Abschnitt 5.9 - 5.9 Bestimmung des Lärmexpositionspegels durch tätigkeitsbezogene Messungen
5.9.1
Allgemeines
Wegen der vielfältigen Anwendungsmöglichkeiten der tätigkeitsbezogenen Messmethode (Strategie 1) und ihrer besonderen Bedeutung für die betriebliche Praxis soll dieses Verfahren im Folgenden ausführlich behandelt und anhand von Beispielen verdeutlicht werden.
Rechenhilfen:
Die in den folgenden Abschnitten beschriebenen Berechnungen lassen sich mit einem Taschenrechner ausführen, der die Funktion des Logarithmierens enthält. Um sich die Arbeit zu erleichtern, kann man aber auch auf fertige Rechenprogramme zurückgreifen, die von verschiedenen Stellen im Internet angeboten werden.
Das Institut für Arbeitsschutz - IFA - bietet auf der Internetseite ein Rechenprogramm an, das eine Reihe von Berechnungen mit Schalldruckpegeln erlaubt. Neben der Pegeladdition und Pegelmittelung kann man damit beispielsweise den Lärmexpositionspegel aus den für einzelne Tätigkeiten gewonnenen Schalldruckpegeln (Strategie 1) berechnen: www.dguv.de/ifa, Webcode d10635. Auf der Internetseite des Deutschen Instituts für Normung - DIN - wird ein Programm angeboten, das zusammen mit der Überarbeitung der ISO 9612 entwickelt wurde und die Berechnung des Lärmexpositionspegels nach den drei Strategien sowie die Berechnung von Unsicherheiten ermöglicht: www.din.de/de/mitwirken/normenausschuesse/nals/kalkulationsprogramm-zur-din-en-iso-9612-20 09-09-unsicherheiten-90316 Die sachgerechte Anwendung dieses Tabellen-Kalkulationsprogramms setzt allerdings die Kenntnis von Festlegungen in der DIN EN ISO 9612 (9/2009) voraus. |
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5.9.2
Zerlegung der Arbeitsschicht in Tätigkeiten
Wie bereits erläutert erfordert die tätigkeitsbezogene Messmethode (Strategie 1) eine besonders sorgfältige Arbeitsanalyse (siehe Abschnitt 5.3.1); andererseits lässt sie sich in der Regel mit relativ geringem Messaufwand durchführen. Die tätigkeitsbezogene Methode ist immer dann zu empfehlen, wenn sich die typische Arbeitsschicht in eine oder mehrere eindeutig zu definierende Tätigkeiten mit in sich gleichartiger Geräuschimmission unterteilen lässt.
Abbildung 4 (Abschnitt 5.3.1) zeigt ein Beispiel für die Zerlegung einer Arbeitsschicht in einzelne Tätigkeiten. Diese ursprünglich aus DIN 45641 [25] stammende Abbildung findet sich in der DIN EN ISO 9612 in leicht veränderter Form, weil sie die Strategie 1 besonders gut veranschaulicht. Bei der hier beschriebenen Zerlegung der Arbeitsschicht in einzelne Tätigkeiten ist zu beachten, dass alle für die Lärmbelastung relevanten Beiträge der typischen Arbeitsschicht bzw. des repräsentativen Arbeitstages berücksichtigt werden, also ggf. auch kurzzeitige Belastungen mit hohen Pegeln. Insbesondere bei Tätigkeiten mit hohen Schalldruckpegeln kommt es auf die sorgfältige Ermittlung der Zeitdauer Tm für die Tätigkeit m an, da solche Tätigkeiten einen wesentlichen Anteil an der gesamten Lärmexposition haben können. Falls sich für die Zeitdauer Tm einer Tätigkeit unterschiedliche Werte ergeben, ist daraus nach DIN EN ISO 9612 der arithmetische Mittelwert zu berechnen.
Die Mittagspause und ggf. festgelegte weitere offizielle Pausen kann man in der Regel als separate Phasen ohne Lärmexposition betrachten, so dass sie bei der Berechnung des Lärmexpositionspegels nicht berücksichtigt werden müssen.
Die Zerlegung in einzelne Tätigkeiten ist sowohl für die ortsbezogene als auch für die personenbezogene Beurteilung möglich. Bei der ortsbezogenen Beurteilung lassen sich die auf einen bestimmten Ort einwirkenden Geräusche ggf. in unterschiedliche Arbeitsphasen bzw. Tätigkeiten mit jeweils gleichartiger Geräuschimmission zerlegen. Bei der personenbezogenen Beurteilung können sich die verschiedenen Tätigkeiten z. B. durch Einsatz an unterschiedlichen Maschinen in verschiedenen Bereichen des Betriebes ergeben.
5.9.3
Erfassen der Lärmexposition für die einzelnen Tätigkeiten
Wie bereits in Abschnitt 5.7.1 erläutert muss sich die Messung in der Regel nicht über die gesamte Dauer der jeweiligen Tätigkeit bzw. Arbeitsphase erstrecken. Vielfach lässt sich die Geräuschimmission durch eine relativ kurze Messung innerhalb der entsprechenden Phase erfassen. Die Vorgaben der DIN EN ISO 9612 bezüglich Messdauer sind im Abschnitt 5.7.1 zusammengestellt. Erfahrungsgemäß sind in der Praxis vielfach deutlich kürzere Messdauern als die in der Messnorm genannten fünf Minuten ausreichend. So ist es zulässig, die Messzeit zu reduzieren, wenn der Schalldruckpegel konstant und gut reproduzierbar ist oder die Geräuschbelastung bei der Tätigkeit ohnehin nur in geringem Maße zur Gesamtlärmexposition beiträgt.
Für jede Tätigkeit fordert die DIN EN ISO 9612 mindestens drei Messungen des äquivalenten Dauerschallpegels - LpAeq. Falls die Ergebnisse für eine Tätigkeit um 3 dB oder mehr differieren, sind mindestens drei zusätzliche Messungen oder drei neue Messungen mit längeren Messzeiten erforderlich. Zur Ermittlung des für eine Tätigkeit m anzusetzenden A-bewerteten äquivalenten Dauerschallpegels LpAeq,T,m sind die einzelnen gewonnenen Messwerte nach folgender Gleichung energetisch zu ermitteln:
mit:
I | - | Anzahl der Messungen für die Tätigkeit m |
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LpAeq,T,mi | - | i-ter Messwert innerhalb der Tätigkeit m |
Die Messwerte für eine Tätigkeit dürften jedoch eigentlich nur geringfügig voneinander abweichen, wenn man die Arbeitsschicht vernünftig in Tätigkeiten unterteilt und die Messdauer jeweils so wählt, dass damit der äquivalente Dauerschallpegel für die untersuchte Tätigkeit erfasst wird.
5.9.4
Berechnung des Lärmexpositionspegels
A) Tages-Lärmexpositionspegel LEX,8h
Aus den mittleren äquivalenten Dauerschallpegeln LpAeq,T,m der einzelnen Tätigkeiten m und den ermittelten Zeitdauern Tm der Tätigkeiten errechnet sich der Tages-Lärmexpositionspegel LEX,8h entsprechend der folgenden Gleichung:
mit:
LpAeq,T,m | - | äquivalenter Dauerschallpegel der Tätigkeit m |
---|---|---|
Tm | - | Zeitdauer der Tätigkeit |
T0 | - | Bezugszeit, T0 = 8 h |
M | - | Gesamtzahl der Tätigkeiten m |
B) Wochen-Lärmexpositionspegel LEX,40h
Der Wochen-Lärmexpositionspegel LEX,40h lässt sich in ähnlicher Form berechnen, mit dem Unterschied, dass in die obige Gleichung (5) die jeweiligen Zeitdauern Tm für die Woche eingesetzt und die gesamte Lärmexposition auf 40 h bezogen wird:
mit:
LLpAeq,T,m | - | Äquivalenter Dauerschallpegel der Tätigkeit m |
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Tm | - | Zeitdauer der Tätigkeit m innerhalb einer Arbeitswoche |
M | - | Gesamtzahl der Tätigkeiten m |
Abweichend von dieser relativ einfachen Rechenformel zur Ermittlung des Wochen-Lärmexpositionspegels sieht die DIN EN ISO 9612 zunächst die Berechnung der Tages-Lärmexpositionspegel für alle Tage der Woche vor, um daraus die Gesamtexposition zu berechnen und auf fünf Tage zu beziehen. Damit erhält man in mehreren Schritten schließlich dasselbe Ergebnis wie mit der hier angegebenen Rechenformel (6).
C) Vergleich von Tages- und Wochen-Lärmexpositionspegel Wie die folgenden Beispielrechnungen zeigen, kann der Wochen-Lärmexpositionspegel je nach Arbeitsplatz niedriger oder höher als der Tages-Lärmexpositionspegel ausfallen.
Beispiele:
Lärmbelastung nur an einem Arbeitstag (8 h) in der Woche mit LEX,8h = 100 dB(A), an vier Tagen der Woche lärmfrei.
Der Wochen-Lärmexpositionspegel kann also höchstens 7 dB(A) niedriger ausfallen als der höchste Tages-Lärmexpositionspegel.
Lärmbelastung an sieben Tagen in der Woche mit LEX,8h= 84 dB(A).
Der Wochen-Lärmexpositionspegel würde bei sieben Arbeitsschichten in der Woche also um 1,5 dB(A) höher ausfallen als der Tages-Lärmexpositionspegel.
5.9.5
Beispiele zur Berechnung des Lärmexpositionspegels nach Strategie 1
Mit den folgenden Beispielen sollen die einzelnen Schritte zur Berechnung des Tages-Lärmexpositionspegels erläutert werden, ohne dabei auf die später erläuterte Problematik der Unsicherheit (Abschnitt 5.10) einzugehen. Ein ausführliches Beispiel mit allen erforderlichen Messungen und Berechnungen findet sich z. B. im Anhang der Norm DIN EN ISO 9612 und im Taschenbuch "Lärmmessung im Betrieb" [5]. Wie bereits im Abschnitt 5.9.1 erwähnt lassen sich die Berechnungen mit einem Taschenrechner oder den entsprechenden Rechenprogrammen aus dem Internet durchführen.
Beispiel 1:
Im Rahmen der Gefährdungsbeurteilung ist die Lärmexposition für eine Gruppe von gleichartig eingesetzten Lkw-Fahrern im Fernverkehr zu ermitteln (personenbezogene Lärmexposition).
Die Fahrer sind an jedem Arbeitstag durchschnittlich zehn Stunden auf Autobahnen und Landstraßen unterwegs. Für diese Tätigkeit wurden mit einem integrierenden Schallpegelmesser drei Messungen über jeweils fünf Stunden durchgeführt. Da die Ergebnisse um nicht mehr als 3 dB(A) differieren, werden die Messwerte entsprechend Gleichung (4) gemittelt. Für diese Tätigkeit errechnet sich somit ein äquivalenter Dauerschallpegel LpAeq von 79 dB. Unter Berücksichtigung der täglichen Arbeitszeit von 10 h lässt sich der Tages-Expositionspegel nach Gleichung (5) berechnen:
Mit einem Tages-Lärmexpositionspegel von 80 dB(A) wird der untere Auslösewert erreicht und es gilt die Informationspflicht über die Gefahren durch Lärm. Da man nicht ausschließen kann, dass sich Lärmbelastungen von mehr als 80 dB(A) ergeben, sollte man auch Gehör-Vorsorge anbieten.
Beispiel 2:
Es soll geprüft werden, ob an einem Arbeitsplatz ein Lärmbereich vorliegt.
Während der typischen siebenstündigen Arbeitsschicht treten an dem Arbeitsplatz bedingt durch den Fertigungsablauf vier unterschiedliche Lärmbelastungssituationen auf. Für die Berechnung der Lärmexposition bietet es sich an, die Arbeit in vier entsprechende Tätigkeiten (Belastungsphasen) aufzuteilen und die äquivalenten Dauerschallpegel für diese Tätigkeiten separat zu ermitteln. Die gemessenen äquivalenten Dauerschallpegel LpAeq,T,m und die zugehörigen Zeitdauern der Tätigkeiten Tm sind in Abbildung 7 grafisch aufgetragen. Die zahlenmäßigen Ergebnisse sind in Tabelle 9 aufgelistet. Entsprechend den Vorgaben der DIN EN ISO 9612 wurden die hier angegebenen Geräuschimmissionen für die einzelnen Phasen jeweils durch mindestens drei Messungen bestimmt.
Abb. 7
Grafische Darstellung der Schalldruckpegel und der entsprechenden Zeitdauern innerhalb
einer typischen Arbeitsschicht [5].
Die Berechnung des Tages-Lärmexpositionspegels nach der Strategie 1 soll hier anhand der Tabelle 9 erläutert werden, in die die für die einzelnen Tätigkeiten anzusetzenden äquivalenten Schalldruckpegel LpAeq,T,m und die Zeitdauern der Tätigkeiten Tm eingetragen sind (2. und 3. Spalte).
Die in der 4. Spalte angegebene Formelgröße aus der Gleichung (6) beschreibt jeweils den Anteil der einzelnen Tätigkeit an der gesamten Lärmexposition. Diese Information kann bei der Planung von Lärmminderungsmaßnahmen von Interesse sein. So ist daraus beispielsweise abzulesen, dass die Tätigkeit II trotz der kurzen Zeitdauer von nur 30 min den größten Beitrag zum Lärmexpositionspegel liefert. Zu einer erfolgreichen Lärmminderung müsste man also zuerst bei dieser Tätigkeit ansetzen.
Entsprechend der unterhalb der Tabelle ausgeführten Berechnung ergibt sich der Tages-Lärmexpositionspegel aus der Addition der Einzelbeiträge (Gleichung (5)) und unter Bezug auf die für den Arbeitstag festgelegte Zeit T0 von 8 h (480 min).
Tabelle 9:
Pegelwerte und Tätigkeitsdauern (Beispiel 2)
Tätig keit- Nr. | Lm = LpAeq,T,m[dB] | Dauer der Tätigkeit Tm[min] | Formelgröße Tm× 100,1 × Lm |
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I | 75 | 120 | 0,4 × 1010 |
II | 98 | 30 | 18,9 × 1010 |
III | 85 | 180 | 5,7 × 1010 |
IV | 90 | 90 | 9 × 1010 |
34 × 1010 |
Danach beträgt der ortsbezogene Tages-Lärmexpositionspegel
LEX,8h | = | 88,5 dB(A) |
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Da der Auslösewert von 85 dB(A) eindeutig überschritten wird, liegt hier ein Lärmbereich vor.