DGUV Information 203-001 - Sicherheit bei Arbeiten an elektrischen Anlagen

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Abschnitt 2 - 2. Wirkungen des elektrischen Stroms auf den menschlichen Körper und Maßnahmen der Ersten Hilfe beim Stromunfall

Bei einer unfallbedingten Einwirkung des Stromes auf den Körper werden die verschiedenen Gewebe, je nach elektrischem Widerstand, unterschiedlich geschädigt. Am wenigsten Widerstand bietet das Nervengewebe, gefolgt von Blutgefäßen, Muskeln, Haut, Sehnen, Fett und Knochen. Das Ausmaß der Schädigung ist außerdem abhängig von der Stromstärke, von der Dauer des Stromflusses, von der Kontaktflächengröße sowie vom Durchströmungsweg im Körper.

Bei Stromunfällen im Niederspannungsbereich kommt es häufig zu einem mechanischen Zusammenziehen der Muskulatur (Klebenbleiben). Dabei kann es zu Muskel- und Sehnenabrissen sowie Zerrungen kommen. Durch Schreckreaktionen sind Sekundärunfälle, z. B. Sturz von der Leiter, häufig. Bei einem Stromweg über den Brustbereich sind Atemstörungen sowie lebensbedrohliche Herzrhythmusstörungen möglich. Je schneller ein Herz schlägt (bei körperlicher Arbeit), desto empfindlicher reagiert es auf den Stromfluss und desto eher kommt es zu einer Unterbrechung der normalen Reizleitung im Herzen und nachfolgend zu Rhythmusstörungen bis hin zum Kammerflimmern oder zum sofortigen Herzstillstand. Hierbei ist nicht nur die Stromstärke, sondern auch der Zeitpunkt des elektrischen Reizes in Bezug auf die Erregung am Herzen von entscheidender Bedeutung. Verbrennungen der Haut machen sich an den so genannten Strommarken, den Ein- und Austrittsstellen des elektrischen Stroms, bemerkbar.

Bei Unfällen im Hochspannungsbereich kommt es häufig zu Verletzungen mit direktem Stromdurchfluss oder zu Lichtbogenverletzungen ohne Stromdurchfluss im Körper. Bei Lichtbogenverletzungen entsteht durch die hohen Temperaturen (3.000-20.000 °C) ein zunächst äußerer thermischer Schaden. Beim direkten Stromdurchfluss kann es zur thermischen Zerstörung sämtlicher im Durchfluss liegender Gewebe kommen: Schädigungen am Herzen bis hin zum Herzstillstand, Störungen des Nervensystems mit Verwirrtheitszuständen und neurologischen Ausfällen, Gefäßschäden, sowie ausgedehnte Muskeldefekte sind möglich.

Die Auswirkungen des elektrischen Stromes lassen sich abhängig von Stromflussdauer und Stromstärke nach folgendem Schema darstellen:

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Konventionelle Zeit/Stromstärke-Bereiche mit Wirkungen von Wechselströmen (15 Hz bis 100 Hz) auf Personen bei einem Stromweg von der linken Hand zu den Füßen*

Auszüge aus DIN IEC/TS 60479-1 (VDE V 0140-479-1), Ausgabe 2007, sind wiedergegeben mit Genehmigung 132.008 des DIN Deutsches Institut für Normung e.V. und des VDE Verband der Elektrotechnik Elektronik Informationstechnik e.V. Maßgebend für das Anwenden der Normen sind deren Fassungen mit dem neuesten Ausgabedatum, die bei der VDE VERLAG GMBH, Bismarckstr. 33, 10625 Berlin, www.vde-verlag.de und der Beuth Verlag GmbH, Burggrafenstr. 6, 10787 Berlin erhältlich sind.

Die richtige Hilfe in den ersten Minuten, bis zum Eintreffen des Rettungsdienstes, kann für die Schwere der Unfallfolgen oder sogar für das Überleben entscheidend sein.

BereichKörperreaktion
AC-1Unmerklich, keine Reaktion des Körpers
AC-2ab 5 mA Loslassschwelle erreicht, Muskelverkrampfungen, Sekundärunfälle häufig, ab 25 mA Behinderung der Atmung, Herzunregelmäßigkeiten, Blutdruck- und Pulsanstieg möglich
AC-3Muskelverkrampfung, Herzrhythmusstörungen, starke Blutdruckerhöhung, ab 50 mA zunehmende Gefahr des Herzkammerflimmerns bei Durchströmung des Herzens von >1 Herzperiode.
ab 80 mA zunehmende Gefahr des Herzkammerflimmerns auch bei Durchströmung des Herzens von < 1 Herzperiode
AC-4tödliche Stromwirkung wahrscheinlich, ab 2.000 mA zunehmende Gefährdung von Muskulatur und inneren Organen. Zunehmende thermische Gefährdung

Ersthelfer beim Stromunfall müssen zunächst den Selbstschutz beachten, d. h. in jedem Fall für Stromunterbrechung sorgen! Danach greift die Rettungskette wie bei anderen Verletzungen, um einen reibungslosen Ablauf der Erste-Hilfe-Maßnahmen zu gewährleisten.

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Nach Unterbrechung des Stromkreises (im Hochspannungsbereich nur durch Fachleute möglich, Sicherheitsabstand von 5 m für Helfer erforderlich!) greifen die lebensrettenden Sofortmaßnahmen, d. h. Überprüfung des Bewusstseins und der Atmung nach folgendem Schema:

Die Herz-Lungen-Wiederbelebung (HLW) wird solange fortgeführt, bis beim Patienten Lebenszeichen auftreten oder bis der Rettungsdienst den Patienten übernimmt. Das Herzkammerflimmern ist beim Stromunfall eine der häufigsten Ursachen für einen Herz-Kreislaufstillstand. In diesem Zustand kommt es zu schnellen, unregelmäßigen Aktionen des Herzens, die keine geordnete Pumpfunktion des Herzens ermöglichen. Die Defibrillation ist die am besten wirksame Maßnahme gegen das Kammerflimmern. Mit jeder verstrichenen Minute ohne Defibrillation sinken die Überlebenschancen um ca. 10%.

Die Defibrillation kann mit automatisierten externen Defibrillatoren (AED) auch von speziell geschulten Ersthelfern durchgeführt werden. Hierbei wird vom Gerät der Rhythmus des Herzens ermittelt. Bei Vorliegen eines Kammerflimmerns wird die Aufforderung zum Auslösen eines Elektroschocks gegeben! Liegt kein Kammerflimmern vor, wird die Aufforderung zur Durchführung der HLW gegeben. Daraus geht hervor, dass die Anwendung eines AED die Beherrschung der Herz-Lungen-Wiederbelebung voraussetzt. Außerdem ist eine Ausbildung nach Medizinproduktegesetz in Verbindung mit der Medizinprodukte-Betreiberverordnung notwendig. Ist im Betrieb ein AED vorhanden, so wird nach folgendem Schema verfahren:

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Bei Hochspannungsunfällen kommt es häufig zu lebensgefährlichen Verbrennungen. Großflächige Verbrennungen führen wegen des hohen Flüssigkeitsverlustes oft zu einem Schock sowie aufgrund der schweren Schädigungen des Gewebes zur sogenannten Verbrennungskrankheit, die nach einigen Tagen zum Tod führen kann.

Das tatsächliche Ausmaß der Schädigung ist häufig anfangs nicht erkennbar. Deshalb müssen Verbrennungsopfer immer ärztlicher Behandlung zugeführt werden. Verbrannte Körperteile müssen sofort mit Wasser übergossen oder in Wasser getaucht werden und zwar so lange, bis die Schmerzen nachlassen (ca. 10 Min., Gefahr der Unterkühlung bei großflächigen Verbrennungen beachten!). Eingebrannte oder mit der Haut verklebte Kleidung darf keinesfalls herausgerissen werden. Nach der Kaltwasseranwendung müssen die Brandwunden mit einem sterilen (keimfreien) Verbandtuch abgedeckt werden. Bei schweren, großflächigen Verbrennungen und bei Gesichtsverbrennungen sind Atem- und Kreislaufstörungen zu erwarten. Deshalb ist eine nahtlose Überwachung der Vitalfunktionen erforderlich.

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Der Notarzt entscheidet, ob der Patient aufgrund seiner schweren oder großflächigen Verbrennungen in eine Spezialklinik für Verbrennungen eingeliefert wird. Die genaue Beschreibung des Unfallherganges und der Verletzungen beim Notruf ermöglicht dem Notarzt schon frühzeitig die Einleitung erweiterter Rettungsmaßnahmen (z. B. Anforderung eines Hubschraubers).

Kleinere Brandwunden können nach der Kaltwasseranwendung mit einem Wundverband bedeckt werden, Brandwunden dürfen nicht geöffnet werden.

Glücklicherweise führt nicht jeder Stromunfall zu einer lebensbedrohlichen Situation. Wichtig ist in jedem Fall die psychische Betreuung des Verletzten, das heißt Zuwendung und Beruhigung. Ein Verletzter sollte nach Möglichkeit nicht alleine gelassen werden. Legen Sie einen Verletzten immer auf eine Rettungsdecke oder auf ein vorhandenes Kleidungsstück.

Bei Anzeichen eines Schockzustandes (schneller, schlecht tastbarer Puls, fahle Blässe, kalte Haut, Frieren), aber erhaltenem Bewusstsein, ist eine Flachlagerung des Oberkörpers mit schräg hoch gelagerten Beinen anzuwenden (Schocklagerung).

Wichtig: Die Schocklagerung ist nicht anzuwenden bei Knochenbrüchen im Bereich der Beine, des Beckens oder der Wirbelsäule und bei Schädelverletzungen, bei Atemnot und plötzlichen Schmerzen im Bauchraum.

Das Verhalten bei einem Unfall nach einem Sturz in das Auffangsystem ist ab Seite 55 dieser Broschüre beschrieben.

Nach einem Elektrounfall ohne Bewusstlosigkeit, oder sonstige Störungen ohne Kreislaufstillstand wird vom erstbehandelnden Arzt (Betriebsarzt, Facharzt, Krankenhaus) in der Regel ein EKG angefertigt, sofern nicht andere Verletzungen im Vordergrund stehen. Ist dieses EKG unauffällig und sind keine weiteren Risikofaktoren (z. B. vorbestehende Herzkrankheit) vorhanden, genügt in der Regel eine etwa 2-stündige Überwachung, die aber nicht stationär erfolgen muss. Bestehen aufgrund körperlicher Symptome Zweifel an der Aussagefähigkeit des EKGs, müssen weitere Funktionsanalysen des Herzens durchgeführt werden.

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Schocklagerung: Die Schocklagerung ist nur anzuwenden bei vorhandenem Bewusstsein

Bei Interesse an weiteren Einzelheiten zur Ersten Hilfe bei Stromunfall verweisen wir auf unsere Broschüre "Erste Hilfe mit Sonderteil Stromunfall" (Bestell-Nr. MB 017), www.bgetem.de, Webcode 12201321.