Abschnitt 6 - Messen - Ermittlung gefährlicher Atmosphäre
Durch Messungen in umschlossenen Räumen von abwassertechnischen Anlagen kann gefährliche Atmosphäre festgestellt werden. Diese Arbeitshilfe erläutert dafür erforderliche Organisations- und Verhaltensmaßnahmen.
Bild 6.1
Aus Unfallanzeigen:
Der Beschäftigte zog sich die Vergiftung bei Arbeiten in einem Kontrollschacht zu. Es war nicht bekannt, dass darin gefährliche Atmosphäre vorhanden war.
Vor Beginn der Arbeiten war eine Kontrollmessung der Luft im Kanal durchgeführt worden. Offensichtlich hat sich die Luft im Verlauf der Arbeiten nachteilig verändert. Festgestellt wurde dieses erst, nachdem mehrere Kollegen über Atembeschwerden klagten.
Gefährdungen:
Beschäftigte sind gefährdet, wenn in umschlossenen Räumen abwassertechnischer Anlagen Stoffe in gefahrdrohender Menge oder Konzentration
von außen eingebracht werden, z.B. durch Einleitung von Gefahrstoffen,
durch biologische Vorgänge entstehen, z.B. durch Gärung und Fäulnis,
durch chemische Reaktionen entstehen, z.B. beim Vermischen von Abwässern.
Beispiele:
Gase oder Dämpfe, durch die Brände oder Explosionen entstehen können, z.B. Benzindämpfe, Methan,
Sauerstoffmangel, der zum Ersticken führen kann,
sehr giftige, giftige oder gesundheitsschädliche Stoffe, z.B. Schwefelwasserstoff und Kohlendioxid.
Schutzziel:
Das Arbeiten in umschlossenen Räumen von abwassertechnischen Anlagen ist so zu organisieren und durchzuführen, dass Beschäftigte dabei nicht durch die Umgebungsatmosphäre gefährdet werden (Bild 6.2).
Bild 6.2
Weitere Informationen:
Unfallverhütungsvorschrift "Abwassertechnische Anlagen" (BGV/GUV-V C5)
Regel "Sicherheitsregeln für Arbeiten in umschlossenen Räumen von abwassertechnischen Anlagen" (BGR/GUV-R 126)
Merkblatt "Gaswarneinrichtungen für den Explosionsschutz - Einsatz und Betrieb" (BGI 518)
Merkblatt "Gaswarneinrichtungen für toxische Gase/Dämpfe und Sauerstoff - Einsatz und Betrieb" (BGI 836)
Ermittlung gefährlicher Atmosphäre (Freimessen)
Vor dem Einsteigen sind grundsätzlich Messungen von einem ungefährdeten Standort aus durchzuführen.
Diese Messungen dienen der Feststellung, ob Gefahrstoffe in gesundheitsgefährdende Konzentrationen vorhanden sind.
Diese Messungen müssen während der Arbeiten kontinuierlich fortgesetzt werden.
Grundsätzlich gilt:
In umschlossene Räume von abwassertechnischen Anlagen darf nur eingestiegen und gearbeitet werden, wenn:
der Sauerstoffgehalt nicht weniger als 20,9 Vol.-% beträgt
die Konzentration brennbarer Gase und Dämpfe unter 10 % der unteren Explosionsgrenze (HG) liegt,
die Konzentration giftiger Gase und Dämpfe wie z.B. Schwefelwasserstoff unterhalb des Arbeitsplatzgrenzwertes, liegt.
Hinweis:
Die Ermittlung von Krankheitskeimen in gesundheitsschädlicher Konzentration ist derzeit vor Ort nicht möglich.
Bild 6.3
Organisatorische Maßnahmen
Aufsichtführende:
Aufsichtführende müssen entscheiden, ob aufgrund der Ergebnisse von Kontrollmessungen ggf.:
die Arbeiten abzubrechen sind,
im Einzelfall besondere Schutzmaßnahmen zu treffen sind, z.B. zusätzliche Lüftung oder Einsatz von Atemschutzgeräten,
für die eigentlichen Arbeiten zusätzlich ein Erlaubnisschein (Bild 6.4) erforderlich wird
(zu Erlaubnisscheinen siehe Arbeitshilfe Kapitel 8 "Arbeiten in umschlossenen Räumen").
Bild 6.4
Bild 6.5
Einsatz von Messgeräten:
Unabhängig von der Gerätewartung ist vor jedem Einsatz des Messgerätes vom Benutzer ein Test, gemäß Herstellerangaben auf sichere Funktion durchzuführen:
Ladezustand der Batterie testen,
die richtige Anzeige der Gaswarneinrichtung durch Beaufschlagung mit Nullgas und Prüfgas testen.
Messungen vor dem Einsteigen von ungefährdeten Stellen aus vornehmen, z.B. von Schachteinstiegen über Tage aus (Bild 6.1).
Zum Messgerät passende Prüfschläuche und Gasförderpumpen lassen die Entnahme von Gasproben aus tiefergelegenen Stellen zu (Bild 6.2).
Messungen nach dem Einsteigen in den Arbeitsbereichen kontinuierlich weiterführen.
Mit den Messungen beauftragte Beschäftigte müssen in der Handhabung und Funktionsprüfung der Messgeräte unterwiesen sein und Messergebnisse richtig beurteilen können.
Kontrollmessungen schriftlich dokumentieren, wenn durch Messungen gefährliche Atmosphäre festgestellt wird.
Für die Instandhaltung von Messgeräten muss ausreichende Sachkunde vorhanden sein.
In der Regel kann die Sachkunde durch Teilnahme an speziellen Gerätewart-Lehrgängen der Hersteller erworben werden.
Instandhaltungsarbeiten nach Herstellerangaben durchführen.
Beispiele besonderer Gefahren durch Gase und Dämpfe in umschlossenen Räumen von abwassertechnischen Anlagen
In umschlossenen Räumen von abwassertechnischen Anlagen können Flüssigkeiten, Gase und Dämpfe durch unzulässige Einleitungen oder in Störfällen eingebracht werden oder infolge von chemischen bzw. biologischen Reaktionen entstehen. Durch das Vorhandensein dieser Stoffe können Gefahren drohen. In der Regel handelt es sich um Gefahren durch:
Sauerstoffmangel (O2-Mangel)
Alle zusätzlich eingebrachten Gase und Dämpfe reduzieren den Sauerstoffanteil in der Atmosphäre der u.R.a.A..
Konzentration von O2in der Luft | Symptom/Wirkung |
---|---|
20,9 Vol.-% | Konzentration in der unbelasteten Frischluft |
< 18 Vol.-% | Gesundheitsschädlich |
< 10 Vol.-% | Unter 10 Vol.-% Sauerstoff schwindet das Bewusstsein ohne Warnung. Gehirnschädigung und Tod folgen in wenigen Minuten, wenn nicht sofort eine Wiederbelebung erfolgen kann. |
Benzindämpfe
Alle Dämpfe brennbarer Flüssigkeiten sind schwerer als Luft.
Konzentration von Benzindämpfen in der Luft | Symptom/Wirkung |
---|---|
∼ 0,6 Vol.-% | Untere Explosionsgrenze (UEG) |
∼ 8 Vol.-% | Obere Explosionsgrenze (OEG) |
500 bis 1 000 ppm | Reizung der Atemwege, Kopfschmerz, Schwindelgefühl, Übelkeit, Konfusion bis zur Bewusstlosigkeit |
Kohlenstoffdioxid (CO2)
Kohlendioxid ist schwerer als Luft.
Konzentration von CO2in der Luft | Symptom/Wirkung |
---|---|
0,03 Vol.-% | Anteil in der unbelasteten Frischluft |
0,07 Vol.-% | Stadtluft |
0,1 - 0,3 Vol.-% | Hohe Werte in Büroräumen |
0,5 Vol.-%/5 000 ppm | Arbeitsplatzgrenzwert (AGW) |
ca. 1 - 4 Vol.-% | Reizung der Schleimhäute; Atembeschleunigung; Blutdruckanstieg; Erregung; Herzklopfen; Kopfschmerzen |
ca. 5 - 9 Vol.-% | Kopfschmerzen, Ohrensausen (Tinnitus), Herzklopfen, Blutdruckanstieg, psychische Erregung, Schwindel, Benommenheit |
> 9 Vol.-% | Bewußtlosigkeit nach 5 - 10 Minuten Einatemdauer |
Über 10 Vol.-% | Lähmung des Atemzentrums; Narkose; Tod |
Methan (CH4)
Methan ist leichter als Luft.
Konzentration von CH4in der Luft | Symptom/Wirkung |
---|---|
4,4 Vol.-% | Untere Explosionsgrenze (UEG) |
17 Vol.-% | Obere Explosionsgrenze (OEG) |
Schwefelwasserstoff (H2S)
Schwefelwasserstoff ist schwerer als Luft.
Konzentration von H2S in der Luft in ppm | Symptom/Wirkung |
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ab 0,02 | Geruchliche Wahrnehmbarkeit |
3 - 10 | deutlich unangenehmer Geruch |
20 - 30 | widerwärtiger Geruch nach faulen Eiern |
5 | Arbeitsplatzgrenzwert (Empfehlung der MAK-Komission) |
50 - 100 | Reizungen des Atemtraktes, Verlust des Geruchssinns |
100 - 200 | Kopfschmerz, Schwindel, Durchfall |
250 - 500 | Toxisches Lungenödem, Zyanose, Bluthusten, Lungenentzündung, Atemnot |
500 | Kopfschmerzen, unkoordinierte Bewegungen, Schwindelgefühl, Stimulation der Atmung, Gedächtnisschwäche, Bewusstlosigkeit ("knock-down") |
500 - 1 000 | Atemstillstand, sofortiger Kollaps, schwerste Nervenschädigungen, arhythmische Herztätigkeit, Tod |
Faulgas
Faulgas ist ein Gasgemisch (u.a. aus CH4, CO2, H2S, O2, H2), das in unterschiedlichsten Zusammensetzungen vorkommen kann. Die Dichte von Faulgas wird fast nur von dem Verhältnis CH4/CO2 bestimmt. Es kann sowohl schwerer als auch leichter als Luft sein. Beim Faulgas treten die Wirkungen der einzelnen Komponenten in Kombination auf. Über die Kombinationswirkung auf den Menschen liegen zur Zeit keine detaillierten Erkenntnisse vor.