TRBA 130 - TR Biologische Arbeitsstoffe 130

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Abschnitt 4 TRBA 130 - Tätigkeiten im Gefahren- und Absperrbereich

4.1
Gefahren- und Absperrbereich sowie Dekontaminationsplatz festlegen und absichern

(1) Werden Einsatzkräfte zu einem Verdachtsfall einer akuten biologischen Gefahrenlage gerufen, so treffen sie eine Lagefeststellung und Lagebeurteilung. Handelt es sich um eine vermeintliche absichtliche Freisetzung von Biostoffen oder biogenen Toxinen, kommt der Polizei eine wesentliche Rolle bei der Lagebeurteilung und Feststellung der Ernsthaftigkeit der Lage zu. Bei Bedarf werden weitere Behörden wie Ordnungsbehörden sowie die Gesundheitsbehörden hinzugezogen.

(2) Der Gefahrenbereich ist primär durch Abschätzung festzulegen. Einfluss auf die Ausdehnung des Gefahrenbereichs haben insbesondere:

  1. 1.

    die Örtlichkeit (innerhalb oder außerhalb von Gebäuden),

  2. 2.

    die Verbringung (z. B. als Pulverbrief oder mittels Geräten) sowie

  3. 3.

    die Menge und Zustandsform des Stoffes (z. B. fest, flüssig, pulverförmig).

(3) Sollte es nicht möglich sein, die Abmessung des Gefahrenbereichs anhand objektiver Kriterien zu bestimmen, so wird empfohlen, einen Radius von mindestens 50 m um die Ausbringungsstelle als Gefahrenbereich festzulegen (siehe Abb. 1).

(4) Bei einer punktuellen und beendeten Ausbringung im Freien gilt als primäre Ausbringungsstelle derjenige Bereich, in dem die Freisetzung beobachtet oder vermutet wurde. Handelt es sich um eine andauernde Freisetzung im Freien, ist kein Festlegen fest definierter Grenzen möglich. Es ist mit einer anhaltenden Kontaminationsausbreitung je nach meteorologischen und topografischen Verhältnissen zu rechnen. Die weitere Freisetzung und Ausbreitung ist schnellstmöglich mit geeigneten Mitteln zu verhindern.

(5) Bei einer Ausbringung in einem Gebäude gilt es, zu Beginn ebenfalls mindestens 50 m Abstand zum gemeldeten Objekt einzuhalten. Sofern nach Lagebeurteilung weder eine Gefährdung der Umgebung zu erkennen ist noch eine Gefahr außerhalb des Objektes vorliegt, da ein Einschluss im Innern des Gebäudes durch bauliche Gegebenheiten und geschlossene Fenster und Türen gegeben ist, kann die Grenze des Gefahrenbereiches bis auf 5 m an das Objekt herangezogen oder in das Gebäude verlegt werden, sofern von einer Gefährdung nur in einem bestimmten Teilbereich des Gebäudes auszugehen ist.

(6) Um den Gefahrenbereich herum wird ein Absperrbereich mit einem Radius von mindestens 100 m festgelegt (siehe Abb. 1), der nur von Einsatz- und Unterstützungskräften betreten werden darf. Der Dekontaminationsplatz wird im Übergangsbereich an der Grenze von Gefahren- und Absperrbereich eingerichtet (siehe Abb. 2).

(7) Der Gefahrenbereich ist abzusichern (z. B. mit Absperrband) und mit dem Zeichen für Biogefährdung sowie dem Hinweis "Biogefährdung, Zutritt nur für Berechtigte" zu kennzeichnen. Zur Kennzeichnung sollte das Symbol für Biogefährdung gemäß Anhang I BioStoffV Verwendung finden. Dies entspricht dem Warnzeichen W009 (gleichseitiges Dreieck, gelbe Grundfarbe) gemäß der Technischen Regel für Arbeitsstätten, Sicherheits- und Gesundheitsschutzkennzeichnung ASR A1.3 (siehe Abb. 3).

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Abb. 3: Symbol für Biogefährdung (gemäß Anhang I BioStoffV)

(8) Der festgelegte Gefahren- und Absperrbereich sowie der Dekontaminationsplatz sind kontinuierlich zu überprüfen und ggf. sich ändernden Wetterbedingungen anzupassen. Hierzu ist es erforderlich, die Lagefeststellung und Lagebeurteilung durch kontinuierliche Informationserhebung fortzuführen und ggf. Einsatzmaßnahmen anzupassen. Eine orientierende Vor-Ort-Analyse (s. Abschnitt 4.5.4 Absatz (1)) an sichtbaren Kontaminationen kann zur Bewertung des vermeintlichen Biostoffs oder biogenen Toxins beitragen. Eine belastbare Beurteilung des Biostoffs oder biogenen Toxins ist erst nach qualifizierter Probenahme und Laboranalyse möglich, weshalb diese frühzeitig zu veranlassen sind.

4.2
Tätigkeiten im Gefahrenbereich mit hohem Infektions- bzw. Kontaminationsrisiko (Tätigkeiten mit hohem Risiko)

(1) Bei Tätigkeiten im Gefahrenbereich handelt es sich immer um Tätigkeiten mit hohem Infektions- bzw. Kontaminationsrisiko durch Biostoffe und/oder biogene Toxine. Diese Tätigkeiten werden von Einsatzkräften in PSA (siehe Abschnitt 5.4) mit entsprechendem Auftrag durchgeführt. Hierzu können z. B. Feuerwehr, Analytische Task Forces (ATF) und Probenahmeteams sowie ggf. Polizei und Gesundheitsbehörden sowie Unterstützungskräfte des Bundes (z. B. RKI) gehören.

(2) Bei diesen Tätigkeiten handelt es sich z. B. um die Erkundung, die Rettung und Erstversorgung von Patienten, das Messen, die orientierende Vor-Ort-Analyse, die Probenahme, kriminalistische Ermittlungen und die Dekontamination bzw. Desinfektion von Flächen oder Personen. Das Kennzeichnen des Gefahrenbereichs vor Ort ist ebenfalls als Tätigkeit mit hohem Risiko einzustufen.

4.3
Tätigkeiten am Dekontaminationsplatz mit noch bestehendem Infektions- und Kontaminationsrisiko (Tätigkeiten mit Risiko)

Tätigkeiten am Dekontaminationsplatz mit noch bestehendem Infektions- und Kontaminationsrisiko sind z. B. das Einrichten eines Sammelpunktes und ggf. einer Patientensammelstelle für kontaminierte Betroffene und Verletzte bis zur Dekontamination/Desinfektion und Übergabe der Dekontaminierten in den Absperrbereich. Bei diesen Tätigkeiten ist die Belastung durch Biostoffe und biogene Toxine noch vorhanden, jedoch geringer als bei den unter Abschnitt 4.2 beschriebenen Tätigkeiten, d. h. es besteht noch ein Infektions- und Kontaminationsrisiko. Zum Einsatz gelangen Einsatzkräfte in PSA wie z. B. Dekontaminationsteams, Sanitäts- und Betreuungsdienste sowie ggf. Polizei und Gesundheitsbehörden.

4.4
Tätigkeiten im Absperrbereich

Tätigkeiten in diesem Bereich sind z. B. das Aufbauen eines Behandlungsplatzes sowie die medizinische Versorgung und Betreuung von bereits dekontaminierten Betroffenen. Darüber hinaus werden hier alle technischen, taktischen und organisatorischen Tätigkeiten zur Gefahrenabwehr vor Ort und zur Sicherung der Einsatzkräfte im Gefahrenbereich durchgeführt. Dieser Grundsatz gilt auch für alle vor- und nachbereitenden Tätigkeiten der Schadensbeseitigung, sofern diese im Geltungsbereich dieser TRBA erfolgen. Zum Einsatz gelangen Einsatzkräfte mit entsprechendem Auftrag, wie z. B. Polizei, Feuerwehr, Gesundheitsbehörden, der Rettungsdienst oder der Sanitäts- und Betreuungsdienst des Katastrophenschutzes.

4.5
Spezielle Tätigkeiten

4.5.1 Versorgung und Transport Verletzter

(1) Die erste medizinische Versorgung verletzter, kontaminierter Personen ist eine Tätigkeit im Gefahrenbereich mit hohem Risiko (siehe Abschnitt 4.2).

(2) Der Transport zur weiteren Behandlung erfolgt nach Dekontamination.

(3) Neben den in dieser TRBA vorgesehenen Schutzmaßnahmen sind die Regelungen der TRBA 250 "Biologische Arbeitsstoffe im Gesundheitswesen und in der Wohlfahrtspflege" anzuwenden, sollte von den Betroffenen weiterhin eine Infektionsgefährdung ausgehen oder eine solche nicht sicher ausgeschlossen werden können.

4.5.2 Dekontamination und Desinfektion

(1) Die Dekontamination bzw. Desinfektion von Personen und Material erfolgt entsprechend dem Stand der Technik durch spezielle Einsatzkräfte am Dekon-Platz im Übergangsbereich an der Grenze zum Gefahrenbereich (vgl. Abb. 2, Schwarzbereich des Dekontaminationsplatzes). Es handelt sich dabei um eine Tätigkeit mit noch bestehendem Infektions- bzw. Kontaminationsrisiko (siehe Abschnitt 4.3).

(2) Bei den zu treffenden Schutzmaßnahmen ist zu berücksichtigen, dass neben der Gefährdung durch Biostoffe oder biogene Toxine eine Gefährdung durch die bei der Desinfektion verwendeten Desinfektionsmittel auftreten kann. Die für die Desinfektion dem Stand der Technik entsprechenden Desinfektionsmittel und -verfahren sind den Listen des RKI (Robert Koch-Institut) bzw. VAH (Verbund für angewandte Hygiene e. V.) und ggf. der DVG (Deutsche Veterinärmedizinische Gesellschaft) zu entnehmen. Diese werden in der Regel von den zuständigen Gesundheits- und Veterinärbehörden angeordnet. Dabei sind die Umweltbedingungen wie die Temperatur und der Temperatur-Wirkbereich der Desinfektionsmittel zu beachten. Von einer Wirksamkeit dieser Desinfektionsmittel gegenüber biogenen Toxinen kann nicht per se ausgegangen werden. Handelt es sich bei den einzusetzenden Desinfektionsmitteln um Biozid-Produkte 2, sind die Vorgaben des Biozidprodukterechts, insbesondere die Verordnung (EU) Nr. 528/2012 (Biozidprodukte-Verordnung) und Abschnitt 4a der Gefahrstoffverordnung zu beachten.

(3) Nach erfolgter Dekontamination/Desinfektion können Verletzte im Weißbereich des Dekontaminationsplatzes (vgl. Abb. 2) medizinisch versorgt werden, bis der Transport bzw. die Versorgung in einem Krankenhaus möglich sind. Der Beschluss 610 des ABAS "Schutzmaßnahmen für Tätigkeiten außerhalb von Sonderisolierstationen bei der Versorgung von Patienten, die mit hochpathogenen Krankheitserregern infiziert oder krankheitsverdächtig sind", ist zu beachten.

(4) Bei lebensbedrohlichen Verletzungen gilt grundsätzlich, dass lebensrettende Sofortmaßnahmen vor der Dekontamination bzw. Desinfektion erfolgen. Dabei ist der Eigenschutz zu beachten. Falls möglich ist eine Sofort-Dekontamination der kontaminierten Schwerverletzten durchzuführen (siehe FwDV 500), um anschließend einen schnellstmöglichen Abtransport in ein Krankenhaus zu ermöglichen. Bereits mit dem Ablegen/Entfernen der Oberkleidung wird in der Regel ein hoher Dekontaminationsgrad erreicht.

(5) Sollte eine Dekontamination bzw. Desinfektion von Schwerverletzten vor Ort nicht möglich sein und besteht der begründete Verdacht auf eine Kontamination mit einem hochpathogenen Biostoff, kann in Abhängigkeit von dem Ergebnis der Lagebeurteilung und den vermuteten Biostoffen ggf. ein Sonderisoliertransport und die Behandlung in einer Sonderisolierstation (Schutzstufe 4) notwendig sein. Die Regelungen der TRBA 250 und ggf. des Beschlusses 610 des ABAS sind anzuwenden.

4.5.3 Probenahme, -verpackung und -transport

(1) Die Probenahme ist als Tätigkeit mit hohem Risiko einzustufen. Probenahmeverfahren bei akuten biologischen Gefahrenlagen können sehr vielfältig sein. Deshalb gibt es kein Standardverfahren, das genau festlegt, wie bei der Probenahme vorzugehen ist. Schutzmaßnahmen bei der Probenahme müssen auf das jeweilige Verfahren abgestimmt sein. Es wird auf die Empfehlungen für die Probenahme zur Gefahrenabwehr im Bevölkerungsschutz des Bundesamtes für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK) verwiesen. Die Art der Probenahme ist mit dem untersuchenden Labor im Vorfeld abzusprechen. Bei komplexen Schadenslagen empfiehlt es sich, zur Probenahme auf Unterstützungskräfte des Bundes (RKI) zurückzugreifen.

(2) Für die Verpackung der genommenen Probe und den Transport sind die jeweils gültigen Vorschriften des ADR zu beachten. Bei unklaren biologischen Gefahrenlagen sollten die Proben der UN-Nummer UN 2814 der Klasse 6.2 des ADR zugeordnet werden und sind gemäß Verpackungsanweisung P 620 zu verpacken (siehe Anhang 1).

(3) Im Notfall ist der Probentransport bei akuten biologischen Gefahrenlagen von gefahrgutrechtlichen Vorschriften des ADR (Nr. 1.1.3.1 d und e) freigestellt. Dies betrifft:

  1. 1.

    Beförderungen, die von den für Notfallmaßnahmen zuständigen Behörden oder unter deren Überwachung durchgeführt werden, soweit diese im Zusammenhang mit Notfallmaßnahmen erforderlich sind, insbesondere

    1. a.

      Beförderungen mit Abschleppfahrzeugen, die Unfall- oder Pannenfahrzeuge mit gefährlichen Gütern befördern, oder

    2. b.

      Beförderungen, die durchgeführt werden, um die bei einem Zwischenfall oder Unfall betroffenen gefährlichen Güter einzudämmen, aufzunehmen und zum nächstgelegenen geeigneten sicheren Ort zu verbringen;

  2. 2.

    Notfallbeförderungen zur Rettung menschlichen Lebens oder zum Schutz der Umwelt, vorausgesetzt, es werden alle Maßnahmen zur völlig sicheren Durchführung dieser Beförderungen getroffen.

4.5.4 Probenuntersuchung

(1) Die Untersuchung von Verdachtsproben umfasst orientierende Analysen vor Ort sowie eine weitergehende Analyse zur zweifelsfreien Identifikation der vorhandenen Biostoffe und/oder biogenen Toxine im Labor. Orientierende Analysen vor Ort können - sofern verfügbar und validiert - durch Einsatzkräfte oder Spezialkräfte (z. B. ATF) z. B. mit Antigen-Schnelltesten oder mobiler PCR-Analysegeräte im Gefahrenbereich durchgeführt werden.

(2) Die weitergehenden Analysen des Probenmaterials müssen in geeigneten Laboren stattfinden, welche die erforderliche Analytik beherrschen und über die notwendige Ausstattung verfügen. Die gemäß dem Gefährdungspotenzial der Biostoffe von den Laboren einzuhaltenden Schutzmaßnahmen sind in der TRBA 100 "Schutzmaßnahmen für Tätigkeiten mit biologischen Arbeitsstoffen in Laboratorien" beschrieben. Die weitergehende Analyse auf biogene Toxine (z. B. Rizin oder Abrin) wird im Regelfall nicht in mikrobiologischen Laboren durchgeführt, sondern bleibt Speziallaboren vorbehalten. Weitergehende Informationen sind Anhang 3 zu entnehmen.

Datenbank für Biozid-Produkte (ECHA)