DGUV Information 204-041 - Erweiterte Erste Hilfe in Windenergieanlagen und -parks

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Anlage 2 - Telekonsultation

Der Begriff "Telekonsultation" bezeichnet im Zusammenhang mit der Erste-Hilfe-Leistung in erster Linie eine telenotärztliche Beratung, Unterstützung und Betreuung des Ersthelfers oder der Ersthelferin (Abbildung 3). Telekonsultation zielt auf eine qualitative Verbesserung der Ersten Hilfe durch den Ersthelfer oder die Ersthelferin und im Falle der Ersthelfenden-Windenergie zusätzlich auch auf eine Erweiterung der Bandbreite möglicher Maßnahmen ab. In diesem Sinne ist Telekonsultation als ein ergänzendes Strukturelement des vorhandenen betrieblichen Rettungswesens zum Erreichen einer qualitativ hochwertigen Patientenversorgung zu verstehen.

Im Hinblick auf den Ersthelfer oder die Ersthelferin bzw. den Ersthelfer-Windenergie oder die Ersthelferin-Windenergie ist grundsätzlich deren Laienstatus zu berücksichtigen. Telekonsultationen, entsprechend der Begriffserläuterung in der 1. Zeile dieses Kapitels, sind bei Notfällen und ohne Verzögerung sonstiger erforderlicher Schritte wie der unverzüglichen Zuführung medizinisch qualifizierter Hilfe angezeigt und sinnvoll.

Unabdingbare Voraussetzung für die Telekonsultation ist das Vorhandensein einer adäquaten Informations- und Kommunikationstechnik (IKT). Die Zuverlässigkeit und Robustheit der eingesetzten IKT ist neben der technischen und organisatorischen Gewährleistung des Datenschutzes und der Datensicherheit sicherzustellen. Die Verfügbarkeit einer bidirektionalen, zuverlässigen Audioübertragung (z. B. Sprechfunk-, Satelliten-, IP- oder Handytelefonie) ist häufig nicht ausreichend. Die Möglichkeit zur Übertragung von Fotos an den konsultierten Arzt oder Ärztin und die Verfügbarkeit einer verlässlichen, zumindest unidirektionalen Videoübertragung in Echtzeit ist deshalb als Standard anzusehen, so dass der konsultierte Arzt oder die Ärztin sowohl eine Patienteninspektion vornehmen kann als auch über das Geschehen vor Ort informiert ist. Die Einbeziehung medizintechnischer Geräte zur Übertragung und Überwachung von Vitaldaten ist für den Notfallmediziner oder die -medizinerin eine wesentliche Grundlage für die Entscheidung über nötige Maßnahmen. Insofern sind vom Betreiber die technischen Voraussetzungen (Ton, Bild, Vital-daten) für Telekonsultation zu schaffen, die als Voraussetzung für die Tätigkeit der Ersthelfenden Windenergie mit seiner zusätzlichen EH- und IT-Ausstattung notwendig sind. Eine nachweisbare Einweisung aller Nutzer in die Anwendung der informations- und kommunikationstechnischen sowie der medizintechnischen Geräte ist vorzunehmen.

Nur Befugte dürfen personenbezogene Daten zur Kenntnis nehmen können. Neben dem Datenschutz muss auch die ärztliche Schweigepflicht respektiert werden. Diese Schweigepflicht gilt auch für Helfer, die medizinische Informationen vom Patienten oder Telenotarzt erhalten. Es muss sichergestellt werden, dass Befunde und Behandlungsmaßnahmen dokumentiert und an die Weiterbehandelnden übergeben werden.

Die Telekonsultation muss durch einen Facharzt/ -ärztin aus einem notfallmedizinisch relevanten Fachgebiet mit Zusatzbezeichnung Notfallmedizin durchgeführt werden. Diese Person muss zudem eine ausreichende Erfahrung als Notarzt/ -ärztin besitzen, aktiv und regelmäßig am Rettungsdienst teilnehmen, eine qualifizierte Schulung in telemedizinischen Prozessen inklusive einer speziellen Kommunikationsunterweisung absolviert haben und in die betriebs- sowie rettungsspezifischen Rahmenbedingungen des Windparks eingewiesen sein. Die Einbindung in ein medizinisches Qualitätsmanagement wird empfohlen.

Die Telekonsultation gliedert sich dabei im Wesentlichen in folgende Bestandteile:

  • Unterstützung des Ersthelfers oder der Ersthelferin bzw. des Ersthelfers- oder der Ersthelferin-Windenergie bei der Durchführung der Erste-Hilfe-Maßnahmen

  • Diagnose und Indikationsstellung medizinischer Maßnahmen

  • Überwachung und Begleitung der Maßnahmen

  • Individuelle, auch psychologische Unterstützung des Ersthelfers oder der Ersthelferin bzw. des Ersthelfers- oder der Ersthelferin-Windenergie

  • Dokumentation und Auswertung

Die Telekonsultation sollte über eine zentrale Notfallnummer einer geeigneten Einrichtung, z. B. einer Telenotarztzentrale oder Notfallleitstelle, aus erfolgen. Folgende grundlegende Anforderungen an die Einrichtung sind dabei zu erfüllen:

  • Sicherstellung kurzer Reaktionszeiten (unverzügliche Reaktion bei Anforderung der Telekonsultation)

  • Sicherstellung der Kommunikation zu allen an der Rettung beteiligten Einheiten und Institutionen (zur luft- und/oder wassergebundenen Rettungseinheit, zur Notfallleitstelle, zur Betriebsleitstelle, zum aufnehmenden Krankenhaus, ...)

  • Zugriff auf aktuellste Diagnose- oder Behandlungsalgorithmen bzw. Verfahrensanweisungen in digitaler Form für die häufigsten Krankheitsbilder am Telenotarztarbeitsplatz

  • Zugriff auf einsatzrelevante Leitstellendaten zur Unterstützung des Einsatzmanagements bzw. adäquaten Wahl des bestgeeigneten Zielkrankenhauses

  • Sicherstellung einer Aufzeichnung der Gespräche sowie einer forensisch sicheren und MIND3-kompatiblen digitalen Dokumentationsmöglichkeit der Telenotarzt-Konsultation

  • Vorhandensein einer unterbrechungsfreien Stromversorgung zur Sicherstellung der Datenübertragung

  • Vorhandensein eines redundanten Arbeitsplatzes in Stand-by

  • Verfügbarkeit 24/7 bzw. während der Betriebszeiten

Telekonsultation aller Beteiligten
durch telenotärztliche Beratung, Überwachung und Unterstützung erweiterter Erste Hilfe-Maßnahmen

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Nach Telekonsultation / Diagnose / Indikation durch Telenotarzt/ärztin Beratung zu Notfallmedikation / Airway Management

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Abb. 3
Telekonsultation - Unterstützung der Ersten Hilfe je nach Qualifikation (oben) und Beratung zu Atemwegsmanagement oder Medikamentengabe (unten). Abkürzungen: RettPers: Rettungsdienstliches Fachpersonal/NotSan: Notfallsanitäter oder -sanitäterinnen

Der Aufbewahrungszeitrum für Gesprächsprotokolle/aufnahmen ist dabei mit dem oder der zuständigen Datenschutzbeauftragten zu vereinbaren, während der Aufbewahrungszeitraum zu den schriftlich dokumentierten Inhalten der Telekonsultation (Befunde, Maßnahmen) gemäß ärztlichem Berufsrecht mindestens zehn Jahre beträgt.

An die Kommunikations- und Übertragungstechnik sind ferner folgende Anforderungen zu stellen, die sich grundsätzlich am Stand der Technik zu orientieren haben (vgl. Strukturempfehlung der DGAI vom 09.11.2015 "Telemedizin in der prähospitalen Notfallmedizin"):

  • Vorhandensein einer redundanten Anbindung der Kommunikationsmedien als Rückfall- ebene (Festnetz, Mobiltelefon, Internet, ...)

  • Ausreichende Bandbreite zur Übertragung von Geräte- und Videodaten

  • Sicherer Datentransfer mit Verfügbarkeit einer adäquaten Datenübertragung (bei mindestens 95 % aller Einsätze)

  • Gewährleistung ausfallsicherer und datengeschützter Verbindungen

  • Datenverschlüsselung nach dem Stand der Technik

  • Vorhandensein adäquater Maßnahmen zur Verhinderung eines Datenverlusts

  • Datenschutzkonformes Datenmanagement und Langzeitdatenspeicherung

Die organisatorische Implementierung der Telekonsultation erfolgt in Abstimmung mit dem Betriebsarzt oder der Betriebsärztin, der Notfallleitstelle, dem verantwortlichen ärztlichen Personal für den Telekonsultationsdienst sowie dem verantwortlichen ärztlichen Personal des zuständigen betrieblichen Rettungsdienstes bzw. den ärztlichen Leitungen, wenn mehrere Dienstleister im Rahmen der Sicherstellung des betrieblichen Rettungswesens tätig sind (z. B. RettPers/NotSan und Luftrettungseinheit werden von zwei verschiedenen Unternehmen gestellt). Sie setzt eine dokumentierte Einweisung in betriebliche Gegebenheiten durch den Betreiber sowie eine Abstimmung von Material und Qualifikationen des im Offshore-Windpark tätigen Personals voraus. Darüber hinaus sind regelmäßige Funktionsprüfungen sowie Übungen vorzusehen.

Im Hinblick auf das optimale Ineinandergreifen der telenotärztlichen und luft- bzw. wassergebundenen Versorgung sollten Verfahrensanweisungen für alle Einheiten im betrieblichen Rettungsdienst, das Leitstellen- und das Rettungsdienstpersonal sowie die Telenotärzte oder -ärztinnen schriftlich erfolgen. Auch sollte sichergestellt werden, dass das Gesamtkonzept aus medizinischen, technischen und organisatorischen Bestandteilen in weiteren Verfahrensanweisungen, z. B. zur täglichen Technik-Funktionalitätsüberprüfung, schriftlich verfasst wird.

Generell empfiehlt sich in diesem Zusammenhang die Etablierung einer Supervision für den telemedizinisch unterstützten Notfalleinsatz als Bestandteil des Qualitätsmanagements und zur kontinuierlichen Begleitung des Telenotarztdienstes. Anzustreben ist ferner eine qualitativ hochwertige und umfassende Dokumentation der Telekonsultationseinsätze, um im Sinne des Qualitätsmanagements Ressourcen, Strukturen und Prozesse im betrieblichen Rettungswesen auf den realen Bedarf hin auszurichten.

Technisch und methodisch sind obige Ausführungen weitestgehend auch für die telemedizinische Unterstützung von rettungsdienstlichen Fachpersonal (RettPers) bzw. Notfall-Sanitätern oder -Sanitäterinnen (NotSan), die in einem Offshore-Windpark tätig sind, anwendbar. Da Maßnahmen des RettPers/NotSan, die nicht ausdrücklich in einer Norm, z. B. Notfallsanitätergesetz (NotSanG), geregelt sind, vom jeweils für diesen Personenkreis verantwortlichen Arzt oder Ärztin vorgegeben, überprüft und verantwortet werden, ist eine enge Abstimmung zwischen dem verantwortlichen Arzt oder der verantwortlichen Ärztin für den Telekonsultationsdienst und dem für den RettPers/NotSan verantwortlichen Arzt oder der verantwortlichen Ärztin zwingend geboten, wenn diese unterschiedlichen Einrichtungen angehören. Die höhere Qualifikation des RettPers/NotSan und die Einbindung telemedizinischer Methoden erweitern auch ohne physische Präsenz eines Notarztes die Möglichkeiten, Patienten zu behandeln und zu überwachen.