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Abschnitt 2.12 - Was ist bei einer Nadelstichverletzung zu tun?

Neben dem Risiko einer primären Wundinfektion wird bei einer Verletzung an Injektionsnadeln die Infektion mit Hepatitis-B-, Hepatitis-C- und HI-Viren gefürchtet.

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Injektionsnadel im Sortiergut

Gerade die Kenntnis, dass Injektionsnadeln im Sortiergut häufig aus der HIV-Risikogruppe der Drogenabhängigen stammen, führt zu verständlichen Ängsten der Betroffenen. Die Deutsche und die Österreichische AIDS-Gesellschaft, viele andere wissenschaftliche Institutionen und das Robert-Koch-Institut haben eine gemeinsame Erklärung zur "Postexpositionellen Prophylaxe nach HIV-Exposition" abgegeben (Stand: September 2004). Die Empfehlungen zur aggressiven medikamentösen Postexpositionsprophylaxe (PEP) nach Verletzung an einer Injektionsnadel betreffen vorrangig die Annahme einer frisch benutzten, mit infektiösem Material kontaminierten Nadel. Es heißt jedoch weiter: "Bei Stichverletzungen durch herumliegendes, bereits vor einiger Zeit gebrauchtes Injektionsbesteck ist das HIV-Übertragungsrisiko … verschwindend gering. Dies liegt daran, dass in oder an üblicherweise benutzten Insulinspritzen und Kanülen nach dem Gebrauch nur geringe Blutmengen anhaften. Darüber hinaus wird in den meisten Fällen das anhaftende Restblut bereits angetrocknet und nicht mehr infektiös sein." Konsequenterweise wird "bei Kontakt mit altem, weggeworfenen Spritzenbesteck einschließlich einer Verletzung durch diese … eine PEP in der Regel nicht empfohlen". Empfohlen wird diese jedoch für den Beschäftigten im medizinischen Bereich, der sich an einer Spritze verletzt, die frische Körperflüssigkeiten mit hoher Viruskonzentration: Blut, Liquor, Punktat oder dergleichen enthält. Ausschlaggebend sind also die "Frische", Menge und Art des Materials in der Spritze. Zu empfehlen ist die schnellstmögliche Vorstellung des Betroffenen mitsamt dem fraglichen Gegenstand bei einem D-Arzt, der sich mit der Materie schon vorab vertraut gemacht hat. Für den Abfallwerker, der sich an einem bekannten Treffpunkt Drogenabhängiger mit einer Injektionsnadel verletzt, gelten mit Sicherheit andere Vorgaben als für den Sortierer am Sortierband. Hier geht es im Zweifelsfall um Minuten. Entsprechende klare Arbeitsanweisungen verkürzen die Zeit bis zur Vorstellung in einem geeigneten Zentrum. Die Nadel oder Spritze ist unbedingt zu asservieren.

Ebenso ist zu bedenken, dass Hepatitis-B-Viren und andere Mikroorganismen wesentlich unempfindlicher sind als das HI-Virus. Unabhängig von einer Entscheidung zur HIV-PEP gilt daher für alle Verletzungen mit Kanülen:

  • bluten lassen, Blutfluss durch Druck auf das umliegende Gewebe fördern (31 Minute), nicht zusätzlich traumatisieren,

  • kein Druck in unmittelbarer Nähe der Verletzung selbst,

  • chirurgische Intervention nur durch Fachpersonal, nicht abbinden,

  • anschließend mit viruzidem Antiseptikum (jodophorhaltiges Präparat auf Ethanolbasis, z.B. Betaseptic(r)) satt benetzten Tupfer über der Verletzung fixieren und für >10 Minuten durch fortlaufende Applikation des Antiseptikums feucht halten,

  • da bei Hepatitis-B und -C-Viren eine höhere Ethanolkonzentration (>80 Vol.-%) erforderlich ist, sollte nach primärer Jod-Anwendung ein geeignetes hochprozentiges ethanolisches Präparat zur Anwendung kommen (z.B. Freka(r)-Derm farblos).

Es versteht sich von selbst, dass das notwendige Material am Arbeitsplatz als Notfallset zur Verfügung stehen muss. Notfalls ist ein vorhandenes Hände-Desinfektionsmittel auf Ethanol-Basis einzusetzen. Die nach der Unfallverhütungsvorschrift "Grundsätze der Prävention" BGV A1 erforderlichen Ersthelfer bedürfen neben der Ersthelferausbildung einer zusätzlichen Schulung, sinnvollerweise durch den Betriebsarzt, um die vorstehend genannten Maßnahmen korrekt anwenden zu können.

Bei Nadelstichverletzung ist zudem - nach Blutabnahme zur Kontrolle des Hepatitis- und HIV-Serostatus - je nach Immunitätslage eine aktive bzw. aktiv/passive Simultanimpfung gegen Tetanus und Hepatitis-B angezeigt. Die Dokumentation der Verletzung im Verbandbuch nicht vergessen! Wiederholung der Serologie nach zwei und sechs Monaten.