BGHM-I 102 - Beurteilungen von Gefährdungen und Belastung Anleitungshilfe zur systematischen Vorgehensweise, sichere Schritte zum Ziel

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Abschnitt 7.3 - 7.3 Beurteilen der Gefährdungen

Nachdem in Kapitel 7.2 die Gefährdungen mit Hilfe der Definition von [2] ermittelt wurden, müssen diese Gefährdungen beurteilt werden. Die Beurteilung der Gefährdungen erfolgt über das Kriterium des vorhandenen Risikos: Ein hohes Risiko bedeutet Gefahr, aber ein niedriges Risiko wird oft mit Sicherheit gleichgesetzt. Dabei sind hoch und niedrig relativ. Sie müssen bewertet werden. Als Bewertungsgrundlage kann man das "höchste akzeptable Risiko" heranziehen (Bild 7.3).

Das "höchste akzeptable Risiko" legen die Unternehmer unter Einhaltung der rechtlichen Vorgaben fest, unterstützt von einer Personengruppe, die - wie in Kapitel 3 beschrieben - im Rahmen einer Gefährdungsbeurteilung hinzugezogen werden kann. Die Unternehmer stellen damit sicher, dass möglichst alle relevanten Einschätzungen berücksichtigt werden. Da die Verantwortung beim Unternehmer/bei der Unternehmerin liegt, muss er/sie, z. B. im Fall eines Gerichtsverfahrens, erklären können, wie er/sie das "höchste akzeptable Risiko" definiert hat.

In vielen Fällen können zur Bewertung Vorgaben aus Gesetzen, Verordnungen und Technischen Regelwerken herangezogen werden, z. B. Expositionsgrenzwerte für Vibrationen aus der LärmVibrationsArbSchV oder Arbeitsplatzgrenzwerte für Gefahrstoffe in der TRGS 900.

Dabei wurde das mit den entsprechenden Gefährdungen durch Expositionen verbundene Gesundheitsrisiko gemäß dem Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse bewertet und im Vorschriften- und Regelwerk festgelegt. Die Unternehmerin/der Unternehmer muss (Gesetz oder Verordnung) oder kann (staatliche Technische Regeln mit Vermutungswirkung) dieses Regelwerk direkt übernehmen (Grenzwert eingehalten ja/nein). Wählt der Unternehmer/die Unternehmerin andere Maßnahmen als in staatlichen Technischen Regeln vorgesehen, muss er/sie dasselbe Schutzniveau nachweisen.

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Bild 7.3: Risiko [7]

Ein Risiko lässt sich jedoch auch weitgehend quantifizieren. Das Risiko ist abhängig von der "Schwere des möglichen Schadens" sowie von der "Wahrscheinlichkeit des Eintritts eines Körperschadens". Die "Wahrscheinlichkeit des Eintritts eines Körperschadens" hängt wiederum von der "Wahrscheinlichkeit des Eintritts eines Gefährdungsereignisses" (auch ohne Personenschaden) ab, von der "Häufigkeit und Dauer der Gefährdungsexposition" sowie von der "Wirksamkeit der Begrenzung eines Körperschadens" (siehe Bild 7.4).

Unter Körperschäden werden nicht nur Verletzungen nach einem Unfall, wie ein gebrochener Arm, oder Berufskrankheiten verstanden, sondern auch Gesundheitsgefahren aufgrund von psychischer Belastung.

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Bild 7.4: Elemente zur Risikobestimmung [7]

Auf die Einzelbegriffe wird im Weiteren noch einmal eingegangen. Das zu beurteilende Risiko ist höher, wenn die "Wahrscheinlichkeit des Eintritts eines Gefährdungsereignisses" hoch ist. Die Wahrscheinlichkeit, dass Beschäftigte von einem Teil getroffen und verletzt werden, ist höher, je häufiger z. B. ein Teil ungeschützt aus einem Arbeitsraum herausfliegt. Ein anderes Beispiel aus dem Bereich psychische Belastung wäre, wenn an vielen Maschinen die Bedienelemente unklar beschriftet wären.

Zusätzlich ist das Risiko für Beschäftigte höher, je häufiger oder länger sie sich im Gefahrenbereich aufhalten - beziehungsweise, je häufiger die Beschäftigten an den oben genannten Maschinen mit schlecht gekennzeichneten Bedienelementen arbeiten müssen.

Die verschiedenen Beschäftigten können das Risiko unterschiedlich beeinflussen: Ausgebildete Fachleute haben durch ihre Erfahrung die Möglichkeit, das Risiko zu begrenzen. Setzen Unternehmer beispielsweise ungelernte Beschäftigte ein, sind ihnen die Gefahren nicht geläufig, und damit steigt das Risiko. Unternehmer sind dann gefordert, das Risiko weiter zu reduzieren.

Jede Gefährdung einer Person lässt sich mit Hilfe dieser Definition beurteilen. Bei wichtigen Fragestellungen sollte so detailliert wie beschrieben vorgegangen werden.

Es gibt verschiedene Möglichkeiten zur Ermittlung des Risikos, die effizienter und praxisgerechter sind.

Es hat sich in vielen Unternehmen bewährt, das Risiko mit Hilfe einer Matrix zu bestimmen. In Bild 7.5 ist ein Beispiel für eine solche Gefährdungsmatrix abgebildet.

Bei dieser Vorgehensweise schätzen Vorgesetzte oder die Gruppe das mögliche Schadensausmaß einer Gefährdung ein, z. B.: leichter, bleibender Schaden. Unter Schäden werden nicht nur körperliche Schäden verstanden, sondern auch Schäden aufgrund von psychischer Belastung. Darüber hinaus muss die "Wahrscheinlichkeit eines Personenschadens" eingeschätzt werden, z. B.: Die Eintrittswahrscheinlichkeit ist selten. In der Matrix lässt sich dann die Risikoeinschätzung ablesen. Das Risiko wird bei dieser Vorgehensweise in vier Gruppen unterteilt, ausgedrückt durch die Farben Blau, Gelb, Rot und Dunkelrot. Im genannten Beispiel ergibt sich ein "mittleres Risiko 2".

Eine Anmerkung zu diesem Verfahren: Das Risiko 1, das hier hellblau markiert ist, bedeutet nicht, dass keine Maßnahmen notwendig sind. Es mag sein, dass die Maßnahmen für die Risiken 4, 3 und 2 zuerst realisiert werden. Die Maßnahmen für das Risiko 1 dürfen jedoch nicht vergessen werden - es gilt für alle Maßnahmen das Minimierungsgebot.

Das Verfahren lässt sich verfeinern, wenn man innerhalb der Risikogruppe eine Unterdifferenzierung vornimmt, z. B. durch eine Punktwertung von 1 bis 8.

Im Rahmen dieser Methode lassen sich auch psychische Belastungsfaktoren berücksichtigen. Mehr zu psychischen Belastungsfaktoren siehe auch Anhang 3 (Abschnitt 10.3).

Wenn es Vorgaben durch den Gesetzgeber gibt oder bewährte Beurteilungshilfen vorliegen, müssen die Gefährdungsmatrix oder andere Methoden zur Bestimmung des Risikos nicht angewandt werden. Hier hat es der Unternehmer im Rahmen der Bestimmung des Risikos wesentlich leichter. Es wird zum Teil explizit vorgegeben, wann ein geringes Risiko, wann ein mittleres Risiko und wann ein hohes Risiko vorliegt. Desweiteren werden einige Möglichkeiten kurz vorgestellt:

Muss ein Unternehmer beurteilen, wie hoch das Risiko durch Lärm für die Beschäftigten ist, braucht er nur die Lärm- und Vibrations-Arbeitsschutzverordnung [9] heranzuziehen. Hier werden unter anderem für den Tages-Lärmexpositionspegel ein so genannter unterer Auslösewert (80 dB(A)) und ein oberer Auslösewert (85 dB(A)) aufgeführt. Unterhalb des unteren Auslösewerts ist das Risiko gering. Oberhalb des oberen Auslösewerts ist das Risiko hoch. Der Unternehmer/die Unternehmerin kann der Verordnung entnehmen, welche Maßnahmen bei welchem Risiko notwendig oder angebracht sind; mehr zur Ermittlung der Maßnahmen in Kapitel 7.5.

WP
Wahrscheinlichkeit Personenschaden
Schadensausmaß (physisch / psychisch)
ohne Arbeitsausfallmit Arbeitsausfallleichter bleibender Schadenschwerer bleibender Schadenkatastrophal inkl. Tod
IIIIIIIVV
häufigA12344
gelegentlichB12334
seltenC12234
unwahrscheinlichD12224
praktisch unmöglichE11124

Bild 7.5: Beispiel für eine Gefährdungsmatrix [7] (verändert nach [8])

Die im vorherigen Absatz genannte Verordnung ist ebenfalls heranzuziehen, wenn der Unternehmer/ die Unternehmerin das Risiko von Hand-Arm-Vibrationen, z. B. von Schleifmaschinen, bestimmen muss. Hier gibt es eine obere zu beachtende Schwelle (5 m/s2), Expositionsgrenzwert genannt, und eine untere zu beachtende Schwelle (2,5 m/s2), Auslösewert genannt. Durch die beiden Schwellen ergeben sich wieder drei Risikobereiche. In der zur Verordnung gehörenden Technischen Regel (www.baua.de/trlv) werden die drei Risikobereiche auch roter Bereich, gelber Bereich und grüner Bereich genannt.

Für die Beurteilung krebserzeugender Gefahrstoffe definiert die TRGS 910 [6] Bereiche hohen, mittleren und niedrigen Risikos, die durch Akzeptanz- und Toleranzkonzentrationen voneinander abgegrenzt werden. Auch unterhalb der Akzeptanzkonzentration (Bereich niedrigen Risikos) ist im Rahmen der Verhältnismäßigkeit das Minimierungsgebot zu beachten

Für bestimmte Gefährdungen bieten sich spezielle zum Teil standardisierte Beurteilungshilfen an. Beim Heben, Halten und Tragen von Lasten kann beispielsweise die Leitmerkmal-Methode (LMM) eingesetzt werden (siehe [4]). Bei dieser Methode werden die objektiv vorhandenen Arbeitsbelastungen bezüglich der folgenden vier Leitmerkmale erfasst:

  • Zeitdauer/Häufigkeit

  • Lastgewicht

  • Körperhaltung

  • Ausführungsbedingungen

Anschließend wird für jedes Leitmerkmal ein Punktwert vergeben. Diese Werte werden dann miteinander verrechnet. Je nach Gesamtpunktwert ergibt sich einer von mehreren Risikobereichen.

Weitere Verfahren haben sich im praktischen Einsatz bewährt. Ihre zuständige Aufsichtsperson berät Sie bei betrieblichen Fragestellungen zu geeigneten Verfahren der Gefährdungsbeurteilung.