DGUV Information 213-026 - Sicherheit und Gesundheit im chemischen Hochschulpraktikum Grundwissen für Studierende

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Abschnitt 6.4 - 6.4 Beurteilung von Gefährdungen durch gesundheitsschädigende Stoffe

Hilfreich bei der Beurteilung von Gefährdungen durch gesundheitsschädigende Stoffe ist es, Höchstwerte der Belastung zu kennen, bei deren Unterschreitung auch bei länger andauernder Einwirkung keine schädlichen Auswirkungen auf die Gesundheit zu erwarten sind oder das Risiko zu erkranken, sehr gering ist. Als derartige Höchstwerte existieren unterschiedliche Beurteilungsmaßstäbe.

Dies sind in erster Linie maximal zulässige Luftkonzentrationen wie

  • Arbeitsplatzgrenzwerte (AGW) nach TRGS 7 900,

  • Biologische Grenzwerte (BGW) nach TRGS 903

  • oder bei Tätigkeiten mit krebserzeugenden Gefahrstoffen stoffspezifische Akzeptanz- und Toleranzkonzentrationen nach TRGS 910, die aus Exposition-Risiko-Beziehungen (ERB) abgeleitet werden.

Die Vorgaben der genannten Technischen Regeln für Gefahrstoffe sind rechtsverbindlich.

Existieren weder AGW noch Akzeptanz- und Toleranzkonzentrationen, können andere geeignete Beurteilungsmaßstäbe herangezogen werden, z. B.

  • Grenzwertvorschläge der DFG-Senatskommission zur Prüfung gesundheitsschädlicher Arbeitsstoffe (MAK-Werte),

  • Arbeitsplatz-Richtgrenzwerte (Indicative Occupational Exposure Limit Values) in Durchführung der Richtlinie 98/24/EG,

  • andere Grenzwertvorschläge für chemische Belastungen am Arbeitsplatz (z. B. ausländische Grenzwerte in der Datenbank "GESTIS-International Limit Values", siehe Anhang I, Literatur),

  • "Derived no-effect-levels" (DNEL) nach Verordnung (EG) Nr. 1907/2006 (REACH-Verordnung) oder

  • vorläufige Zielwerte, die im Rahmen einer Gefährdungsbeurteilung selbst festlegt werden.

Es liegt in der Verantwortung der Praktikumsverantwortlichen, dass der Schutz der Exponierten gewährleistet wird.

6.4.1 Arbeitsplatzgrenzwerte (AGW)

Arbeitsplatzgrenzwerte sind definiert als "zeitlich gewichtete durchschnittliche Konzentration eines Stoffes in der Luft am Arbeitsplatz in Bezug auf einen gegebenen Referenzzeitraum". Sie geben an, bei welcher Konzentration eines Stoffes akute oder chronische schädliche Auswirkungen auf die Gesundheit im Allgemeinen nicht zu erwarten sind und soll Exponierte dauerhaft vor gesundheitlichen Schäden schützen. AGW werden in der TRGS 900 veröffentlicht.

AGW werden für gesunde Personen in erwerbsfähigem Alter aufgestellt. Sie gelten in der Regel als Schichtmittelwerte bei achtstündiger Exposition an 5 Tagen pro Woche während des gesamten Arbeitslebens.

Expositionsspitzen, also kurzzeitige Überschreitungen eines AGW, sind durch stoffspezifische Überschreitungsfaktoren geregelt. Der maximale Überschreitungsfaktor von 8 bedeutet, dass der AGW 4-mal pro Schicht für 15 Minuten 8-fach überschritten werden darf. Zwischen den einzelnen Zeiträumen mit Expositionsspitzen ist ein zeitlicher Abstand von mindestens einer Stunde sicherzustellen. Bei Ausschöpfen dieser Regel ist während der übrigen Schicht keine Exposition mehr erlaubt.

Die Festlegung eines AGW erfolgt auf Basis arbeitsmedizinischer Erfahrungen und toxikologischer Erkenntnisse durch den Ausschuss für Gefahrstoffe (AGS). Es können auch epidemiologische und tierexperimentelle Studien herangezogen werden. Voraussetzung ist, dass für die toxischen Wirkungen des jeweiligen Gefahrstoffes ein Schwellenwert existiert.

6.4.2 Biologische Grenzwerte (BGW)

Neben den Beurteilungsmaßstäben bei inhalativer Exposition können für viele chemische Stoffe auch toxikologisch-arbeitsmedizinisch abgeleitete biologische Grenzwerte (BGW) festgelegt werden. Ein BGW ist die "Konzentration eines Stoffes, seines Metaboliten oder eines Beanspruchungsindikators im entsprechenden biologischen Material" (in der Regel Blut oder Urin), bei deren Nicht-Überschreitung "die Gesundheit von Beschäftigten im Allgemeinen nicht beeinträchtigt wird". BGW werden in der TRGS 903 veröffentlicht.

Im Gegensatz zu einem AGW erfasst ein BGW nicht nur die inhalative Exposition, sondern die gesamte, individuelle Belastung eines Exponierten über alle Aufnahmepfade.

Rechtlich verbindliche Grenzwerte für die dermale Belastung existieren in Deutschland derzeit nicht.

6.4.3 Expositions-Risiko-Beziehungen (ERB)

Für krebserzeugende Gefahrstoffe mit gentoxischem Wirkmechanismus ist es in der Regel nicht möglich, einen arbeitsmedizinisch-toxikologisch begründeten Schwellenwert abzuleiten, der als Basis für einen AGW dienen könnte. Daher wurde mit der TRGS 910 nach fachübergreifender Diskussion eine Konvention erarbeitet, mit der Expositionen von krebserzeugenden Gefahrstoffen und den daraus resultierenden Risiken für die Gesundheit zu beurteilen und regulieren sind.

Die TRGS 910 enthält ein Maßnahmenkonzept, dass sich an stoffübergreifenden Risikogrenzen in Form von statistischen Wahrscheinlichkeiten orientiert, bei einer gegebenen arbeitstäglichen Exposition durch einen krebserzeugenden Stoff an einem arbeitsbedingten Krebs zu erkranken.

Eckpunkte dieses Konzeptes sind zwei Risikogrenzen: das Akzeptanzrisiko von 4:10 000 8 (mit einer geplanten Absenkung auf 4:100 000), unterhalb dessen ein Risiko akzeptiert wird (niedriges Risiko), sowie das Toleranzrisiko von 4:1 000), oberhalb dessen ein Risiko nicht tolerabel ist (hohes Risiko). Diese beiden Risikogrenzen schließen einen Bereich mittleren Risikos ein, der toleriert wird, wobei aber die Gefährdung mithilfe eines Maßnahmenkatalogs innerhalb eines festzulegenden Zeitrahmens verringert werden muss. Zur Umsetzung dieses Konzepts sind für die einzelnen krebserzeugenden Stoffe die Luftkonzentrationen (stoffspezifische Konzentrationswerte) zu ermitteln, die den beiden o. g. Risikogrenzen entsprechen und die demgemäß als Akzeptanz- und Toleranzkonzentration bezeichnet werden. Möglich ist dies durch die Ableitung von Exposition-Risiko-Beziehungen (ERB). Grundlage der Ableitungen können Humandaten aus epidemiologischen Studien oder Tierversuchen sein.

TRGS = Technische Regel für Gefahrstoffe

Statistische Wahrscheinlichkeiten: vier zusätzliche Krebserkrankungen pro 1 000, 10 000 sowie 100 000 Beschäftigte bei einer 40-jährigen arbeitstäglichen Exposition.