DGUV Information 214-911 - Sichere Einsätze von Hubschraubern bei der Luftarbeit

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Anhang 1 - Hinweise zur Durchführung von Gefährdungsbeurteilungen

Allgemeines

Der Unternehmer bzw. Arbeitgeber ist nach dem Arbeitsschutzgesetz und der Unfallverhütungsvorschrift "Grundsätze der Prävention" verpflichtet, die erforderlichen Maßnahmen des Arbeitsschutzes zu treffen. Dabei hat er alle Umstände zu berücksichtigen, die die Sicherheit und Gesundheit der Beschäftigten bei der Arbeit beeinflussen. Die Pflicht zur Erstellung der Gefährdungsbeurteilung ist eine Kernforderung und gilt in allen Bereichen der Industrie, des Handwerks und im Dienstleistungsbereich. Auch in anderen gesetzlichen Vorgaben erhält die Gefährdungsbeurteilung einen immer höheren Stellenwert, z. B. in der Gefahrstoffverordnung oder in der Betriebssicherheitsverordnung.

So wird sichergestellt, dass sich die betriebsspezifisch erforderlichen Arbeitsschutzmaßnahmen primär an der tatsächlich im Unternehmen vorhandenen Gefährdungslage orientieren. Durch den präventiven Ansatz bei der Erstellung der Gefährdungsbeurteilung kommt der Unternehmer nicht nur seiner Fürsorgepflicht den Beschäftigten gegenüber nach. Er erhält auch die Möglichkeit, durch sinkende Unfallzahlen und Ausfallzeiten die wirtschaftliche Situation des Unternehmens positiv zu beeinflussen.

Handlungsschritte einer Gefährdungsbeurteilung

Der Prozess der Erstellung einer Gefährdungsbeurteilung beinhaltet die Ermittlung aller vernünftigerweise vorhersehbaren Gefährdungen und Belastungen, die sich im Zusammenhang mit der Erbringung der Arbeitsleistung ergeben können, die Bewertung dieser Faktoren (Risikobeurteilung), das Einleiten von geeigneten Maßnahmen zur Minimierung von Gefährdungen und die regelmäßige Überprüfung der Wirksamkeit der Maßnahmen. Weiterhin ist im Unternehmen eine Dokumentation zu den einzelnen Handlungsschritten vorzuhalten. Da die Gefährdungsbeurteilung kein statischer Prozess ist, sind regelmäßige Aktualisierungen zwingend notwendig. Es entsteht ein Kreisprozess mit dem Ziel, Arbeit so sicher wie möglich zu gestalten.

Erster Schritt - Systemabgrenzung und Betrachtungsform

Damit eine sinnvolle und effiziente Betrachtung durchgeführt werden kann, ist betriebsspezifisch zu entscheiden, ob eine

  • arbeitsplatzbezogene,

  • personenbezogene,

  • arbeitsbereichsbezogene oder

  • tätigkeitsbezogene

Gefährdungsbeurteilung durchgeführt werden soll. Die klassische Struktur der Hubschrauberunternehmen umfasst die Bereiche Verwaltung, Instandhaltung (Werft) und Flugbetrieb. Für die Bereiche Verwaltung und Instandhaltung ist die arbeitsbereichsbezogene Gefährdungsbeurteilung sinnvoll, für den Bereich Flugbetrieb die tätigkeitsbezogene.

Gleichzeitig ist eine klare Abgrenzung der zu betrachtenden Arbeitssysteme vorzunehmen, um den Arbeitsumfang der nachfolgenden Schritte zu definieren.

Zweiter Schritt - Ermitteln von Gefährdungen

Unter Gefährdung versteht man die Möglichkeit des Eintritts eines Schadens oder einer gesundheitlichen Beeinträchtigung. Für die Ermittlung (Erfassung) von Gefährdungen ist die Wahrscheinlichkeit des Eintritts oder das mögliche Ausmaß des Ereignisses unwesentlich.

Gefährdungen sind dadurch gekennzeichnet, dass z. B. Energien und Stoffe mit Menschen räumlich und zeitlich zusammentreffen. Aber auch Belastungen, das sind äußere Bedingungen und Anforderungen, die den physischen und psychischen Zustand einer Person beeinflussen, müssen erkannt und beachtet werden. In der Praxis haben sich Betriebsrundgänge mit der Sicherheitsfachkraft und dem Betriebsarzt, Auswertungen von Unfällen, Beinaheunfällen und Erkrankungen als sinnvolle Hilfsmittel zum Erkennen des Ist-Zustandes im Unternehmen bewährt. Ziel dieser Betrachtung ist es, alle möglichen Gefährdungen, denen die Versicherten bei ihrer Tätigkeit ausgesetzt sein könnten, systematisch zu erfassen.

Checklisten können hierfür einen ersten Überblick bieten.

  1. 1.

    Mechanische Gefährdungen

    1.1 rotierende Trag- und Heckschraube

    1.2 pendelnde Lasten und Lastenaufnahmeeinrichtungen

    1.3 Lastabrisse und herabfallende Teile

    1.4 fehlende Trittsicherheit/Stolpern, Rutschen

    1.5 Absturz des Hubschraubers

    1.6 Absturz aus dem Hubschrauber und von hochgelegenen Arbeitsplätzen

    1.7 bewegte Transportmittel

  2. 2.

    Elektrische Gefährdungen

    2.1 schadhafte elektrische Betriebsmittel

    2.2 elektrische Freileitungen

  3. 3.

    Chemische Gefährdungen

    3.1 Umgang mit Kraft- und Schmierstoffen (KS und SS)

    3.2 Umgang mit Pflanzenschutzmitteln (PSM)

    3.3 Motor- und Turbinenabgase

    3.4 Industrie- und Brandabgase

    3.5 aufwirbelnde Stäube

  4. 4.

    Biologische Gefährdungen

    4.1 Mikroorganismen

    4.2 gentechnisch veränderte Organismen

    4.3 allergene und toxische Stoffe von Mikroorganismen u. ä.

  5. 5.

    Brand- und Explosionsgefahr

    5.1 Betankungen

    5.2 Umgang mit Sprengstoffen

  6. 6.

    Thermische Gefährdungen

    6.1 Kontakt mit heißen Medien

    6.2 Kontakt mit kalten Medien

  7. 7.

    Physikalische Gefährdungen

    7.1 Lärm und Vibrationen

    7.2 elektrostatische Aufladungen

    7.3 elektromagnetische Felder

    7.4 radioaktive Strahlungen

    7.5 Rotorabwind

    7.6 Windböen

  8. 8.

    Gefährdung durch Arbeitsumgebung

    8.1 Hitze

    8.2 Kälte

    8.3 Nässe

    8.4 Blendwirkung

    8.5 aufwirbelnder Staub und Schnee

    8.6 Zugluft

  9. 9.

    Physische Belastungen

    9.1 Bewegen schwerer Lasten

    9.2 Laufen im steilen Gelände

    9.3 einseitige Arbeitshaltung

    9.4 körperliche Zwangshaltung

    9.5 Tragen von Persönlicher Schutzausrüstung (PSA)

  10. 10.

    Belastungen durch Wahrnehmbarkeit und Handhabbarkeit

    10.1 Handhabbarkeit von Arbeitsmitteln

    10.2 Anordnung von Stellteilen und Anzeigen

  11. 11.

    Psychomentale Fehlbelastungen

    11.1 Überforderung

    11.2 Stress/Zeitdruck/Konzentration

    11.3 kurzzyklische Tätigkeit

    11.4 unregelmäßige Arbeitszeit

    11.5 ständig wechselnde Arbeitsstätten

    11.6 Probleme zwischen Kollegen

  12. 12.

    Gefährdungen durch mangelnde Arbeitsorganisation

    12.1 unvollständige Planung und Einsatzvorbereitung

    12.2 unvollständige Ermittlung der Risikofaktoren

    12.3 fehlendes Wissen und Können

    12.4 ungeeignete Arbeitsmittel

    12.5 ungenügende Prüfpflichten

    12.6 mangelnde Kommunikation

    12.7 unvollständige Rettungskette

    12.8 fehlende Arbeitsmedizinische Vorsorge

    12.9 Gefährdung Dritter und durch Dritte

Dritter Schritt - Gefährdungen bewerten

Um für die erkannten Gefährdungen eine geeignete arbeitssicherheitstechnische Schutzmaßnahme auswählen zu können, bedarf es einer Risikoabschätzung. Faktoren dafür sind die Eintrittswahrscheinlichkeit und das vorhersehbare Schadensausmaß im Bezug auf jede einzelne Gefährdung.

Bestimmende Größen für die "Wahrscheinlichkeit des Eintritts eines Schadens" sind:

  • Dauer und Häufigkeit der Exposition

  • Eintrittswahrscheinlichkeit eines Gefährdungsereignisses

  • Möglichkeiten zur Vermeidung oder Begrenzung des Schadens.

Bei dem Ausmaß eines Schadens wird unterschieden zwischen leichten Verletzungen oder schweren, bleibenden Verletzungen bzw. dem Tod einer Person.

Das Abschätzen oder Bewerten des vorhandenen Risikos kann in der Praxis maßgeblich von den persönlichen Erfahrungen und Befindlichkeiten des Bewertenden abhängen. Um diesen subjektiven Prozess zu objektivieren, ist z. B. der Einsatz eines graphischen Bewertungsverfahrens sinnvoll. Unter Benutzung eines Risikographen (eines Entscheidungsbaums) wird das vorhandene Risiko einer von 5 Kategorien zugeordnet.

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Risiken, die mit der Kategorie 5 bewertet werden, stellen entsprechend dem Bewertungsverfahren das größtmögliche Risiko dar. In der Kategorie 0 besteht kein und in der Kategorie 1 nur ein geringes Risiko der Wahrscheinlichkeit des Eintritts eines Schadens.

Durch die abschließende Einordnung der Gefährdungen anhand ihrer Risikokategorie wird bestimmt, ob und in welchem Umfang Maßnahmen zur Risikominimierung bzw. Gefährdungsminimierung notwendig sind. Bei Einhaltung von vorgeschriebenen Grenzwerten (z. B. Lärm), Mindestabmessungen und -abständen oder festgeschriebenen Anforderungen (z. B. Technischen Regeln) kann auf eine solche Bewertung verzichtet werden.

Vierter Schritt - Schutzmaßnahmen festlegen

Entsprechend der Risikoeinstufung sind nun durch den Unternehmer alle notwendigen arbeitssicherheitstechnischen Schutzmaßnahmen auszuwählen und umzusetzen. Oftmals treten bei der Auswahl der Maßnahmen wirtschaftliche Gesichtspunkte in den Vordergrund. Teure technische Investitionen zeigen langfristig häufig wirtschaftliche Vorteile, da auch die Kosten für Unfälle, Berufskrankheiten und ein hoher Krankenstand in die Berechnungen einfließen müssen.

Allgemeine Grundsätze für die Auswahl von geeigneten Schutzmaßnahmen:

  • Die Arbeit ist so zu gestalten, dass eine Gefährdung für Leben und Gesundheit möglichst vermieden und die verbleibende Gefährdung möglichst gering gehalten wird.

  • Die Gefahren sind an ihrer Quelle zu bekämpfen.

  • Bei den Maßnahmen sind der Stand der Technik, Arbeitsmedizin und Hygiene sowie sonstige gesicherte arbeitswissenschaftliche Erkenntnisse zu berücksichtigen.

  • Die Maßnahmen sind mit dem Ziel zu planen, Technik, Arbeitsorganisation, sonstige Arbeitsbedingungen, soziale Beziehungen und Einfluss der Umwelt auf den Arbeitsplatz sachgerecht zu verknüpfen.

  • Individuelle Schutzmaßnahmen sind nachrangig zu behandeln, technische Maßnahmen haben Vorrang.

  • Spezielle Gefahren für besonders schutzbedürftige Beschäftigtengruppen sind zu berücksichtigen.

(Auswahl an Maßnahmen nach § 4 Arbeitsschutzgesetz)

Technische und kollektiv wirkende Schutzmaßnahmen werden von den Versicherten in der Regel wesentlich besser akzeptiert als z. B. das Tragen von aufwendiger persönlicher Schutzausrüstung. Gleichzeitig lassen sich technische Schutzmaßnahmen nicht so leicht bewusst oder unbewusst umgehen. Die Zunahme an Arbeitssicherheit durch organisatorische oder personelle Maßnahmen ist im Vergleich zu technischen Maßnahmen wesentlich geringer.

In der betrieblichen Praxis sind für eine Vielzahl von Gefährdungen z. B. in Technischen Regeln oder im Regelwerk der Unfallversicherungsträger bereits Lösungen zur Minimierung aufgezeigt. Wählt der Unternehmer eine individuelle Lösungsvariante, muss er damit mindestens das gleiche Sicherheitsniveau und den gleichen Gesundheitsschutz erreichen.

Fünfter Schritt - Wirksamkeit prüfen, Veränderungen einbringen

Nach der Einleitung von Maßnahmen des Arbeitsschutzes muss ermittelt werden, ob es im laufenden Arbeitsprozess wirklich zu einer Minimierung der Gefährdungen kam bzw. ob das jetzt vorhandene Restrisiko unter dem Grenzrisiko liegt. Es besteht die Möglichkeit, dass durch die Anwendung der getroffenen Schutzmaßnahmen andere bereits vorhandene Gefährdungen verstärkt oder neue initiiert werden. In solchen Fällen muss evtl. nach einer besser geeigneten Lösung gesucht werden und der Prozess der Gefährdungsbeurteilung erneut anlaufen (Kreisprozess). Für die Überprüfung der Wirksamkeit von getroffenen Maßnahmen gibt es kein vorgegebenes Zeitfenster. Es obliegt hier dem Unternehmer, einen angemessenen Zeitraum festzulegen.

Die Gefährdungsbeurteilung ist umgehend zu aktualisieren, wenn maßgebliche Veränderungen in den Betriebsprozessen eingeleitet werden bzw. andere oder neue Tätigkeiten mit eigenen Gefährdungen aufgenommen werden.

Das sind insbesondere:

  • die Beschaffung neuer Arbeitsmittel

  • Änderung von bestehenden Flug- und Arbeitsverfahren

  • der Umgang mit Gefahrgut

  • der Einsatz von oder Umgang mit Gefahrstoffen

  • Änderungen im Bereich des geltenden Rechtes

  • Änderungen des Standes der Technik

  • Änderungen im Bereich der arbeitsmedizinischen Vorsorge

Sechster Schritt - Notwendige Dokumentation

Die Dokumentation der Gefährdungsbeurteilung dient dem Unternehmer nicht nur als eigenes Arbeitsinstrument, sie liefert sowohl gegenüber den staatlichen als auch den Stellen der Unfallversicherungsträger den Nachweis, wie er seinen Pflichten hinsichtlich der Realisierung des Arbeits- und Gesundheitsschutzes im Unternehmen nachkommt.

In Bezug auf die Dokumentationsform verlangt der Gesetzgeber nur, dass aus den Unterlagen das Ergebnis der Gefährdungsbeurteilung, die festgelegten Maßnahmen und das Ergebnis ihrer Überprüfung (Wirksamkeitskontrolle) ersichtlich sind.

Es kann sich um Unterlagen in Form von elektronisch gespeicherten Daten oder auch in Papierform handeln.

Mindestens sollten sie enthalten:

  • Informationen zur gewählten Betrachtungsform

  • erkannte Gefährdungen

  • die Beurteilung des Risikos

  • festgelegte Arbeitsschutzmaßnahmen

  • konkrete Termine für die Realisierung

  • verantwortliche Personen

  • Überprüfung der Wirksamkeit der Maßnahmen

  • Datum zur Aktualisierung

  • Unterschrift des Unternehmers.