DGUV Information 201-027 - Handlungsanleitung zur Gefährdungsbeurteilung und Festlegung von Schutzmaßnahmen bei der Kampfmittelräumung

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Anhang 1 - Hinweise für Auftraggebende und Planende

Verantwortung für den Baugrund - Baugrundrisiko

Die Bereitstellung des Baugrundes zur weiteren Bearbeitung, z. B. zur Herstellung eines Bauwerkes oder zur Räumung von Kampfmitteln, ist gemäß der Rechtsprechung nach § 645 BGB im Sinne der Lieferung eines Baustoffes zu sehen. Die Verantwortung für den Zustand des Baustoffes "Baugrund" trägt grundsätzlich der Bauherr, d. h. er trägt das so genannte "Baugrundrisiko".

Unter dem Begriff "Baugrundrisiko" ist zu verstehen, dass sich die Boden- und Grundwasserverhältnisse, z. B. infolge von Kontaminationen durch Gefahrstoffe oder durch das Vorhandensein von Kampfmitteln, trotz Ausschöpfung der zumutbaren Erkenntnisquellen vor Baubeginn während der Bauausführung anders darstellen als angenommen.

Dieser Sachverhalt hat erhebliche Auswirkungen auf den in der Planung zu berücksichtigenden Arbeitsschutz und damit auch auf den mit der Ausschreibung ermittelten Kostenrahmen: die zu erbringende Leistung wird erschwert, ggf. werden sogar zusätzliche Leistung erforderlich. Daraus ergeben sich besondere Anforderungen an die Leistungsbeschreibung.

Anforderungen an die Leistungsbeschreibung - Allgemein

Mit einem hohen Baugrundrisiko und damit auch einem ebenso hohen Planungs- und Kostenrisiko verbunden ist ein "unbekannter" Baugrund. Vermindern lässt sich dieses Risiko durch "die Ausschöpfung zumutbarer Erkenntnisquellen", d. h. durch Ermittlungen und Untersuchungen zum Zustand des Baugrundes mit dem Ziel, die Leistungspflichten der ausführenden Unternehmen eindeutig festlegen zu können.

Die eindeutige Festlegung der Leistungspflichten ist insbesondere Gegenstand der Forderungen von § 7 VOB Teil A:

  • Nach § 7 Abs. 1 Nr. 1 VOB Teil A sind die Leistungen eindeutig und so erschöpfend zu beschreiben, dass alle Bewerber die Beurteilung im gleichen Sinn verstehen müssen und ihre Preise sicher und ohne umfangreiche Vorarbeiten berechnen können.

  • Nach § 7 Abs. 1 Nr. 3 VOB Teil A darf dem Auftragnehmer kein ungewöhnliches Wagnis aufgebürdet werden für Umstände und Ereignisse, auf die er keinen Einfluss hat, und deren Einwirkung auf Preise und Fristen er nicht im Voraus schätzen kann.

  • § 7 Abs. 1 Nr. 2 VOB Teil A schreibt unter anderem vor, dass

    • um eine einwandfreie Preisbildung zu ermöglichen, alle sie beeinflussenden Umstände festzustellen und in den Verdingungsunterlagen anzugeben sind,

    und § 7 Abs.1 Nr.6 VOB Teil A ergänzt dazu, dass

  • die für die Ausführung der Leistungen wesentlichen Verhältnisse der Baustelle, z. B. Boden- und Wasserverhältnisse, so zu beschreiben sind, dass der Bewerber ihre Auswirkung auf die bauliche Anlage und die Bauausführung hinreichend beurteilen kann.

Hinweise für das Aufstellen der Leistungsbeschreibung und deren notwendigen Inhalte enthält VOB Teil C in allen Abschnitten 0 der Allgemeinen Technischen Vertragsbedingungen für Bauleistungen (= VOB Teil C) in den ATV DIN 18299 ff. Dabei finden sich in allen sog. Tiefbau-Normen der ATV DIN 18300 (Erdarbeiten) bis ATV DIN 18325 (Gleisbauarbeiten) ausdrückliche Hinweise für den Umgang mit einem Kampfmittelverdacht. Speziell auf die Arbeiten der Kampfmittelräumung ausgerichtet ist die ATV DIN 18323 "Kampfmittelräumarbeiten", deren Geltungsbereich sich auf "das Sondieren und Bergen von gewahrsamslos gewordenen Kampfmitteln sowie für vorbereitende Arbeiten, wie Rodungs-, Abbruch- und Rückbauarbeiten, bei denen eine Gefährdung durch Kampfmittel bestehen kann" und auf "das Abtragen von mit Kampfmitteln belasteten Böden und für den Transport dieses Aushubs zu den Bearbeitungsflächen oder Separationsanlagen auf der Baustelle" erstreckt.

Hinweise zu den Aufgaben und Pflichten eines Auftraggebenden

Entsprechend den o.g. Sachverhalten weisen die BFR KMR den Auftraggebenden folgende Aufgaben und Pflichten zu (siehe Abb.2):

  • Erhebung und Dokumentation der relevanten Daten und Informationen und deren Übergabe an die Unternehmerin oder den Unternehmer,

  • Erarbeitung eines Räumkonzeptes,

  • Erstellung eines auf die Maßnahme bezogenen A+S-Plans.

Informationsbeschaffung

Zu den wesentlichen Informationen, die die Unternehmerin oder der Unternehmer zur Gefährdungsbeurteilung benötigt, gehören Angaben zu:

  • den vermuteten und/oder bekannten Kampfmittelbelastungen,

  • Art, Menge und Zustand der zu erwartenden Kampfmittel,

  • Art und Ort des Auftretens sonstiger Gefahrstoffe sowie bzgl. des Gefahrenpotentials der anzutreffenden Belastungen.

Darüber hinaus werden Angaben zu den vorliegenden örtlichen Gegebenheiten benötigt. Dazu gehören insbesondere:

  • die Morphologie des Geländes,

  • die Untergrundgegebenheiten (Geologie, Grundwasser, anthropogene Ablagerungen),

  • Bewuchs auf der Räumstelle.

Diese Informationen sind von Auftraggebenden im Rahmen der Planung zu ermitteln.

Geophysikalische Untersuchungen ohne Eingriff in den Boden stellen ein geeignetes Mittel dar, um in der Phase der Erkundung und Planung (siehe Abb.2) eine mögliche Belastung des Baugrundes mit Kampfmitteln zu berücksichtigen.

Die Erkundungs- und Mitteilungspflicht beinhaltet auch Erkenntnisse zu kontaminierten Bereichen im Sinne der DGUV Regel 101-004 bzw. TRGS 524. Hieraus ggf. resultierende Anforderungen zur Erstellung eines A+S-Planes gemäß dieser Regeln bleiben unberührt.

Räumkonzept

Resultierend aus gesetzlichen Verpflichtungen zum Schutz Betroffener bzw. zur Gefahrenabwehr und/oder eigenen Anforderungen der Auftraggebenden (z. B. geplante bauliche Eingriffe) ergibt sich, in welcher Art und in welchem Umfang und mit welchen Mitteln die Arbeiten der Kampfmittelräumung auszuführen sind.

Abhängig vom Umfang und der Komplexität der Maßnahmen ist gemäß den BFR KMR als Grundlage für die Ausführungsplanung und Leistungsbeschreibung ein Räumkonzept zu erstellen. Bei kleineren Maßnahmen oder Sofortmaßnahmen kann darauf verzichtet werden.

Das Räumkonzept hat folgende Angaben zu beinhalten:

  1. 1.

    Art, Sorte und Menge der zu erwartenden Kampfmittel in Abhängigkeit von der historischen Nutzung (Bewertung des Kampfmittelinventars) oder der Angriffschronik eines Standortes,

  2. 2.

    die zu erwartende Fundtiefe und Verteilung der Kampfmittel (Belastungsdichte),

  3. 3.

    den zu erwartenden Zustand der Kampfmittel,

  4. 4.

    die grundlegenden Standortfaktoren, z. B. Geologie, Bewuchs, bauliche Infrastruktur (wie Gebäude, Verlauf von Ver- und Entsorgungsleitungen, Straßen, Wege),

Sollen Arbeiten zur Kampfmittelräumung in Bereichen ausgeführt werden, bei denen der Untergrund mit Gefahrstoffen oder Biostoffen belastet ist, ist im Räumkonzept darauf hinzuweisen, dass zusätzlich die für Arbeiten in kontaminierten Bereichen geltenden Regelungen der DGUV Regel 101-004 sowie der TRGS 524 umzusetzen sind.

Weitere Bestandteile eines Räumkonzeptes sind

  • Ermittlung und Festlegung der Erkundungs- und Räumverfahren mit den zugehörigen Massenermittlungen,

  • Bauablaufplanung der Kampfmittelräumung und Kostenschätzung,

  • Anforderungen an den Arbeits- und Gesundheitsschutz.

In die von den Auftraggebenden zu erstellenden Vorgaben zu Verfahren sind weitere Informationen einzubeziehen, insbesondere zu Nutzern und Nutzerinnen, nachbarschaftlichen Belangen, Bauplanungen und Ähnlichem.

Es ist im Vorfeld zu prüfen, inwieweit die für die Unternehmerin oder den Unternehmer vorgesehenen Aufgaben mit den Anforderungen zum Arbeits- und Gesundheitsschutz in Einklang zu bringen sind. Weitere Pflichten der Auftraggebenden, z. B. nach BaustellV, bleiben hiervon unberührt.

A+S-Plan für Arbeiten der Kampfmittelräumung

Mit dem A+S-Plan können Auftraggebende ihre Informationspflichten (siehe Abschnitt 3.1.) erfüllen, indem sie damit alle die Informationen bereitstellen, welche die ausführenden Unternehmen zur Erfüllung ihrer Pflichten und insbesondere zur Erstellung der Gefährdungsbeurteilung benötigen (siehe Abschnitt 3.2).

Inhaltlicher Schwerpunkt eines A+S-Plans ist die tätigkeitsbezogene Zusammenführung der festgestellten Gefahren ("Erkundung und Gefährdungsabschätzung") mit den geplanten Arbeitsverfahren ("Räumkonzept") und die Ermittlung der resultierenden Gefährdungen für die geplante Ausführung.

Sind diese sachgerecht ermittelt, lassen sich hieraus unter Zugrundelegung der Prinzipien des Arbeitsschutzgesetzes unter Wahrung der Belange der Sicherheit, des Gesundheits- und Nachbarschaftsschutzes die erforderlichen Schutzmaßnahmen ableiten und für Auftragnehmende in einem A+S-Plan festlegen.

Ein Muster für Gliederung und Inhalte des A+S-Plans für Arbeiten der Kampfmittelräumung enthält Anhang 3.

Arbeiten der Kampfmittelräumung in kontaminierten Bereichen

Sind Arbeiten zur Kampfmittelräumung in kontaminierten Bereichen durchzuführen, sind zwei Fälle zu unterscheiden:

  1. a.

    die Arbeiten finden auf Flächen statt, die durch Ihre Nutzungsgeschichte das Vorhandensein von Gefahrstoffen oder biologischen Arbeitsstoffen vermuten lassen oder deren Vorhandensein bereits bekannt ist (z. B. "Altlasten", entsprechend belastete Industrieflächen oder Gleisanlagen),

  2. b.

    die Arbeiten finden auf Flächen statt, bei denen keine Kontaminationen wie vorstehend bekannt sind und lediglich mit eventuell aus den Kampfmitteln ausgetretenen Stoffen gerechnet werden muss.

Für den Fall a) sind in der Regel bereits konkrete Maßnahmen zu treffen, die im A+S-Plan für die Kampfmittelräumung nach Anhang 3 dieser DGUV Information ergänzend gemäß Abschnitt 8.3 (DGUV Regel 101-004) festzulegen sind.

Im Fall b) sollte die Planung soweit vorbereitet sein, dass beim Antreffen derart kontaminierter Bereiche unverzüglich die richtigen Sofortmaßnahmen zur Abwehr akuter Gefahren getroffen werden können. Dieser Fall ist in die Gefährdungsbeurteilung für Arbeiten der Kampfmittelräumung stets einzubeziehen (Möglichkeit von "Tätigkeiten mit Gefahrstoffen, die aus Kampfmitteln stammen"; Anwendung gem. Nr. 1.1 DGUV Regel 101-004). Im Anschluss ist zu prüfen, ob nach Fall a) im weiteren Verlauf verfahren werden muss.

Sind Arbeiten in kontaminierten Bereichen durchzuführen, müssen sie von einem Sachkundigen nach der DGUV Regel 101-004 "Kontaminierte Bereiche" begleitet werden. Dieser muss auf Räumstellen seine Tätigkeit in enger Abstimmung mit der Verantwortlichen Person nach § 19 Abs. 1 Nr. 3 SprengG ausüben, sofern nicht die Verantwortliche Person nach SprengG selbst über die Sachkunde verfügt und die Aufgaben in Personalunion wahrnehmen kann.

Weitere Informationen

Weitere Hinweise auch für Auftraggebende sind dem vom Hauptverband der Deutschen Bauindustrie e.V. in Zusammenarbeit mit der BG BAU und dem CBTR Centrum für Deutsches und Internationales Baugrund- und Tiefbaurecht e.V. herausgegebene Merkblatt "Kampfmittelfrei bauen" (siehe www.kampfmittelportal.de) zu entnehmen.