DGUV Information 209-074 - Industrieroboter

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Abschnitt 2.2 - 2.2 "Wesentliche Veränderungen" an Roboteranlagen

Im früheren Geräte- und Produktsicherheitsgesetz (GPSG) war generell verfügt worden, dass Maschinen und maschinelle Anlagen, wenn sie nach dem erstmaligen Inverkehrbringen später wesentlich verändert werden, erneut den zum Zeitpunkt der Veränderung geltenden Vorschriften anzupassen sind. Dies heißt im Klartext: Vergabe eines neuen CE-Zeichens im Falle einer Wesentlichen Veränderung. Diese Regelung ist in dem heute gültigen Produktsicherheitsgesetz (ProdSG) nicht mehr so enthalten.

Mit der Anpassung des Produktsicherheitsgesetzes an die Verordnung EG 765/2008 entfällt der Begriff "Wesentlich veränderte Produkte". Eine Änderung des Sachverhaltes ist damit jedoch nicht verbunden.

Die Veröffentlichung eines entsprechenden Interpretationspapiers durch das Bundesministerium für Arbeit und Soziales stand zum Zeitpunkt der Drucklegung dieser DGUV Information unmittelbar bevor.

Das Überholen und Instandsetzen, ein Werkzeugwechsel und auch die Verbesserung des Schutzniveaus gelten allgemein als "Nicht Wesentliche Veränderung".

Aber wann ist nun ein Umbau einer Roboteranlage eine Wesentliche Veränderung? Die o. g. Aussagen beinhalten naturgemäß einen weiten Graubereich. Die aktuelle Fachmeinung zum Thema "Wesentliche Veränderung von Maschinen" geht heute vor allem von folgender Kernfrage aus:

Kommen durch den Umbau neue Risiken in erheblichem Umfang hinzu, welche mit dem vorhandenen Schutzkonzept nicht vereinbar sind?

Wenn diese Frage mit ja beantwortet werden kann, handelt es sich um eine Wesentliche Veränderung, die eine neue EG-Konformitätsbewertung erfordert. Die Entscheidung obliegt demjenigen, in dessen Namen eine Roboteranlage geändert/verändert wird und ist mit aller Sorgfalt zu treffen.

Wichtig ist, dass im Falle einer Nicht Wesentlichen Veränderung die Umbaumaßnahmen an einer bestehenden Anlage grundsätzlich so durchgeführt werden, dass die geänderten/veränderten Teile der aktuellen/neuen Vorschriftenlage entsprechen. Das lässt sich nicht immer vollständig erreichen, z. B. bei der Berechnung der Performance Level für Steuerungen. Jedoch sollten zumindest die ausgewählten Komponenten dem aktuellen, neuen Stand der Sicherheitstechnik entsprechen.

"Performance Level = Diskreter Level, der die Fähigkeit von sicherheitsbezogenen Teilen einer Steuerung spezifiziert, eine Sicherheitsfunktion unter vorhersehbaren Bedingungen auszuführen" (siehe auch Abschnitt 4.3).

Diese Vorgehensweise ist insoweit von Bedeutung, als dass mit jedem Umbau auch eine Verbesserung der Sicherheit der Gesamtanlage einhergeht, obwohl dies streng genommen nach Betriebssicherheitsverordnung nicht gefordert wird. Wenn die geänderten Teile an einer bestehenden Anlage jedoch weitgehend dem heutigen Stand der Technik bzw. den Anforderungen der Maschinen-RL entsprechen, verliert die Frage zunehmend an Bedeutung, ob es sich um eine Wesentliche Veränderung handelt oder nicht. In der Praxis handelt es sich erfahrungsgemäß in den meisten Fällen um Nicht Wesentliche Veränderungen.

Hierbei ist unbedingt festzuhalten, dass auch für Nicht Wesentliche Veränderungen ein rechtlicher Rahmen existiert, nämlich der nach der Betriebssicherheitsverordnung. Danach ist derjenige, der den Umbau veranlasst, verpflichtet - ähnlich wie nach Maschinenrichtlinie - eine Gefährdungsbeurteilung durchzuführen und zu dokumentieren. Auch außerordentliche Sicht- und Funktionsprüfungen sind vorzusehen.

Die Pflicht zur Dokumentation gilt somit für Wesentliche Veränderungen und Nicht Wesentliche Veränderungen gleichermaßen. Dies umfasst z. B. die Ergänzung der Gefährdungsbeurteilungen/Risikobeurteilungen, Schaltpläne, Betriebsanleitungen, SPS-Programme, Wartungs- und Inspektionsanleitungen, Instandhaltungsanleitungen und ggf. Reinigungshinweise. Im Fall einer Wesentlichen Veränderung ist zusätzlich eine neue EG-Konformitätserklärung auszustellen.

Abschließend sei darauf hingewiesen, dass auch die Dimension eines Umbaus eine Rolle spielt. Wird bei einem Umbau praktisch eine neue Anlage errichtet, kommt dies einem erstmaligem Inverkehrbringen gleich, mit den entsprechenden Rechtsbestimmungen nach EG-Richtlinien (siehe auch nachfolgende Beispiele).

Beispiele für Nicht Wesentliche Veränderungen

  • In einer Roboteranlage mit manueller Zuführung von Werkstücken (z. B. Einlegen der Teile in einen Drehtisch) werden dem ursprünglichen Greifer aufgrund einer Erweiterung des Teilespektrums weitere Greifer hinzugefügt (feste Anflanschung der verschiedenen Greifer).

    Auch die Änderung des Greiferflansches in ein Greiferwechselsystem würde noch keine Wesentliche Veränderung begründen, da in beiden Fällen keine Wesentliche Veränderung der Gefährdungs- und Risikosituation nach den o. g. Kriterien für Bedien- oder Programmierpersonal damit einhergeht.

  • Bei einer Roboteranlage (ein oder mehrere Roboter), z. B. für Bahnschweißen, werden von einem Kunden erhöhte Anforderungen an die Schweißnahtgüte gestellt. Die Anlage wurde ohne eine Möglichkeit für die Prozessbeobachtung unter realen Produktionsbedingungen geplant und gebaut.

    Die Nachrüstung der Prozessbeobachtungsfunktion in der Anlage ist keine Wesentliche Veränderung, da diese Funktion keine neuen Risiken in erheblichem Umfang hervorruft. Diese Zusatzfunktion, die auch in der einschlägigen Normung zugelassen wird, stellt letztlich auch eine Verbesserung der Sicherheit der Anlage dar, da der Anreiz zur Manipulation genommen wird. Siehe auch EN ISO 10218-2, Abschnitt 5.5.4.

Beispiele für Wesentliche Veränderungen

  • Eine Roboteranlage mit Vakuumgreifer zum Verpacken von Teilen in Kartons wird in eine Schweißroboteranlage umgebaut. Diese völlig veränderte Funktion mit vollkommen neuen und gravierenden Risiken begründet eine grundlegend neue Anlagenkonzeption. Eine derart Wesentliche Veränderung erfordert eine neue Risikobeurteilung und Betriebsanleitung sowie die Neuausstellung einer EG-Konformitätserklärung.

    Die technische Dokumentation ist entsprechend dem neuen Stand der Sicherheitstechnik anzupassen.

  • Eine Roboteranlage wird innerhalb des bestehenden Schutzzaunes fast vollständig demontiert und verschrottet. Innerhalb dieses Schutzzaunes entsteht eine neue Roboteranlage, die jedoch mit ähnlichen Risiken aufwartet wie dies bei der bisherigen Anlage schon der Fall war. In diesem Fall spielt die Dimension des Umbaus eine Rolle, da hier nicht mehr von einem Umbau gesprochen werden kann, sondern vom Inverkehrbringen einer neuen Anlage. In diesem Fall muss trotz der nicht gravierenden Risikoveränderung eine neue EG-Konformitätsbewertung durchgeführt werden. Das heißt, es ist eine neue Risikobeurteilung und eine neue Betriebsanleitung anzufertigen. Eine neue EG-Konformitätserklärung ist auszustellen.

Zusatzinformation:

Im Fall einer Wesentlichen Veränderung müssen Roboter und Roboteranlagen den aktuell geltenden Rechtsvorschriften entsprechen. Dazu zählt die EN ISO 10218 Teile 1 und 2, welche auch die Steuerungsnorm

EN ISO 13849-1 mit Performance Level d beinhaltet. Die sicherheitsrelevanten Steuerungen müssen jedoch im Fall einer Wesentlichen Veränderung noch nicht zwingend dem Schutzniveau dieser Norm angepasst werden, da dies aufgrund der fehlenden Datenbasis zur Berechnung der Performance Level meistens nicht möglich ist. Es genügt in diesem Fall, wenn die sicherheitsrelevanten Stromkreise einer Roboteranlage wie z. B.:

  • Not- Halt

  • Zustimmungseinrichtung

  • Berührungslos wirkende Schutzeinrichtungen (z. B. Lichtschranken, Laserscanner)

  • Taktile Schutzeinrichtungen (z. B. Schaltmatten, Schaltplatten, Schaltleisten)

  • Ortsbindende Schutzeinrichtungen (z. B. Zweihandschaltungen)

  • Türüberwachungsschaltungen mit und ohne Zuhaltung

  • Sicherer Einzelbetrieb eines Roboters bei Anlagen mit mehreren Robotern (z. B. zu Programmierzwecken oder Nachjustage)

mindestens der Kategorie 3 gemäß EN 954-1 entsprechen (Zweikanaligkeit).

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Abb. 18 Pressenverkettung [I]

Dies gilt auch für Nicht Wesentliche Veränderungen, wenn z. B. neue Roboter in bestehenden Altanlagen erneut verwendet werden [18].

Siehe hierzu auch Abschnitt 4.

Automatisierung von Altmaschinen

In vielen Fällen werden Altmaschinen automatisiert, z. B. durch Roboterbeschickung anstelle manueller Beschickung an Bearbeitungsmaschinen. In einem solchen Fall stellt sich die Frage, ob eine getrennte Bewertung möglich ist:

  • Teil A: Automation, bestehend aus Roboter, Greifer, Zuführsystemen, Umzäunung usw. nach den Anforderungen für Neumaschinen (Maschinenrichtlinie/CE).

  • Teil B: Altmaschine nach den geltenden Anforderungen für Altmaschinen (Betriebssicherheitsverordnung und Unfallverhütungsvorschriften).

Eine solche Vorgehensweise ist geeignet, wenn die sicherheitsrelevanten Schnittstellen klar beschreibbar sind. Die Schnittstellen sind z. B. solche für Not-Halt- und Schutztürkreise. Sie müssen durch Schaltpläne genau dokumentiert werden, sodass jederzeit ersichtlich ist, wie die Signale von Maschine A an Maschine B und umgekehrt weitergegeben werden. Es sollte ggf. Beratung durch den zuständigen Unfallversicherungsträger eingeholt werden.