TRBA 230 - TR Biologische Arbeitsstoffe 230

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Abschnitt 3 TRBA 230 - Informationsermittlung und Gefährdungsbeurteilung

3.1
Allgemeines

(1) Der Arbeitgeber ist nach § 5 Arbeitsschutzgesetz (ArbSchG, [7]) verpflichtet zu überprüfen, ob bei der Arbeit die Sicherheit und Gesundheit seiner Beschäftigten gefährdet sein können. Er hat die möglichen Gefährdungen zu beurteilen und die erforderlichen Schutzmaßnahmen festzulegen und durchzuführen. Bei der Gefährdungsbeurteilung sind auch Tätigkeiten zu berücksichtigen, die nur selten durchgeführt werden. Dazu können beispielsweise Reparaturarbeiten zählen.

(2) Bei Tätigkeiten in der Land- und Forstwirtschaft aber auch bei den vergleichbaren Tätigkeiten besteht die Möglichkeit, dass Beschäftigte mit Biostoffen oder biogenen Stoffen in Kontakt kommen. Die TRBA gibt für diese Tätigkeiten Hilfestellung bei der Gefährdungsbeurteilung und der Festlegung der Schutzmaßnahmen. Der Arbeitgeber hat die Vorgaben dieser TRBA zu berücksichtigen, soweit die beschriebenen Tätigkeiten und Expositionsbedingungen auf die zu beurteilende Arbeitssituation übertragbar sind. Ansonsten hat er für die Gefährdungsbeurteilung die einschlägigen Regelungen der TRBA 400 "Handlungsanleitung zur Gefährdungsbeurteilung und für die Unterrichtung der Beschäftigten bei Tätigkeiten mit biologischen Arbeitsstoffen" [10] anzuwenden. Er kann von den Technischen Regeln abweichen, wenn er die Sicherheit der Beschäftigten auf andere Weise gewährleistet. Dies ist auf Verlangen der Aufsichtsinstitutionen nachzuweisen.

(3) Informationsquellen für die Gefährdungsbeurteilung sind insbesondere Kenntnisse aus der Berufsausbildung, die tätigkeitsrelevanten betriebseigenen Erfahrungen einschließlich der Kenntnisse und Fähigkeiten der Beschäftigten sowie die entsprechenden betrieblichen Unterlagen. Zu nutzen sind auch Berichte aus dem Arbeitsschutzausschuss, Begehungsprotokolle der Sicherheitsfachkraft oder des Betriebsarztes, Unfallmeldungen, Erkenntnisse über arbeitsbedingte Erkrankungen und ggf. vorliegende innerbetriebliche Unterlagen zu Messungen.

(4) Die Gefährdungsbeurteilung muss fachkundig erfolgen; ggf. muss sich der Arbeitgeber hierbei beraten lassen. Näheres regelt die TRBA 200 "Anforderungen an die Fachkunde nach BioStoffV" [8].

(5) Arbeiten Beschäftigte mehrerer Arbeitgeber zusammen (z. B. von Subunternehmern), müssen Gefährdungsbeurteilungen und Maßnahmen abgestimmt und koordiniert werden.

3.2
Beteiligung des Betriebsarztes an der Gefährdungsbeurteilung

(1) Bei Tätigkeiten mit Biostoffen in der Land- und Forstwirtschaft und bei vergleichbaren Tätigkeiten unterliegt das Spektrum der auftretenden Biostoffe Schwankungen. Art, Dauer, Höhe oder Häufigkeit der Exposition können wechseln, was zu unterschiedlichen Gefährdungssituationen führt. Diese Komplexität macht eine Beteiligung des Betriebsarztes an der Gefährdungsbeurteilung erforderlich.

(2) Der Betriebsarzt berät den Arbeitgeber insbesondere

  1. 1.

    zu den vorkommenden Biostoffen, die abhängig vom Arbeitsbereich stark variieren können und zu ihren infektiösen, sensibilisierenden und toxischen Wirkungen auf den Menschen;

  2. 2.

    zu den Expositionsverhältnissen, die saisonalen Schwankungen unterliegen können (zum Beispiel Erntezeit) und auch räumlich sehr unterschiedlich sein können (zum Beispiel im Tierstall, in der Traktorfahrerkabine oder im Wald);

  3. 3.

    zu Übertragungswegen (Atemwege, Mund sowie Hautbzw. Schleimhaut);

  4. 4.

    zur Gefahr von verletzungsbedingten Infektionen durch zum Beispiel Stich- und Schnittverletzungen, Bisse und Kratzer von Tieren, Insekten- und Zeckenstiche;

  5. 5.

    zur arbeitsmedizinischen Vorsorge nach Abschnitt 5.

3.3
Formale Anforderungen

(1) Die Gefährdungsbeurteilung ist vor Aufnahme von Tätigkeiten mit Biostoffen durchzuführen (§ 6 ArbSchG [7], § 7 BioStoffV [9]) und mindestens jedes zweite Jahr zu überprüfen. Sie ist bei Bedarf zu aktualisieren. Die Ergebnisse sind schriftlich zu dokumentieren.

(2) Aktualisierungsanlässe sind insbesondere:

  1. 1.

    Feststellung, dass die festgelegten Schutzmaßnahmen nicht funktionstauglich oder nicht wirksam sind;

  2. 2.

    maßgebliche Veränderungen der Arbeitsbedingungen, wie z. B. der Einsatz neuer Arbeitsmittel, Arbeitsverfahren oder Materialien;

  3. 3.

    neue Informationen, z. B. aus dem Unfallgeschehen;

  4. 4.

    Erkenntnisse aus der arbeitsmedizinischen Vorsorge;

  5. 5.

    Erkenntnisse über tätigkeitsbezogene Erkrankungen bei vergleichbaren Tätigkeiten.

3.4
Gefährdungen durch Biostoffe

(1) Bei Tätigkeiten in der Land- und Forstwirtschaft sowie bei vergleichbaren Tätigkeiten gehen die Beschäftigten mit Tieren und Pflanzen um. Einstreu, Futtermittel, gelagerte Pflanzenteile und Tiere können eine Quelle für Biostoffe sein. Auch an Fahrzeugen, Maschinen und Arbeitsgeräten und verunreinigter Kleidung können Biostoffe anhaften. Ebenso kann ein unsachgemäßer Umgang mit persönlicher Schutzausrüstung Ursache für eine Übertragung von Biostoffen auf den Menschen sein. Auch im Arbeitsumfeld können Biostoffe auftreten. Bei Tätigkeiten in niederer Vegetation ist z. B. mit Zecken zu rechnen, die Borreliose- und Frühsommer-Meningoenzephalitis(FSME)-Erreger übertragen können. Dabei handelt es sich in erster Linie um Bakterien und Schimmelpilze, die sich auch unabhängig von Pflanzen und oder Tieren vermehren können. Der Umfang dieser Vermehrung ist abhängig von den Umgebungsbedingungen.

(2) In der Regel ist im Einzelnen nicht bekannt, welche Biostoffe in welcher Menge und Zusammensetzung aktuell auftreten. Es kommt meist zu einer Mischexposition, die je nach Tätigkeit und Umgebungsbedingungen zeitlich und örtlich starken Schwankungen unterliegen kann.

(3) Die Übertragungswege oder Aufnahmepfade sind abhängig vom Biostoff, wobei zu beachten ist, dass viele Biostoffe nicht nur über einen, sondern auch über mehrere Übertragungswege bzw. Aufnahmepfade aufgenommen werden können.

Aufgenommen werden können Biostoffe über:

  1. 1.

    den Mund, z. B. durch

    1. a)

      versehentliches Verschlucken,

    2. b)

      Mund-Kontakt mit verschmutzten Händen,

    3. c)

      Mund-Kontakt über verschmutzte Hände (z. B. beim) Essen, Trinken, Rauchen;

  2. 2.

    die Atemwege, wenn Biostoffe z. B. als Tröpfchen oder staubförmig in der Atemluft enthalten sind (Bioaerosole);

  3. 3.

    die Haut;

  4. 4.

    die Schleimhäute (Augen und Nase), z. B. durch

    1. a)

      Spritzer,

    2. b)

      Kontakt mit verschmutzten Händen, Kleidung/Schutzausrüstung oder Ähnlichem;

  5. 5.

    die Haut, wenn deren Schutzfunktion eingeschränkt ist, z. B.

    1. a)

      bei Hauterkrankungen oder durch Nässe aufgeweichte Haut,

    2. b)

      Verletzungen (Stich- oder Schnittverletzungen, aber auch Bisse, Kratzer oder Stiche von Tieren).

(4) Biostoffe können infektiös, sensibilisierend oder toxisch wirken. Sensibilisierende und toxische Wirkungen können auch von nichtinfektiösen Biostoffen und anderen Stoffen biologischen Ursprungs hervorgerufen werden. Die Gefährdung durch Biostoffe steigt in der Regel mit der Höhe, Dauer und Häufigkeit der Exposition. Bereits bei einmaligem Kontakt zu infektiösen Biostoffen kann eine Gefährdung bestehen.

(5) Bei Unsicherheiten über die Höhe der Exposition können Arbeitsplatzmessungen hilfreich sein. Zur Bewertung von Arbeitsplatzmessungen können die TRBA 400 [10] für Biostoffe und die TRGS 402 "Ermitteln und Beurteilen der Gefährdungen bei Tätigkeiten mit Gefahrstoffen: Inhalative Exposition" [11] in Verbindung mit der TRGS 900 "Arbeitsplatzgrenzwerte" [37] für Stäube herangezogen werden.

3.4.1 Infektiöse Wirkungen

(1) Biostoffe werden entsprechend ihres Infektionsrisikos in vier Risikogruppen eingeteilt. Dabei ist die Wahrscheinlichkeit einer Infektion durch einen Biostoff der Risikogruppe 1 gering; Biostoffe der Risikogruppe 4 sind hochinfektiös. Im Anwendungsbereich dieser TRBA können Gefährdungen durch Biostoffe mit infektiöser Wirkung nicht ausgeschlossen werden. In der Regel handelt es sich dabei um Biostoffe der Risikogruppen 1 und 2. Mit dem Auftreten von Biostoffen der Risikogruppe 3 muss bei Tierkontakten oder Kontakt zu tierischen Ausscheidungen und Sekreten (Milch, Geburtsflüssigkeit) aber jederzeit gerechnet werden. Tätigkeiten im Zusammenhang mit Infektionskrankheiten, die durch Biostoffe der Risikogruppe 4 ausgelöst werden, sind in der Land- und Forstwirtschaft derzeit nicht bekannt.

In Anhang 1 Tabelle 1 sind beispielhaft Infektionserreger aufgeführt, die in verschiedenen Arbeitsbereichen auftreten können.

(2) Bei Personen, die regelmäßigen Kontakt zu landwirtschaftlichen Nutztieren, Wildtieren und Haustieren haben (z. B. Landwirte mit Schweinehaltung, Forstwirte, im Tierheim tätige Personen), ist eine vorübergehende oder dauerhafte Besiedlung mit Methicillin-resistentem Staphylococcus aureus (MRSA, "livestock-associated MRSA" LA MRSA) möglich. Neben Tierkontakten spielt auch die Weiterverbreitung von MRSA über erregerhaltige Staubpartikel insbesondere im landwirtschaftlichen Sektor eine Rolle [3]. Eine reine Besiedlung mit MRSA stellt für den Betroffenen keine besondere akute Gefährdung dar. Bei Arztbesuchen oder einem Krankenhausaufenthalt sollten Personen, die regelmäßigen Kontakt zu Tieren haben, dies aber bei der Aufnahme angeben (siehe KRINKO-Empfehlung [12]).

(3) Unabhängig von der Antibiotikaresistenz können bei kleinsten Hautschäden oder Wunden vereinzelt tiefgehende Haut- und Gewebeinfektionen entstehen. Bei immungeschwächten Personen (z. B. Diabetiker oder Personen, die z. B. bei Autoimmunerkrankungen, bei Tumorbehandlungen, oder nach Organtransplantationen Immunsuppressiva einnehmen müssen) ist das Risiko einer solchen Infektion erhöht.

3.4.2 Sensibilisierende oder toxische Wirkungen

(1) In verschiedenen Arbeitsbereichen spielen sensibilisierende und toxische Wirkungen von Biostoffen und anderen Stoffen, die nicht zu den Biostoffen zählen aber biologischen Ursprungs sind, eine dominierende Rolle. Je nach Tätigkeit können am Arbeitsplatz eine Vielzahl sensibilisierender oder toxischer Stoffe auftreten. Dabei handelt es sich beispielsweise um einatembare Schimmelpilze, Bakterien oder deren Bestandteile (u. a. Endotoxine) aber auch sensibilisierende oder toxische Nicht-Biostoffe, wie Pflanzenteile (z. B. Getreide- oder Baumwollstaub), Futtermittelbestandteile, Pollen, Haare oder Borsten und Hautpartikel von Nutztieren oder bzw. Hausstaub- und Vorratsmilben. Hinweise auf atemwegssensibilisierende Eigenschaften finden sich im Anhang III der EG-Richtlinie 2000/54/EG [13], in der TRBA 460 [14], in der TRBA 464 [15], der TRBA/TRGS 406 [16] und in der TRGS 907 [17].

In Anhang 1 Tabelle 2 sind beispielhaft Arbeitsbereiche mit dort vorkommenden sensibilisierend oder toxisch wirkenden Stoffen aufgeführt.

(2) Aus einer Sensibilisierung kann sich im weiteren Verlauf eine Allergie entwickeln. Mögliche allergische Krankheitsbilder, die in diesem Zusammenhang auftreten oder fortschreiten können, sind Hautveränderungen (z. B. Ekzeme) sowie Erkrankungen der Augen, Atemwege und Lunge (z. B. Rhinokonjunktivitis, allergisches Asthma oder eine exogen-allergische Alveolitis (EAA)). Symptome einer EAA können unspezifische Beschwerden wie Müdigkeit, Appetitlosigkeit, ein langsamer Leistungsabfall mit Krankheitsgefühl und Gewichtsabnahme sowie eine zunehmende Atemnot bei körperlicher Anstrengung sein. Ausprägungen der EAA sind u. a. die sogenannte Farmerlunge, die Taubenhalterlunge oder die Pilzarbeiterlunge.

(3) Bei Anzeichen einer allergischen Reaktion ist frühfrühzeitig ärztliche Beratung in Anspruch zu nehmen.

(4) Toxische Wirkungen auf die Atemwege spielen insbesondere bei Tätigkeiten mit hoher Staubentwicklung oder Tätigkeiten in Geflügel- und Schweineställen eine wichtige Rolle. Symptome wie ODTS (Organic Dust Toxic Syndrome) können wichtige Hinweise im Vorfeld einer chronisch obstruktiven Atemwegserkrankung (COPD) sein.

3.5
Gefährdungsrelevante Faktoren

(1) Die Gefährdung durch Biostoffe wird von verschiedenen Faktoren beeinflusst, die bei der Gefährdungsbeurteilung zu berücksichtigen sind. Dazu zählen insbesondere

  1. 1.

    Materialeigenschaften wie

    1. a)

      unbehandelte Naturprodukte, z. B. Heu, Jute, Hopfen

    2. b)

      sichtbarer Schimmelpilzbefall, z. B. an Silage, Holzhackschnitzel

    3. c)

      hohe spezifische Oberfläche, z. B. Getreide, Körner-leguminosen

    4. d)

      Neigung zu Staubfreisetzung, z. B. Stroh, Kraftfutter

  2. 2.

    Tätigkeitsbezogene Faktoren

    1. a)

      Bewegung oder Be- und Verarbeitung von kontaminierten Materialien, z. B. Häckseln von verschimmeltem Stroh

    2. b)

      unmittelbarer Kontakt zu kontaminierten Materialien

    3. c)

      Menge der gehandhabten Materialien

    4. d)

      Aufwirbelung von Bioaerosolen durch Maschineneinsatz (z. B. Mähtechnik) oder durch die Bewegung von Tieren

    5. e)

      Dauer und Häufigkeit der zu bewertenden Tätigkeit

    6. f)

      Aerosolbildung durch Einsatz eines Hochdruckreinigers oder Besens.

  3. 3.

    Arbeitsplatzbezogene Faktoren

    1. a)

      Arbeiten in geschlossenen Räumen mit unzureichender Lüftung, z. B. in Räumen ohne Zwangslüftung (Ventilatoren)

    2. b)

      Arbeiten im Freien, z. B. Vorkommen von Nagern, Zecken

    3. c)

      Lagerbedingungen, die eine Vermehrung von Biostoffen begünstigen, z. B. Lagerung im Außenbereich mit Witterungseinfluss, z. B. Durchfeuchtung

    4. d)

      Ausfall technischer Einrichtungen, z. B. Lüftung, Trocknungsprozesse

(2) Beim Einsatz von mobilen Maschinen und Arbeitsgeräten sind mögliche Gefährdungen für Beschäftigte zu berücksichtigen, die durch Verschleppung von Biostoffen entstehen können.