DGUV Information 203-079 - Auswahl und Anbringung von Verriegelungseinrichtungen

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Abschnitt 5.8 - 5.8 Maßnahmen zum Verringern von Umgehungsmöglichkeiten

5.8.1
Allgemeines

Bei der Anbringung von Verriegelungseinrichtungen muss auch das mögliche Umgehen, auch Manipulation genannt, betrachtet werden. Gemeint ist das Unwirksammachen von Schutzeinrichtungen mit der Konsequenz, eine Maschine in einer vom Konstrukteur nicht vorgesehenen Weise oder ohne notwendige Schutzmaßnahmen zu verwenden.

Gründe für das Umgehen von Verriegelungseinrichtungen können beispielsweise sein:

  • Schutzeinrichtungen, die den Arbeitsablauf behindern

  • während der Konstruktion einer Maschine nicht berücksichtigte Tätigkeiten, die vom Bediener an der Maschine ohne Manipulation nicht ausführbar sind (z. B. Reinigen, Fehlersuche, Reparatur, Einrichten)

  • Zeitersparnis zu Lasten der Sicherheit (z. B. Vermeidung von Unterbrechungen, schnellere/höhere Produktion)

  • unzureichende Ergonomie (leichteres, bequemeres Handling, geringere körperliche Anstrengung, kürzere Arbeitswege).

Die wirksamste Maßnahme, um ein Umgehen von Verriegelungseinrichtungen zu vermeiden, ist die konstruktive Gestaltung der Maschine einschließlich aller Schutzeinrichtungen so, dass Anreize zum Umgehen entweder beseitigt, zumindest aber minimiert werden.

Das heißt, eine Maschine muss ihre vorgesehenen Funktionen während ihrer Lebensdauer bei hinreichend verringertem Risiko ausführen können, ohne dass Manipulationen von Schutzeinrichtungen nennenswerte Vorteile bringen, z. B. durch die Wahl geeigneter Betriebsarten.

Die Norm DIN EN ISO 14119 [8] beschreibt im Anhang H ein Verfahren, um Anreize zum Umgehen von Verriegelungseinrichtungen abschätzen und bewerten zu können. Die dem zugrunde liegende Methodik ist in Abbildung 49 dargestellt.

Um dem Konstrukteur eine praktisch handhabbare Hilfestellung zur systematischen Erfassung von Manipulationsanreizen zu geben, wurde vom Institut für Arbeitsschutz der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung (IFA) eine Checkliste zur Erfassung und Bewertung von Manipulationsanreizen erarbeitet und zum Download bereitgestellt. Zu finden unter www.dguv.de, Stichwort: "Manipulationsanreiz" [21].

Zusätzlich zur weitestgehenden Minimierung von Manipulationsanreizen aufgrund konstruktiver Eigenschaften der Maschine, müssen die Verriegelungseinrichtungen selbst einen Beitrag zur Verringerung der Umgehungsmöglichkeiten leisten. Sie müssen deshalb so ausgewählt und angebracht sein, dass sie nicht auf eine vernünftigerweise vorhersehbare Art, d. h. von Hand oder durch Benutzung eines leicht verfügbaren Gegenstandes, umgangen werden können.

Als Umgehen auf vernünftigerweise vorhersehbare Art gilt nicht ein aufwendiges Unwirksammachen von Schutzfunktionen wie z. B.

  • das Demontieren oder Wegdrehen von Bauteilen der Verriegelungseinrichtungen mithilfe schwerer Werkzeuge (z. B. Brecheisen, Trennschleifer)

  • das Überbrücken der Kontakte.

Weitere Informationen sind unter "www.stopp-manipulation.org" [23] zu finden.

5.8.2
Zusätzliche Maßnahmen zur Verringerung von Umgehungsmöglichkeiten

Die im Folgenden genannten Maßnahmen können entsprechend Risikobeurteilung, einzeln oder in Kombination zur Verringerung von Umgehungsmöglichkeiten beitragen.

5.8.2.1
Vermeiden der Zugänglichkeitzu den Elementen der Verriegelungseinrichtung

durch:

  • Anbringen außer Reichweite

  • Verdeckten Einbau

Achtung:

Bauart 3 Verriegelungseinrichtungen lassen sich durch die nicht vorhandene Kodierung sehr leicht umgehen. Eine versehentliche Betätigung mit einem detektierbaren Gegenstand ist möglich. Deshalb müssen Bauart 3 Verriegelungseinrichtungen immer verdeckt oder außer Reichweite angebracht werden.

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Abb. 49 Methodik zur Bestimmung und Beseitigung von Umgehungsmöglichkeiten [8]

5.8.2.2
Vermeiden einer Betätigung der Verriegelungseinrichtung durch leicht verfügbare Gegenstände

durch:

  • Verwendung von kodierten Betätigungssystemen

  • individuelle Einzelkodierung des Betätigungssystems

in Verbindung mit den Maßnahmen nach Abschnitt 5.8.4.3.

Ein individuell kodierter Betätiger stellt im Unterschied zu Standardbetätigern praktisch ein Unikat dar. So ist gegeben, dass ein Betätiger funktionell nur zu einem einzigen Gerät passt. Zwar sind auch Standardbetätiger kodiert, aber nur einheitlich, um sie von einfachen Werkzeugen, wie Schraubendrehern, einfachen Drahtstücken usw. zu unterscheiden.

Transponderschalter bieten technisch eine einfache und gute Möglichkeit der individuellen Kodierung.

5.8.2.3
Vermeiden, dass die Elemente der Verriegelungseinrichtung abgebaut werden oder ihre Lage verändert wird durch:

  • Verwendung von nicht lösbaren Befestigungen (z. B. Schweißen, Kleben, Einwegschrauben, Nieten), insbesondere zur Befestigung des Betätigers bei Bauart 2, 3 und 4 Verriegelungseinrichtungen

Diese Maßnahme allein, schließt die Betätigung mit leicht verfügbaren Gegenständen nicht aus. Deshalb muss noch eine weitere der zur Auswahl stehenden Maßnahmen angewendet werden (Ausnahme: Scharnierschalter).

5.8.2.4
Vermeiden eines Umgehens durch steuerungstechnische Maßnahmen

  • Zustandsüberwachung/Plausibilitätsprüfung,

Die Steuerung erwartet beispielsweise das Öffnen einer Tür in einem bestimmten Maschinenzyklus oder nach einer bestimmten Zeit. Das Fehlen des Steuersignals kann auf ein Umgehen hinweisen.

  • periodische Prüfungen,

Beispielsweise wird der Bediener von der Steuerung zur Betätigung der Schutzeinrichtung aufgefordert. Das Fehlen des Steuersignals kann auf ein Umgehen hinweisen.

  • Verwendung einer zusätzlichen Positionsbestimmung und Plausibilitätsprüfung,

    z. B. zweiter Positionsschalter

Der Einbau eines zweiten Schalters ist eine gute Möglichkeit Manipulationen vorzubeugen, insbesondere dann, wenn die Schaltsignale zusätzlich auf Plausibilität überwacht werden, z. B. dass sie innerhalb eines bestimmten Zeitfensters oder in einer bestimmten Reihenfolge schließen.

5.8.2.5
Vermeiden eines Umgehens von Positionsschaltern Bauart 1

Wird ein einzelner Positionsschalter Bauart 1 verwendet, darf dieser nur formschlüssig betätigt werden, weil diese Betätigungsart das Umgehen des Schalters auf einfache Weise verhindert (siehe Abschnitt 5.3). Diese Maßnahme muss mindestens mit einer weiteren der aufgeführten Maßnahmen verbunden werden.

5.8.2.6
Gestaltungsmaßnahmen zur Minimierung eines Umgehens von Verriegelungseinrichtungen, die über Steckvorrichtung angeschlossen sind

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Abb. 50 Verdeckter Einbau von Sensor und Betätiger an einer Schiebetür

Der Schutz gegen Umgehen muss durch mindestens eine der folgenden Maßnahmen erzielt werden:

  1. a.

    durch eine derartige Anordnung der Steckvorrichtung, dass sie für den Bediener der Maschine nicht zugänglich ist

  2. b.

    durch Verwendung von Schaltern mit Steckverbindern, deren Belegung nicht offensichtlich das einfache Kontaktüberbrücken mittels Draht ermöglicht z. B. durch Verwendung mehrpoliger Steckverbinder

5.8.2.7
Maßnahmen beim gewaltsamen Aufreißen von elektromagnetischen Zuhaltungen

Bei elektromagnetischen Zuhaltungen ist es aufgrund des Funktionsprinzips unter Umständen möglich (keine formschlüssige Zuhaltung), dass ein Anwender bei entsprechendem Kraftaufwand die Zuhaltung beschädigungsfrei aufreißen kann, was einer Manipulation gleichkommt. Details siehe Abschnitt 4.6.