DGUV Information 202-113 - Inklusion im Schulsport Handreichung für Lehrkräfte

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Abschnitt 5.3 - 5.3 Bewegungsaufgaben

Offene Bewegungsaufgaben eröffnen Lernräume für Schülerinnen und Schüler mit stark unterschiedlichen individuellen Voraussetzungen.

Während eine Bewegungsanweisung sich schwerpunktmäßig an sportartspezifischen Bewegungsnormen orientiert und die Möglichkeit eröffnet, eine klar definierte Bewegungsvorgabe auszuführen, die auf eine richtige Bewegungslösung abzielt, lässt die offene Bewegungsaufgabe durch ihren Handlungsspielraum in der Regel eine Vielzahl an Bewegungslösungen zu. Diese Art der Aufgabenstellungen zeichnet sich dabei durch ergebnisoffene Lösungswege aus. Ergebnisoffene Aufgaben sind jedoch nicht als sinnund ziellos zu verstehen. Ein nachvollziehbares, transparentes Handlungsziel, welches die Schülerinnen und Schüler selbstständig kontrollieren können, ist bedeutend. Dadurch erhalten die Aufgaben eine intersubjektive, sinnvolle, transparente und sachlogische Struktur (vgl. Giese und Weigelt 2015, S. 36).

Die offene Bewegungsaufgabe steckt also einen Handlungsspielraum ab, in dessen Rahmen eine motorische Lösung zu finden ist, die als Möglichkeit gelten kann. Die Unterscheidung zwischen "guten" und "schlechten" Lösungen im Vergleich zu den Mitschülerinnen und Mitschülerinnen steht an dieser Stelle zunächst im Hintergrund der Betrachtung. Vielmehr wird die individuelle Leistungsfähigkeit herausgefordert und entsprechend in den Vordergrund der Betrachtung gerückt.

BEISPIEL
AUS DER SEKUNDARSTUFE I ZUM THEMA WEITSPRUNG: Beim Einsatz von offenen Bewegungsaufgaben geht es beispielsweise nicht in erster Linie darum, eine Weitsprungtechnik (z. B. Hangsprungtechnik) mustergültig zu erlernen, sondern zunächst darum, individuell sinnvolle Lösungen für die Aufgabe möglichst weit zu springen auszuprobieren und zu finden. Bestimmte Vorgaben, z. B. das Festlegen einer Absprungzone oder die Länge der Anlaufstrecke, können dabei die Bewegungsaufgabe auf einen klar definierten Handlungsspielraum begrenzen. Eine entsprechende Aufgabenstellung könnte folgendermaßen formuliert werden:
"Probiere verschiedene Möglichkeiten aus,
um möglichst weit zu springen."

Impulse zur Variation:

  • Mit welcher Absprungmöglichkeit kannst du weiter springen? Einbeiniger oder zweibeiniger Absprung?

  • Probiere verschiedene Anlauflängen aus. Langer, mittlerer oder kurzer Anlauf?

  • Wie wirkt sich deine Anlaufgeschwindigkeit auf deine Sprungweite aus? Probiere es aus.

  • Aufgabe in Partnerarbeit: Eine Schülerin, ein Schüler springt und die Partnerin, der Partner markiert dessen Landepunkt, um später die Sprungweiten miteinander vergleichen zu können.

Über die Bewältigung von spielerischen, problemorientierten Aufgabenstellungen wird die Vielfalt von Bewegungs- und Handlungsmöglichkeiten sichtbar und bewusst erlebbar. Bewegungen auf unterschiedlichen Wegen auszuprobieren und zu lösen, ermöglicht den Schülerinnen und Schülern zu verstehen, auf welchem Wege und unter welchen Voraussetzungen Bewegungsausführungen in dem jeweiligen Setting und auf ihrer Könnensstufe am besten gelingen können. Beim Ausprobieren von unterschiedlichen "Sprüngen in die Weite" können die Schülerinnen und Schüler z. B. erfahren, mit welchen Absprungmöglichkeiten sie am weitesten springen können, welche Absprungtechnik zu mehr Sprunghöhe verhilft, welche Körperhaltung die Flugweite begünstigt. Sie formen entsprechend ihrer Möglichkeiten zunächst eine individuelle Weitsprungtechnik aus. Individuelle Tipps von der Lehrkraft durch Veränderung der Bewegungsaufgaben unterstützen den Lernprozess. Das Erlernen einer sportartspezifischen Technik könnte dann als nächster sachlogischer Schritt an diese Erfahrungen anknüpfen.

Durch die Möglichkeit der individuellen Aufgabenanpassung über offene Bewegungsaufgaben, wird ein wichtiger Beitrag geleistet, Individualisierung und innere Differenzierung umzusetzen. Gleichzeitig werden die Schülerinnen und Schüler herausgefordert, sich aktiv-mitgestaltend am Unterrichtsprozess zu beteiligen. Es ist bedeutend, sich als Lehrkraft vor Augen zu führen, welches Ziel und welchen methodischen Schwerpunkt die Art der Aufgabenstellung intendiert. Zudem ist es hilfreich, verschiedene Variationsmöglichkeiten der Aufgaben bereits im Vorfeld bei der Planung von Angeboten auszuloten. Zu erkennen, wann es sinnvoll ist, eine Aufgabe eher offen oder eher geschlossen zu gestalten, welche Veränderung der Aufgabenstellung die Schülerin, den Schüler im nächsten Schritt herausfordert oder welche Veränderung eine zusätzliche notwendige Hilfe bei der Lösung darstellt, gehört zum methodischen Geschick, offene Bewegungsaufgaben situativ und passgenau einzusetzen. Lernprozesse werden so zielorientiert gesteuert und individuelle Lernwege unterstützt. Gute, passgenaue und transparente Aufgabenstellungen sind demzufolge das A und O jedes Bewegungsangebots, insbesondere in heterogenen Gruppen.

Es gibt eine Vielzahl von Veränderungsmöglichkeiten für offene Bewegungsaufgaben. Sie können durch unterschiedliche Komponenten variiert werden. Durch diese gezielten Variationen wird der Unterricht einerseits abwechslungsreich, andererseits bleibt er strukturiert und zielorientiert. Es geht dabei immer auch um eine Variation unter Komplexitätskriterien. Eine Aufgabe kann unter Einbeziehung der dargestellten Variationsparameter gezielt schwieriger oder leichter gestaltet werden. Die Kriterien für die Aufgabenstellung sollten den Schülerinnen und Schülerinnen transparent gemacht werden, indem sie klar formuliert werden und Grundlage für die Leistungsbewertung sind.

Anhand von Variationsparametern kann verdeutlicht werden, wie die konkrete Gestaltung von Aufgaben verändert werden kann.

BEISPIEL AUS DER GRUNDSCHULE:

Aufgabe: Balancieren über Langbänke

VariationsparameterInhaltliche BeschreibungBeispiele
Raum
  • Raumrichtung (z. B. vorwärts, rückwärts, seitwärts)

  • Raumwege (z. B. gerade, kurvig, diagonal)

  • Raumdimensionen (z. B. Höhe, Tiefe, Weite, Enge)

  • Veränderung der Balancierwege: gerade, kurvig, diagonal,

  • auf unterschiedlichen Höhen balancieren (z. B. über eine Langbank, die erhöht auf einem Turnkastenteilen steht)

  • an einem markierten Punkt Änderung der Bewegungsrichtung

  • Weite der Balancierstrecke verändern

Zeit
  • Tempo, Bewegungsgeschwindigkeit

  • Rhythmus

  • Bewegungspausen

  • in Zeitlupe balancieren

  • Bewegungspausen einbauen,

  • z. B. "Einfrieren" auf ein Signal

Dynamik
  • Intensitätsveränderung, viel oder wenig Krafteinsatz, gespannt oder entspannt

  • Instabilität des Bewegungsuntergrunds (z. B. Langbank auf Gymnastikstäben)

  • balancierendes Zurücklegen einer Strecke mit einer festgelegten Anzahl von Schritten

Form
  • Veränderung der Bewegungstechnik/Körperhaltung

  • seitwärts oder rückwärts gehen

  • mit geschlossenen Augen balancieren

  • im Vierfüßlergang über die Langbank balancieren

Material
  • Veränderung der Übungsformen durch Einbindung von Materialien

  • Veränderung von Balancierfläche/-untergrund: breite oder schmale Fläche (Langbank umgedreht, Langbank auf der Seite liegend)

  • Einbau von zusätzlichen Hindernissen: über einen Medizinball, durch einen Reifen, über ein gehaltenes Seilchen, an einem Hütchen vorbei

Kombination
  • Kombination von verschiedenen Bewegungsfertigkeiten

  • Einbau von Drehungen an markierten Orten

  • beim Balancieren über die Langbank gleichzeitiges Balancieren von Gegenständen: einhändiges und beidhändiges Balancieren von Bällen auf der Handinnenfläche, Ausbalancieren von Gegenständen wie Wurfring oder Stab auf der Handinnenfläche, Sandsäckchen auf dem Kopf liegend

Organisation/Sozialform
  • Einzelarbeit/Partnerarbeit/Gruppenarbeit

  • einzeln nacheinander

  • miteinander, gleichzeitig

  • an Stationen

  • in unterschiedlichen Räumen

  • Lerngruppenzusammensetzung differenziert nach Lernvoraussetzungen

  • mit einer weiteren Person als Hilfe (Handfassung)

  • mit einer Gruppe gleichzeitig, mit einem oder mehreren Personen nebeneinander oder aneinander vorbei balancieren

Spielsituationen
  • Übungen in Spielsituationen einbetten

  • Spielsituationen gestalten oder verändern

  • Einbindung in einen Parcours: Schatztransport durch den Dschungel über Brücken (Langbänke) und Wackelbrücken (umgedrehte Langbank auf Gymnastikstäben), an schwingenden giftigen Lianen vorbei (über der Langbank schwingende Taue dürfen nicht berührt werden), über Flüsse (von Langbank zu Langbank steigen)

  • "Größenordnung": Alle Schülerinnen und Schüler stehen auf der Bank und ordnen sich nach Körpergröße (von klein zu groß), ohne dass die Bank verlassen wird.

BEISPIEL AUS DER SEKUNDARSTUFE I:

Aufgabe: Überwinden von Hindernissen (Langbänken) im Lauf

VariationsparameterInhaltliche BeschreibungBeispiele
Raum
  • Raumrichtung (z. B. vorwärts, rückwärts, seitwärts)

  • Raumwege (z. B. gerade, kurvig, diagonal)

  • Raumdimensionen (z. B. Höhe, Tiefe, Weite, Enge)

  • unterschiedliche Laufwege über die Langbänke ausprobieren: gerade, kurvig, diagonal

  • Anlaufweite verändern: die Abstände zwischen den Langbänken verändern

  • in unterschiedlichen Höhen über die Langbänke springen

  • Erhöhung der Hindernisse durch zusätzliches Material (auf der Langbank stehende Pylonen werden übersprungen)

Zeit
  • Tempo/Bewegungsgeschwindigkeit

  • Rhythmus

  • Bewegungspausen

  • Erarbeitung eines Anlaufrhythmus vor dem Absprung (z. B. "1,2,3 Sprung, 1,2,3 Sprung")

  • Ausführung im Gleichschritt mit einer weiteren Person oder in der Gruppe

  • nach dem Überqueren des Hindernisses wird ein Bewegungstopp eingebaut

Dynamik
  • Intensitätsveränderung, viel oder wenig Krafteinsatz, gespannt oder entspannt

  • Markieren von Absprungzonen oder Landezonen vor/hinter den Langbänken

  • unterschiedlich schnellen Anlauf vor dem Absprung ausprobieren

Form
  • Veränderung der Bewegungstechnik/Körperhaltung

  • Absprung vor dem Hindernis mit einem festgelegten Absprungbein (links/rechts)

  • Überquerung der Langbänke mit Aufsetzen eines Fußes (Zwischenlandung) auf den Langbänken

  • Absprung und/oder Landung mit einem Bein vor bzw. hinter den Langbänken

  • Absprung und/oder Landung mit beiden Beinen vor bzw. hinter den Langbänken

Material
  • Veränderung der Übungsformen durch Einbindung von Materialien

  • Pappkartons zum Überspringen auf einer oder mehreren Langbänken positionieren

  • über zwei oder mehrere aneinandergestellte Langbänke gleichzeitig springen

  • Einsatz von Absprunghilfen vor einer Langbank (z. B. Sprungbrett oder erhöhter Absprungbereich durch Kastendeckel oder Matte)

Kombination
  • Kombination von verschiedenen Bewegungsfertigkeiten

  • beim Sprung über die Langbänke in die Hände klatschen

  • Absprungbeinwechsel vor jeder Langbank

Organisation/Sozialform
  • einzeln, nacheinander, gleichzeitig

  • an Stationen

  • in unterschiedlichen Räumen

  • Lerngruppenzusammensetzung differenziert nach Lernvoraussetzungen

  • Hindernislauf mit Handfassung mit einer Partnerin, einem Partner

  • "Schattenlaufen" (hintereinander) mit einer Partnerin, einem Partner

  • abwechselndes Überqueren der Langbänke mit einer Partnerin, einem Partner oder in der Gruppe

  • unterschiedliche Laufstrecken und Hindernisse an unterschiedlichen Stationen anbieten

Spielsituationen
  • Spielsituationen gestalten oder verändern

  • Einbindung des Hindernislaufs in einen Parcours

  • Spielform: Brennball mit Hindernissen