DGUV Information 214-022 - Industriereinigung Schutzmaßnahmen und arbeitsmedizinische Vorsorge

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Abschnitt 9.2 - 9.2 Erste Hilfe

Die Grundsätze der Ersten Hilfe sind im dritten Abschnitt, Kapitel 4 der Unfallverhütungsvorschrift "Grundsätze der Prävention" (BGV A1) niedergelegt. Erläuterungen und Interpretationshilfen bietet die BGI 509 (Erste Hilfe im Betrieb).

Wirkungsvolle Hilfe kann nur leisten, wer gelernt hat im Unglücksfall zielgerichtet zu handeln.

9.2.1
Verantwortung des Unternehmers

Daher legen die Vorschriften der Berufsgenossenschaften Personal, Material und Organisation der Ersten Hilfe im Betrieb detailliert fest. Verantwortlich für die Umsetzung dieser Vorschriften im Betrieb ist der Unternehmer, der dafür zu sorgen hat, dass qualifiziertes Personal und geeignetes Material zur Verfügung stehen. Darüber hinaus hat er dafür zu sorgen, dass

  • nach einem Unfall unverzüglich Erste Hilfe geleistet und eine erforderliche ärztliche Versorgung veranlasst wird,

  • Verletzte sachkundig transportiert werden,

  • den Versicherten aktuelle Hinweise zur Ersten Hilfe, zu Einrichtungen, Personal, Ärzten und Krankenhäusern zur Verfügung stehen

  • und jede Erste-Hilfe-Leistung dokumentiert wird.

Weiterhin hat er darauf hinzuwirken, dass Versicherte

  • dem Durchgangsarzt vorgestellt werden,

  • bei schweren Verletzungen einem der von den BGen bezeichneten Krankenhäuser zugeführt werden und

  • bei Vorliegen einer Augen- oder HNO-Verletzung dem nächst erreichbaren Facharzt vorgestellt werden.

Eine Menge Aufgaben für den Unternehmer, die er eigentlich nur durch die fachkundige Beratung und tatkräftige Unterstützung seines Betriebsarztes verantwortlich wahrnehmen kann.

9.2.2
Maßnahmen, Material und Personal

Der Organisationsrahmen der Ersten Hilfe ist abhängig von Betriebsgröße und -struktur. Die erforderlichen Maßnahmen beginnen mit der Sicherstellung geeigneter Notrufmöglichkeiten. Eine öffentliche Notrufzentrale muss auch außerhalb der üblichen Betriebs- und Arbeitszeit immer erreicht werden können. Auch muss gewährleistet sein, dass der Rettungsdienst unverzüglich die Unfallstelle erreichen kann. Je nach Betriebsgröße ist für diese Maßnahmen ein Alarmplan unerlässlich.

Die Notwendigkeit und Anzahl von Sanitätsräumen (§25, Abs. 4), Erste-Hilfe-Material (§25, Abs. 2), Ersthelfern (§26) und Betriebssanitätern (§27) ist in der BGV A1 genau definiert. Im Folgenden soll daher nur auf die wesentlichen Aspekte eingegangen werden.

Die Notwendigkeit von Sanitätsräumen richtet sich nicht nur nach der Anzahl der Beschäftigten, sondern auch nach der Art des Unfallgeschehens. So gelten für Baustellen strengere Vorschriften als für Verwaltungsbetriebe.

Erste-Hilfe-Material in Verbandkästen bedarf der ständigen Kontrolle. Natürlicher Schwund durch Verbrauch und unerklärbare Verluste bedingen die Nachrüstung ebenso wie das Erreichen des Verfalldatums. Nach dem Medizinproduktegesetz (MPG) dürfen Verbandmittel mit CE-Kennzeichnung, im Gegensatz zu älteren Vorschriften, nach Erreichen des Verfalldatums weder in Verkehr gebracht noch angewendet werden. Andererseits brauchen die Produkte aber kein Verfalldatum mehr zu führen. In einem solchen Fall ist jedoch die regelmäßige Kontrolle des Zustandes auch durch Stichproben erforderlich.

9.2.3
Ersthelfer und Betriebssanitäter

Häufiger Streitpunkt mit den Berufsgenossenschaften ist die vorgeschriebene Anzahl der Ersthelfer. Auch Kleinbetriebe mit weniger als 20 "anwesenden Versicherten" müssen einen in Erster Hilfe ausgebildeten Mitarbeiter nachweisen können. Die Verpflichtung zur Bestellung eines Ersthelfers beginnt aber erst bei zwei anwesenden Versicherten. Der Begriff "anwesende Versicherte" bezieht sich dabei auf einen Arbeitsplatz. Wenn also Versicherte in Kleingruppen auf mehrere Arbeitsstätten ohne räumlichen Zusammenhang aufgeteilt sind, muss der Vorschrift entsprechend jede dieser Kleingruppen über einen Ersthelfer verfügen. Zwar können die Berufsgenossenschaften Ausnahmen zulassen, dies bedarf jedoch einer individuellen Prüfung. In jeder Industriereinigergruppe muss sich also mindestens ein Ersthelfer befinden. Das bedingt meist die Notwendigkeit, mehr als die mindestens vorgeschriebenen 10 % der Beschäftigten ausbilden zu lassen.

Die Ausbildung zum Ersthelfer erfolgt regelmäßig in einem acht Doppelstunden umfassenden Lehrgang durch eine dafür ermächtigte Stelle. Ein Auffrischungslehrgang über vier Doppelstunden muss spätestens alle zwei Jahre durchgeführt werden. Keinesfalls reichen die "Sofortmaßnahmen am Unfallort" im Rahmen der Führerscheinausbildung der Klasse B zur Qualifikation als Ersthelfer. Andererseits kann die Erste-Hilfe-Ausbildung, die Bewerber für den Klasse C-Führerschein durchlaufen müssen, anerkannt werden, sofern sie den berufsgenossenschaftlichen Anforderungen entspricht. Für die erforderliche Fortbildung ist dann allerdings noch Sorge zu tragen.

Die für die Ersthelfer-Aus- und Fortbildung ermächtigten Stellen rechnen die Kosten der Ausbildung nach einem festgelegten Verfahren mit den Berufsgenossenschaften ab.

Ab einer bestimmten Betriebsgröße sind neben den Ersthelfern durch den Unternehmer auch Betriebssanitäter vorzuhalten. Ebenfalls sind hier die Vorschriften für Baustellen bereits ab 100 Versicherten enger gefasst. Die Anforderungen an Aus- und Fortbildung sind erheblich höher als an einen Ersthelfer.

Bestehen in einem Unternehmen Besonderheiten, die bei Unfällen zusätzliche Kenntnisse und Maßnahmen erfordern, z.B. der Umgang mit Gefahr- oder Biostoffen, hat der Unternehmer für eine zusätzliche Aus- und Fortbildung zu sorgen. Diese Zusatzausbildung ist nicht an eine ermächtigte Stelle gebunden und kann z.B. vom Betriebsarzt vorgenommen werden.

9.2.4
Notfallübungen

Der Unternehmer ist verpflichtet, alle Versicherten (nicht nur die Ersthelfer) vor Aufnahme der Beschäftigung und danach mindestens einmal jährlich über das Verhalten bei Unfällen zu informieren. Darüber hinaus müssen den Versicherten Hinweise über Erste-Hilfe-Maßnahmen, Ersthelfer, Rettungseinrichtungen, Notrufmöglichkeiten, etc. zugänglich sein.

Handlungskompetenz entsteht nicht durch rein theoretisches Lernen. Zu einem sinn vollen Arbeitsschutzkonzept gehören Übungen unter Einbeziehung von Fachkraft für Arbeitssicherheit, Betriebsarzt und Ersthelfern. Am grünen Tisch ermittelte Rettungswege können lebensbedrohliche Konsequenzen haben, wenn sich erst im Ernstfall herausstellt, dass der Durchgang für die Krankentrage mit Patient und Rettungsgerät zu schmal, der Aufzug zu kurz oder der Aufgang zu steil ist. Fehler in der Informationsübermittlung, Schwächen in Alarmierungssystemen und Realitätsferne in Alarmplänen können nur durch regelmäßige - auch unangekündigte - Übungen aufgedeckt werden.

Vor der Übernahme von Aufträgen ist vor Ort zu prüfen, ob Alarmierungsmöglichkeiten und Rettungswege sichergestellt sind.

9.2.5
Das Verbandbuch

Gemäß § 24 Abs. (6) der BGV A1 hat der Unternehmer für eine Dokumentation aller Erste-Hilfe-Maßnahmen zu sorgen und diese Aufzeichnungen fünf Jahre lang aufzubewahren. Bewährt für diese Art der Dokumentation hat sich das so genannte Verbandbuch (BGI 511-1), dies schließt aber andere Möglichkeiten wie Karteikarten, EDV etc. nicht aus. Zeit, Ort und Hergang eines Unfalles oder Ereignisses, Art und Umfang der Verletzung/Erkrankung, Zeitpunkt und Art der Erste-Hilfe-Maßnahmen, Namen des Betroffenen, der Beteiligten, der Zeugen und der Ersthelfer sollen aus dem Dokument hervorgehen. Auch wenn, sofern vorhanden, der Werksarzt diese Aufzeichnung durchführt, handelt es sich dennoch nicht um Dokumente, die der ärztlichen Schweigepflicht unterliegen. Allerdings sind sie wie Personalunterlagen aufzubewahren. [BGI 511-1]

Die Versicherten sollen aufgefordert werden, alle - auch kleinere - Verletzungen während der versicherten Tätigkeit zur Eintragung im Verbandbuch vorzubringen. Dies erklärt sich mit dem eigentlichen Zweck der Dokumentation. Sie soll nämlich durch den Unternehmer oder seinen Beauftragten ausgewertet werden, um so eine Grundlage für verbesserte Vorsorgemaßnahmen zu erhalten. Unfallschwerpunkte sollen er mittelt und Gefahren für die Beschäftigten beseitigt werden. Daneben ist die Eintragung im Verbandbuch häufig Beweismittel gegenüber der Berufsgenossenschaft als gesetzlichem Unfallversicherungsträger über einen Arbeitsunfall. Dies gilt besonders für kleinere Verletzungen, die zunächst bagatellisiert und keiner D-ärztlichen Versorgung zugeführt wurden, später aber durch Komplikationen, wie z.B. Infektionen der Wunde, zu Arbeitsunfähigkeit oder gar Körperschäden führen können.

9.1.5
Besonderheiten der Ersten Hilfe bei Industriereinigern

  1. a)

    kontaminierte Bereiche:

    Industriereinigung überschneidet sich häufig mit Arbeit in kontaminierten Bereichen (s. dazu auch BGR 128). Daraus ergeben sich Konsequenzen bezüglich möglicher toxikologischer und infektiologischer Probleme. Es ist zu prüfen, ob die Beschäftigten einen Notfallausweis mitführen müssen. An die rasche sterile Abdeckung von Verletzungen muss vorrangig gedacht werden. Alle Verletzungen bedürfen einer ärztlichen Kontrolle. Im Rahmen der Erstuntersuchung ist auch der Impfstatus zu erfassen und ggfs. zu ergänzen.

  2. b)

    Verwendung von Hochdruckreinigern:

    Verletzungen durch Flüssigkeitsstrahl aus einem Hochdruckreiniger sind immer als lebensbedrohlich anzusehen, egal welcher Körperteil betroffen ist. Die Eintrittswunde ist oft unscheinbar und verleitet zur Bagatellisierung der Verletzung. Oft kommt es zur Zerreißung innerer Organe oder Zerstörung von Muskelgewebe sowie zur Einbringung großer, meist verunreinigter Flüssigkeitsmengen und zu inneren Blutungen.

Besonders wichtig:

  • Schockbekämpfung

  • Freihalten der Atemwege

  • Überwachung und Sicherstellung der Vitalfunktionen

  • Transport ins Krankenhaus (D-Arzt) durch den Rettungsdienst Dort ist der aufnehmende Arzt auf die Art der Verletzung aufmerksam zu machen. Insbesondere wenn kein D-Arzt zur Verfügung steht, hilft eine Infokarte, die jeder, der mit Hochdruckreinigern arbeitet, unbedingt bei sich tragen sollte.

Ein Muster dazu folgt unten.

Hochdruck-Unfall

Der Träger dieser Karte hat mit einem Hochdruckflüssigkeitsstrahler mit einem Wasserdruck von bis zu 4000 bar und einer Wasserstrahlgeschwindigkeit von bis zu 1.000 m/s (3.600 km/h) gearbeitet.

Die vorliegende Verletzung muss als akuter chirurgischer Notfall gewertet und durch einen Unfallchirurgen (D-Arzt) behandelt werden.

Es kann zu äußeren Verletzungen wie langen Risswunden oder winzigen, mit einer blassen Schwellung umrandeten Einstichen kommen. Es muss davon ausgegangen werden, dass tiefer liegendes Muskelgewebe bzw. innere Organe verletzt worden sind.

Erste Hilfe

  • Wiederbelebungsmaßnahmen und Schockbehandlung

  • Blutungen stoppen und steril abdecken

  • Verletzte Körperstelle wie Brüche stützen und ruhig stellen

  • Bei Rumpfverletzungen den Patienten in stabiler Seitenlage versorgen und die Atemwege freihalten

Krankenhaus/Unfallchirurgie

  • Die äußere Wunde ist so herauszuschneiden, dass untersucht werden kann, wie der Strahlkanal im Körper verläuft.

  • Umfangreiche chirurgische Dekompressionen und Wundsäuberung sind insbesondere bei Hand- und Fußverletzungen durchzuführen.

  • Bei Bauchverletzungen die inneren Organe auf multiple Risswunden und Penetrationen untersuchen. Vorsicht! Äußere Verletzungen können kaum größer als punktförmige Einstiche sein.

  • Das eingedrungene Wasser kann mit Verunreinigungen belastet sein! Eventuell Abstriche und Blutkulturen anlegen.