TRGS 551 - TR Gefahrstoffe 551

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Abschnitt 6 TRGS 551 - Arbeitsmedizinische Prävention

6.1
Beteiligung des Betriebsarztes an der Gefährdungsbeurteilung

(1) Teer und andere Pyrolyseprodukte aus organischem Material können sich hinsichtlich ihrer Zusammensetzung aus krebserzeugenden polyzyklischen aromatischen Kohlenwasserstoffen erheblich unterscheiden. Bei der Gefährdungsbeurteilung sind auch Gehalte an aromatischen Aminen mit einer Potenz, Krebserkrankungen der ableitenden Harnwege zu erzeugen, zu berücksichtigen. Weitere praxisnahe Informationen dazu sind in den Handlungsanleitungen der berufsgenossenschaftlichen Schriften zu finden. Auch Gemische an polyzyklischen aromatischen Kohlenwasserstoffen (PAK), für die anerkanntermaßen Benzo[a]pyren (BaP) als Leitkomponente herangezogen werden kann, differieren in ihrem krebserzeugenden Potenzial. Hinzukommt, dass neben der inhalativen Aufnahmewege auch andere Aufnahmepfade eine ganz wesentliche Rolle spielen. Ganz im Vordergrund steht die Hautresorption. Inhalative Aufnahme und Hautresorption werden ganz entscheidend von den Verhältnissen am Arbeitsplatz beeinflusst. Hierzu gehört die Schwere der Arbeit, die Umgebungstemperatur aber auch z. B. der Zustand der Haut. So können Hautschädigungen die Aufnahme von Aromaten verändern. Bei komplexen Expositionssituationen ist die Hinzuziehung arbeitsmedizinischen Sachverstandes für die Gefährdungsbeurteilung unerlässlich. Hinzugezogen werden sollte in aller Regel der Betriebsarzt, ggf. auch der Arzt nach § 7 der Verordnung zur arbeitsmedizinischen Vorsorge (ArbMedVV).

(2) Bei der Gefährdungsbeurteilung ist auch zu entscheiden, ob es sich um Expositionsbedingungen handelt, die zu einer Pflicht- oder einer Angebotsvorsorge führen. Nach Anhang Teil 1 Absatz 1 der ArbMedVV hat der Arbeitgeber bei Tätigkeiten mit Pyrolyseprodukten aus organischem Material eine Pflichtvorsorge für die Beschäftigten zu veranlassen, wenn eine wiederholte inhalative Exposition nicht ausgeschlossen werden kann. Bei den PAK ist darüber hinaus grundsätzlich eine Hautresorption zu unterstellen. Nach der betriebsbezogenen Untersuchung von R. Preuss et al. ist die Aufnahme über die Haut in der betrieblichen Realität ein wesentlicher Pfad für die innere Belastung durch PAK. Bei einer Exposition sind damit in der Regel die Bedingungen des Anhangs Teil 1 Absatz 1 der ArbMedVV erfüllt, wonach eine Pflichtvorsorge dann erforderlich wird, wenn die genannten Gefahrstoffe hautresorptiv sind und eine Gesundheitsgefährdung durch Hautkontakt nicht ausgeschlossen werden kann (weitere praxisnahe Informationen dazu sind in den Handlungsanleitungen der berufsgenossenschaftlichen Schriften zu finden). Im Rahmen der Gefährdungsbeurteilung wäre ggf. nachzuweisen, dass diese Situation nicht zutrifft.

6.2
Allgemeine arbeitsmedizinisch-toxikologische Beratung

(1) Der Arbeitgeber hat bei Tätigkeiten mit Gefahrstoffen eine allgemeine arbeitsmedizinisch-toxikologische Beratung der Beschäftigten sicherzustellen. Diese Beratung, die im Rahmen der Unterweisung erfolgen soll, ist zu unterscheiden von der individuellen Beratung, die Bestandteil der arbeitsmedizinischen Vorsorge ist.

(2) Die Durchführung einer arbeitsmedizinisch-toxikologischen Beratung durch den Betriebsarzt, ggf. den Arzt nach § 7 ArbMedVV, ist erforderlich. Im Rahmen dieser Beratung ist die Exposition-Risiko-Beziehung für Benzo[a]pyren (siehe Nummer 4.1 Absatz 4) als eine Komponente der PAK am Arbeitsplatz in verständlicher Form darzustellen. Den Beschäftigten ist die Bedeutung des zusätzlichen Krebsrisikos, das mit dem Umgang mit PAK (Toleranz- und Akzeptanzwert) verbunden ist, darzulegen. Es handelt sich um sensible Sachverhalte, die der ärztlichen Vermittlung bedürfen. Neben der individuellen Beratung zu persönlichem Risikoverhalten im Rahmen der arbeitsmedizinischen Vorsorge sollte bei der allgemeinen Beratung auch die Risikoerhöhung durch andere Faktoren wie Tabakrauch dargestellt werden.

(3) Die Beschäftigten sind darüber zu informieren, dass Erkrankungen durch PAK unter bestimmten Bedingungen als Berufskrankheit anerkannt werden können. Als allgemeine Information mit (abnehmender) praktischer Bedeutung soll auch über das Zusammenwirken von Asbest und PAK als Grundlage für die Anerkennung einer Berufskrankheit unterrichtet werden. Konkret spielen die Berufskrankheiten-nummern 4110 "Bösartige Neubildungen der Atemwege und der Lungen durch Kokereirohgase", 4113 "Lungenkrebs durch polyzyklische aromatische Kohlenwasserstoffe bei Nachweis der Einwirkung einer kumulativen Dosis von mindestens 100 BaP-Jahren" und 4114 "Lungenkrebs durch das Zusammenwirken von Asbestfaserstaub und polyzyklischen aromatischen Kohlenwasserstoffen bei Nachweis der Einwirkung einer kumulativen Dosis, die zu einer Verursachungswahrscheinlichkeit von mindestens 50 Prozent nach der Anlage 2 entspricht" eine Rolle.

(4) Zu erläutern ist die arbeitsmedizinische Vorsorge sowie die Nutzung von anonymisierten Erkenntnissen aus diesen Untersuchungen für die Fortschreibung der Gefährdungsbeurteilung und sonstige Maßnahmen des Arbeitsschutzes, weil diese einen wesentlichen Beitrag zur Erfassung der Belastung der Beschäftigten leisten.

(5) Wenn sich aus der Gefährdungsbeurteilung die Situation ergeben hat, dass eine Angebotsvorsorge erforderlich ist, sollen die Beschäftigten ärztlich auf die Bedeutung dieser arbeitsmedizinischen Vorsorge für ihren individuellen Gesundheitsschutz und die Möglichkeiten des Biomonitorings hingewiesen werden.

6.3
Arbeitsmedizinische Vorsorge

(1) Arbeitsmedizinische Vorsorge richtet sich nach der Verordnung zur arbeitsmedizinischen Vorsorge (ArbMedVV) und den dazu veröffentlichten Arbeitsmedizinischen Regeln (AMR).

(2) Arbeitsmedizinische Vorsorge dient der Beurteilung der individuellen Wechselwirkungen von Arbeit und physischer und psychischer Gesundheit und der Früherkennung arbeitsbedingter Gesundheitsstörungen sowie der Feststellung, ob bei Ausübung einer bestimmten Tätigkeit eine erhöhte gesundheitliche Gefährdung besteht (§ 2 Absatz 1 Nummer 2 ArbMedVV). Dabei steht die Aufklärung und Beratung der Beschäftigten zur Tätigkeit mit Teer und anderen Pyrolyseprodukten aus organischem Material und den sich daraus ergebenden Gefährdungen für ihre Gesundheit im Vordergrund. Wenn körperliche oder klinische Untersuchungen aus Sicht des Arztes für die Aufklärung und Beratung nicht erforderlich sind oder vom Beschäftigten abgelehnt werden, kann sich die arbeitsmedizinische Vorsorge auf ein Beratungsgespräch beschränken. Mit Einverständnis des Beschäftigten können im Rahmen der arbeitsmedizinischen Vorsorge die Möglichkeiten des Biomonitorings genutzt werden. Dabei können die Blutkonzentrationen oder die Ausscheidung von Metaboliten für ein biologisches Monitoring der Belastung mit PAH oder aromatischen Aminen herangezogen werden. Zu berücksichtigen sind dabei die Äquivalenzwerte für die Toleranz- und Akzeptanzkonzentration für BaP. Zur Früherkennung von Blasenkrebserkrankungen werden derzeit zytologische Untersuchungen empfohlen, weil Urintests keine hinreichend sicheren Ergebnisse erzeugen.

(3) Arbeitsmedizinische Vorsorge ist für die betroffenen Beschäftigten nach § 4 Absatz 1 in Verbindung mit Anhang Teil 1 Absatz 1 Nummer 1 Buchstabe b und/oder c Arb- MedVV durch den Arbeitgeber vor Aufnahme der Tätigkeit und danach in regelmäßigen Abständen (vgl. AMR 2.1) zu veranlassen (Pflichtvorsorge), wenn am Arbeitsplatz eine wiederholte Exposition gegenüber Teer oder anderen Pyrolyseprodukten aus organischem Material (polycyclischen aromatischen Kohlenwasserstoffen im Sinne der ArbMedVV) nicht ausgeschlossen werden kann (Die Tätigkeiten mit Teer und anderen Pyrolyseprodukten aus organischem Material werden als krebserzeugende Tätigkeiten oder Verfahren Kategorie 1A im Sinne der Gefahrstoffverordnung bezeichnet.) und/oder eine Gesundheitsgefährdung durch Hautkontakt nicht ausgeschlossen werden kann (Teer und andere Pyrolyseprodukten aus organischem Material sind hautresorptiv). Der Arbeitgeber darf die Tätigkeit durch die betroffenen Beschäftigten nur ausüben lassen, wenn sie zuvor an der Pflichtvorsorge teilgenommen haben (§ 4 Absatz 2 ArbMedVV).

(4) Arbeitsmedizinische Vorsorge ist den betroffenen Beschäftigten nach § 5 Absatz 1 in Verbindung mit Anhang Teil 1 Absatz 2 Nummer 1 ArbMedVV durch den Arbeitgeber vor Aufnahme der Tätigkeit und danach in regelmäßigen Abständen (vgl. AMR 2.1) anzubieten (Angebotsvorsorge), wenn er keine Pflichtvorsorge zu veranlassen hat und eine Exposition gegenüber Teer und anderen Pyrolyseprodukten aus organischem Material (polycyclischen aromatischen Kohlenwasserstoffen im Sinne der ArbMedVV) nicht ausgeschlossen werden kann. Das Ausschlagen eines Angebots entbindet den Arbeitgeber nicht von der Verpflichtung, weiter regelmäßig Angebotsvorsorge anzubieten. Die AMR 5.1 zeigt einen Weg der Angebotsunterbreitung auf.

(5) Neben der Tätigkeit mit Teer oder anderen Pyrolyseprodukten aus organischem Material können sich in Abhängigkeit von der Gefährdungsbeurteilung weitere Anlässe für Pflicht- oder Angebotsvorsorge gemäß Anhang der ArbMedVV ergeben (z. B. bei Tätigkeiten, die das Tragen von Atemschutzgeräten erfordern). Sofern die betroffenen Beschäftigten Atemschutzgeräte tragen müssen, soll die Pflicht- bzw. Angebotsvorsorge hierfür (Anhang Teil 4 Absatz 1 Nummer 1 bzw. Absatz 2 Nummer 2 ArbMedVV) mit jener wegen Teer oder anderen Pyrolyseprodukten aus organischem Material kombiniert werden. Die Benutzung von Atemschutzgeräten befreit nicht von den zuvor genannten Verpflichtungen zur arbeitsmedizinischen Vorsorge bei Tätigkeiten mit Teer oder anderen Pyrolyseprodukten aus organischem Material.

(6) Nach Beendigung der Tätigkeit mit Exposition gegenüber Teer oder anderen Pyrolyseprodukten aus organischem Material hat der Arbeitgeber betroffenen Beschäftigten nach § 5 Absatz 3 Satz 1 in Verbindung mit Anhang Teil 1 Absatz 3 Nummer 1 ArbMedVV in regelmäßigen Abständen (vgl. AMR 2.1) nachgehende Vorsorge anzubieten (Die Tätigkeiten mit Teer oder anderen Pyrolyseprodukten aus organischen Material werden als krebserzeugende Tätigkeiten oder Verfahren Kategorie 1A im Sinne der Gefahrstoffverordnung bezeichnet.). Das Angebot zur arbeitsmedizinischen Vorsorge dient dann der Früherkennung von Erkrankungen. Gesundheitsstörungen durch Exposition gegenüber Teer und anderen Pyrolyseprodukten aus organischem Material (Krebs der Lunge, Harnblase und Haut) sind insbesondere nach längeren Latenzzeiten zu erwarten. Das Ausschlagen eines Angebots entbindet den Arbeitgeber nicht von der Verpflichtung, weiter regelmäßig Angebotsvorsorge in Form nachgehender Vorsorge anzubieten. Die AMR 5.1 zeigt einen Weg der Angebotsunterbreitung auf. Sofern die Beschäftigten eingewilligt haben, überträgt der Arbeitgeber am Ende des Beschäftigungsverhältnisses die Verpflichtung zum Angebot der nachgehenden Vorsorge an den zuständigen gesetzlichen Unfallversicherungsträger und überlässt diesem die erforderlichen Unterlagen in Kopie (vgl. § 5 Absatz 3 Satz 2 ArbMedVV).

(7) Der Arzt hält nach § 6 Absatz 3 ArbMedVV das Ergebnis und die Befunde der arbeitsmedizinischen Vorsorge einschließlich einer ggf. durchgeführten Untersuchung schriftlich fest und berät den Beschäftigten darüber. Auf Wunsch des Beschäftigten, stellt er diesem das Ergebnis der Vorsorge zur Verfügung. Der Arzt stellt dem Beschäftigten und dem Arbeitgeber eine Bescheinigung über die durchgeführte arbeitsmedizinische Vorsorge aus. Die Bescheinigung enthält Angaben über den Zeitpunkt und den Anlass des aktuellen Vorsorgetermins sowie die Angabe, wann aus ärztlicher Sicht weitere arbeitsmedizinische Vorsorge angezeigt ist (vgl. AMR 6.3) Diese Bescheinigung enthält weder Diagnosen oder andere Informationen über den Gesundheitszustand des Beschäftigten noch eine medizinische Beurteilung zur Eignung für bestimmte Tätigkeiten.

(8) Der Arbeitgeber hat über die durchgeführte arbeitsmedizinische Vorsorge eine Vorsorgekartei zu führen mit Angaben darüber, wann und aus welchen Anlässen diese für jeden Beschäftigten stattgefunden hat (§ 3 Absatz 4 ArbMedVV).

(9) Der Arzt wertet die Erkenntnisse aus der arbeitsmedizinischen Vorsorge aus (§6 Absatz 4 ArbMedVV). Ergeben sich Anhaltspunkte dafür, dass die Maßnahmen des Arbeitsschutzes nicht ausreichend sind, so hat der Arzt dies dem Arbeitgeber mitzuteilen und ihm (ergänzende) Schutzmaßnahmen für exponierte Beschäftigte vorzuschlagen. Hält der Arzt aus medizinischen Gründen, die ausschließlich in der Person des Beschäftigten liegen, einen Tätigkeitswechsel für erforderlich, so bedarf die Mitteilung darüber an den Arbeitgeber der Einwilligung des Beschäftigten. Konkretisierungen enthält die AMR 6.4. Der Arbeitgeber hat als Folge eines solchen Vorschlags vonseiten des Arztes nach § 8 Absatz 1 ArbMedVV die Gefährdungsbeurteilung zu überprüfen und unverzüglich die erforderlichen Maßnahmen des Arbeitsschutzes zu treffen. Wird ein Tätigkeitswechsel vorgeschlagen, so hat der Arbeitgeber nach Maßgabe der dienst- und arbeitsrechtlichen Regelungen dem oder der Beschäftigten eine andere Tätigkeit zuzuweisen. Dem Betriebs- oder Personalrat und der zuständigen Behörde sind die getroffenen Maßnahmen mitzuteilen (§ 8 Absatz 2 ArbMedVV).