TRBA 468 - TR Biologische Arbeitsstoffe 468

Online-Shop für Schriften

Jetzt bei uns im Shop bestellen

Jetzt bestellen

Abschnitt 3 TRBA 468 - Informationsermittlung und Gefährdungsbeurteilung

3.1 Informationsermittlung

(1) Die in dieser TRBA unter Abschnitt 5 aufgeführten Zelllinien mit den dazugehörenden Schutzstufen berücksichtigen den Stand der Wissenschaft bis 9/2021. Weitere Informationen zu Zellkulturen sind bei den Literaturhinweisen aufgeführt [2].

(2) Die Zuordnung der Tätigkeit mit der Zellkultur zu Schutzstufen erfolgt auf der Grundlage der Risikogruppeneinstufung der Zellkultur und der festgestellten oder nachgewiesenen zusätzlichen Biostoffe. Liegen keine zusätzlichen Biostoffe vor, erfolgt die Zuordnung ausschließlich entsprechend der Risikogruppe der Zellkultur. Die Einstufung der zusätzlichen Biostoffe in Risikogruppen erfolgt gemäß den Kriterien für die Einstufung von Biostoffen, siehe TRBA 450 "Einstufungskriterien für biologische Arbeitsstoffe" [3]. Ausführliche Listen der bisher eingestuften Biostoffe finden sich in den TRBA 460 bis 466 [4] und unter [5] bei den Literaturhinweisen.

3.2 Gefährdungsbeurteilung

(1) Für die Zuordnung der Zellkulturen zur Schutzstufe ist die Gefährdungsbeurteilung maßgebend. Sie ist nachfolgend an einigen Beispielen erläutert.

(2) Zellkulturen sind Biostoffe im Sinne der BioStoffV. Zellkulturen werden grundsätzlich in die Risikogruppe 1 eingestuft, da von den kultivierten eukaryontischen Zellen selbst keine Infektionsgefährdung ausgeht, auch nicht von Tumorzellkulturen, wie sich beim langjährigen Umgang gezeigt hat. Daher werden Tätigkeiten mit diesen Zellkulturen gemäß BioStoffV der Schutzstufe 1 zugeordnet (siehe TRBA 100 [1]).

(3) Allerdings können Zellkulturen zusätzliche Biostoffe einer höheren Risikogruppe enthalten, die zu einer höheren Schutzstufe (2 bis 4) führen können:

  1. 1.

    Bereits das Ausgangsmaterial für die Primärkultur kann Biostoffe einer höheren Risikogruppe enthalten, u. U. sogar integriert in das Genom der Zellen.

  2. 2.

    Die Zellkulturen können während eines Experimentes gezielt mit Biostoffen einer höheren Risikogruppe infiziert werden.

  3. 3.

    Die Biostoffe können während der vorangegangenen und laufenden Tätigkeiten unbeabsichtigt, z. B. durch Medienzusätze, in die Zellkultur eingeschleppt worden sein.

(4) Die Schutzstufe ergibt sich aus einer Gesamtbeurteilung der tätigkeitsbezogenen Gefährdung unter Berücksichtigung von Auftretenswahrscheinlichkeit, Möglichkeit der Abgabe infektiöser Partikel, Übertragungsweg, Menge und Infektiosität der Biostoffe und der Expositionssituation. Liegt hinsichtlich dieses zusätzlichen Biostoffes eine mit gezielten Tätigkeiten vergleichbare Gefährdung vor, ist die Schutzstufe entsprechend der Risikogruppe des zusätzlichen Biostoffes zu wählen. Liegt eine verglichen mit gezielten Tätigkeiten geringere Gefährdung vor, kann eine niedrigere Schutzstufe gewählt werden. Zur Vergleichbarkeit von gezielten und nicht gezielten Tätigkeiten siehe TRBA 100 [1].

(5) Folgende Informationen sind bei der Bewertung zugrunde zu legen:

  1. 1.

    Wird eine Zellkultur von einer anerkannten Zellkultursammlung (anerkannt im Sinne des OECD Guidance Document on Good In Vitro Method Practices (GIVIMP) [6]), z. B. in Deutschland dem Leibniz-Institut DSMZ-Deutsche Sammlung von Mikroorganismen und Zellkulturen GmbH 2, bezogen, können bei der Gefährdungsbeurteilung die mitgelieferten Angaben zu Kontaminanten/Infektionserregern zugrunde gelegt werden. Die Tätigkeiten können dann der Schutzstufe 1 zugeordnet werden, wenn von der Zellkultursammlung keine Infektionen oder Kontaminationen angegeben werden.

  2. 2.

    Wenn die Zellkulturen nachweislich (dokumentiert) infektions- und kontaminationsfrei sind oder die Zellkulturen trotz Infektionen oder Kontaminationen keine für den Menschen pathogenen Biostoffe abgeben und somit nach dem Stand der Wissenschaft eine Gefährdung der Beschäftigten ausgeschlossen ist, können die Tätigkeiten in der Schutzstufe 1 durchgeführt werden (siehe auch Nummer 4).

  3. 3.

    Tätigkeiten mit einer Zellkultur, von der bekanntermaßen zusätzliche Biostoffe abgegeben werden, deren Identitäten bekannt sind und die einer Risikogruppe (siehe TRBA 460 bis TRBA 466 [4] und unter [5] bei den Literaturhinweisen) zugeordnet sind, können eine mit gezielten Tätigkeiten vergleichbare Gefährdung aufweisen. Die Tätigkeiten sind dann entsprechend in der Schutzstufe durchzuführen, die der Risikogruppe des zusätzlichen Biostoffes entspricht (siehe Abschnitte 4.2 und 4.3, TRBA 100 [1]).

  4. 4.

    Humane und nicht humane Primatenzellkulturen (insbesondere Primärzellkulturen), deren Infektions- bzw. Kontaminationsstatus nicht bekannt ist, werden als potenziell infektiös angesehen. Deswegen sind entsprechende Tätigkeiten mindestens unter den Bedingungen der Schutzstufe 2 durchzuführen (siehe Abschnitt 4.4.1 TRBA 100 [1]).

  5. 5.

    Primäre humane Zellen von klinisch unauffälligen Spendern können in der Schutzstufe 1 gehandhabt werden, wenn durch geeignete Tests die Seronegativität des Spenders für das Humane Immundefizienzvirus (HIV), das Hepatitis-B-Virus (HBV) und das Hepatitis-C-Virus (HCV) nachgewiesen oder durch andere Verfahren gezeigt ist, dass die Zellen frei von diesen Viren sind.

  6. 6.

    Wenn ein begründeter Verdacht auf das Vorhandensein eines bestimmten Biostoffes einer höheren Risikogruppe in den zu verwendenden Primatenzellen besteht, ist auf diesen Biostoff zu prüfen oder direkt in der Schutzstufe zu arbeiten, die mit der Risikogruppe des vermuteten Biostoffes korrespondiert.

  7. 7.

    Tätigkeiten mit Zellkulturen aus Tieren (Primaten und Chiroptera ausgenommen) sind der Schutzstufe 1 zuzuordnen, wenn

    1. a)

      die Spendertiere keine Krankheitssymptome zeigen,

    2. b)

      die möglicherweise vorhandenen Biostoffe nicht pathogen für den Menschen sind oder

    3. c)

      die Spendertiere aus pathogenfreien Zuchten stammen.

  8. 8.

    Tätigkeiten mit Zellkulturen aus Ektoparasiten sind der Schutzstufe 1 zuzuordnen, wenn sichergestellt werden kann, dass sie nicht an einem infizierten Wirt parasitiert haben. Gibt es trotzdem einen begründeten Verdacht, dass eine Infektion mit einem humanpathogenen Erreger vorliegt, so sind die Tätigkeiten mindestens der Schutzstufe 2 zuzuordnen.

  9. 9.

    Primäre Zellen von Chiroptera sind, auch wenn die Tiere keine Krankheitssymptome zeigen, in der Schutzstufe 2 zu handhaben, es sei denn, sie sind nachweislich frei von Tollwutviren und anderen bei Chiroptera vorkommenden humanpathogenen Viren (z. B. Hendravirus, Nipahvirus, Coronaviren).

  10. 10.

    Wenn zu einem späteren Zeitpunkt eine Kontamination mit einem zusätzlichen Biostoff festgestellt wird, muss dies bei der Gefährdungsbeurteilung berücksichtigt werden.

  11. 11.

    Tätigkeiten mit pflanzlichen Zellen und Zellen, die nicht mit humanpathogenen Biostoffen infizierbar sind, sind der Schutzstufe 1 zuzuordnen.

  12. 12.

    Handelt es sich bei den zusätzlichen Biostoffen um neuentdeckte Biostoffe, mit zuvor nicht bekannten Virulenzfaktoren ausgestattete Biostoffe (ggf. auch pathogene Subtypen ansonsten apathogener Stämme) oder um solche Biostoffe, die bislang noch nicht eingestuft wurden, muss der Arbeitgeber gemäß § 3 Absatz 4 BioStoffV eine Einstufung nach dem Stand der Wissenschaft vornehmen.

  13. 13.

    Dient die Kultivierung der Zellen der gezielten Anreicherung von anderen Biostoffen, dann bestimmt die Risikogruppe des anderen Biostoffes die Schutzstufe.

(6) Bei Tätigkeiten mit Zellkulturen sind die Regeln der guten Zellkulturtechnik einzuhalten, um Kontaminationen mit Biostoffen höherer Risikogruppen während der Tätigkeit zu vermeiden.

(7) Werden trotzdem Kontaminationen mit Biostoffen einer höheren Risikogruppe festgestellt, sind die Biostoffe oder die Zellkultur durch geeignete Maßnahmen zu inaktivieren bzw. ist eine erneute Gefährdungsbeurteilung durchzuführen.

(8) Bei der Handhabung von Zellkulturen müssen ggf. weitergehende Maßnahmen zur Qualitätssicherung der Zellkulturen etabliert werden, die über die Forderungen des Arbeitsschutzes hinausgehen.

Hinweis: Bei zusätzlichen Biostoffen müssen ggf. die seuchenrechtlichen Bestimmungen des Infektionsschutz-, Tiergesundheits- oder Pflanzenschutzgesetzes beachtet werden. Darüber hinaus sind beim Versand oder Transport kontaminierter Zellkulturen inklusive der Medien die einschlägigen Bestimmungen des Transportrechts (Post, Straßen- und Flugverkehr u. a.) zu beachten.

Leibniz-Institut DSMZ: Inhoffenstraße 7B, 38124 Braunschweig, www.dsmz.de