DGUV Information 206-016 - Psychische Belastungen im Straßenbetrieb und Straßenunterhalt

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Abschnitt 1 - 1 Grundlagen

Tätigkeiten im Straßenverkehr

Die Arbeit im Straßenverkehr ist für die dort Beschäftigten geprägt durch eine Vielzahl verschiedener Tätigkeiten. So sind Mäh- und Schneidarbeiten, Tätigkeiten bei Straßenbau und -unterhaltung sowie auch Wartungs- und Instandsetzungsarbeiten von Geräten und Maschinen zu leisten. Reinigungsarbeiten sind z. B. bei Leitpfosten und Beschilderung auszuführen, Unrat und tote Tiere müssen von der Straße oder den Rastplätzen entfernt werden. Pflaster- und Markierungsarbeiten sowie Arbeiten mit Schotter oder Fugenvergussmasse machen deutlich, dass an die Beschäftigten körperlich beanspruchende Anforderungen gestellt werden. Das offensichtliche und ausgeprägte Vorliegen dieser physischen Aspekte mag ein Grund dafür sein, dass die psychischen Faktoren bis jetzt noch nicht befriedigend berücksichtigt wurden. Die Art der Arbeit unterliegt außerdem stark saisonal bedingten Schwankungen, bis hin zu Räum-, Streu- und Rüstarbeiten im Winterdienst. Diese sind vom aktuellen Wetter abhängig und häufig mit Einsätzen auch außerhalb der regulären Dienstzeit verbunden. Zudem sind Arbeiten im Bereich des Mittelstreifens von Autobahnen bzw. mehrspurigen Straßen zu verrichten, die eine Überquerung der Fahrbahn bei fließendem Verkehr erfordern. Nicht zuletzt gilt es, die Umgebung einer Vielzahl der Tätigkeiten zu bedenken: den Verkehrsraum.

Ziel der Tätigkeiten im Straßenverkehr ist es letztlich, zu jeder Jahreszeit für möglichst sichere und gut befahrbare Straßen zu sorgen. Dazu gehören eine saubere Fahrbahn sowie gut sichtbare Fahrbahnmarkierungen, Leitpfosten, Verkehrsschilder und Wegweiser. Tätigkeiten im Straßenverkehr kommen also allen Verkehrsteilnehmern zugute.

Beurteilung von Gefährdungen und Belastungen bei Arbeiten im Straßenverkehr

Die Beschäftigten sind in ihrem Arbeitsalltag einem hohen Unfall- bzw. Gesundheitsrisiko sowie vielen Belastungen ausgesetzt. Beinahe die Hälfte der im Straßenbetriebsdienst Beschäftigten scheidet aufgrund gesundheitlicher Probleme vorzeitig aus dem Erwerbsleben aus[siehe Referenzen: 1]. Das Risiko eines Straßenwärters, bei seiner Tätigkeit tödlich zu verunglücken, ist im Schnitt zwölf mal höher als bei anderen Berufgruppen[2].

Neben der Gefahr, durch fremde Verursacher schwer oder gar tödlich zu verunglücken, gibt es eine Vielzahl weiterer Gefährdungsfaktoren. Die Information "Beurteilung von Gefährdungen und Belastungen bei der Straßenunterhaltung" (GUV-I 8756) beschreibt mechanische, elektrische, thermische und biologische Gefährdungen sowie die Gefahrstoffproblematik oder spezielle physikalische Einwirkungen wie Lärm oder Ganzkörper- und Hand-Arm-Schwingungen.

Ausführlich wird dabei auch auf die Thematik der Organisation der Arbeit wie Arbeitsablauf, Qualifikation und Unterweisung der Beschäftigten, eingegangen.

Zur Beurteilung psychischer Belastungsfaktoren bei Beschäftigten mit Tätigkeiten im Straßenverkehr, soll die vorliegende Information konkrete inhaltliche Ansatzpunkte und beispielhafte Handlungshilfen bieten.

Rechtliche Grundlagen

Laut Arbeitsschutzgesetz (ArbSchG) hat der Arbeitgeber "durch eine Beurteilung der für die Beschäftigten mit ihrer Arbeit verbundenen Gefährdung zu ermitteln, welche Maßnahmen des Arbeitsschutzes erforderlich sind" (§ 5 ArbSchG). Unter Maßnahmen des Arbeitsschutzes sind auch solche zur Verhütung von arbeitsbedingten Gesundheitsgefahren einschließlich Maßnahmen der menschengerechten Gestaltung der Arbeit zu verstehen. Entsprechende Maßnahmen sind mit dem Ziel zu planen, "Technik, Arbeitsorganisation, sonstige Arbeitsbedingungen, soziale Beziehungen und den Einfluss der Umwelt sachgerecht zu verknüpfen" (§ 4 ArbSchG). Daraus lässt sich die Notwendigkeit einer Beurteilung der Gefährdung durch psychische Belastungen ableiten.

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Abb. 1 Mähzug nach LKW-Auffahrunfall

Bei der Diskussion über psychische Belastungsfaktoren ist zu berücksichtigen, dass diese so genannten "weichen Faktoren" mittel- und langfristig durchaus sehr "harte" und schwerwiegende Folgen verursachen können. Es ist bekannt, dass psychische Belastungen mittel- bis langfristig zu psychosomatischen Erkrankungen, chronischem Bluthochdruck oder Herz-Kreislauf-Erkrankungen führen können. Auch muskuloskelettale Erkrankungen, wie zum Beispiel chronische Rückenbeschwerden, Kreuz- und Nackenbeschwerden, gehören zu den möglichen Folgen[3, 4, 5, 6]. Entsprechende Zusammenhänge sind bei der Gefährdungsbeurteilung sowie bei der Gestaltung darauf aufbauender Maßnahmen zu beachten. Das Arbeitsschutzgesetz fordert diesbezüglich, dass bei den Maßnahmen "der Stand von Technik, Arbeitsmedizin und Hygiene, sowie sonstige gesicherte arbeitswissenschaftliche Erkenntnisse zu berücksichtigen" sind (§ 4 ArbSchG).

Stand der Arbeitsschutzaktivitäten und ganzheitliche Gefährdungsbeurteilung

Trotz der rechtlich eindeutigen Forderung einer Beurteilung der arbeitsbedingten Gefährdungen, lassen Gefährdungsbeurteilungen in der Praxis Defizite erkennen[7]. Ein Grund für die noch mangelhafte Beurteilung der psychischen Belastungen ist sicher, dass den Führungskräften oftmals die nötige (psychologische) Fachkompetenz fehlt, so dass angemessene Schritte nicht eingeleitet werden. Im Zusammenhang damit stehen auch Berührungsängste mit psychologischen Themen, die als wenig handhabbar wahrgenommen werden. Dies trifft insbesondere auf technisch bzw. handwerklich ausgerichtete Betriebe wie die hier angesprochenen zu.

Die vorliegende Schrift soll den Verantwortlichen in Betrieben mit Tätigkeiten im Straßenverkehr Informationen an die Hand geben, die dabei helfen, die genannten Defizite zu überwinden.

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Abb. 2 Erhöhte Belastung beim Winterdienst durch Witterungseinflüsse und fließenden Verkehr (Quelle: Straßen.NRW)

Arbeitswissenschaftliche Grundlagen - Psychologische Hintergründe

In den Arbeitswissenschaften findet insbesondere das Belastungs-Beanspruchungskonzept[8] breite Anwendung. Dieses bildet auch die Grundlage für die Norm DIN EN ISO 10075-1 "Ergonomische Grundlagen bezüglich psychischer Arbeitsbelastung, Teil 1".

Psychische Belastung wird auf dieser Grundlage definiert als "die Gesamtheit aller erfassbaren Einflüsse, die von außen auf den Menschen zukommen und auf ihn psychisch einwirken". Demzufolge sind psychische Belastungen nicht automatisch als negativ aufzufassen. Dies bedeutet eine deutliche Abweichung vom Alltagssprachgebrauch. Psychische Belastungen können neben schädlichen auch positive Folgen wie Aktivierungs- und Übungseffekte nach sich ziehen. Unter der psychischen Beanspruchung wird dann die unmittelbare Reaktion auf die psychische Belastung im Individuum verstanden. Mit anderen Worten, was die Belastung bei dem Individuum auslöst. Wichtig ist, dass die Beanspruchung von Mensch zu Mensch verschieden ist, auch wenn die Belastung die gleiche ist. Das ist deshalb so, weil jeder Mensch unterschiedliche Voraussetzungen (Gesundheitszustand, Fähigkeiten, etc.) mitbringt, um mit einer Belastung umzugehen.

Im Sinne des Belastungs- Beanspruchungskonzeptes geht es darum, Belastungen so zu gestalten, dass sie eine möglichst optimale Beanspruchung des Individuums bewirken. "Eine beanspruchungsoptimale Gestaltung der Arbeit [...] bedeutet [...], dass nur diejenigen Belastungen verringert oder vermieden werden, die mit einer dysfunktionalen Beanspruchung einhergehen"[9]. Ziel ist es demnach, die positiven Effekte der Tätigkeit zu nutzen und beeinträchtigende Effekte psychischer Belastungen zu vermeiden.

Psychische Ermüdung = Eine vorübergehende Beeinträchtigung der psychischen und körperlichen Funktionstüchtigkeit, die von Intensität, Dauer und Verlauf der vorangegangenen psychischen Beanspruchung abhängt. Erholung von psychischer Ermüdung kann besser durch eine zeitliche Unterbrechung der Tätigkeit statt durch deren Änderung erzielt werden.
Ermüdungsähnliche Zustände = Zustände des Menschen, die als Auswirkungen psychischer Beanspruchung in abwechslungsarmen Situationen auftreten. Sie verschwinden schnell nach Eintreten eines Wechsels der Arbeitsaufgabe und/oder der Umgebung bzw. der äußeren Situation. Zu diesen Zuständen zählt der Monotoniezustand, herabgesetzte Wachsamkeit und psychische Sättigung.

Neben diesen beeinträchtigenden Effekten psychischer Belastung ist Stress bzw. Stresserleben als Beanspruchungsfolge aufzunehmen[10, 11, 12]. In diesem Zusammenhang können eigene Bewertungen, Gedanken und Gefühle als Stressoren wirken und Stress auslösen.

Das Belastungs-Beanspruchungskonzept bietet ein geeignetes Basismodell zur Ermittlung und Beurteilung psychischer Belastungen, da es erweitert werden kann und die Integration weiterer arbeitspsychologischer Ansätze möglich ist. Einen Überblick gibt die folgende Abbildung.

Allerdings handelt es sich dabei nicht um einfache Reiz-Reaktionsmuster. Vermittlungs- und Rückkopplungsprozesse beeinflussen vielfältig die Beziehung zwischen Belastung und Beanspruchung[14]. Demnach ist zu beachten, dass das Belastungs-Beanspruchungsmodell nicht als "Einbahnstraße" verstanden werden darf[15].

Als sehr bedeutsam haben sich in diesem Zusammenhang die persönlichen Stärken erwiesen, die wesentlich die Verkettung von Belastung > Beanspruchung > Folgen beeinflussen können. Dabei haben sich z. B. der zur Verfügung stehende Handlungsspielraum, das Vorhandensein sozialer Unterstützung oder auch persönliche Eigenschaften sowie Bewertungs- und Verhaltensstile als wichtige Ressourcen herausgestellt[3, 16].

In welchem Maß der einzelne Beschäftigte beansprucht ist, hängt sowohl von der vorliegenden (Arbeits-)Belastung als auch von sehr vielen weiteren Faktoren ab. Dazu gehören z. B. Qualifikation, Erfahrung, Gesundheitszustand, persönliche Anlagen. Daneben sind die (nicht) vorhandenen Ressourcen, wie soziale Unterstützung oder kooperatives Führungsverhalten des jeweiligen Vorgesetzten wichtig. Außerdem ist die zeitliche Dimension relevant, da die jeweilige Abfolge von Belastungen, Beanspruchungen und Folgen bereits unterschiedlich oft durchlaufen sein kann. Durch die Rückkopplungsprozesse ergeben sich daraus unterschiedliche "Schweregrade". Langfristige negative Folgen für die Gesundheit wie Herz-Kreislauf-Erkrankungen oder Depression stellen Endpunkte einer Kette von ungünstig verlaufenden Belastungs- Beanspruchungsprozessen dar. Wer dies durchdenkt wird erkennen, dass es erforderlich ist, in dieser Kette möglichst frühzeitig einzugreifen.

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Abb. 3 Überblick zum Belastungs- Beanspruchungsmodell (erweitert nach Oppolzer 2002[13])

Anzeichen für ungünstig verlaufende Belastungs-Beanspruchungsprozesse sind z. B.

  • Leistungsmängel,

  • Qualitätsverluste,

  • Beschwerden von Beschäftigten,

  • Konflikte zwischen Beschäftigten,

  • Fehlzeiten, Fluktuation, Frühverrentung,

  • vermehrte Unfälle.

Auch wenn Beschäftigte sich in ihren sonst für sie typischen Verhaltensweisen (Auftreten, Kommunikation) auffällig verändern, kann dies ein Hinweis auf ungünstig verlaufende psychische Beanspruchung sein.

Hier ist Hinschauen erforderlich, um zu erkennen wo Unterstützung notwendig ist. Viele betriebliche Verantwortliche werden jedoch erst bei verstärktem Fehlzeitenaufkommen hellhörig.

Um frühzeitig eingreifen zu können, ist der Blick auf die Belastungen zu richten. Primärpräventiv steht dabei die Gefährdungsbeurteilung im Mittelpunkt, die am Anfang der Kette und unabhängig von der Person ansetzt. Die zentrale Frage lautet: Welche Tätigkeiten bringen welches Risiko für die Gesundheit mit sich?

Für einen besseren Überblick hat sich eine Vierfelder-Matrix aus den Dimensionen "Organisation/Person" sowie "präventiv/korrektiv" bewährt [21]. Es kommt darauf an, geeignete Vorgehensweisen in allen vier Quadranten zu vereinbaren und in der betrieblichen Praxis umzusetzen. Durch betriebliche Praktiker kann dieses Quadrat des Arbeits- und Gesundheitsschutzes auch dazu verwendet werden, sich einen Überblick darüber zu verschaffen, in welchen Feldern man selbst bzw. der eigene Betrieb bereits gut ist und wo noch Entwicklungsbedarf besteht 1 .

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Quadrant "präventiv und personenbezogen" (links oben in der Abbildung):

Den zunehmend häufig am Arbeitsplatz auftretenden psychosozialen Problemen kann wirkungsvoll begegnet werden. Ohne dass sie es wissen, können Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen dazu beitragen, psychosoziale Probleme zu lösen oder abzumildern. Sie können versuchen, Probleme, die schon lange bestehen, "endlich einmal" - in kleinen Schritten - anzugehen. Sie können ihre eigene Arbeitsweise und ihr Zeitmanagement überdenken. Sie können versuchen, sich Unterstützung zu holen und vorhandene soziale Kontakte zu nutzen oder aufzubauen. Ebenfalls sinnvoll kann das Überdenken der eigenen (Arbeits-) Einstellung sein. In konkreten stressbeladenen Situationen ist es hilfreich, eine Form der Kurzentspannung einzusetzen, die man z. B. an der Volkshochschule erlernen kann.

Quadrant "korrektiv und personenbezogen" (rechts oben in der Abbildung oben):

Bei als stressig empfundenen Situationen hilft es, sich gezielt abzulenken, indem man etwas anderes unternimmt, wie z. B. ein Bild betrachten. Man kann sich natürlich auch durch körperliche Aktivität abreagieren, indem man z. B. das Zimmer verlässt oder Treppen läuft. Zuletzt sind positive Selbstgespräche zu erwähnen, durch die es gelingen kann, dass ein Konflikt erst gar nicht eskaliert. Nach Beendigung des Berufsalltages wartet auf die Mitarbeiter/-innen der häusliche Alltag. Auch hier kann man sich um einen Ausgleich zum Berufsleben bemühen, z. B. durch ein Hobby. Des Weiteren kann man sich beruflich begleiten und beraten lassen, sei es durch eine Supervision oder durch ein Coaching. Wenn psycho-soziale Probleme als nicht mehr bewältigbar betrachtet werden, sollte man auch die Hilfe eines Psychotherapeuten in Erwägung ziehen.

Quadrant "präventiv und organisationsbezogen" (links unten in der Abbildung oben):

Psychische Belastungen können im Rahmen der nach Arbeitsschutzgesetz erforderlichen Gefährdungsbeurteilung, z. B. mithilfe moderierter Arbeitskreise oder durch professionelle Mitarbeiterbefragungen, erhoben werden. Erforderliche Maßnahmen können dann z. B. im Arbeitsschutzausschuss bedarfsorientiert abgeleitet werden. Das Spektrum der Maßnahmen kann dabei vom Führungskräftetraining bis hin zur Optimierung der Arbeitsabläufe oder des Betriebsklimas reichen. "Kultur" und "Klima" sind keine Worthülsen, sondern der Schlüssel zu Gesundheit und Leistungsfähigkeit. In der Unternehmenspolitik sollten neben den Arbeitszielen auch Gesundheit und Sicherheit, Führungsstil und faires Miteinander feste Zielgrößen darstellen. Systematische Personal- und Führungskräfte-Entwicklung sorgt dafür, dass dies in der Realität ankommt - und dadurch Gesundheit und Arbeitsmotivation gleichermaßen fördert.

Quadrant "korrektiv und organisationsbezogen" (rechts unten in der Abbildung oben):

Das Ideal der "Lernenden Organisation" ist wichtig, um auch bei sich ändernden Rahmenbedingungen Flexibilität, Innovationsbereitschaft und Entwicklungsfähigkeit zu gewährleisten. Verbesserungsvorschläge der Beschäftigten werden ernst genommen und genutzt. In schwierigen Situationen haben sich Betriebsvereinbarungen - z. B. zu Mobbing oder Sucht - als hilfreich erwiesen. Betriebliches Eingliederungsmanagement (BEM) nach SGB XI sorgt dafür, dass arbeitsbedingte Ursachen für Erkrankungen erkannt und verändert werden können. Insgesamt betrachtet gilt es, eine bedarfsorientierte Kombination von verhaltens- und verhältnisorientierten Maßnahmen zu verwirklichen, was als ein wichtiges Merkmal eines erfolgreichen integrativen betrieblichen Gesundheitsmanagements anzusehen ist. Durch die Optimierung präventiver Maßnahmen werden Störungen vermieden und der Bedarf für korrektives Handeln minimiert.

Wird das Quadrat des Arbeits- und Gesundheitsschutzes in der Praxis angewandt, zeigt es häufig auf, dass die bevorzugte Handlungsebene zur Verminderung der psychischen Belastungen "personenbezogen/korrektiv" ist. Dabei zeigt jedoch die Erfahrung, dass präventive organisationsbezogene Maßnahmen wirkungsvoller sind. Somit ist das Augenmerk zur Reduzierung der psychischen Belastungen verstärkt auf organisatorische Maßnahmen zu legen und diese bei der Organisationsentwicklung entsprechend zu berücksichtigen.

bgvr_ausrufungszeichen.jpgFazit:

Psychische Belastungen können mittel- und langfristig zu körperlichen Erkrankungen führen. Bereits kurzfristig können deutliche Einbußen der Konzentrations- und Leistungsfähigkeit entstehen[17]. Die Wahrscheinlichkeit, Fehler zu begehen, wird erhöht und resultiert in einer erhöhten Unfallgefährdung[18]. Dies ist mit Sicherheit von Bedeutung bei Tätigkeiten im Verkehrsraum, wie sie die Beschäftigten der hier angesprochenen Betriebe häufig ausüben.

Die Vorgehensweisen im Rahmen der Gefährdungsbeurteilung sind darauf auszurichten, Gefährdungen im Sinne des Arbeitsschutzgesetzes an ihrer Quelle zu bekämpfen. Somit gilt es zu berücksichtigen, dass psychische Belastungen von der Arbeitsaufgabe, der Arbeitsumgebung, sozialen und organisatorischen Faktoren sowie auch gesellschaftlichen bzw. politischen Hintergründen ausgehen können.

Psychische Belastungen und Beanspruchungen bei Arbeiten im Straßenverkehr

Aufgrund der bereits beschriebenen Vielfalt der Tätigkeitsprofile bei Arbeiten im Straßenverkehr, können verschiedene Quellen psychischer Belastungen ausfindig gemacht werden. Im Folgenden sollen wesentliche Belastungsschwerpunkte für die Beschäftigten bei Arbeiten im Straßenverkehr im Blickpunkt stehen. Unterschieden werden kann in situationsspezifische und allgemeine Belastungen.

Der Bereich der allgemeinen Belastungen umfasst im Wesentlichen organisatorische und/oder technische Aspekte. Belastungsfaktoren im Bereich der Organisation des Betriebs sind vor allem die Klarheit darüber, wie Entscheidungen zustande kommen und in welchem Ausmaß der Einzelne Einfluss auf die Entscheidungen nehmen kann. Konkret geht es hier einerseits um die Personaleinsatzplanung (wer arbeitet mit wem, wann und an welchen Aufgaben) und andererseits um Fragen der Beschaffung von persönlicher Schutzausrüstung oder den Auswirkungen von Rationalisierungsmaßnahmen (u. a. Benchmarking, Stellenabbau, Leistungsverdichtung). Ein weiteres Problemfeld ist in der öffentlichen Meinung über die Beschäftigten zu sehen, wenn der Wert der geleisteten Arbeit nicht anerkannt wird. In technischer Hinsicht sind Probleme mit nicht einsatzfähigen, veralteten oder fehlenden Arbeitsmitteln (Maschinen, Fahrzeugen, Werkzeugen) vorrangig.

Wie erwähnt, ist die Wirkung dieser Belastungsfaktoren von Mensch zu Mensch verschieden. Jedoch wirkt die Berücksichtigung der Interessen der Beschäftigten beispielsweise bei der Personaleinsatzplanung in der Regel motivationsfördernd und lässt ein Gefühl der persönlichen Verantwortung für die Aufgabe entstehen (Identifikation). Bei nicht einsatzbereiten Hilfsmitteln sind eher negative Folgen zu erwarten, die sich als Frust oder gesundheitsgefährdendes Verhalten äußern.

Es sind jedoch eine Reihe spezifischer Situationen denkbar, die mit besonderen Belastungskonstellationen verbunden sind. Ein spezifisches Merkmal, das in vielen Situationen auftritt, ist das Arbeiten im fließenden Verkehr. Die Belastung besteht dabei hauptsächlich in der Gefahr, in den Verkehrsfluss zu geraten oder innerhalb des gesicherten Bereichs von einem Fahrzeug erfasst zu werden. Erschwerend kommen in einigen Fällen Witterungseinflüsse oder der Zeitpunkt der Arbeitsverrichtung (v.a. Nachtarbeit) hinzu.

Eine Untersuchung bezüglich arbeitsbedingter Belastungen und gesundheitlicher Beeinträchtigungen von Straßenwärtern[1]ergab Folgendes:

Als besondere Belastungen, denen Straßenwärter in ihrem Arbeitsalltag ausgesetzt sind, ergaben sich hierbei: Überstunden, psychische Beanspruchung durch Arbeiten im Verkehrsraum, Lärm, Vibrationen und Erschütterungen, schweres Heben und Tragen, schwere körperliche Arbeit und Arbeit in Zwangshaltung, klimatische Belastungen, Abgase, gefährliche Arbeitsstoffe, Stäube und ekelerregende Gerüche. Bezüglich der psychischen Beanspruchungen wurden Bedrohungs- und Angstgefühle genannt, die insbesondere darauf zurückzuführen sind, dass bei vielen Tätigkeiten im Straßenbetriebsdienst der Verkehr mit zum Teil unverminderter Geschwindigkeit und in geringem Abstand an den Straßenwärtern vorbeifließt. In der untersuchten Stichprobe berichten von 26 Straßenwärtern neun über psychovegetative Beschwerden, sechs von diesen über Kopfschmerzen und drei über Schlafstörungen. Die Autoren schildern außerdem das Auftreten gesundheitlicher Beeinträchtigungen wie durchblutungsbedingte Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Gehöreinbußen sowie Beschwerden und degenerative Abnutzungserscheinungen des Stütz- und Bewegungsapparates, namentlich der Wirbelsäule sowie der Schulter-, Ellenbogen-, Knie- und Hüftgelenke.

Eine Befragung mithilfe von Tätigkeitsbeobachtungen, Expertengesprächen und moderierten Befragungen der einzelnen Beschäftigten ergab, dass beim Straßenbetriebsdienst folgende Tätigkeiten, Situationen oder Bereiche zu psychischen Belastungen führen können[20](siehe Tabelle 1).

Ausgehend davon wurde der "Beurteilungsbogen zu Bereichen psychischer Belastung bei Tätigkeiten im Straßenbetriebsdienst" erstellt (siehe Anhang 1).

Die beschriebenen Belastungssituationen zeigen, dass sich der Arbeitgeber im Rahmen der Gefährdungsbeurteilung damit auseinandersetzen muss und auf dieser Grundlage bedarfsorientierte Maßnahmen abzuleiten sind.

Bezeichnung der Kategorie (Oberbegriff)
1Unfallproblematik
2Tätigkeiten im Winterdienst
3Aufmerksamkeitssteuerung im Sinne mentaler Über- und Unterforderung
4Auswirkungen auf die private Situation
(Rufbereitschaft, Schicht, Sorgen der Angehörigen)
5Soziale Belastungen
(durch eigene Kollegen, andere Verkehrsteilnehmer)
6Verkehrsraumproblematik
(Arbeiten im Verkehrsraum, Angst, Bedrohungsgefühle)
7Rationalisierungsproblematik
(Veränderungen in der Organisation, Personal-/Stellenabbau)
8Unzufriedenheit mit Technischer Ausrüstung
(auch Fahrzeuge)
9Image-Problematik
(Arbeit wird nicht anerkannt)

Tabelle 1 Kategorien psychischer Belastung im Straßenbetriebsdienst (Reihenfolge nach der Häufigkeit der Nennungen)

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Abb. 4 LKW rammt Warnleitanhänger

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Abb. 5 Winterdienst auf der Autobahn im fließenden Verkehr (Quelle: Straßen.NRW)

Die folgenden Ausführungen zum Quadrat des Arbeits- und Gesundheitsschutzes sind entnommen aus: "Psychosoziale Belastungen am Arbeitsplatz - Hinweise zum Management anhand des magischen Quadrats" (Wolf, S., Portuné, R.: Posterpräsentation auf der A+A 2009).