DGUV Information 201-021 - Sicherheitshinweise für Arbeiten im Gleisbereich von Eisenbahnen

Online-Shop für Schriften

Jetzt bei uns im Shop bestellen

Jetzt bestellen

Abschnitt 4.2 - 4.2 Sicherheitsmaßnahmen

Die anstehende Spannung sowie Art und Lage der unter Spannung stehenden Teile können je nach Bahnart, Bahnbetreiber, Bauart der Fahrleitung und Örtlichkeit unterschiedlich sein. Im Bereich der DB beträgt die Spannung der Oberleitung 15 kV. Die Fahrdrahthöhe beträgt im Regelfall 5,50 m über Schienenoberkante. Sie kann aber auch niedriger sein (z. B. unter Brücken bis zu 4,95 m oder im S-Bahntunnel bis zu 4,80 m). Die notwendigen Angaben wie z. B. Schaltzustand und Speiseverhältnisse, Höhenlage, Grenzen eines ausgeschalteten Abschnitts, rückstromführende Anlagenteile, Erdungsanschlusspunkte, Regelungen zur Abschaltung bei Gefahr und zu den erforderlichen Sicherheitsmaßnahmen und Ansprechpartnern erhält der ausführende Unternehmer von der BzS/dem Bahnbetreiber, bei der DB durch eine örtliche Einweisung durch den Anlagenverantwortlichen/Anlagenbeauftragten für die Fahrleitungsanlage gemäß Ril 809 [30] und Ril 132.0123A01 bzw. 132.0123A04 [26] und über die Betriebs- und Bauanweisung (Betra).

Die für den Bahnbetrieb zuständige Stelle (BzS) prüft im Rahmen einer Gefährdungsbeurteilung, ob die Fahrleitung im Arbeitsbereich ausgeschaltet werden kann. Es gilt der Grundsatz, dass das Ausschalten (Beseitigen der Gefahr) gemäß Arbeitsschutzgesetz [1] stets Vorrang vor dem Schutz durch Abdeckung/Abschrankung oder Abstand hat.

Bei der DB sind Fahrleitungen, in deren Nähe gearbeitet werden soll, grundsätzlich auszuschalten [26]. Wenn dies mit den bestehenden Schaltgruppen nicht möglich ist, da der Bahnbetrieb z. B. in benachbarten Gleisen dadurch behindert würde, ist der Einbau von Streckentrennern bzw. Isolatoren für die Bauzeit zu prüfen, um die Abschaltung im Arbeitsbereich zu ermöglichen (Abb. 4-3).

ccc_1954_032.jpg
Abb. 4-3: Streckentrenner

Beim Ausschalten von Fahrleitungsabschnitten müssen die 5 Sicherheitsregeln der Elektrotechnik eingehalten werden: 1. Ausschalten, 2. gegen Wiedereinschalten sichern, 3. Spannungsfreiheit feststellen (Abb. 4-4), 4. Erden und Kurzschließen (Abb. 4-5). Der 5. Schritt "benachbarte unter Spannung stehende Teile abdecken oder abschranken" ist i. d. R. auf Gleisbaustellen, bei denen in der Nähe von Fahrleitungen gearbeitet wird, nicht anwendbar. Es sind stattdessen auch diese Fahrleitungsabschnitte bzw. Teile der Fahrleitungsanlage auszuschalten oder jederzeit der Schutz durch Abstand sicher zu gewährleisten. Dies kann ggf. eine Aufsichtführung durch befähigte Elektrofachkräfte bzw. elektrotechnisch unterwiesene Personen erfordern.

Nach Ausschaltung und Bahnerdung/Kurzschließung der Fahrleitung bzw. der Teile der Fahrleitungsanlage und vor Arbeitsaufnahme gibt der Arbeitsverantwortliche die Arbeitsstelle frei. Ausschalten und Wiederinbetriebnahme der Fahrleitungsabschnitte erfolgen durch vom Bahnbetreiber befähigte Personen. Die Grenzen des ausgeschalteten Arbeitsbereichs sind meist die Erdungs- und Kurzschließvorrichtungen in Längsrichtung, aber auch markante Punkte (Weichen, Maste, Signale, Isolatoren, Trenner, Abb. 4-3). Diese müssen bei der Freigabe eindeutig benannt werden und für Arbeiten bei Dunkelheit kenntlich gemacht sein.

ccc_1954_033.jpg
Abb. 4-4: Feststellen der Spannungsfreiheit durch Fachpersonal vor Arbeitsbeginn.
ccc_1954_034.jpg
Abb. 4-5: Kranarbeiten bei ausgeschalteter Fahrleitung: Vor und hinter der Arbeitsstelle ist eine Bahnerdungsvorrichtung eingebaut.

Abhängig von der Nennspannung sind bei nicht elektrotechnischen Arbeiten folgende Mindestschutzabstände zu unter Spannung stehenden Teilen der elektrischen Anlagen ohne Schutz gegen direktes Berühren, auch mit Geräten, Werkzeugen, Werkstücken, angeschlagenen Lasten bei Hebezeugarbeiten, einzuhalten [13]:

Nennspannung [kV] Schutzabstand [m]
(Abstand in Luft von ungeschützten unter Spannung stehenden Teilen)
bis 11,0
über 1 bis 1103,0
über 110 bis 2204,0
über 220 bis 3805,0

Tabelle 4-1: Schutzabstände bei nicht elektrotechnischen Arbeiten abhängig von der Nennspannung.

Abweichend von Tabelle 4-1 dürfen gemäß DIN VDE 0105-103 [39] die Schutzabstände bei Eisenbahnen wie nachfolgend verkürzt werden, sofern die Beschäftigten im Rahmen der bahntechnischen Unterweisung bezüglich der ihnen übertragenen Aufgaben über die möglichen elektrischen Gefahren bei unsachgemäßem Verhalten unterrichtet sowie über die notwendigen Verhaltensregeln belehrt wurden.

Bei allen Arbeiten in der Nähe unter Spannung stehender Teile von Fahrleitungsanlagen und ohne Schutz gegen direktes Berühren dürfen abweichend von Tabelle 4-1 die nachstehenden Schutzabstände nach allen Richtungen auch mit Geräten, Werkzeugen und Werkstücken nicht unterschritten werden (AC = Wechselstrom, DC = Gleichstrom [26]):

  • 1,0 m bei Nennspannungen bis AC 1.000 V/DC 1.500 V,

  • 1,5 m bei Nennspannungen über AC 1 kV/DC 1,5 kV bis 30 kV,

  • 2,0 m bei Nennspannungen über 30 kV bis 110 kV.

Bei Isolatoren zählt dieser Abstand ab dem an Spannung liegenden leitenden Teil.

Dies gilt nur, wenn der Abstand zu unter Spannung stehenden Teilen der Fahrleitungsanlage klar beurteilt und keinesfalls unterschritten werden kann.

Voraussetzung für alle Arbeiten im Gleisbereich ist, dass die Beschäftigten bzgl. der Gefahren durch den Bahnbetrieb (hierzu zählen auch die Gefahren aus der Fahrleitung und Rückstromführung) und deren Abwendung an der Arbeitsstelle bahntechnisch unterwiesen sind, vgl. DIN VDE 0105-103 [39]. Dadurch wird jedoch keine elektrotechnische Qualifikation im Sinne der DIN VDE 0105-103 bzw. DIN VDE 0105-100 [39] erreicht.

Die bahntechnisch unterwiesenen Personen können zwar die o. g. verringerten Schutzabstände in Anspruch nehmen, dürfen aber selbstständig keine elektrotechnischen Arbeiten an den Rückstromführungsanlagen (Arbeiten an Gleisen mit Auftrennung von Schienen oder Rückleitern, Lösen von Erdungsleitungen) ausführen.

Für nicht bahntechnisch unterwiesene Personen gelten die Schutzabstände nach Tabelle 4-1.

Besteht die Gefahr, dass der Schutzabstand zu unter Spannung stehenden Teilen der Fahrleitungsanlage nicht eingehalten werden kann, sind mit dem Anlagenverantwortlichen Sicherheitsmaßnahmen gegen mittelbare oder unmittelbare Annäherungen an oder Berührung von unter Spannung stehenden Teilen der Fahrleitungsanlagen festzulegen, z. B. Fahrleitung ausschalten oder abschranken ([14, 15] § 3 (2), § 12 (1)).

Zu herabhängenden Teilen der Fahrleitungsanlage ist, auch wenn sie den Boden berühren, stets ein Abstand von mindestens 10 m einzuhalten.

Beim Einsatz von Arbeitsmaschinen mit höhenbeweglichen und/oder schwenkbaren Einrichtungen ist die Fahrleitung grundsätzlich auszuschalten. Im Ausnahmefall und unter Voraussetzung der erforderlichen Unterweisung des Maschinenführers (vgl. Kap. 4.4) dürfen Arbeitsmaschinen, die mit der Rückleitung (Bahnerde) zuverlässig verbunden und in der Bewegung durch technische Einrichtungen (Hubbegrenzung) begrenzt sind, an unter Spannung stehenden Teile der Fahrleitungsanlage

  • bei Nennspannungen bis 15 kV bis auf 0,3 m und

  • bei Nennspannungen über 15 bis 30 kV bis auf 0,5 m

angenähert werden. Für die Einstellung der Hubbegrenzung müssen diese Abstände um Zuschläge vergrößert werden, um Federwege, elastische Verformungen und Wippbewegungen der Maschine zu berücksichtigen (vgl. DB: Ril 824.0106 [29]: Zuschlag 0,3 m bei 15 kV).

Bei einem Zweiwegebagger, der über das Schienenfahrwerk mit der Bahnerde verbunden ist (die rückstromführende Schiene darf dann nicht unterbrochen sein), kann die Hubbegrenzung auf den so ermittelten Abstand zur Fahrleitung (Schutzabstand + Zuschlag) eingestellt und in Betrieb genommen werden, Abb. 7-19. Die Höhe der Fahrleitung muss dann exakt bekannt sein. Bei einem Zweiwegebagger bzw. auch bei Mobilbagger, Kettenbagger, der auf dem Mobil-/Kettenfahrwerk im Schotterbett verfahren wird, kann der erforderliche Schutzabstand zur Fahrleitung trotz aktiver Hubbegrenzung nicht sicher eingehalten werden, Abb. 7-24. Auch bei ausgeschalteter Fahrleitung ist die Hubbegrenzung des Zweiwegebaggers in Betrieb zu nehmen (Abstand nach Festlegung durch den Bahnbetreiber).

Eine Bahnerdung ist eine Verbindung zwischen leitfähigen Teilen und der Bahnerde (Fahrschienen, die als Rückleitung benutzt werden) mit einem ausreichend dimensionierten flexiblen Metallseil nach Maßgabe des Bahnbetreibers (DB AG: Ril 824.0105 [29]). Der Querschnitt ist abhängig von der möglichen Kurzschlussstromstärke und von der Länge des Erdungsseils (DB AG: Ril 824.0105 [29]). Die Punkte für den Anschluss der Bahnerdungsverbindung und deren Anzahl werden von BzS/Bahnbetreiber festgelegt bzw. zur Verfügung gestellt.

Kann die Verbindung zur Bahnerde nicht über das Schienenfahrwerk erfolgen - z. B. Zweiwegebagger im Schotterbett auf Mobilfahrwerk - ist mit einem ausreichend dimensionierten Erdungsseil eine Verbindung zwischen dem Erdungsanschluss der Maschine und der Bahnerde herzustellen, Abb. 4-6. Die Funktion der Bahnerde muss auch bei der Fahrbewegung des Baggers jederzeit gewährleistet sein. Ist das nicht möglich, darf der Bagger nur als bahngeerdetes Standgerät betrieben werden. Im Regelfall wird eine Fahrbewegung eines Zweiwegebaggers im Schotter den Einsatz des Erdungsseils unmöglich machen, sodass die o. g. geringen Schutzabstände (bei 15 kV: 0,3 m + Zuschlag 0,3 m) nicht ausgenutzt werden können.

ccc_1954_035.jpg
Abb. 4-6: Bagger mit Kabeltrommel zum Aufwickeln der Schlepperde.

In jedem Einzelfall muss sorgfältig geprüft werden, welche Sicherheitsmaßnahmen erforderlich und ausreichend sind, vgl. folgende Beispiele:

  • Auch bei Handarbeit mit sperrigen Gegenständen in der Nähe von Fahrleitungen (z. B. Aufbau eines Gerüsts) ist ein Schutzabstand von mindestens 1,5 m sicher einzuhalten, Abb. 1-1.

  • Leitfähige Baukonstruktionen, wie z. B. Gerüste, in einem Abstand von weniger als 4 m gemessen von Gleismitte auf Höhe SO, müssen gemäß [38] einem mit dem Bahnbetreiber abgestimmten Erdungsplan entsprechend ebenfalls bahngeerdet werden, um mögliche, gefährliche Berührungsspannungen zu verhindern, Abb. 4-7. Gemäß [38] brauchen in der Nähe des Gleisbereichs gelagerte Schienen nicht bahngeerdet zu werden.

  • Auch zum Verladen oder Entladen von Schwellen dürfen Eisenbahnwagen bei unter Spannung stehender Fahrleitung nicht bestiegen werden, da die Gefahr besteht, dass Schwellenstapel zum Befestigen oder Lösen der Anschlagmittel oder der Transportsicherung oder zum Entfernen oder Auflegen von Kanthölzern bestiegen werden und somit der Schutzabstand zur Fahrleitung unterschritten wird.

  • Für das Verladen von Schwellen oder Gleisjochen mit Zweiwegebagger auf Eisenbahnwagen müssen das Lastmoment des Zweiwegebaggers und die Kinematik seines Auslegers berücksichtigt werden, damit für den Maschinenbediener kein Anlass bestehen kann, die Hubbegrenzung auszuschalten, um die Last heben zu können.

  • Bei Arbeiten auf Signalen/Signalbrücken muss die Fahrleitung ebenfalls ausgeschaltet und bahngeerdet werden, wenn die Schutzabstände unterschritten werden können.

  • Bei Arbeiten mit pendelnden Bauteilen (z. B. Spundbohle an Ramme angeschlagen, Großflächenschalung am Kran hängend) besteht ebenfalls die Gefahr, dass der Schutzabstand zur Fahrleitung unterschritten wird, Abb. 4-2, 4-4, 4-5. Deshalb muss die Fahrleitung für diese Arbeiten ausgeschaltet und bahngeerdet werden.

  • Bei Turmdrehkranen in der Nähe des Gleisbereichs sind Begrenzungen für die Schwenkbewegung und für den Katzfahrweg sowie Bahnerdungen einzusetzen (Arbeitsbereichsbegrenzungen, vgl. Kap. 12.6). Pendel- oder Drehbewegungen der angeschlagenen Lasten (z. B. Bewehrungsstabbündel) und Windeinfluss (z. B. auf Schalelemente) sind zu berücksichtigen. Die Erkennbarkeit des erforderlichen Schutzabstands kann durch Markierungen verbessert werden, Abb. 4-8.

  • Bei Großmaschinen in der Nähe des Gleisbereichs (z. B. Mobilkrane, Betonpumpen, Rammen, Bohrgeräte), die wegen der wechselnden Aufstellorte keine feste Bezugsbasis zur Fahrleitungsanlage haben, und bei Geräten, die in der Nähe des Gleisbereichs aufgerichtet werden (z. B. Masten für Baustellenbeleuchtung) sind Bahnerdungen einzusetzen. Der Einsatz muss so geplant werden, dass der Schutzabstand immer sicher eingehalten ist.

  • Maschinen und Geräte, die auf Eisenbahnwagen unter Fahrleitung eingesetzt werden, müssen bahngeerdet sein, Abb. 4-10.

  • Für Arbeiten außerhalb des Gleisbereichs sind Abschrankungen einzusetzen, Abb. 4-9, um ein Unterschreiten des Schutzabstandes durch händisch bewegte Materialien zu verhindern.

  • Vor dem Durchtrennen von Schienen muss dafür gesorgt werden, dass eine Ersatzverbindung für die Rückleitung hergestellt ist, Abb. 4-11.

Besteht in den o. g. Situationen bei Arbeiten in Fahrleitungsnähe die Gefahr, dass der erforderliche Schutzabstand durch einfaches menschliches Fehlverhalten (z. B. Unachtsamkeit, Konzentration auf die Arbeitsaufgabe) oder durch nicht sicher kontrollierbare Bewegungen (z. B. Pendeln von Lasten) unterschritten wird, dürfen die Arbeiten nur ausgeführt werden, wenn die Fahrleitung ausgeschaltet und bahngeerdet ist.

Die Wirksamkeit der Sicherheitsmaßnahmen wird vom Anlagenverantwortlichen/Anlagenbeauftragten des Bahnbetreibers überwacht. Der Anlagenverantwortliche/Anlagenbeauftragte des Bahnbetreibers ist auch Ansprechpartner, falls die Sicherheitsmaßnahmen während der Arbeiten angepasst werden müssen.

ccc_1954_036.jpg
Abb. 4-7: Festlegung des Oberleitungsbereichs, in dem leitfähige Konstruktionen (z. B. Gerüste) geerdet werden müssen [38].
ccc_1954_037.jpg
Abb. 4-8: Markierungen zur Kenntlichmachung des Schutzabstandes bei Kranarbeiten in Fahrleitungsnähe.
ccc_1954_038.jpg
Abb. 4-9: Die Abschrankung für Arbeiten auf einem Bahnsteigdach neben einer Oberleitung soll die Gefahr ausschließen, den Schutzabstand zur Oberleitung unbeabsichtigt zu unterschreiten.
ccc_1954_039.jpg
Abb. 4-10: Maschinen und Geräte, die auf Eisenbahnwagen unter Oberleitung eingesetzt werden, müssen bahngeerdet sein.
ccc_1954_040.jpg
Abb. 4-11: Vor dem Durchtrennen der Fahrschiene wird eine elektrisch leitfähige Verbindung für den Rückstrom angebracht.