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Neuthinger, Arbeitssicherheitsjournal 2009, 21
Gefährdungsbeurteilung: Risiken erkennen und minimieren

Eva-Maria Neuthinger

 Neuthinger: Gefährdungsbeurteilung: Risiken erkennen und minimieren - Arbeitssicherheitsjournal 2009 Heft 3 - 21>>

Ein bürokratisches Monster: So schätzen viele Mitarbeiter und Arbeitssicherheitsexperten im Unternehmen die jährliche Gefährdungsbeurteilung ein. Doch mit Standardisierung und geeigneten Software-Paketen lässt sich die Pflicht effizient und schnell abwickeln.

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Der Unfall passierte im Juni dieses Jahres und könnte sich so vermutlich in Hunderten Betrieben wiederholen: Der Mitarbeiter eines Industrieunternehmens wollte eigentlich nur den Ausgangsbehälter eines Nass-Trocken-Industriestaubsaugers reinigen. Mit dem Putzlappen allein kam er nicht weiter, also sprühte er Universalreiniger in den Behälter. Als er das Gerät wieder einschaltete, schlug ihm eine gewaltige Stichflamme entgegen. Der Mann zog sich Verbrennungen im Gesicht und am Arm zu.

Unfallursache Unkenntnis und Unachtsamkeit: Das Risiko für Chef und Mitarbeiter lässt sich minimieren. Geeignete Instrumente dafür sind die regelmäßige Gefährdungsbeurteilung und anschließend gesetzlich vorgeschriebene, entsprechende Unterweisungen der Mitarbeiter. Erfahrungsgemäß hapert es daran jedoch wie im Beispielsunternehmen, auch in vielen anderen Betrieben.

„Insbesondere Chefs kleiner und kleinster Unternehmen sind sich häufig nicht einmal bewusst, dass sie gesetzlich verpflichtet sind, die Gefährdungen im Betrieb aufzunehmen und entsprechende Lösungen dafür zu finden“, erklärt Peter Haas, Unternehmensberater in Rodgau mit Spezialgebiet Arbeitssicherheit. Vorgesehen ist die Gefährdungsbeurteilung mindestens alle zwei Jahre, in der Regel sogar jährlich. „Vorausgesetzt, die Arbeitsabläufe bleiben gleich“, sagt Michael Meetz, Geschäftsführer der uve GmbH für Managementberatung in Berlin. Andernfalls muss das Programm mehrmals jährlich durchgeführt werden.

Die Gefährdungsbeurteilung läuft nach einem bestimmten Muster ab (siehe „Das Schema richtig anwenden“), jedoch unterscheidet sie sich im Detail von Betrieb zu Betrieb und von Branche zu Branche.

Das macht die Sache schwierig, häufig auch sehr komplex: „Unternehmer und auch einige Arbeitssicherheitsfachkräfte wissen nicht immer, wie sie vorgehen müssen“, so Haas. Ein Problem ist es zum Beispiel für viele, allgemeine Begriffe aus dem Ablaufschema und allgemeine Anleitungen auf den eigenen Betrieb zu übersetzen. Haas weiß deshalb aus der Praxis, dass selbst in größeren Firmen mit einer internen Fachkraft für Arbeitssicherheit die Gefährdungsbeurteilung oft nur als eine bürokratische Übung gesehen wird, „die viel Zeit kostet“.

Standardisierung spart Zeit und Geld

Zu Unrecht, denn wenn die einzelnen Arbeitsschritte im Betrieb einmal richtig standardisiert werden, sind sie danach nur noch jährlich zu aktualisieren. Erfahrungsgemäß, so Haas, sind 80 % der Arbeitsabläufe gleich und bereiten insofern beim Ermitteln und Beurteilen gar nicht so viel Mühe.

Kollege Thomas Najderek, Unternehmensberater für Arbeitssicherheit in Mannheim, empfiehlt genau wie Haas aus Gründen der Effizienz und der Rechtssicherheit, die Gefährdungsbeurteilung prinzipiell per Checkliste aus dem Internet (siehe „Guter Rat vom Profi: Mehr Infos im Netz“) oder über eine CD im Betrieb durchzuführen. „Damit kann die Fachkraft für Arbeitssicherheit keinen wichtigen Punkt übersehen“, so Najderek. Entscheidend für den Erfolg ist es zudem, schon bei der Planung die Mitarbeiter mit einzubeziehen – im Übrigen ist das Engagement der Arbeiter und Angestellten auch rechtlich vorgeschrieben.

Vorbild für alle

Für Haas ist auch klar: „Der Unternehmer wie auch die Fachkraft für Arbeitssicherheit haben eine Vorbildfunktion für die Mitarbeiter.“ Nehmen sie ihre Aufgaben nicht ernst und halten die Sicherheitsvorschriften im Betrieb selbst nicht ein, so werden sich auch die Arbeiter an der Maschine nicht an die betrieblichen Regeln halten. Haas schlägt den Weg der kleinen Schritte vor: „Wenn sich ein zusätzlicher Mitarbeiter mehr an die Anweisungen hält und auf Nachfrage und Ermahnung einen Hörschutz trägt, ist für die Arbeitssicherheit wieder etwas gewonnen.“

Gefährdungen im Unternehmen zu minimieren, ist insofern Gemeinschaftsaufgabe aller Beteiligten. „Dazu gehören im weiteren Sinne auch Lieferanten und Hersteller“, sagt Haas.

Zum Beispiel empfiehlt er, Hersteller auf Schwachstellen bei der Bedienung einer Maschine anzusprechen. Mit einfachen Tricks lassen sich manchmal gravierende Gefährdungen technisch beseitigen. Er rät auch dazu, Erfahrungen mit Betrieben aus anderen Branchen auszutauschen. Wie gehen diese mit Gefährdungen im Unternehmen um, lassen sich Lösungsansätze übertragen?

Die gesetzlichen Grundlagen

Die Gefährdungsbeurteilung soll wesentlicher Bestandteil der täglichen Arbeit und der Betriebsorganisation sein und als Grundlage für die Unterweisung der Mitarbeiter dienen. Nachzulesen sind die Bestimmungen in zahlreichen Gesetzen und Verordnungen. Zum Beispiel

  1. im Arbeitsschutzgesetz §§ 5 und 6,

  2. der Betriebssicherheitsverordnung §§ 3 und 6,

  3. der Gefahrstoffverordnung §§ 7,

  4. der Biostoffverordnung §§ 5 und 9,

  5. in der Unfallverhütungsvorschrift Grundsätzen der Prävention § 3

  6. und der Unfallverhütungsvorschrift Betriebsärzte und Fachkräfte Arbeitssicherheit Paragraf 2.

Das Schema richtig anwenden

Passiert ein Unfall im Betrieb, haften der Unternehmer und auch die Fachkraft für Arbeitssicherheit. Der Verantwortung für seine Mitarbeiter kann sich der Chef nicht entziehen. Schon deshalb ist es wichtig, die rechtlichen Vorgaben strikt einzuhalten. Thomas Najderek erklärt: „Lückenlose Dokumentation der Gefährdungsbeurteilung ist unerlässlich.“ Dies ist bei Unternehmen mit mindestens zehn Mitarbeitern gesetzlich sogar vorgeschrieben, wird erfahrungsgemäß aber in der Praxis so nicht immer gehandhabt. In welchen Schritten und in welchen Einzelheiten die Gefährdungsbeurteilung abläuft, hängt vom jeweiligen Betrieb und von der Branche ab.

Im Prinzip haben die Verantwortlichen einen breiten Spielraum, wie sie vorgehen können. Entscheidend ist nur, das Ziel zu erreichen – die individuellen Gefährdungen im Betrieb aufzuspüren und entsprechende Maßnahmen zur Vermeidung von Unfällen einzuführen. Der Umfang hängt von den betrieblichen Gegebenheiten ab, wobei sämtliche Arbeitsabläufe mit einzubeziehen sind. Also auch solche, die nicht zum eigentlichen Tagesgeschäft gehören, etwa Reinigungsarbeiten oder Instandhaltung von Maschinen.

Diese fünf Schritte sind entscheidend für eine korrekte Gefährdungsbeurteilung:

1. Vorbereiten und Ermitteln

Für jede einzelne Tätigkeit oder für jeden Arbeitsplatz sind die Gefährdungen zu ermitteln. Die Aufnahme erfolgt über das Gespräch mit den Mitarbeitern (der Betriebsrat hat bei der Gefährdungsbeurteilung ein Mitbestimmungsrecht) und die Begehung des Arbeitsplatzes. Falls mehrere Mitarbeiter die gleichen Arbeitsschritte erledigen, so reicht es aus, die Tätigkeiten nur für einen Arbeitsplatz zu erfassen. Die Beteiligten sind über den Inhalt und den Ablauf der Analyse zu informieren.

2. Gefährdungen checken

Der Arbeitssicherheitsexperte prüft, nachdem er sich Kenntnis über die Arbeitsorganisation verschafft hat, die verschiedenen Gefährdungsfaktoren durch. Und zwar am besten mit einer detaillierten Checkliste. Zu unterscheiden sind jeweils diese Gruppen:

  1. Mechanische Gefährdungen, zum Beispiel ungeschützt bewegte Maschinenteile, gefährliche Oberflächen

  2. Elektrische Gefährdungen, etwa Stromschlag oder Störlichtbogen

  3. Gefahrstoffe, etwa mangelnde Vorsicht beim Umgang, Einatmen

  4. Biologische Arbeitsstoffe, etwa Viren, Infektionen, Mikroorganismen

  5. Brand- und Explosionsgefährdungen, etwa Explosionsstoffe, Flüssigkeiten, Gase

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  1. Thermische Gefährdungen durch Hitze und Kälte

  2. Gefährdung durch spezielle physikalische Einwirkungen, etwa Lärm, Vibrationen, Unter- oder Überdruck

  3. Gefährdungen durch Arbeitsumgebungsbedingungen, etwa Klima, Beleuchtung, Erstickungsrisiken, Fluchtwege

  4. Physische Belastung/Arbeitsschwere, etwa Haltungsarbeiten, Heben, Zwangshaltung

  5. Psychische Faktoren, etwa Mobbing, Über- oder Unterforderung, Arbeitzeitregelungen

  6. Sonstige Gefährdungen, etwa Risiken eines Überfalls oder durch Tiere

3. Dokumentieren und Beurteilen

Der Arbeitgeber ist verpflichtet, den Prozess bis ins Detail zu dokumentieren. Diese Dokumentation dient dann als Grundlage für die Beurteilung der Gefährdungen, die Kontrolle und gegenüber den Aufsichtsbehörden als Nachweis über die ordnungsgemäße Durchführung. Falls sich im Unternehmen Neuerungen ergeben, wird die Dokumentation geändert.

4. Maßnahmen festlegen und durchführen

Wenn die Gefahren ermittelt sind, kommt anschließend der Soll-Ist-Vergleich, die Analyse der Schwachstellen. Mit welchen Mitteln können diese beseitigt werden? Konkrete Maßnahmen sind festzulegen und werden anschließend durchgeführt, um die Gefährdungen zu vermeiden.

5. Überprüfen und Prozess optimieren

Danach sollte die Wirksamkeit überprüft werden. Halten sich zum Beispiel die Mitarbeiter an die Anweisung, Hörschutz anzulegen? In der Praxis läuft eine Gefährdungsbeurteilung nach dem Deming-Zyklus (Plan-Do-Check-Act) ab, der den Verbesserungsprozess als eine Innovationsspirale spiegelt. Anders gesagt: Jedes Mal, wenn sich Abläufe im Unternehmen ändern, wird erneut ermittelt, analysiert und angepasst. In Arbeitsanweisungen werden die Neuerungen gegenüber den Mitarbeitern kommuniziert. Faktisch ist die Gefährdungsbeurteilung niemals abgeschlossen, sondern ein Prozess ständiger Verbesserung.

Download „Gefährdungsbeurteilung“ auf www.arbeitssicherheit.de

Arbeitssicherheits-Experten wie der Mannheimer Berater Thomas Najderek empfehlen Sicherheitsverantwortlichen in Unternehmen, Gefährdungsbeurteilungen nach Checklisten vorzunehmen. Dafür brauchen Sie sich nicht durch das gesamte Web zu googeln: Auf unserer Internetplattform www.arbeitssicherheit.de haben wir für Sie ein ausführliches Dokument hinterlegt, das sich auf die individuellen Bedürfnisse der Gefährdungsbeurteilung verschiedener Arbeitsplätze abwandeln lässt. Das RTF-Format ermöglicht Ihnen, das Dokument zu bearbeiten und am PC auszufüllen. Sie finden die 7-seitige Checkliste unter dem Navigationspunkt Wissen → Werkzeuge → Checklisten.

Gegliedert ist das Dokument in die Bereiche Arbeitsmittel- und Arbeitsstätten-Information, Klassifizierung (z.B. Explosionsgefährdeter Bereich) sowie eine Liste mit möglichen Gefährdungen, die individuell angepasst werden kann. Es folgen Felder, in die die Fachkraft für Arbeitssicherheit Prüffristen und Verantwortliche eintragen kann. Zum Schluss bietet die Checkliste die Möglichkeit, Maßnahmen gegen die Gefährdungen einzutragen und damit die wichtigste Aufgabe von Gefährdungsbeurteilungen zu erfüllen: das Abwenden von Gefahren, die Mitarbeitern bei der Arbeit im Betrieb drohen.

Auf einen Blick

Definition Gefährdungsbeurteilung

Die Gefährdungsbeurteilung ist das Verfahren zur Beurteilung von Gesundheits- und Sicherheitsgefährdungen der Arbeitnehmer, die aus Gefahren am Arbeitsplatz resultieren. Sie ist eine systematische Untersuchung aller Aspekte der Arbeit, um herauszufinden:

  1. wodurch Verletzungen oder Schäden verursacht werden können,

  2. wie die Gefahren beseitigt werden können und, falls dies nicht möglich ist,

  3. welche Präventions- oder Schutzmaßnahmen zur Begrenzung der Gefährdungen vorhanden sind oder sein sollten.

Quelle: Leitfaden der Europäischen Kommission zur Gefährdungsbeurteilung (Guidance on risk assesment at work)

Info

Guter Rat vom Profi: Mehr Infos im Netz

Im Internet und im Buchhandel finden sich vielfältige Informationen und Handlungsanleitungen. Eine Auswahl:

www.gefaehrdungsbeurteilung.de

Das neue Portal der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA) will Unternehmen bei ihrer Gefährdungsbeurteilung unterstützen. Auf der Seite findet der Nutzer gesammelt zahlreiche Informationen, Links und Handlungsanleitungen. Unter dem Stichwort „Basiswissen“ steht zum Beispiel, was den Prozess der Gefährdungsbeurteilung kennzeichnet, warum man sie machen sollte und wie man sie ganz konkret durchführt. Zusätzlich gibt es unter Handlungshilfen eine Datenbank, unter der sich etwa Branchenlösungen recherchieren lassen. Die Rubrik Expertenwissen gibt Tipps dazu, wie grundsätzlich alle möglichen Gefährdungen zu prüfen sind. Die Inhalte werden laufend aktualisiert, entsprechend dem „Ratgeber zur Ermittlung gefährdungsbezogener Arbeitsschutzmaßnahmen im Betrieb“ der BAuA.

www.basik-net.de

Die uve GmbH in Berlin zum Beispiel bietet speziell für kleine und mittlere Handwerksbetriebe aus den Gewerken Dachdecker, Gerüstbauer, Maler und Lackierer eine Online-Lösung. „Der Nutzer wird Schritt für Schritt durch die Gefährdungsbeurteilung geführt“, erklärt Michael Meetz von der uve GmbH, die basik-net über mehrere Jahre im Praxistest mit 150 Innungsbetrieben entwickelt hat. „Der Unternehmer kann mit Anwendung der Software sicher sein, dass er seine Pflichten erfüllt“, so Meetz. Die Onlinenutzung von basik-net kostet zwischen 60 und 90 Euro für den Betrieb im Jahr.

www.tuv.com

Genauso bietet der TÜV in verschiedenen Regionen individuelle Unterstützung. Zugeschnitten auf die Belange des Betriebes wird ein Konzept aufgestellt. Ziel ist es, so der TÜV Rheinland, den Aufwand für die Durchführung so gering wie möglich zu halten.

www.baua.de

Auf der Seite der Bundesanstalt für Arbeitsschutz findet sich unter dem Stichwort „Themen“rechts ein Leitfaden für die Gefährdungsbeurteilung als kostenloses Download. Hier wird der Ablauf im klassischen Sinne vorgestellt (von der Vorbereitung bis zur Kontrolle der Maßnahmen, insbesondere Dokumentation). Zudem stehen dort eine Reihe Literaturhinweise und eine ausführliche Linksammlung.

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