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Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts
41, 138 [Nr. 23 Voraussetzungen einer Privilegierung landwirtschaftlicher Betriebe im Außenbereich]

Urteil des 4. Senats vom 3. November 1972 - BVerwG 4 C 9.70
  1. 1.

    Ein Vorhaben „dient“ im Sinne des § 35 Abs. 1 Nr. 1 BBauG einem landwirtschaftlichen Betrieb nur dann, wenn

    1. a)

      ein vernünftiger Landwirt – auch und gerade unter Berücksichtigung des Gebots größtmöglicher Schonung des Außenbereichs – dieses Vorhaben mit etwa gleichem Verwendungszweck und mit BVerwGE 41, 138, Seite 139etwa gleicher Gestaltung und Ausstattung für einen entsprechenden Betrieb errichten würde und

    2. b)

      das Vorhaben durch diese Zuordnung zu dem konkreten Betrieb auch äußerlich erkennbar geprägt wird.

  2. 2.

    Ein landwirtschaftlicher „Betrieb“ im Sinne des § 35 Abs. 1 Nr. 1 BBauG liegt nur vor, wenn die Landwirtschaft nachhaltig, d. h. auf eine dem Wesen der Landwirtschaft entsprechend lange Dauer, betrieben werden soll.

  3. 3.

    Eine landwirtschaftliche Betätigung allein auf der Grundlage von Pachtland fällt in aller Regel nicht unter § 35 Abs. 1 Nr. 1 BBauG.

Vorinstanzen

I. Verwaltungsgericht KoblenzII. Oberverwaltungsgericht Koblenz

Der Kläger ist Inhaber eines Gartenbaubetriebs. Er beabsichtigt, auf einem von diesem Betrieb etwa 150 km entfernten Grundstück im Außenbereich der beigeladenen Gemeinde einen Nebenbetrieb zur Aufschulung von Koniferen und anderen Pflanzen anzulegen und ein der Bewirtschaftung dieses Nebenbetriebs dienendes Gebäude nach Art eines Blockhauses zu errichten.

Das zuständige Landratsamt lehnte die Erteilung der vom Kläger beantragten Baugenehmigung ab. Zur Begründung führte es aus: Die Größe des vorgesehenen Hauses, die Anordnung und Zweckbestimmung der Räume sowie die bisherige Bewirtschaftung des Grundstücks sprächen eindeutig dagegen, daß es sich um ein der Bodennutzung dienendes Gebäude handele. Das Vorhaben solle vielmehr als Wochenendhaus genutzt werden. Als solches sei es nicht genehmigungsfähig.

Die nach erfolglosem Widerspruchsverfahren erhobene Klage blieb auch im Revisionsverfahren ohne Erfolg.

Aus den Gründen:

Für die Entscheidung des vorliegenden Falles ausschlaggebend ist, ob dsa Vorhaben des Klägers „einem landwirtschaftlichen oder forst-BVerwGE 41, 138, Seite 140wirtschaftlichen Betrieb dient und nur einen untergeordneten Teil der Betriebsfläche“ einnimmt. Das Berufungsgericht hat mit Recht unter Hinweis auf § 146 BBauG anerkannt, daß es sich – auch bei dem hier fraglichen Grundstück – um Landwirtschaft, nämlich um Erwerbsgartenbau handelt. Dies bleibt selbst dann richtig, wenn, wie der Beklagte in der Revisionsschrift behauptet, der Kläger jetzt Kartoffeln angepflanzt haben sollte.

Nicht zu billigen vermag der erkennende Senat dagegen den Maßstab, an Hand dessen das Berufungsgericht die Frage beurteilt hat, ob das Vorhaben des Klägers einem landwirtschaftlichen Betrieb dient. Richtig ist allerdings, daß ein Vorhaben einem Betrieb nicht schon dann dient, wenn die Benutzung des Vorhabens die Bewirtschaftung des Betriebs erleichtert oder irgendwie fördert. Wenn das Berufungsgericht jedoch statt dessen eine „Notwendigkeit“ des Vorhabens fordert, weil erst dies dem Vorhaben die dienende Funktion verleihen könne, so ist diese Anforderung selbst dann zu streng, wenn die Notwendigkeit sich „aus der Eigenart und den Erfordernissen des Betriebes“ ergeben sollte; sie ist es erst recht, wenn diese „Notwendigkeit“ als objektive Unentbehrlichkeit verstanden werden müßte. Dazu hat der I. Senat des Bundesverwaltungsgerichts bereits im Urteil vom 30. Juni 1964 – BVerwG I C 80.62 – (BVerwGE 19, 75 [77]) ausgeführt, es sei nicht entscheidend, ob ein Betrieb sich auch ohne das umstrittene Vorhaben sachgerecht betreiben ließe; auch eine nach betriebswirtschaftlichen Erkenntnissen an sich nicht erforderliche Sache könne, wie die Erfahrung lehre, je nach der individuellen Betriebsweise tatsächlich dem Betrieb dienlich sein. Dem hat sich der erkennende Senat im wesentlichen angeschlossen und z. B. in seinem Urteil vom 13. Januar 1967 – BVerwG IV C 47.65 – (Buchholz 406.11, § 35 BBauG Nr. 34) zum Ausdruck gebracht, daß auch ein Vorhaben zuzulassen sein werde, das zwar nach betriebswirtschaftlichen Erkenntnissen an sich für den Betrieb nicht (zwingend) erforderlich, aber nach der individuellen Betriebsweise tatsächlich dem Betrieb gewidmet und durch diese Widmung auch gekennzeichnet sei. Hieran hält der erkennende Senat fest. Die demgegenüber weitergehenden Anforderungen des Berufungsgerichts sind durch § 35 Abs. 1 Nr. 1 BBauG nicht gedeckt und widersprechen daher dem Bundesrecht (§ 137 Abs. 1 VwGO).

BVerwGE 41, 138, Seite 141

Der vorliegende Fall gibt dem erkennenden Senat Anlaß, zum Begriff des „Dienens“ in § 35 Abs. 1 Nr. 1 BBauG folgendes ergänzend klarzustellen: Festzuhalten ist einerseits, daß in diesem Zusammenhang nicht die Zweckmäßigkeit der land- oder forstwirtschaftlichen Betriebsweise des Bauherrn zu beurteilen ist, sondern daß die Zulässigkeit des Vorhabens von der tatsächlich gegebenen Bodenbewirtschaftung und Bodennutzung des konkreten Betriebes sowie davon abhängt, in welcher Beziehung das Vorhaben zu diesem konkreten Betrieb steht oder voraussichtlich stehen würde (wie Urteil vom 30. Juni 1964 a.a.O.). Was andererseits die Beschaffenheit dieser Beziehung anlangt, sind in beiden Richtungen die gewissermaßen äußersten Grenzen dadurch gekennzeichnet, daß für die Privilegierung die bloße Förderlichkeit nicht ausreicht und andererseits die Notwendigkeit bzw. Unentbehrlichkeit nicht verlangt werden kann. Innerhalb des damit gegebenen Rahmens muß für das Merkmal des Dienens darauf abgestellt werden, ob ein vernünftiger Landwirt – auch und gerade unter Berücksichtigung des Gebotes größtmöglicher Schonung des Außenbereichs – das Bauvorhaben mit etwa gleichem Verwendungszweck und mit etwa gleicher Gestaltung und Ausstattung für einen entsprechenden Betrieb errichten würde. Hinzukommen muß im Hinblick auf den Schutzzweck des § 35 BBauG aber noch, daß das Vorhaben durch die so umrissene Zuordnung zu dem konkreten Betriebe – auch äußerlich erkennbar – geprägt wird. Darauf hat der erkennende Senat bereits in seinem Urteil vom 13. Januar 1967 a.a.O. S. 91 mit der Wendung hingewiesen, daß das Vorhaben „dem Betrieb gewidmet und durch diese Widmung auch gekennzeichnet“ sein müsse (vgl. im gleichen Sinne ferner das Urteil vom 27. Januar 1967 – BVerwG IV C 41.65 – in BVerwGE 26, 121 [124]). Mit Rücksicht auf diese zweite Anforderung kann mithin ein Vorhaben auch dann nicht als einem landwirtschaftlichem Betriebe dienend zugelassen werden, wenn es zwar nach seinem Verwendungszweck in dem oben gekennzeichneten Sinne gerechtfertigt sein mag, nach seiner Beschaffenheit, Gestaltung oder Ausstattung aber nicht durch diesen Verwendungszweck erschöpfend geprägt wird. Fehlt es an einer entsprechenden Prägung, so wird übrigens in aller Regel auch die Frage zu verneinen sein, ob ein vernünftiger Landwirt ein Vorhaben mit gleicher Gestaltung und Ausstattung für den konkreten Betrieb errichten würde. Ein Beweis-BVerwGE 41, 138, Seite 142anzeichen für die unerläßliche Prägung wird in aller Regel dann gegeben sein, wenn das Vorhaben objektiv so beschaffen ist, daß – möglichst weitgehend – seine Verwendung zu nichtprivilegierten Zwecken eine ihrerseits erneut genehmigungsbedürftige Nutzungsänderung erfordert.

Bei Anlegung dieses Maßstabs ergibt sich, daß die dem Kläger ungünstige Beurteilung durch das Berufungsgericht im Ergebnis zutrifft: Das Vorhaben des Klägers erfüllt in der Tat nicht die Voraussetzungen, unter denen das Merkmal des Dienens erfüllt ist. Nach den tatsächlichen Feststellungen des Berufungsgerichts über die Ausgestaltung des geplanten Vorhabens – massives Kellergeschoß 13 x 6,75 m; aus Holz zu erstellendes Erdgeschoß 5,70 x 6,75 m; im Erdgeschoß zwei Schlafzimmer, ein Aufenthaltsraum mit Kochnische und eine nach Westen gelegene, überdachte Terrasse – muß in Verbindung einmal mit den vom Berufungsgericht in Bezug genommenen Akten und damit den vom Kläger eingereichten Bauplänen, aus denen sich zudem die Einrichtung eines WC-Raumes und zweier Waschbecken im Kellergeschoß ergibt, und zum anderen mit dem behaupteten Verwendungszweck ohne weitere Ermittlung gesagt werden, daß diesem Vorhaben das oben näher umschriebene Gepräge fehlt, lediglich zur Aufbewahrung von Geräten, Futter und Spritzmitteln sowie zur gelegentlich erforderlich werdenden Unterbringung von Arbeitskräften – auch über Nacht – bestimmt zu sein.

Der Privilegierungstatbestand des § 35 Abs. 1 Nr. 1 BBauG ist darüber hinaus auch noch aus anderen Gründen nicht gegeben:

Das Berufungsgericht hat das Vorliegen eines landwirtschaftlichen Betriebes auf dem fraglichen Grundstück „jedenfalls für den Zeitpunkt der Entscheidung“ angenommen, weil inzwischen eine Reihe von Kulturen mit insgesamt 17 000 Stück Pflanzen angelegt worden sei und weil für das Gericht nach dem persönlichen Eindruck, den der Kläger in der mündlichen Verhandlung gemacht habe, keine Zweifel an der Ernsthaftigkeit der von ihm dargelegten Absichten bestünden. Dies zeigt, daß das Berufungsgericht den Begriff des Betriebes im Sinne von § 35 Abs. 1 Nr. 1 BBauG, worauf der Beklagte mit Recht hingewiesen hat, in einer wesentlichen Komponente verkannt hat:

BVerwGE 41, 138, Seite 143

Der Schutzzweck des § 35 Abs. 1 Nr. 1 BBauG gebietet, wenn er sein planungsrechtliches Ziel verwirklichen soll, daß nicht jede auch nur kurzfristige land- oder forstwirtschaftliche Tätigkeit die Zulassung von Bauten im Außenbereich rechtfertigen kann. Dies entspricht dem Begriff des – zumal land- oder forstwirtschaftlichen – Betriebes im allgemeinen, gilt aber erst recht, wenn im Zusammenhang mit § 35 Abs. 1 Nr. 1 BBauG in Frage steht, ob zugunsten einer land- bzw. forstwirtschaftlichen Betätigung dauerhafte Bauten errichtet werden dürfen. In diesem Sinne hat der erkennende Senat für die Anwendbarkeit des § 35 Abs. 1 Nr. 1 BBauG stets gefordert, daß das Merkmal der Nachhaltigkeit erfüllt sein und es sich um auf die Dauer (und zwar für Generationen) berechnete und auf die Dauer lebensfähige Planungen handeln müsse (Urteil vom 27. Januar 1967 a.a.O. S. 124 und 123; vgl. ferner das Urteil vom 13. Januar 1967 – BVerwG IV C 47.65 – in Buchholz a.a.O. S. 91 und 93). Dies läßt in aller Regel eine landwirtschaftliche Betätigung allein auf gepachtetem Grund und Boden aus der Privilegierung ausscheiden. Es liegt im Wesen der Pacht als einer nur schuldrechtlichen Beziehung, daß sie einerseits privatrechtlich weniger verläßlich als dingliche Rechte das Bestehen eines bestimmten Zustands auf Dauer sichert und daß andererseits bei ihr – insbesondere auch einvernehmliche – Änderungen der Rechtslage einer bodenrechtlichen Kontrolle völlig entzogen sind (vgl. insoweit § 19 BBauG). Das wirft Zweifel auf, ob die Pacht als Rechtsinstitut überhaupt geeignet ist, die von § 35 Abs. 1 Nr. 1 BBauG geforderte Nachhaltigkeit zu gewährleisten. Dies läßt sich, wie der erkennende Senat meint, nicht generell bejahen oder verneinen. Von den mit dem Wesen der Pacht zusammenhängenden Ungewißheiten mag in der Regel abgesehen werden können, wenn nur ein Teil des bewirtschafteten Grund und Bodens – langfristig (vgl. dazu Oberverwaltungsgericht Münster in VerwRspr. 22, 343) – hinzugepachtet ist. In derartigen Fällen trägt zwar die Pacht zur Privilegierung bei, ist jedoch nicht die alleinige Grundlage für die Inanspruchnahme der Privilegierung des § 35 Abs. 1 Nr. 1 BBauG. Ebenso wird sich bei entsprechender Sicherung die Anwendung des § 35 Abs. 1 Nr. 1 BBauG dort bejahen lassen, wo Gegenstand des Pachtvertrages nicht allein der zu bewirtschaftende Grund und Boden, sondern ein bereits bestehender landwirtschaftlicher Betrieb ist. Bei einer solchen Sachlage wirken sich die in Rede stehenden BVerwGE 41, 138, Seite 144Zweifel nicht aus, weil die Tatsache der Pacht nur formal die Grundlage für die Anwendung des § 35 Abs. 1 Nr. 1 BBauG ist, in Wahrheit jedoch, weil der Betrieb unabhängig von der Pacht besteht, die Anwendung des § 35 Abs. 1 Nr. 1 BBauG von ihr nicht abhängt. Schließlich mögen sich auch Ausnahmefälle denken lassen, in denen § 35 Abs. 1 Nr. 1 BBauG selbst dann nicht ohne weiteres ausscheidet, wenn sich der Antragsteller für das Vorhandensein eines Betriebes einzig auf gepachteten Grund und Boden berufen kann. So wird etwa – weitläufig vergleichbar mit der Rechtsfigur des wirtschaftlichen Eigentums – von den Bedenken gegen die Dauerhaftigkeit eines Pachtverhältnisses dort abgesehen werden können, wo die der Pacht aus Rechtsgründen eigene Schwäche durch die besonderen tatsächlichen Umstände ohne weiteres und verläßlich ausgeräumt wird. Das sind jedoch Ausnahmefälle, durch die nicht in Frage gestellt wird, daß in aller Regel gepachteter Grund und Boden allein nicht ausreicht, um nach § 35 Abs. 1 Nr. 1 BBauG im Außenbereich privilegiert bauen zu dürfen.

Die Anwendung dieser Grundsätze ergibt, daß die landwirtschaftliche Betätigung des Klägers auf dem fraglichen Grundstück den Anforderungen an die Nachhaltigkeit nicht genügt und daher auch den Begriff des land- oder forstwirtschaftlichen Betriebes nicht erfüllt. Die landwirtschaftliche Betätigung des Klägers im Gebiet der beigeladenen Gemeinde beruht nämlich ausschließlich auf der Bewirtschaftung von gepachtetem Land. Daß der Kläger seinen Hauptbetrieb möglicherweise auf eigenem Grund und Boden ausübt, muß hier außer Betracht bleiben. Die Vergünstigung, die nach dem Gesagten solche landwirtschaftliche Unternehmen genießen können, bei denen Land lediglich hinzugepachtet wird, erfordert zwar nicht die unmittelbare Nähe des Pachtlandes, aber doch jedenfalls seine räumliche Verbindung zu dem auf eigenem Grund errichteten Betriebe derart, daß noch von einem einheitlichen Gesamtbetrieb gesprochen werden kann. Bei einer Entfernung des Pachtlandes von über 150 km vom Betrieb des Klägers handelt es sich in dem dargelegten planungsrechtlichen Sinn des § 35 Abs. 1 Nr. 1 BBauG nicht mehr um einen einheitlichen Gesamtbetrieb.

Ein Ausnahmefall, der nach dem oben Gesagten etwa dennoch die Anwendung des § 35 Abs. 1 Nr. 1 BBauG rechtfertigen könnte, liegt offensichtlich nicht vor. Im Gegenteil stellen die sonstigen Umstände die BVerwGE 41, 138, Seite 145Nachhaltigkeit und damit das Vorliegen eines Betriebes zusätzlich in Frage: Daß der Kläger heute im 70. Lebensjahr steht, deutet – von einer möglichen früher eintretenden Erwerbsunfähigkeit einmal ganz abgesehen – in Verbindung damit, daß eine angemessene Betriebsnachfolge nicht gesichert ist, zusätzlich darauf hin, daß der landwirtschaftliche Betrieb auf dem fraglichen Grundstück nicht auf die erforderliche Mindestdauer angelegt ist.