TRBA 130 - TR Biologische Arbeitsstoffe 130

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Abschnitt 3 TRBA 130 - Gefährdungsbeurteilung

3.1
Grundsätze

(1) Bei akuten biologischen Gefahrenlagen im Sinne dieser TRBA handelt es sich um unvorhersehbare Ereignisse. Sie zeichnen sich aus durch:

  1. 1.

    die Variabilität des Biostoffs bzw. biogenen Toxins und der Art der Freisetzung sowie

  2. 2.

    die Möglichkeit der Entwicklung eines sich selbstständig potenzierenden Schadensprozesses (Ausbreitungspotenzial), der ggf. erst Tage oder Wochen nach dem Initialereignis wahrnehmbar ist.

(2) Bei Verdacht auf eine akute biologische Gefahrenlage ist die Lagebeurteilung maßgeblich. Sie ist durch fachkundige Einsatzkräfte und bei Verdacht auf eine absichtliche Ausbringung in Zusammenarbeit mit der Polizei durchzuführen. Die Lagebeurteilung ist Grundlage für die Abschätzung der Wahrscheinlichkeit einer Kontamination mit Biostoffen oder biogenen Toxinen und die anschließend gemäß Gefährdungsbeurteilung nach BioStoffV zu treffenden Maßnahmen. Als Hilfestellung wird z. B. auf das Merkblatt "Management von Pulverfunden" von Robert Koch-Institut (RKI), Bundeskriminalamt (BKA) und dem Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK) verwiesen 1.

(3) In der Regel liegen zu Beginn des Ereignisses keine genauen Informationen über die Art und Identität der Biostoffe oder biogenen Toxine vor. Gleiches gilt für Art und Ausmaß der Ausbringung und die örtlichen Gegebenheiten. Aus diesem Grund ist zuerst davon auszugehen, dass es sich bei den ausgebrachten Biostoffen um Erreger mindestens der Risikogruppe 3 oder um Toxine handelt. Dies bedeutet nach FwDV 500 die Einordnung in Gefahrengruppe III B.

(4) Grundsätzlich handelt es sich bei Tätigkeiten in akuten biologischen Gefahrenlagen gemäß § 6 Absatz 1 Satz 1 BioStoffV um Tätigkeiten ohne Schutzstufenzuordnung. Bei der Festsetzung der Schutzmaßnahmen ist zunächst vom höchsten möglichen Gefährdungspotenzial auszugehen, solange keine näheren Erkenntnisse vorliegen. Tätigkeiten in einer akuten biologischen Gefahrenlage sind daher von ihrer Gefährdung mit Tätigkeiten mindestens der Schutzstufe 3 gleichzusetzen.

(5) Aufgrund der besonderen Situation kann bei solchen Gefahrenlagen die im Arbeitsschutz üblicherweise geltende Rangfolge der Schutzmaßnahmen (technische, organisatorische, persönliche) in der Regel nicht umgesetzt werden. Organisatorische Maßnahmen und persönliche Schutzmaßnahmen erlangen daher besondere Bedeutung.

(6) Bei akuten biologischen Gefahrenlagen mit kriminellem, terroristischem oder militärischem Hintergrund sollte davon ausgegangen werden, dass die ausgebrachten Biostoffe oder biogenen Toxine ein hohes Infektions- oder Intoxikationspotenzial besitzen und eine ernste Gefahr darstellen.

(7) Grundsätzlich muss bei allen unklaren Ereignissen zusätzlich zu einer Personengefährdung durch Kontamination mit Biostoffen oder biogenen Toxinen eine Kontamination mit chemischen oder radioaktiven Substanzen oder auch die Möglichkeit der Explosionsgefahr in Betracht gezogen werden.

(8) Zunächst ist das Ereignis, das zu einer akuten biologischen Gefahrenlage (siehe 2.3) geführt hat, zu berücksichtigen. Die Art bzw. Form der Ausbringung von Biostoffen oder biogener Toxine kann eine maßgebliche Rolle für die Wirksamkeit der getroffenen Schutzmaßnahmen spielen.

(9) Die Schutzmaßnahmen sind gemäß Gefährdungsbeurteilung entsprechend zu treffen und umzusetzen. Hierbei sind alle bekannten Übertragungs- und Aufnahmewege zu berücksichtigen. Sobald konkrete Informationen für eine differenzierte Lagebeurteilung vorliegen, z. B. aufgrund von Erkenntnissen der Sicherheitsbehörden, insbesondere der polizeilichen Einsatzkräfte vor Ort, des Ergebnisses der Erkundung oder orientierender Analysen vor Ort, müssen die Schutzmaßnahmen ggf. spezifisch der Lage angepasst werden. Sie sollten immer dann angepasst werden, wenn dadurch die Belastung der Einsatzkräfte z. B. durch PSA gemindert werden kann.

3.2
Hinweise zur Lagefeststellung und Lagebeurteilung einer biologischen Gefahrenlage

(1) Bei Unfällen in Produktionsstätten, Laboren oder auf Probentransporten ist der Biostoff in der Regel bekannt und dem Biostoffverzeichnis nach § 7 Absatz 2 BioStoffV bzw. den Beförderungs- und Begleitpapieren zu entnehmen. Hinweise zu Maßnahmen finden sich bei Havarien in Produktionsstätten und Laboren auf den entsprechenden Feuerwehrplänen. Verantwortliche der betroffenen Einrichtung müssen zur Lagefeststellung und Lagebeurteilung einbezogen und Maßnahmen entsprechend der innerbetrieblichen Notfallpläne gemäß § 13 BioStoffV veranlassen.

(2) Im Falle einer vermeintlich absichtlichen Ausbringung von Biostoffen oder biogenen Toxinen ist nach den Erstmaßnahmen (z. B. Absperren, Menschenrettung) vor dem Veranlassen ergänzender Maßnahmen eine Lagefeststellung und Lagebeurteilung vorzunehmen und die Ernsthaftigkeit des Ereignisses zu überprüfen. Häufig wurde in der Vergangenheit mit der Ausbringung von Biostoffen oder biogenen Toxinen gedroht, ohne dass diese nachweisbar waren und eine Gesundheitsgefahr für Dritte vorlag.

(3) Die Lagefeststellung umfasst primär

  1. 1.

    die Örtlichkeit (z. B. innerhalb oder außerhalb von Gebäuden),

  2. 2.

    die Verbringung des Biostoffs oder biogenen Toxins (z. B. als Pulverbrief oder mittels Geräten),

  3. 3.

    die Menge und Zustandsform des freigesetzten Stoffes (z. B. fest, flüssig, pulverförmig) sowie

  4. 4.

    die meteorologischen Gegebenheiten wie Windrichtung, Windstärke oder Niederschlag (Gefahr der Verbreitung von Biostoffen und biogenen Toxinen über Niederschlagswasser).

(4) Bezüglich der Betroffenen gilt es

  1. 1.

    die Anzahl von Exponierten,

  2. 2.

    deren Kontakt zum vermuteten Biostoff sowie

  3. 3.

    deren Gesundheitszustand

zu erheben.

(5) Die Lagebeurteilung wird durch fachkundige Einsatzkräfte vorgenommen. Bei einer vermeintlich absichtlichen Ausbringung prüft die Polizei, ob konkrete Hinweise auf eine Anschlagsabsicht vorliegen bzw. ob eine erhöhte Gefährdung der betroffenen Einrichtung/Person besteht und bewertet entsprechend die Ernsthaftigkeit der Lage. Besteht ein begründeter Verdacht auf eine absichtliche Freisetzung eines Biostoffs oder eines biogenen Toxins bzw. auf einen Anschlag, sind ergänzende Maßnahmen zu veranlassen (s. Anhang 3). Kann die Ernsthaftigkeit der Lage nicht bestätigt werden, sind keine weiterführenden Maßnahmen im Sinne dieser TRBA notwendig.

(6) Nimmt die Lagefeststellung und Lagebeurteilung viel Zeit in Anspruch, sind durch den Einsatzleiter parallel Erstmaßnahmen zu veranlassen, um mögliche Gesundheitsschäden zu vermeiden und eine mögliche Kontaminationsverschleppung zu unterbinden, obwohl weder der Biostoff bzw. das biogene Toxin bekannt noch die Ernsthaftigkeit der Lage bestätigt ist. Hierzu sind die mit dem vermeintlichen Biostoff oder biogenen Toxin nachweislich kontaminierten Personen sofort bestmöglich zu dekontaminieren, z. B. mindestens durch Hände waschen und Ablegen von kontaminierter Kleidung. Eine mögliche Kontaminationsverschleppung ist durch Sicherung des Gefahrenbereiches zu verhindern.

3.3
Tätigkeiten und betroffene Institutionen

(1) Beispiele für Tätigkeiten im Gefahrenbereich sind:

  1. 1.

    die Rettung von Personen,

  2. 2.

    die Dekontamination bzw. Desinfektion von Personen, Bereichen und Materialien,

  3. 3.

    die Betreuung, die medizinische Versorgung und der Transport von Personen innerhalb des Gefahrenbereichs,

  4. 4.

    die Probenahme, die Dokumentation und der Probentransport kontaminierter Materialien,

  5. 5.

    Maßnahmen zur vor Ort-Analyse sowie

  6. 6.

    sonstige Tätigkeiten im Rahmen der Wiederherstellung bzw. der Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung.

(2) Die betroffenen Institutionen/Organisationen sind insbesondere:

  1. 1.

    Feuerwehr, Rettungsdienst, Notarzt, Katastrophenschutz und andere Vertreter der nicht-polizeilichen Gefahrenabwehr wie z. B. Einsatzkräfte des Bundes,

  2. 2.

    Polizeiliche Gefahrenabwehr,

  3. 3.

    Gesundheitsbehörden (z. B. Gesundheitsämter), Veterinärbehörden (z. B. Veterinärämter), Umweltbehörden, örtliche Verwaltungsbehörden sowie ggf. weitere spezialisierte Behörden und Einheiten, die in akuten biologischen Gefahrenlagen zum Einsatz kommen,

  4. 4.

    private Notfallrettungs- und Krankentransportunternehmen,

  5. 5.

    Krankenhäuser und Notaufnahmen, insbesondere im Fall von Selbsteinweisungen,

  6. 6.

    Spezialisierte Tiertransporte von hochinfektiösen, lebenden Tieren unter Berücksichtigung seuchenrechtlicher und tierseuchenrechtlicher Bestimmungen sowie

  7. 7.

    Entsorgungsunternehmen.

3.4
Übertragungswege

(1) Infektionen können durch die Aufnahme von Biostoffen bzw. Intoxikationen durch die Aufnahme von Toxinen

  1. 1.

    über die Atemwege (Luftübertragung),

  2. 2.

    über vorgeschädigte Hautpartien (z. B. Ekzeme),

  3. 3.

    über direkten Schleimhautkontakt,

  4. 4.

    über den Magen-Darmtrakt sowie

  5. 5.

    über oberflächliche und tiefe Verletzungen

hervorgerufen werden.

(2) Bei einer akuten biologischen Gefahrenlage sind die Biostoffe oder biogenen Toxine sowie deren Übertragungswege im Regelfall nicht bekannt, sodass grundsätzlich alle möglichen Übertragungswege bei der Auswahl der Schutzmaßnahmen berücksichtigt werden müssen.

Öffentlicher Gesundheitsdienst: Management von Pulverfunden (rki.de)