DGUV Information 202-111 - Mit Schulleitung gesunde, inklusive Schule gestalten Handlungsempfehlungen und Reflexionsimpulse für Schulentwicklungsprozesse

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Abschnitt 8.8 - 8.8 Vernetzung und Beteiligung nach innen und nach außen pflegen (mehr-ebenen-theoretischer Blick)

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In jüngerer Vergangenheit ist die Bedeutung von Netzwerken für die pädagogische Praxis zunehmend stärker betont worden 76. Dabei werden hierunter ganz allgemein Beziehungsgeflechte unterschiedlicher Praxisgemeinschaften verstanden, in denen durch die Vielfalt der involvierten Mitglieder verschiedene Perspektiven, Erfahrungen und Kompetenzen zusammenkommen 77. Die Mitglieder der Netzwerke zeichnen sich daher vor allem durch eine wechselseitige Unterstützung, aber auch durch gemeinsame Interessen und ähnliche Leitvorstellungen aus. Idealerweise begegnen sich die Interagierenden im Netzwerk außerdem als weitgehend Gleichberechtigte 78. Schulische Netzwerke, die eine wichtige Ressource für Entwicklungsprozesse darstellen, umfassen bspw.

  • die Schuladministration,

  • diverse kooperierende Schulen,

  • Beratungsstellen und Fachdienste,

  • verschiedene Ämter und

  • Eltern.

Schulentwicklungsmaßnahmen werden damit zunehnehmend entlang eines mehr-ebenen-theoretischen Blicks konzipiert, in denen auf unterschiedlichen Ebenen (u. a. Unterricht, Einzelschule, Verwaltung, Bildungspolitik) Akteure ihr Handeln in ihren jeweiligen Verantwortungsbereichen koordinieren müssen.

Auch im Hinblick auf Inklusion wird auf die Bedeutung einer Verschränkung von top-down und bottom-up Prozessen und einer gemeinsamen Verantwortungsübernahmen der unterschiedlichen Akteure für die Schulentwicklung hingewiesen. Weder lasse sich die Umsetzung schulischer Inklusion von oben verordnen, noch könnten die Akteure auf Ebene der Einzelschule innerhalb bestehender struktureller Rahmenbedingungen und Ressourcenvorgaben des selektiven und segregierendem deutschen Schulsystems Inklusion vollumfänglich umsetzen.

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g_bu_1787_as_4.jpgIch habe das als einen sehr interessanten, sehr herausfordernden, Prozess empfunden, der auch deutlich gemacht hat, dass wir sehr, sehr viel Unterstützung hatten durch die damals schon bestehenden Netzwerke, die wir in die Kommune, aber auch in die Region, und überregional aufgebaut hatten. Das war eine wichtige Ressource, um aus der Situation, aus einer Laiensituation - Wir sind ein ganz normales Gymnasium und hatten keine Erfahrungen mit der Beschulung beeinträchtigter Kinder oder Jugendlicher - und um wenigstens, ja, Schritt für Schritt kompetenter zu werden, war das, glaube ich, damals, wichtig.
(Schulleitender, Gymnasium)
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Neben diesen schulübergreifenden Beziehungen gehört zur Vernetzung aber immer auch der Aufbau produktiver Kooperationsbeziehungen innerhalb der einzelnen Schule selbst 79. Schulleitung kommt dabei die Aufgabe zu, zwischen den unterschiedlichen Erwartungen inner- und außerschulischer Netzwerkmitglieder zu vermitteln und davon ausgehend, die Entwicklungsprozesse an ihrer jeweiligen Schule anzuleiten und zu orchestrieren 80. Sie verfügen in ihrer Schnittstellenfunktion über einen umfangreichen Handlungsspielraum, die Akteure in ihren unterschiedlichen Interessen an den Prozessen zu beteiligen und als Ressource für den inklusionsorientierten Entwicklungsprozess zu nutzen.

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Die empirische Forschung zu Schulnetzwerken und deren Einfluss auf die alltägliche pädagogische Praxis gilt als ausbaufähig 81. Trotzdem lassen sich in den bisherigen Studien bereits positive Effekte beobachten, die bspw. nahelegen, dass die Bildung vielfältiger schulübergreifender Netzwerke auch die Kooperation innerhalb von Einzelschulen anregen kann 82. Als förderliche Bedingungen haben sich dabei erwiesen:

  • die aktive Beteiligung der Schulleitung;

  • eine hohe Transparenz bzgl. der gemeinsamen Ziele und Erwartungen;

  • die gemeinsame Teilnahme an Fortbildungen und Arbeitstagungen;

  • wechselseitige Hospitationen;

  • die Koordination von Terminen und geplanten Aktivitäten durch eine zentrale Instanz;

  • ein relativ ausgeglichenes Geben und Nehmen zwischen den Mitgliedern.

Auch scheinen Netzwerke

  • das professionelle Wissen von Lehrkräften zu erweitern;

  • Schulentwicklungsprozesse durch den Aufbau individueller Kompetenzen voranzutreiben;

  • die Reflexionsfähigkeit von Lehrkräften zu steigern;

  • das Engagement der Beteiligten zu erhöhen;

  • sich positiv auf die psychische bzw. emotionale Verfassung von Lehrkräften auszuwirken;

  • zum Aufbau kollektiver Reflexionspraktiken zu führen 83.

Dass eine gute Zusammenarbeit mit unterschiedlichen Akteuren im Kontext inklusionsorientierter Schulentwicklungsprozesse zielführend ist, zeigen auch die Befragungen der Schulleitungen in unserer Studie 84. Dementsprechend zählt die Vernetzung und Kooperation mit anderen Institutionen auch zu den meistgenannten Aufgaben von Schulleitungen im Zuge inklusiver Schulentwicklung. Es wurde außerdem deutlich, dass die Qualität der Zusammenarbeit mit den verschiedenen zentralen Akteuren vor Ort maßgeblich beeinflusst,

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g_bu_1787_as_4.jpgWir haben Leute in unterschiedliche Schulen geschickt, um die Schulen anzugucken, um zu hospitieren. Wir haben immer wieder Ideen gesammelt. Wir haben das Ganze auch in der Kommunikation als Kollegium, als so ein Pilotprojekt aufgesetzt und haben dann Erfolge damit gesammelt und sind dann wieder einen Schritt weiter gegangen und wieder einen Schritt weiter gegangen.
(didaktische Leitung, Gesamtschule)
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  • inwiefern Schulleitung die Prozesse von Inklusion an der eigenen Schule selber mitgestalten;

  • inwiefern sie Inklusion in einem ganzheitlichen Verständnis für umsetzbar halten;

  • inwiefern sie Fortschritte in Richtung Inklusion an ihrer Schule berichten können.

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Für die praktische Ausgestaltung inklusiver Schulentwicklungsprozesse ist es besonders wichtig, eine hohe Sensibilität für die unterschiedlichen Akteurskonstellationen auf den Ebenen des Bildungswesens zu entwickeln. Hierzu gehört auch die enge Einbeziehung der Eltern in den Prozess. Dabei geht es um das permanente Erkennen unterschiedlichster Interessen und Bedürfnisse im System. Ein mehr-ebenen-theoretischer Blick vom bildungspolitischen Auftrag bis zum gemeinsamen Schulentwicklungsprozess kann hier hilfreich sein. Schulleitungen nehmen hier eine bedeutende Position in der Mitte des Geschehens ein. Sie müssen nach oben und unten hin vermitteln. Die bisherigen Ausführungen legen ein mögliches Vorgehen in sieben Schritten nahe, das hier in Anlehnung an Kotter 85 etwas vereinfacht dargestellt wird und idealtypisch als praktischer Fahrplan dienen kann. In der Praxis überlagern die Schritte sich sicherlich und entfalten eine synergetische Dynamik. Gleichzeitig hilft das Modell, den Überblick zu behalten und nächste Schritte zu antizipieren.

  1. 1.

    Schaffe Dringlichkeiten:

    für die inklusive Idee werben; Widersprüche und Krisen identifizieren und analysieren;

  2. 2.

    Schaffe eine Führungskoalition:

    engagierte Personen mit ausreichendem Handlungsspielraum zusammenbringen; wechselseitige Unterstützung anregen;

  3. 3.

    Entwickle eine Vision und Strategie:

    gemeinsame Leitidee und Zielvorstellung schaffen; mögliche Rekontextualisierungen und unerwünschte Effekte antizipieren;

  4. 4.

    Kommuniziere die Vision für den Wandel:

    auf mehreren Kanälen kommunizieren, mediale Formate nutzen; als Vorbild nach der eigenen Vision handeln;

  5. 5.

    Ermächtige umfassende Handlungsmöglichkeiten:

    potentielle Ressourcen suchen; Widerstände abbauen; andere Akteure zur Durchführung neuer Ideen, Aktivitäten und Handlungen motivieren;

  6. 6.

    Generiere kurzfristige und sichtbare Erfolge:

    das Gelingen und Erfolge sichtbar machen; "Gewinngeneratoren" öffentlich anerkennen;

  7. 7.

    Konsolidiere Gewinne und erzeuge mehr Wandel:

    gestiegenes Vertrauen nutzen, um Widerstände zu bearbeiten; den Prozess mit neuen Projekten, Themen und change agents wiederbeleben.

Killus & Gottmann 2012

Berkmeyer et al. 2011

Killus & Gottmann 2012

Berkmeyer et al. 2011

Badstieber & Moldenhauer 2016

Berkmeyer, Berkmeyer & Schwikal 2015; Altrichter 2010; Lipowsky 2010

Killus & Gottmann 2012

Berkmeyer et al. 2011

Amrhein et al. 2018

Kotter 1995