DGUV Information 209-028 - Auftreten von Dioxinen (PCDD/PCDF) bei der Metallerzeugung und Metallbearbeitung

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Abschnitt 4 - Informationsermittlung und Gefährdungsbeurteilung

Bei der Beurteilung der Arbeitsbedingungen nach § 5 des Arbeitsschutzgesetzes hat der Arbeitgeber zunächst festzustellen, ob die Beschäftigten Tätigkeiten mit Gefahrstoffen durchführen oder ob Gefahrstoffe bei diesen Tätigkeiten entstehen oder freigesetzt werden. Ist dies der Fall, so hat er nach § 7 GefStoffV alle hiervon ausgehenden Gefährdungen für die Gesundheit und Sicherheit der Beschäftigten zu beurteilen.

Die Ausführungen in diesem Abschnitt gelten nur für den Umgang mit Stoffen, Zubereitungen und Erzeugnissen, die "Dioxine und Furane" (PCDD/PCDF) enthalten oder aus denen diese entstehen können. Sie gelten auch für Wartungs- und Instandhaltungsarbeiten, jedoch nicht für Sanierungs- und Abbrucharbeiten sowie unfallartige Ereignisse. Bei letztgenannten Ereignissen können folgende Regeln und Leitlinien angewendet werden (vgl. auch 2.3):

  • Leitlinie zur Brandschadensanierung des Verbandes der Sachversicherer [1]

  • BGR 128 - Richtlinien für Arbeiten in kontaminierten Bereichen [2]

Die Gefährdungsbeurteilung muss folgende Punkte umfassen:

  1. 1.

    Gefährliche Eigenschaften der Stoffe oder Zubereitungen.

    Das heißt, der Arbeitgeber hat zu prüfen, ob PCDD/PCDF in den Arbeitsstoffen enthalten sind oder diese verfahrensbedingt in dem zu beurteilenden Arbeitsbereich neu gebildet werden können.

  2. 2.

    Informationen des Herstellers oder Inverkehrbringers zum Gesundheitsschutz und zur Sicherheit, insbesondere im Sicherheitsdatenblatt nach § 6 GefStoffV.

    Beispielhaft hierfür ist der Umgang mit Filterstäuben aus der Metallerzeugung. Vergleiche Abschnitt 5.5: Wer einen Filterstaub als Abfall zur Verwertung annimmt, hat Anspruch auf ein Sicherheitsdatenblatt gemäß § 6 GefStoffV und kann diesem die für den Umgang erforderlichen Stoffinformationen und Schutzmaßnahmen entnehmen.

  3. 3.

    Ausmaß, Art und Dauer der Exposition unter Berücksichtigung aller Expositionswege.

    Dabei sind die ermittelten Dioxinkonzentrationen in der Luft sowie verfahrens- und stoffspezifische Kriterien zu berücksichtigen. Grundlagen hierzu sind in den Abschnitten 1 und 2 beschrieben. Verfahrensspezifische Kriterien finden sich in den Untersuchungen von Verfahren der Metallerzeugung und -bearbeitung.

  4. 4.

    Physikalisch-chemische Wirkungen.

    Von Bedeutung für das Abscheideverhalten von Dioxinen sind Kenntnisse darüber, in welchem Aggregatzustand (dampfförmig oder partikulär an Staub gebunden) diese in der Luft von Arbeitsbereichen auftreten.

    Dampfförmige Dioxine durchdringen z.B. partikelfiltrierende Atemschutzgeräte.

    Dioxine und Furane (PCDD/PCDF) sind schwerflüchtig, sodass sie bei Raumtemperatur an der Oberfläche von Feststoffen haften. In der Luft treten sie an Staub gebunden auf. Während des Bildungsprozesses und beim Kontakt mit heißen Oberflächen können sie zum Teil dampfförmig vorliegen. PCDD/PCDF mit niedrigem Chlorierungsgrad verdampfen deutlich leichter als die höherchlorierten [3].

    Bereits bei Temperaturen deutlich unterhalb 100 °C tritt ein deutlicher Dampfanteil auf. Arbeitsbereiche, in denen Dioxine und Furane zum Teil in der Dampfphase auftreten, sind z.B. Ofenbereiche, Schweißarbeiten an belasteten Teilen.

  5. 5.

    Möglichkeiten einer Substitution.

    Dioxine und Furane entstehen als Verunreinigungen bei thermischen Prozessen. Ziel bei der Reaktionsführung ist nicht die Substitution von PCDD/PCDF, sondern deren Bildung zu vermeiden. Hier bestehen je nach Verfahren zahlreiche Möglichkeiten, z.B. Auswahl der Edukte, Temperaturführung, Optimierung der Verbrennung.

  6. 6.

    Arbeitsbedingungen und Verfahren, einschließlich der Arbeitsmittel und der Gefahrstoffmenge.

    Hierzu gehören

    • die technischen und betriebsspezifischen Kenntnisse über den Arbeitsbereich und den Arbeitsablauf (Tätigkeiten, Anlagenart, Verfahrensweise, Menge, Temperatur, Druck, Emissionsorte, Aufenthaltsdauer der Versicherten)

      und

    • das Wissen über die auftretenden Mengen an PCDD/PCDF-haltigen Zubereitungen. Hierbei sind die Einsatzstoffe und deren Verunreinigungen, Zwischenprodukte und Reaktionsprodukte in die Gefährdungsbeurteilung einzubeziehen.

  7. 7.

    Arbeitsplatzgrenzwerte und biologische Grenzwerte.

    Nach In-Kraft-Treten der neuen Gefahrstoffverordnung am 1. Januar 2005 hat, wie im Abschnitt 1.3 beschrieben, der bisherige TRK-Wert von 50 pg TE/m3 keine Rechtsgrundlage mehr. Bis zur Festlegung eines neuen Grenzwertes durch den AGS wird der zuletzt geltende Grenzwert von 50 pg/m3 zugrunde gelegt (vgl. Abschnitt 1.3).

    Aus dem Gehalt an Dioxinen und Furanen in den Stäuben kann rechnerisch abgeschätzt werden, ob der "alte" Luftgrenzwert von 50 pg TE/m3 bei Vorliegen des E-Staub-Grenzwertes von 10 mg/m3 erreicht werden kann (vgl. Abschnitt 5).

    Ein biologischer Grenzwert besteht zurzeit für PCDD/PCDF nicht. Bei der Normalbevölkerung liegen die Blutspiegel zwischen 20 und 60 pg TE pro Gramm Blutfett. Die bestimmenden Faktoren hierbei sind u.a. Lebensalter, Anteil des Fettgewebes, Ernährungsgewohnheiten, individuelle Stoffwechselkapazität.

  8. 8.

    Wirksamkeit der getroffenen oder zu treffenden Schutzmaßnahmen.

    Lässt sich die Gefährdung durch Dioxine und Furane entsprechend Punkt 5 nicht beseitigen, hat der Arbeitgeber diese durch Maßnahmen in der Rangordnung (vgl. § 9 GefStoffV)

    • Technische Maßnahmen

    • Organisatorische Maßnahmen

    • Verhaltensbezogene Maßnahmen

    • Persönliche Schutzausrüstungen

    auf ein Mindestmaß zu verringern. Der Arbeitgeber hat die Wirksamkeit der vorgenannten Maßnahmen zu quantifizieren (Arbeitsplatzmessungen, Biomonitoring).

  9. 9.

    Schlussfolgerungen aus durchgeführten arbeitsmedizinischen Vorsorgeuntersuchungen.

    Versicherte in PCDD/PCDF-belasteten Bereichen sind entsprechend der TRGS 557 arbeitsmedizinischen Vorsorgeuntersuchungen in Anlehnung an den BG-Grundsatz G 40 zu unterziehen (vgl. Abschnitt 9).

    Schlussfolgerungen resultieren aus folgenden Untersuchungen: Anamnese von Hauterkrankungen, vor allem auf akneähnliche Erkrankungen (Chlorakne).

    Neben den im G 40 genannten Punkten sind besondere Veränderungen der Leber, der Schilddrüse und neurologische Störungen zu beachten.

    Analyse von PCDD/PCDF im Blutfett: Ergeben sich bei der Arbeitsanamnese Hinweise auf eine frühere Belastung, so lassen sich aufgrund der langen Verweilzeiten von PCDD/PCDF im Körper nach erfolgtem Biomonitoring Aussagen zur beruflichen Exposition machen. Hierbei gibt das Kongenerenmuster (Fingerprint) Hinweise auf die Expositionsquellen.

Der Arbeitgeber darf eine Tätigkeit mit Gefahrstoffen erst aufnehmen lassen, nachdem eine Gefährdungsbeurteilung vorgenommen und die erforderlichen Schutzmaßnahmen getroffen wurden. Die Gefährdungsbeurteilung darf nur von fachkundigen Personen durchgeführt werden.

Der Arbeitgeber hat die Gefährdungsbeurteilung unabhängig von der Zahl der Beschäftigten und vor Aufnahme der Tätigkeit zu dokumentieren. In der Dokumentation ist anzugeben, welche Gefährdungen am Arbeitsplatz auftreten können und welche Maßnahmen durchgeführt werden müssen.

Die Gefährdungsbeurteilung ist zu aktualisieren, wenn maßgebliche Veränderungen dies erforderlich machen oder wenn sich eine Aktualisierung aufgrund der Ergebnisse der arbeitsmedizinischen Vorsorge als notwendig erweist.

Bei der Gefährdungsbeurteilung sind auch Tätigkeiten innerhalb des Unternehmens oder Betriebes zu berücksichtigen, bei denen anzunehmen ist, dass auch nach Ausschöpfung sämtlicher technischer Maßnahmen die Möglichkeit einer Exposition gegenüber Dioxinen und Furanen besteht (z.B. Wartungsarbeiten).

Darüber hinaus sind auch andere Tätigkeiten, wie Bedien- und Überwachungstätigkeiten, zu berücksichtigen, sofern diese zu einer Gefährdung von Beschäftigten durch Dioxine und Furane führen können.

Die mit den Tätigkeiten verbundenen Gefährdungen durch Inhalation, Hautkontakt und mangelnder Hygiene (orale Aufnahme von Dioxinen und Furanen, vgl. Abschnitt 8.4) sind unabhängig voneinander zu beurteilen und in der Gefährdungsbeurteilung zusammenzuführen.

Treten bei einer Tätigkeit mehrere Gefahrstoffe gleichzeitig auf, ist eine mögliche Wechsel- oder Kombinationswirkung der Gefahrstoffe mit Einfluss auf die Gesundheit und Sicherheit der Beschäftigten bei der Gefährdungsbeurteilung zu berücksichtigen.

Literatur

  1. [1]

    Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV), Postfach 10 37 53, 50477 Köln: Richtlinie zur Brandschadensanierung, VdS 2357 (2002)

  2. [2]

    BG-Regel "Kontaminierte Bereiche" (BGR 128), Ausgabe 1997, aktualisierte Fassung 2002

  3. [3]

    Report der gewerblichen Berufsgenossenschaften, der Unfallversicherungsträger der öffentlichen Hand und des BGIA: Dioxine am Arbeitsplatz, Druck Center Meckenheim (1997)