Abschnitt 4.2 - 4.2 Gefahrstoffermittlung
Chemische Gefährdungen bei Reinigungsarbeiten resultieren im Wesentlichen aus gesundheitsgefährlichen Stoffen, die
zur Reinigung eingesetzt werden
am Einsatzort vorhanden und gegebenenfalls zu beseitigen sind (Bestandteil der Reinigungsaufgabe)
während der Reinigung entstehen
Abb. 4-1:
Gefahrstoffe im Arbeitsbereich des Industriereinigers
Gefahrstoffe | ||
---|---|---|
Eingesetzt zur Reinigung | Bei der Reinigung zu beseitigen oder aus technischen Gründen im Einsatzbereich vorhanden | Durch die Reinigungstechnik freiwerdende oder durch Reaktion mit Reinigungsmitteln entstehende Stoffe |
z.B. Säuren, Laugen, Lösungsmittel | z.B. Stäube, Schlacken, Schlämme, bituminöse Stoffe, Laugen, Säuren u.a. | z.B. explosionsfähige Stäube, Gase |
Aus der Aufstellung geht hervor, dass nur durch die Zusammenarbeit von Auftraggeber und -nehmer ein vollständiges Bild der Gefahrstoffsituation entstehen kann.
Beim Einsatz von Chemikalien oder Reinigungsmitteln zur Reinigung können Reaktionen mit vorhandenen Gefahrstoffen die Folge sein. Denkbar ist beispielsweise das Entstehen giftiger Gase aus der Mischung verschiedener Chemikalien, insbesondere bei Beteiligung von Säuren und/oder Laugen. In besonderen Fällen ist die Entstehung von giftigen Gasen oder explosionsfähiger Atmosphäre durch die Anwendung von Wasser denkbar. Im Anhang sind Listen mit Chemikalien abgedruckt, die keinesfalls mit Wasser behandelt werden dürfen.
4.2.1
Pflichten von Auftraggeber und Auftragnehmer
Sowohl Auftraggeber als auch Auftragnehmer haben bezüglich der Gefahrstoffsituation Ermittlungs- und Sorgfaltspflichten zu erfüllen.
Der Auftraggeber muss vor Beginn des Einsatzes die vorhandenen Gefahrstoffe und die von ihnen ausgehenden Gefährdungen zusammenstellen bzw. ermitteln, und er muss dem Auftragnehmer diese Informationen in einer Dokumentation zur Verfügung stellen.
Eine mögliche Gruppierung ist im Abschnitt 4.3 ("Leitkomponente") angegeben.
Vorhandene Sicherheitsdatenblätter sind dem Auftragnehmer zur Verfügung zu stellen.
Der Auftragnehmer ist verpflichtet,
- a)
über die von ihm eingesetzten Gefahrstoffe (in Reinigungsmitteln etc.) eine Liste zu führen und beim Einsatz dieser Stoffe die entsprechenden Maßnahmen zu treffen (siehe Abschnitt 4.2.2)
- b)
die Angaben des Auftraggebers und die Sicherheitsdatenblätter auf Vollständigkeit zu überprüfen
Der Auftragnehmer ist weiterhin verpflichtet, den Auftraggeber zur Ermittlung der eventuell "Entstehenden Stoffe" heranzuziehen.
4.2.2
Gefährdungsbeurteilung nach Gefahrstoffverordnung
Die Gefahrstoffverordnung stuft Tätigkeiten mit Gefahrstoffen in vier Schutzstufen ein. Jeder Schutzstufe sind Schutzmaßnahmen zugeordnet, wobei die Stufen aufeinander aufbauen, d.h. die Maßnahmen der niedrigeren Stufen sind stets auch umzusetzen.
Welche Schutzstufe für die Tätigkeit gilt, hängt von der Gefährdungsbeurteilung ab, die von einer fachkundigen Person durchzuführen ist. Das Ergebnis der Gefährdungsbeurteilung ist zu dokumentieren.
In die Gefährdungsbeurteilung sind u.a. einzubeziehen
gefährliche Eigenschaften der Stoffe
Ausmaß, Art und Dauer der Exposition
physikalisch-chemische Wirkungen
Möglichkeit der Substitution (Ersatz)
Arbeitsbedingungen und -verfahren
Arbeitsplatzgrenzwerte
Wirksamkeit der getroffenen oder zu treffenden Schutzmaßnahmen
Wichtig: Arbeiten dürfen nur bei Vorliegen einer Gefährdungsbeurteilung durchgeführt werden!
Für den Industriereiniger herrschen vor Ort teilweise Bedingungen, unter denen nicht alle Schutzmaßnahmen sinnvoll umsetzbar sind. Umso mehr muss auf die Umsetzung der anwendbaren Schutzmaßnahmen Wert gelegt werden!
Schutzstufe 1: geringe Gefährdung
Eine niedrige Gefährdung liegt beispielsweise bei der Tätigkeit mit Stoffen in nur geringer Menge vor, wenn nur kurze Zeit damit gearbeitet wird und wenn keine erhöhte Exposition zu erwarten ist.
Schutzstufe 2: Grundmaßnahmen
Die in der Schutzstufe 2 bezeichneten Schutzmaßnahmen werden auch als "Grundmaßnahmen" bezeichnet. Dies bedeutet, dass bei Tätigkeiten mit Gefahrstoffen in der Regel von (mindestens) dieser Schutzstufe auszugehen ist.
Schutzstufe 3: Hohe Gefährdung
Diese Schutzstufe ist z.B. dann zutreffend, wenn mit T oder T+ gekennzeichnete Stoffe zum Einsatz kommen.
Schutzstufe 4
Gilt für Tätigkeiten mit krebserzeugenden, erbgutverändernden und fruchtbarkeitsgefährdenden Stoffen.
4.2.2.1
Zuordnung der Schutzstufe und Auswahl der Schutzmaßnahmen
Die praktische Annäherung an das Schutzstufenkonzept kann entweder rückwärts erfolgen, d.h. es wird Schutzstufe 4 angenommen und dann durch Überprüfen der Kriterien (krebserzeugende, mutagene, fruchtbarkeitsschädliche Stoffe: nein? → Stufe 3; giftige oder sehr giftige Stoffe: nein? → Stufe 2) weiter gearbeitet. Diese Möglichkeit gilt vielfach als Methode der Wahl.
Eine andere plausible Möglichkeit ist die Schutzstufe 2 als "Grundannahme", da in der Praxis viele Tätigkeiten hier angesiedelt sind. Von hier aus wird überprüft, ob eine der anderen Schutzstufen zutrifft (Abb. 4-2).
Abb. 4-2: Schutzstufen-Zuordnung nach Gefahrstoffverordnung (Abk.: KMR = krebserzeugende/fruchtschädigende Stoffe); AGW = Arbeitsplatzgrenzwert, VSK = Verfahrensspezifisches Kriterium)
Abb. 4-3: Schutzstufen-Schema der Gefahrstoffverordnung mit Schutzmaßnahmen
4.2.3
Eingesetzte Gefahrstoffe
Der Unternehmer ist verpflichtet, zu ermitteln, welche der in der Reinigungsfirma vorhandenen Arbeitsmittel Gefahrstoffe sind und diese in einem Verzeichnis zu erfassen (§ 7 GefStoffV). Folgende Gefahrstoffe sind z.B. auf Seiten des Auftragnehmers denkbar:
Säuren, Laugen (zum Reinigen, Entrosten)
Seifen, Tenside
Lösungsmittel, Entfettungsmittel
Schmiermittel für Arbeitsgeräte
Kraftstoffe für Arbeitsgeräte
Das Verzeichnis soll Bezug auf das Sicherheitsdatenblatt nehmen. Beispiel für ein einfaches Gefahrstoffverzeichnis:
Gefahrstoffverzeichnis | Blatt-Nr. | ||||
---|---|---|---|---|---|
Lfd. Nr. | Bezeichnung des Arbeitsstoffes, Hersteller und Verwendungszweck | Kennzeichnung: Gefahrensymbol und Bezeichnung | Kennzeichnung: R-Sätze (Hinweise auf besondere Gefahren) | Kennzeichnung: S-Sätze (Sicherheitsratschläge) | Verarbeitete Mengen; Verarbeitungsart |
Neben der Bezeichnung wird der Hersteller oder Lieferant eingetragen, was die spätere Anforderung von Informationen erleichtert. Durch die Kennzeichnung und die R-Sätze wird die Art der Gefährdung festgehalten, die Schutzmaßnahmen (S-Sätze) werden sinnvollerweise hier ergänzt. Die Angaben über die verarbeiteten Mengen und die Verarbeitungsart (z.B. Auftragen von Hand, Aufsprühen u.ä.) ermöglichen Aussagen über die Gefährdung. [§ 14 GefStoffV, TRGS 220]
Verschiedene Vorlagen für Gefahrstoffverzeichnisse finden Sie im Internet unter www.gefahrstoffe-im-griff.de/58.htm.
Für jeden vorhandenen Gefahrstoff muss ein Sicherheitsdatenblatt in deutscher Sprache vorliegen. Nicht vorhandene müssen beim Hersteller angefordert werden; der ist verpflichtet, die Sicherheitsdatenblätter kostenlos zur Verfügung zu stellen.
Vorhandene Gefahrstoffe müssen erkennbar gekennzeichnet sein. Die Kennzeichnung muss enthalten:
- 1.
Die Bezeichnung des Stoffes oder der Zubereitung (Handelsname).
- 2.
Die chemischen Bezeichnungen der enthaltenen gefährlichen Stoffe.
- 3.
Gefahrensymbol(e) und die dazugehörigen Gefahrenbezeichnungen.
- 4.
Hinweise auf die besonderen Gefahren, die von dem Arbeitsstoff ausgehen (R-Sätze).
- 5.
Sicherheitsratschläge für den gefahrlosen Umgang mit dem Arbeitsstoff (S-Sätze).
- 6.
Name und Anschrift dessen, der den Arbeitsstoff hergestellt oder eingeführt hat oder der den Arbeitsstoff vertreibt.
Falls es unerlässlich ist, Stoffe für den jeweiligen Einsatz umzufüllen um z.B. nur den Tagesbedarf mit zu führen, ist zu beachten:
Erforderliche Schutzmaßnahmen beim Umfüllen nach Sicherheitsdatenblatt anwenden, je nach Stoff z.B. Schutzhandschuhe, Schutzbrille, Belüftung!
Geeignete, fest verschließbare Gefäße verwenden!
Sicher transportieren! (Unter Umständen ist Gefahrgutrecht anzuwenden.)
Eindeutige Inhalts-Kennzeichnung und Gefahren-Kennzeichnung!
Problematisch ist die Kennzeichnung von Sprühflaschen und Kanistern, die mehrfach genutzt werden. Durch Feuchtigkeit und die verwendeten Reinigungsmittel lösen sich Etiketten und Beschriftungen innerhalb kürzester Zeit ab, so dass nur noch erfahrene Mitarbeiter "wissen", was der jeweilige Behälter beinhaltet. Die anderen "ahnen", "raten" oder nehmen die Nase zur Hilfe ...! Nichts davon ist akzeptabel!
Abhilfe könnte z.B. ein laminierter Kunststoffkragen schaffen, der um den Flaschenhals gelegt wird und die wichtigsten Informationen enthält. Durch die Laminierung kann die Kennzeichnung nicht angegriffen werden.
Abb. 4-4: Vorschlag für ein Markierungssystem mit laminierten "Krägen"
Auf der Basis der Sicherheitsdatenblätter und der Angaben auf der Verpackung müssen außerdem Betriebsanweisungen erstellt werden. Beispiel im Anhang. [§ 14 GefStoffV]
Die Betriebsanweisung muss an geeignetem Ort bekannt gemacht werden.
Arbeitnehmer, die beim Umgang mit Gefahrstoffen beschäftigt werden, müssen anhand der Betriebsanweisung über die auftretenden Gefahren sowie über die Schutzmaßnahmen unterwiesen werden. Die Unterweisungen müssen vor der Beschäftigung und danach mindestens einmal jährlich mündlich und arbeitsplatzbezogen erfolgen. Inhalt und Zeitpunkt der Unterweisungen sind schriftlich festzuhalten und von den Unterwiesenen durch Unterschrift zu bestätigen (Vordruck im Anhang). Der Nachweis der Unterweisung ist zwei Jahre aufzubewahren.
Die Suche nach ungefährlicheren Ersatzstoffen zählt zu den Unternehmerpflichten nach der Gefahrstoffverordnung ("Substitutionsgebot", § 7 Gefahrstoffverordnung).
Für manche Zwecke lassen sich statt lösungsmittelhaltiger Produkte auch Mittel auf Wasserbasis anwenden. Statt ätzender Reinigungsmittel können mechanische Methoden in Frage kommen.
4.2.4
Gefahrstoffe am Einsatzort
Der Auftraggeber ist, wie in Abschnitt 4.2.1 "Pflichten von Auftraggeber und Auftragnehmer" erläutert, für die Ermittlung und Dokumentation der Gefahrstoffe vor Ort verantwortlich.
Die Praxis zeigt jedoch, dass der Auftragnehmer beim Arbeitsbeginn nicht immer alle erforderlichen Informationen erhalten hat, z.B. aus Zeitmangel.
Da ein Auftrag ohne vorangegangene Ermittlung der vorhandenen Gefahrstoffe nicht ausgeführt werden darf, kann es sinnvoll sein, mit eigenen Vorkenntnissen über die Gefahrstoff-Situation vor Ort an den Auftraggeber heranzutreten und diese dann gemeinsam zu vervollständigen.
Diese nachfolgende Aufstellung soll helfen, die vorhandenen Gefahrstoffe einzuschätzen.
Bleibt die Datenlage unsicher, müssen Schutzmaßnahmen ausgewählt werden, die den ungünstigsten denkbaren Fall berücksichtigen.
4.2.4.1
Kenntnisse über den Auftraggeber - mit welchen Gefahrstoffen ist zu rechnen?
Es ist in Erfahrung zu bringen, welche Produkte der Auftraggeber herstellt, verarbeitet bzw. transportiert. Die Kenntnis der Produkte erlaubt oft Rückschlüsse auf mögliche Gefahrstoffe innerhalb des Betriebes, mit denen Beschäftigte des Auftragnehmers in Kontakt kommen könnten. Sollte das Produkt selbst ein Gefahrstoff sein, ist zumindest Kontakt mit diesem anzunehmen.
Tabelle 1:
Mögliche Gefahrstoffe bei der Industriereinigung
Betrieb/Anwendung | Mögliche Hilfsstoffe/Gefahrstoffe im Betrieb |
---|---|
Raffinerie | Erdöl, schwerflüchtige und leichtflüchtige Kohlenwasserstoffe (Benzol!), evt. Säuren und Entfettungsmittel (chlorierte Kohlenwasserstoffe), PAH |
Stahl/Hütte | Eisenerz mit Begleitmetallen, schwermetallhaltiger Staub, Kohle(staub), Koks, anorganische Gase (CO), Entfettungsmittel |
Holzverarbeitung, Möbelherstellung | Holzstaub, Kleber (Lösungsmittel), Farben (Lösungsmittel), Fungizide |
Metallverarbeitung | Öle, Schmiermittel, Kühlschmierstoffe, Entfettungsmittel, Metallstäube |
Kälteanlagen | Ammoniak |
Wasseraufbereitung | Chlor, Ozon, Wasserstoffperoxid, Bakterien |
Fäulnisprozesse, Vergärung | Methan, Schwefelwasserstoff, Sauerstoffmangel |
Batterien | Schwefelsäure |
Siehe auch Abschnitt 4.3 - Gemische von Gefahrstoffen - Leitkomponente.
4.2.4.2
Staubexplosion
Unter ungünstigen Umständen kann durch die Aufwirbelung von Staub eine Staubexplosion entstehen. Es wird auf die Staubexplosions-Datenbank der Berufsgenossenschaften verwiesen, in der Kenndaten für viele staubförmige Stoffe vorliegen. [GESTIS Staub-Ex]
4.2.4.3
Messungen von Gefahrstoffen in Arbeitsbereichen
Für Gefahrstoffe existieren Luftgrenzwerte (Arbeitsplatzgrenzwert; AGW). Sie sind in der TRGS 900 niedergelegt.
Im Zweifelsfall sind Gefahrstoffmessungen durchzuführen. Die Durchführung von Messungen kann bei zahlreichen Messinstituten oder - im Rahmen der Prävention - bei der zuständigen Berufsgenossenschaft in Auftrag gegeben werden.