Bewerten Sie anschließend das Risiko erneut. Liegt der errechnete Wert trotz der eingeführten Maßnahmen über dem Grenzwert von R = 30, dann ist Alleinarbeit an diesem Arbeitsplatz bzw. bei dieser Tätigkeit nicht zulässig. Liegt der errechnete Risikowert unter dem Grenzwert, dann wählen Sie je nach Gefährdung und Notfallwahrscheinlichkeit geeignete Melde- bzw. Überwachungseinrichtungen aus.

    Alleinarbeit - Risikoeinschätzung

    BewertungskriterienBeschreibungBewertung
    Gefährdungsziffern (GZ)gering:Die Person bleibt im Notfall handlungsfähig.1 bis 3
    erhöht:Die Person ist im Notfall eingeschränkt handlungsfähig.4 bis 6
    kritisch:Die Person ist im Notfall nicht mehr handlungsfähig.7 bis 10
    Erstversorgung (EV)kurz:weniger als 5 Minuten0
    mittel:5 bis 10 Minuten1
    lang:über 10 Minuten2
    Notfallwahrscheinlichkeit (NW)gering:Ein Notfall ist nicht zu erwarten oder bisher gab es keine Vorfälle.1 bis 3
    mäßig:Ein Notfall ist erfahrungsgemäß möglich oder gelegentlich bereits aufgetreten.4 bis 6
    hoch:Ein Notfall ist auch unter normalen Umständen zu erwarten oder bereits wiederholt aufgetreten.7 bis 10
    Risiko: R= (GZ + EV) x NW
    Das Risiko kann in der Regel nur abgeschätzt werden. Zur Erleichterung stehen in jeder Kategorie nochmals Abstufungen zur Verfügung, die letztendlich als Ziffer in eine Formel einfließen. Idealerweise findet die Bewertung in einer Diskussion statt, um mehrere Erfahrungen und Meinungen einfließen zu lassen.

    Alleinarbeit - Gefährungsbeurteilung

    ccc_3646_12.jpg

    Auch organisatorische Maßnahmen können unterstützen, zum Beispiel Hintergrunddienste, zeitlich abgestimmte Kontrollgänge oder Anrufe durch eine weitere Person. Sie ersetzen jedoch je nach Risikolage nicht die Meldeeinrichtungen.

  5. 5.

    Stellen Sie zudem die organisatorischen Rahmenbedingungen für die ausgewählten Melde- bzw. Überwachungseinrichtungen sicher (z. B.: Wo laufen die Notrufe auf und welche Rettungskette wird dann in Gang gesetzt?) und sorgen Sie für einen geeigneten technischen Support (z. B.: Funktionieren die Geräte einwandfrei, haben sie genug Akkuleistung und Empfang?).

  6. 6.

    Unterweisen Sie Ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu den getroffenen Maßnahmen. Trainieren Sie mit ihnen die Handhabung der Meldeeinrichtungen und die Rettungskette.

  7. 7.

    Prüfen Sie regelmäßig, ob die festgelegten Maßnahmen funktionieren oder ob Anpassungen notwendig sind.

Mobiltelefone und Smartphones

Mobiltelefone und Smartphones eignen sich vor allem für ambulante Dienste, bei denen von der zu versorgenden Klientel kein erhöhtes Risiko ausgeht. Es kann durchaus vorkommen, dass eine Pflegekraft oder eine Begleitperson gekratzt oder bedroht wird, aber in den meisten Fällen schränkt dies nicht oder kaum die Handlungsfähigkeit der oder des Betroffenen ein. Mit einem mobilen Telefon kann dann - Empfang und Akkuleistung vorausgesetzt - sowohl Hilfe vom eigenen Betrieb angefordert als auch ein offizieller Notruf abgesetzt werden.

Smartphones können zudem mit sogenannten Notruf-Apps aufgerüstet werden. Im Notfall werden dann über diese Apps vorher definierte Daten an ebenfalls vorher festgelegte Empfänger versandt. So können beispielsweise mit dem Notruf automatisch auch die aktuellen GPS-Koordinaten oder der momentane Aufenthaltsort laut Route und Dienstplan an die Pflegedienstleitung, einen Sicherheitsdienst oder die Rettungsleitstelle übertragen werden. Hier spielen die passende Softwarelösung, der organisatorische Rahmen und die Bekanntheit dieser Lösung bei allen Beteiligten eine entscheidende Rolle.

ccc_3646_03.jpgAchtung
Smartphones erfüllen nicht die Anforderungen an Personen-Notsignal-Geräte, weil sie zum Beispiel nicht über die nach DIN VDE V 0825-11 geforderte, rot gekennzeichnete Notsignaltaste verfügen.

Personen-Notsignal-Anlagen

Personen-Notsignal-Anlagen (PNA) sind Einrichtungen zum Auslösen und Übertragen von Alarmsignalen in Notfällen. Sie können aktiv bedient werden, zum Beispiel durch das Drücken einer Nottaste, oder werden automatisch durch Verhaltensweisen ausgelöst, zum Beispiel Lageveränderung, Bewegungslosigkeit und Fluchtbewegungen.

Sie bestehen aus dem Personen-Notsignal-Gerät (PNG), das am Körper getragen wird, und einer Personen-Notsignal-Empfangszentrale (PNEZ). Von dort aus werden die Hilfeleistungen koordiniert. Beim Alarm werden Personen in Not identifiziert und lokalisiert. Bei einigen Ausführungen besteht die Möglichkeit der Sprachkommunikation zwischen Notsignalgerät und Zentrale.

Es gibt zwei Gerätekategorien: PNA-1-Geräte (nach VDE V 0825-1) übertragen Signale über eigene Netze und eignen sich für den stationären Bereich. PNA-11-Geräte (nach VDE V 0825-11) nutzen öffentlich zugängliche Netze.

Stellen Sie sicher, dass Signalübertragung und Funktionsfähigkeit einwandfrei sind und sich nach Eingang des Alarms unverzüglich eine Rettungskette in Gang setzt. Sobald die Signalübertragung gestört oder unterbrochen ist, muss eine gefährliche Alleinarbeit eingestellt werden. Es ist kein ausreichender Schutz mehr gewährleistet.

ccc_3646_03.jpgMehr Info
DGUV Regel 112-139 "Einsatz von Personen-Notsignal-Anlagen"

DGUV Information 212-139 "Notrufmöglichkeiten für allein arbeitende Personen"

Smartphones können nicht als Personen-Notsignal-Gerät eingesetzt werden, da sie nicht über die nach DIN VDE V 0825-11 erforderliche gekennzeichnete Notsignaltaste verfügen. Auch Apps können ein Smartphone nicht auf den Stand einer PNA-11 heben. Damit sind Smartphones alleine kein Ersatz für eine PNA-11 und nur bei geringer Gefährdung oder geringer Notfallwahrscheinlichkeit zulässig.

Inzwischen gibt es jedoch Kombilösungen auf dem Markt, bei denen ein Sender mit einer Notsignaltaste, der zum Beispiel am Handgelenk oder an der Dienstkleidung getragen wird, über Bluetooth das Smartphone zum Absetzen eines Notrufs auffordert. Diese Modelle bieten einen höheren Schutz, da weder ein Gerät entsperrt noch eine Nummer oder Schnellwahl getippt werden muss, sondern der Notruf automatisch beim Betätigen der Notsignaltaste ausgelöst wird.