DGUV Information 215-450 - Softwareergonomie

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Abschnitt 11.3 - 11.3 Nutzungskontexte der Software spezifizieren - Verstehen und Festlegen des Nutzungskontexts

Konkrete Anforderungen an die Gestaltung des Arbeitsmittels Software werden aus einem spezifizierten Nutzungskontext abgeleitet. Ein Nutzungskontext umfasst die Benutzerinnen und Benutzer (mit ihren bzw. seinen individuellen Fähigkeiten), deren Arbeitsaufgaben, die Ausrüstung am Arbeitsplatz (Hardware, Software, weitere Arbeitsmittel und Materialien), die physische, informatorische und soziale Arbeitsumgebung, in der das Arbeitsmittel Software genutzt wird.

Zur Analyse, Spezifikation und Dokumentation des Nutzungskontextes für die Software ist ein systematisches Vorgehen hilfreich:

  1. A.

    Alle Aufgaben im Arbeitssystem analysieren und Ziele definieren. Die Funktionen identifizieren, die ausgeführt und von der Software unterstützt werden sollen. Die Prinzipien der Aufgabengestaltung anwenden.

  2. B.

    Alle Arbeitsszenarien (Beschreibung, wie die Aufgabe ideal bearbeitet wird) für jede Phase im Einsatzzyklus der Software beschreiben.

  3. C.

    Ein systematisches Vorgehen zur Aufgabengestaltung umsetzen und Nutzeraufgaben ermitteln. Anhand der Ergebnisse der Aufgabengestaltung, Nutzergruppen zusammenstellen und Qualifikationsanforderungen entwickeln.

  4. D.

    Mit Ergebnissen der Aufgabengestaltung und ihrer Ausführungsbedingungen die Nutzungskontexte für die Phasen des Einsatzzyklus spezifizieren und dokumentieren.

Zu A. Vorgehen bei der Aufgabenanalyse und -gestaltung

Die Aufgabengestaltung ist der wichtigste Teil der Arbeitssystemgestaltung. Zunächst werden die Ziele der Abteilung oder Arbeitsgruppe beschrieben, in der die Software zukünftig eingesetzt werden soll. Für eine Abteilung werden Arbeitsprozesse, erwünschte und unerwünschte Arbeitsergebnisse und Rahmenbedingungen benannt. Vorhandene Dokumente wie z. B. Organigramme, Betriebsabläufe, Unternehmensziele oder Aufgabenszenarien sollten berücksichtigt werden. Zusammen mit Informationen der Geschäftsleitung und aus den Abteilungen, in denen die Software eingeführt und genutzt wird, sollten vollständige Ziele formuliert werden.

Aufgaben werden als Arbeitsprozesse in Funktionen/Teilaufgaben gegliedert. Dabei kommen Funktionsorganigramme, Flussdiagramme, Zeitverlaufsanalysen und Netzwerk- oder Verknüpfungsanalyse zum Einsatz. Die Funktionen werden den Personen, der Software oder wahlweise beiden zugewiesen. Es empfiehlt sich, die Erarbeitung in moderierten Arbeitsgruppen durchzuführen, wobei die Moderation mit der Analyse von Aufgaben und zugehörigen Methoden vertraut sein sollte.

Die den Benutzerinnen und Benutzern zugeordneten Funktionen werden so zu Aufgaben zusammengestellt, dass sie die Prinzipien der Aufgabengestaltung erfüllen (siehe Abbildung 71). Die so vorgenommene Mensch-Software-Funktionsteilung ist wesentlicher Bestandteil der Analyse und Spezifikation der Nutzungskontexte.

Mit den Aufgabenbeschreibungen können bereits Gefährdungen und Beeinträchtigungen beurteilt werden. Mit den Nutzeraufgaben können Aufgabenbeschreibungen der Arbeitsplätze erstellt werden. Auf Basis der Nutzeraufgaben werden Qualifikationsanforderungen abgeleitet. Aufgabenbestandteile, die durch Software unterstützt werden, führen zu Anforderungen an die Gestaltung der Benutzungsschnittstellen. Beteiligte Personen werden im Kapitel 12 "Lasten- und Pflichtenheft zur Beschaffung von Software" und in Abbildung 72 genannt.

Zu B. Arbeitsszenarien im Einsatzzyklus

Mithilfe vorhandener Dokumente wie z. B. Organigrammen oder Betriebsabläufen sollen Arbeitsszenarien im Einsatzzyklus der Software gesammelt werden. Anschließend sollte die Sammlung von moderierten Arbeitsgruppen mit den beteiligten Personengruppen (siehe Kapitel 12 "Lasten- und Pflichtenheft zur Beschaffung von Software") vervollständigt werden. Das Ergebnis sind Arbeitsszenarien für jede Phase des Einsatzzyklus. Arbeitsszenarien aus der Nutzungsphase der Software sollten sich auf die jeweils kleinste organisatorische Einheit eines Betriebes (z. B. eine Unterabteilung, Arbeitsgruppe) beziehen, in der die Software Beschäftigte unterstützen soll.

Tabelle 3 Merkmale des Nutzungskontextes: Beispiele in Anlehnung an DIN EN ISO 9241-11

Umgebung
Benutzer bzw. BenutzerinArbeitsaufgabeArbeitsmittelOrganisatorische UmgebungTechnische UmgebungPhysische Umgebung
  • Benutzertyp

  • repräsentative Benutzerinnen und Benutzer

  • nicht repräsentative und indirekte Benutzerinnen und Benutzer

  • Fertigkeit und Wissen

  • Erfahrung mit dem Produkt

  • Erfahrung mit dem System

  • Erfahrung mit der Arbeitsaufgabe

  • Erfahrung mit der Organisation

  • Übungsgrad

  • Fertigkeiten mit dem Eingabemittel

  • Qualifikationen

  • Sprachfertigkeiten

  • allgemeine Kenntnisse

  • Persönliche Merkmale

  • Alter

  • Geschlecht

  • physische und psychische Einschränkungen

  • intellektuelle Fähigkeiten

  • Einstellungen

  • Motivation

  • Aufgabenzerlegung

  • Aufgabenbezeichnung

  • Aufgabenhäufigkeit

  • Aufgabendauer

  • Häufigkeit von Ereignissen

  • Handlungsspielraum

  • physische und psychische Anforderungen

  • Aufgabenabhängigkeiten

  • Aufgabenergebnisse

  • gefährliche Auswirkungen von Fehlern

  • sicherheitskritische Erfordernisse

  • Allgemeine Beschreibung

  • Produktbezeichnung

  • Produktbeschreibung

  • Hauptanwendungsbereiche

  • wichtige Funktionen

  • Spezifikation

  • Hardware

  • Software

  • Materialien

  • Dienstleistungen

  • Weiteres

  • Struktur

  • Arbeitsstunden

  • Gruppenarbeit

  • Funktion

  • Arbeitspraxis

  • Hilfestellung

  • Unterbrechungen

  • Führungsstruktur

  • Kommunikationsstruktur

  • Einstellung und Kultur

  • Vorschriften für den Umgang mit Computern

  • organisatorische Ziele

  • Geschäftsbeziehungen

  • Arbeitsgestaltung

  • Mischarbeit

  • Leistungsmessung

  • Ergebnisrückmeldung

  • Selbständigkeit

  • Entscheidungsfreiheit

  • Konfiguration

  • Hardware

  • Software

  • Referenzmaterial

  • Arbeitsplatzbedingungen

  • Beleuchtungsbedingungen

  • akustische Bedingungen

  • Klimabedingungen

  • Umgebungsstabilität

  • Arbeitsplatzgestaltung

  • Körperhaltung

  • Arbeitsplatz

  • Größe und Einrichtung

  • Arbeitssicherheit

  • Gesundheitsgefährdung

  • Schutzkleidung und -vorrichtungen

Zu C. Nutzergruppen und Qualifikationsanforderungen

Mithilfe der Nutzeraufgaben werden Nutzergruppen zusammengestellt und Qualifikationsanforderungen entwickelt. Zukünftig erforderliche Qualifikationen werden mit vorhandenen verglichen und Anforderungen sowie Ziele für Schulungsmaßnahmen zur Einführung und Nutzung der Software abgeleitet. Die Nutzergruppe soll von einer moderierten Arbeitsgruppe zusammengestellt werden.

Zu D. Analyse, Spezifikation und Dokumentation der Nutzungskontexte

Je nach Phase des Einsatzzyklus (z. B. Entwickeln, Überprüfen, Einführen, Nutzen, Pflegen) wird die Software für unterschiedliche Zwecke eingesetzt (z. B. als Entwicklungsplattform, Testkörper, Schulungsgegenstand, Werkzeug zur Bearbeitung von Nutzeraufgaben). Von Nutzungskontexten sind unterschiedliche Nutzergruppen betroffen (z. B. Entwicklerinnen und Entwickler, Einkäuferinnen und Einkäufer, Benutzerinnen und Benutzer). Ein Teil der unterschiedlichen Aufgaben ist schließlich mithilfe der Software zu bearbeiten (z. B. Gestaltungsmängel identifizieren, Benutzerinnen und Benutzer am Arbeitsplatz unterstützen) (vgl. Anhang 5 (Analyse der Aufgaben, Anforderungen und Funktionen)).

Eine Software wird meist an mehreren Arbeitsplätzen eingesetzt, die sich einerseits unterscheiden und anderseits über die Zeit verändern. Der Nutzungskontext und die Anforderungen an eine ergonomische Gestaltung von Software können sich ändern, sobald

  • neue Nutzergruppen mit anderen Fähigkeiten eingesetzt werden,

  • die Software an verschiedenen Arbeitsplätzen eingesetzt wird,

  • sie verschiedene Aufgaben unterstützen soll Einzelbrief schreiben, Serienbrief erstellen),

  • verschiedene Hardware eingesetzt wird (Desktop-PC, Notebook) oder

  • Einsatzorte wechseln (Büro, Fertigungshalle, Beratung beim Kunden).

Durch veränderte Aufgaben und Arbeitsbedingungen entsteht ein neuer Nutzungskontext. Die Gebrauchstauglichkeit der Software kann nur für einen spezifizierten Nutzungskontext geprüft und bewertet werden.

Die Zusammenstellung der Nutzungskontexte (siehe Tabelle 3) sollte in moderierten Arbeitsgruppen mit den Betroffenen aller Phasen des Einsatzzyklus vervollständigt werden. Als Ergebnis sollten Beschreibungen der Nutzungskontexte getrennt nach Nutzergruppen dokumentiert sein.