IFA-LSA 01-305 - Geräuschminderung im Betrieb Lärmminderungsprogramm

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Abschnitt 4 - 4 Vergleich mit dem Stand der Lärmminderungstechnik

Der Vergleich mit dem aktuellen Stand der Lärmminderungstechnik hat eine große Bedeutung, weil man je nach Ergebnis ggf. auf alle nachfolgenden Schritte verzichten kann. Die Einhaltung des Standes der Technik bedeutet, dass es derzeit keine geeigneten technischen Lärmschutzmaßnahmen für die entsprechenden Arbeitsplätze gibt. D.h. man muss zunächst die gegebene Lärmbelastung und die damit verbundenen Risiken akzeptieren und die Beschäftigten mit Gehörschutz versorgen. Es ist dann allerdings erforderlich, die Lärmsituation regelmäßig auf mögliche Fortschritte in der Lärmminderungstechnik zu überprüfen und ggf. zu einem späteren Zeitpunkt geeignete Lärmminderungsmaßnahmen zu planen und durchzuführen.

Die Lärm- und Vibrations-Arbeitsschutz-Verordnung [1] definiert in § 2 (8) den Stand der Technik als "Entwicklungsstand fortschrittlicher Verfahren, Einrichtungen oder Betriebsweisen, der die praktische Eignung einer Maßnahme zum Schutz der Gesundheit und zur Sicherheit der Beschäftigten gesichert erscheinen lässt. Bei der Bestimmung des Standes der Technik sind insbesondere vergleichbare Verfahren, Einrichtungen oder Betriebsweisen heranzuziehen, die mit Erfolg in der Praxis erprobt worden sind."

In diesem Schritt des Lärmminderungsprogramms ist nun also zu klären, ob die für die Lärmbelastung relevanten Maschinen und Werkzeuge sowie die Raumakustik dem fortschrittlichen Stand der Lärmminderungstechnik entsprechen. Als Hilfe bei dieser Entscheidung wird auf vergleichbare Verfahren, Einrichtungen oder Betriebsweisen verwiesen, die mit Erfolg in der Praxis erprobt worden sind. Diese Beurteilung erfordert demnach entsprechende branchenspezifische Erfahrungen in der Produktionstechnik und der Schallschutztechnik.

Zur Beurteilung der Geräuschemission von Maschinen einer bestimmten Art lassen sich die Geräuschemissionskennwerte, wie der Schallleistungspegel (z. B. nach der Normenreihe ISO 3740ff. [6]) oder der Emissions-Schalldruckpegel am Arbeitsplatz (Normenreihe ISO 11200ff. [8]) heranziehen. Um den aktuellen Stand der Lärmminderungstechnik für eine bestimmte Art von Maschinen zu ermitteln, bedarf es genau genommen der Erfassung der Geräuschemission einer repräsentativen Auswahl der jeweiligen Maschinengruppe. Dabei sind die Geräuschemissionsdaten in Abhängigkeit von bestimmten Leistungsparametern, z. B. Nennleistung, Nenndrehzahl oder Gewicht, systematisch auszuwerten. Erfahrungsgemäß können die Geräuschemissionen der von unterschiedlichen Herstellern angebotenen Maschinen einer Art bei vergleichbaren Betriebsbedingungen um 5 bis 20 dB(A) differieren. Die gezielte Auswahl einer leisen Maschine kann sich deshalb ganz wesentlich auf die Lärmsituation an den entsprechenden Arbeitsplätzen auswirken.

In vielen Betrieben hat sich bei der Beschaffung von neuen Arbeitsmitteln eine Praxis durchgesetzt, die auf entsprechende Festlegungen in den Durchführungsanweisungen der 2007 zurückgezogenen Unfallverhütungsvorschrift (UVV) "Lärm" [9] zurückgeht. So wird vielfach gefordert, dass der Emissions-Schalldruckpegel am Arbeitsplatz der Maschine oder der 1 m-Messflächenschalldruckpegel den Wert von 70 dB(A) unterschreitet. Diese Anforderung bedeutet, dass sich an den entsprechenden Arbeitsplätzen bei Überlagerung mehrerer entsprechender Lärmquellen und Schallreflexion an den Raumbegrenzungsflächen in der Regel ein Schalldruckpegel von weniger als 80 dB(A) ergibt. Auch wenn man daraus streng genommen nicht folgern kann, dass damit die fortschrittlichen Regeln der Lärmminderungstechnik erfüllt sind, so sollten sich zumindest gehörgefährdende Lärmbelastungen vermeiden lassen.

Für verschiedene Arbeitsmittel kann der Stand der Lärmminderungstechnik auch durch die Beschreibung des prinzipiellen Aufbaus oder konstruktiver Details eines Bauteiles oder eines Werkzeuges definiert werden. Das kann z. B. in maschinenspezifischen Normen festgelegt sein. Beispiele für entsprechende Lösungen finden sich auch in einigen Publikationen und Lärmschutz-Arbeitsblättern, unter anderem zu geräuschgeminderten Sägeblättern [10], Diamanttrennscheiben (IFA-LSA 02-375) [11] und Druckluftdüsen [12]. Darüber hinaus können auch sekundäre Lärmminderungsmaßnahmen wie Kapselungen oder Abschirmungen als Stand der Lärmminderungstechnik gelten (IFA-LSA 01-243 [13]).

In der Literatur finden sich zahlreiche Beispiele für "lärmarme Arbeitsverfahren", die als Stand der Technik zu verstehen sind, wenn sie mit Erfolg in der Praxis erprobt wurden. Einige dieser Beispiele sind in der folgenden Tabelle zusammengestellt, die in dieser Form auch in die TRLV Lärm, Teil 3 übernommen wurde [5]:

Verfahren/Arbeitsprinzip
lärmarmgeräuschintensiv
AblegenAbwerfen
AbsaugenAbblasen
BohrenStanzen
DrehschrauberSchlagschrauber
ElektroantriebVerbrennungsmotor
GießenSchmieden
GleitlagerWälzlager
hydraul. Verformen (Kraftformer)Bördeln mit Hammer
hydraul. Ziehen/DrückenRichten mit Hammer
KlebenNieten
Optische SignalgebungAkustische Signalgebung
PlasmaschneidenTrennen mechanisch
PressenSchlagen
SägenTrennschleifen
SchraubenNieten
SchweißenNieten
TaumelnietenSchlagnieten
Transport kontinuierlichTransport stoßweise

Tabelle 1
Beispiele für alternative "lärmarme" Arbeitsverfahren [5].

Falls sich durch technische Maßnahmen an den Maschinen keine ausreichende Lärmminderung erreichen lässt, sind die Arbeitsräume nach den TRLV Lärm, Teil 3, Abschnitt 4.3 [5], so zu gestalten, dass die Schallausbreitungsbedingungen dem Stand der Technik entsprechen. Dazu gibt es zwei konkrete, alternativ einzuhaltende Vorgaben: der Stand der Technik für Arbeitsräume gilt als eingehalten, falls

  1. A.

    die Schallpegelabnahme pro Abstandsverdopplung DL2 im Abstandsbereich von 0,75 bis 6 m in den einzelnen Oktavbändern mit den Mittenfrequenzen von 500 Hz bis 4000 Hz jeweils mindestens 4 dB beträgt,

oder

  1. B.

    der mittlere Schallabsorptionsgrad ᾱ in allen Oktavbändern mit den Mittenfrequenzen von 500 Hz bis 4000 Hz jeweils mindestens 0,3 beträgt.

Die entsprechenden raumakustischen Kennwerte, die Schallpegelabnahme pro Abstandsverdopplung und der mittlere Schallabsorptionsgrad, und die Verfahren zu deren Bestimmung werden im Lärmschutz-Arbeitsblatt IFA-LSA 01-234 [14] ausführlich erläutert.

Je nach räumlichen Bedingungen kann es sinnvoll sein, das eine oder das andere Kriterium heranzuziehen. In kleineren Räumen (bis zu einem Volumen von ca. 1000 m3) lassen sich oft nur die Anforderungen an den mittleren Schallabsorptionsgrad ᾱ realisieren. Die Anforderungen an die Schallpegelabnahme pro Abstandsverdopplung DL2 im Abstandsbereich von 0,75 bis 6 m können hier meist nicht eingehalten werden, weil die nahegelegenen Raumbegrenzungsflächen den Schall stark reflektieren.

In großen Räumen (V ≥ 10.000 m3) ist hingegen die Realisierung eines mittleren Schallabsorptionsgrades ᾱ von 0,3 mit unverhältnismäßig hohem Aufwand verbunden, weil dafür große Flächen mit Schallabsorptionsmaterial belegt werden müssen. Andererseits lässt sich dort die Anforderung an die Schallpegelabnahme DL2 ≥ 4 dB aufgrund der größeren Abstände zu den reflektierenden Begrenzungsflächen in der Regel viel einfacher und mit verhältnismäßig geringem Materialeinsatz erreichen.

Liegt das Raumvolumen zwischen 1000 m3 und 10.000 m3, so lässt sich nicht pauschal sagen, welche Kenngröße leichter erfüllt werden kann. Hier sollten daher beide Kenngrößen erfasst werden, um sie anschließend mit dem Stand der Technik zu vergleichen.

In den meisten Fällen sind die geforderten raumakustischen Bedingungen durch eine schallabsorbierende Gestaltung der Decke oder auch schon durch eine Teilbelegung der Decke zu erfüllen. Da raumakustische Maßnahmen hohe Kosten verursachen können, empfiehlt sich eine sorgfältige und gezielte Planung, z. B. unter Verwendung einer softwaregestützten Prognose nach der VDI-Richtlinie 3760 [7]. Damit lassen sich die tatsächlich erforderlichen Flächen an Absorptionsmaterial genau ermitteln und ggf. erforderliche teure Nachrüstungen vermeiden. Als Hilfe für die Planung und Ausführung von raumakustischen Maßnahmen sei auf das Lärmschutz-Arbeitsblatt IFA-LSA 01-234 [14] verwiesen.