DGUV Information 208-050 - Notfallmanagement beim Umschlag und innerbetrieblichen Transport von Gefahrgütern und gefährlichen Stoffen Eine Planungshilfe für Betriebe

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Abschnitt 5.3 - 5.3 Einstufung des Notfalls - Alarmstufe festlegen

5.3.1 Übersicht über die Entscheidungsfindung

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5.3.2 Gefährdungspotenzial feststellen

Lässt sich sicher feststellen, dass kein gefährliches Produkt austritt, kann die Einstufung

Kein Notfall

erfolgen.

Dies kann z. B. der Fall sein, wenn

  • sich der vermutete Produktaustritt als anhaftendes Kondens- oder Regenwasser herausstellt,

  • durch einfache Analyseverfahren, z. B. Universalindikatorpapier bei Verdacht auf ätzende Produkte, eine Gefährdung sicher ausgeschlossen werden kann.

Eine nicht sofort erkennbare Kennzeichnung ist hingegen kein ausreichendes Indiz, dass es sich bei einem austretenden Produkt um keinen gefährlichen Stoff oder kein gefährliches Gut handelt.

Die Einstufung "Kein Notfall" trifft die Notfallmanagerin bzw. der Notfallmanager.

Wird im Rahmen der Erkundung festgestellt bzw. kann nicht ausgeschlossen werden, dass es sich um einen ausgetretenen gefährlichen Stoff oder ein gefährliches Gut handelt, müssen weitere Recherchen gemäß den folgenden Abschnitten erfolgen.

5.3.3 Produkteigenschaften ermitteln

Um einen gefährlichen Stoff oder ein gefährliches Gut hinsichtlich seines Gefahrenpotenzials und der erforderlichen Maßnahmen konkret bewerten zu können, sind über die Kennzeichnung auf dem Versandstück hinaus Informationen aus

  • Beförderungspapieren nach ADR und/oder

  • Sicherheitsdatenblättern nach REACH-Verordnung

hilfreich. Sind diese Informationen nicht ausreichend bzw. nicht verfügbar, können Datenbanken herangezogen werden (mögliche Quellen siehe Anhang 1).

5.3.4 Ausgetretene Menge abschätzen

Zur Beschreibung kann eine überschlägige Einstufung der ausgetretenen Menge in "wenig - viel" hilfreich sein, wobei es sich hier um unbestimmte von den betrieblichen Verhältnissen abhängige Begriffe handelt. Zum Beispiel ist ein Liter im Labor "viel", während die gleiche Menge im Umschlaglager "wenig" bedeuten kann. Auch die Größe der Pfütze (Lache) kann das Maß der ausgetretenen Menge widerspiegeln.

Wichtig ist, ob das Produkt weiterhin austritt und wenn ja, in welcher Menge. Die maximal mögliche Menge, die unbeabsichtigt austreten kann, ist das Volumen des beschädigten Gebindes. Ohne Kenntnis des genauen Volumens lässt sich die Menge durch eine Kategorisierung eingrenzen, z. B. in Kanister, Fass, IBC. Möglicherweise lässt sich an der Lage und Größe der beschädigten Stelle des Gebindes erkennen, ob nur eine Teilmenge ausgetreten ist oder austreten wird. Bei Kombinations-IBC mit einem Kunststoffinnenbehälter ist in der Regel der Flüssigkeitsstand von außen erkennbar.

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Abb. 6:
Heftiger Produktaustritt aus einem IBC mit der Folge einer schnellen Ausbreitung

5.3.5 Umgebungsbedingungen berücksichtigen

Folgende Bedingungen haben Einfluss auf die erforderlichen Maßnahmen:

  • Umgebungstemperatur: In Abhängigkeit von der Umgebungstemperatur kann durch Verdampfung eine explosionsfähige Atmosphäre entstehen. Auch bei anderen Flüssigkeiten bestimmt die Umgebungstemperatur den Grad der Verdampfung und somit die Konzentration in der Atemluft rund um die Schadstelle.

  • Größe und Höhe des Raumes (z. B. Lagerhalle/Laderaum): Sie beeinflussen die Verteilung und die Konzentration eines flüchtigen Produktes in der Luft (z. B. Überschreiten von Grenzwerten oder der unteren Explosionsgrenzen).

  • Lüftung (z. B. offen stehende Hallentore): Sie beeinflusst die Verteilung und Konzentration eines flüchtigen Produktes, aber auch die Verwirbelung eines pulverförmigen Stoffes.

  • Witterung bei Austritten von gefährlichen Stoffen und Gütern im Freien: Durch Regen kann z. B. das Produkt verteilt oder fortgespült werden. Es gibt Produkte, die mit Feuchtigkeit gefährlich reagieren.

  • Entwässerungseinläufe/Kabelschächte und/oder Ähnliches in der Nähe: Diese können kontaminiert werden, so dass sich die gefährlichen Stoffe und Güter unbemerkt verbreiten können.

5.3.6 Geeignete Notfallhelfer/-innen verfügbar

Es ist festzustellen, ob für die erforderlichen Maßnahmen ausreichend qualifizierte Notfallhelferinnen und Notfallhelfer verfügbar sind (Schichtregelung sowie Urlaub, Krankheit oder betriebliche Abwesenheit beachten).

Insbesondere sind der Ausbildungs- und Kenntnisstand der verfügbaren Notfallhelferinnen und Notfallhelfer (siehe Abschnitt 9.2) sowie deren (aktueller) Gesundheitszustand zu berücksichtigen (Beispiel: Stark erkältete Notfallhelfer/-innen können bei einem Notfall nicht als Atemschutzgeräteträger/-innen eingesetzt werden).

5.3.7 Geeignete Hilfsmittel verfügbar

Eine Auflistung möglicher Hilfsmittel, zu denen insbesondere auch die persönliche Schutzausrüstung zählt, findet sich im Abschnitt 10.

Es kommt darauf an, dass diese Hilfsmittel bei einem Notfall auch tatsächlich verfügbar und für den konkreten Notfall geeignet sind.

Die Eignung der Hilfsmittel richtet sich nach den Produkteigenschaften sowie der Gebindegröße.

Hilfsmittel und Verbrauchsmaterial stehen nicht in ausreichender Menge zur Verfügung, wenn sie z. B. nach dem letzten Gebrauch nicht ergänzt wurden. Unter Umständen befinden sich die erforderlichen Hilfsmittel z. B. wegen Wartungs- oder Prüfarbeiten nicht im Betrieb. Hilfsmittel könnten nach dem letzten Gebrauch noch kontaminiert sein. Dies kann z. B. beim Zusammentreffen verschiedener Produkte zu gefährlichen Reaktionen führen.

5.3.8 Risiko beherrschbar?

Bei der Bewertung

Risiko beherrschbar?

muss der Schutz der Beschäftigten im Vordergrund stehen.

Nach diesem Grundsatz und unter der Berücksichtigung der in den Abschnitten 5.3.3 bis 5.3.7 aufgezeigten Faktoren ist die Entscheidung zu treffen, ob der Notfall in Eigenregie abgearbeitet werden kann, optional ein Dienstleister verständigt wird oder die Alarmierung von Einsatzkräften erforderlich ist.

Diese grundlegende mit wenig Bedenkzeit zu treffende Entscheidung trifft die Notfallmanagerin bzw. der Notfallmanager. Dabei ist es hilfreich, eine Entscheidungshilfe vorzubereiten, die den Qualifizierungsgrad der Notfallhelferinnen und -helfer und die verfügbaren Hilfsmittel berücksichtigt. Ein Beispiel für eine Entscheidungshilfe findet sich im Anhang 4.

5.3.9 Festlegung der Alarmstufe

5.3.9.1 Eigenregie

Das Abarbeiten des Notfalles kann mit eigenem Personal und/oder einem Dienstleister erfolgen, wenn die notwendigen Voraussetzungen vorliegen.

Notfallhelfer/-innen (Alarmstufe 1)

Die Notfallhelferinnen und Notfallhelfer sind aufgrund ihrer Qualifikation, momentanen Konstitution und den zur Verfügung stehenden Hilfsmitteln in der Lage, unter Gewährleistung der Arbeitssicherheit und des Gesundheitsschutzes den weiteren Produktaustritt zu stoppen, das ausgetretene Produkt zu binden und aufzunehmen, sowie das Gebinde in einen transportfähigen Zustand zu versetzen.

Beschädigte Gebinde mit akut toxischen Produkten oder Produkten mit KMR-Eigenschaften (krebserzeugend, keimzellmutagen und reproduktionstoxisch) stellen eine besondere Gefährdung dar. Dieses Risiko ist in der Regel in der Alarmstufe 1 nicht beherrschbar.

Dienstleister (Alarmstufe 2)

Alarmstufe 2 bedeutet, dass der Notfall optional von einem Dienstleister abgearbeitet wird. Dies kann der Fall sein, wenn die Maßnahmen der Alarmstufe 1 von Notfallhelferinnen und Notfallhelfern nicht oder teilweise nicht durchgeführt werden können. Sollte der Dienstleister situationsbedingt nicht in der Lage sein, den Notfall abzuarbeiten (technisch, fachlich, zeitlich), oder ist organisatorisch kein Rückgriff auf einen Dienstleister vorgesehen, sind entsprechend Alarmstufe 3 Einsatzkräfte zu verständigen.

Weitere Hinweise zur Abarbeitung in Eigenregie finden Sie in Abschnitt 5.5.

5.3.9.2 Einsatzkräfte (Alarmstufe 3)

Einsatzkräfte sind auf jeden Fall zu alarmieren, wenn z. B.

  • Personen kontaminiert und/oder verletzt wurden,

  • keine Vorkehrungen zur Abarbeitung in Eigenregie getroffen wurden,

  • das Ausmaß des Notfalls durch Notfallhelferinnen und Notfallhelfer bzw. Dienstleister nicht mehr sicher beherrscht werden kann oder

  • der Notfall sich auch auf Bereiche außerhalb des Betriebes auswirkt.

Um bei einem Notfall ein effizientes Eingreifen zu ermöglichen, empfiehlt es sich, schon während der Planungsphase des Notfallmanagements Kontakt mit den örtlich zuständigen Einsatzkräften aufzunehmen, um die betrieblichen Gegebenheiten vorzustellen und mögliche Notfallszenarien durchzusprechen. Sinnvoll sind in diesem Zusammenhang regelmäßige, gemeinsame Notfallübungen.