DGUV Information 207-028 - Neubauplanung, Modernisierung und Nutzungsänderung von Werkstätten für behinderte Menschen (WfbM)

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Abschnitt 2.1 - 2.1 Grundlagen des barrierefreien Bauens

Die Forderungen nach Barrierefreiheit in einer WfbM ergeben sich aus unterschiedlichen Rechtsquellen. Zum einen aus der in nationales Recht umgesetzten UN-Behindertenrechtskonvention, dem Behindertengleichstellungsgesetz (BGG) des Bundes und der Länder oder dem Sozialgesetzbuch Neuntes Buch (SGB IX). Zum anderen aus einer Vielzahl von Verordnungen und Regelungen, wie der Werkstättenverordnung (WVO) oder dem Arbeitsstättenrecht.

Mit barrierefreiem Bauen ist die rechtzeitige Planung und Ausführung von baulichen Maßnahmen zu verstehen, die die Nutzung eines Gebäudes, einer Einrichtung, eines öffentlichen Ortes etc. durch alle Menschen ermöglicht. So erhält jeder Mensch von Anfang an und unabhängig von individuellen Fähigkeiten, ethnischer wie sozialer Herkunft, Geschlecht und Alter die Möglichkeit, sich vollständig und gleichberechtigt an allen gesellschaftlichen Prozessen zu beteiligen - (Inklusion).

Nach § 4 Behindertengleichstellungsgesetz (BGG) sind bauliche und sonstige Anlagen, Verkehrsmittel, technische Gebrauchsgegenstände, Systeme der Informationsverarbeitung, akustische und visuelle Informationsquellen und Kommunikationseinrichtungen sowie andere gestaltete Lebensbereiche dann barrierefrei, wenn sie für Menschen mit Behinderung in der allgemein üblichen Weise, ohne besondere Erschwernis und grundsätzlich ohne fremde Hilfe auffindbar, zugänglich und nutzbar sind.

Um diesen Anforderungen gerecht zu werden, ist in einer WfbM grundsätzlich der DIN 18040-1:2010-10 "Barrierefreies Bauen in öffentlich zugänglichen Gebäuden" Rechnung zu tragen. Hierbei ist aber zwingend zu beachten, dass die tatsächlichen Anforderungen an die Arbeitsstätte weit über die in der DIN genannten Anforderungen hinausgehen können.

Die in WfbM beschäftigten behinderten Menschen (intern oftmals als Beschäftigte bezeichnet) zählen zu den Beschäftigten nach ArbSchG § 2 (2) Nr. 7. Die besonderen Belange eines jeden einzelnen hier beschäftigten Menschen mit Behinderung im Hinblick auf Sicherheit und Gesundheit bei der Arbeit sind zu berücksichtigen. Dies wird durch die Betriebssicherheitsverordnung und

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Abb. 2.1
Rechtshierarchie bei der Planung von Arbeitsstätten

insbesondere die Arbeitsstättenverordnung in Verbindung mit den Technischen Regeln für Arbeitsstätten ASR V3 und V3a.2 konkretisiert, ohne hier vollständig oder abschließend zu sein.

§ 3a (2) der ArbStättV fordert: "Beschäftigt der Arbeitgeber Menschen mit Behinderungen, hat er die Arbeitsstätten so einzurichten und zu betreiben, dass die besonderen Belange dieser Beschäftigten im Hinblick auf Sicherheit und Gesundheitsschutz berücksichtigt werden. Dies gilt insbesondere für die barrierefreie Gestaltung von Arbeitsplätzen sowie von zugehörigen Türen, Verkehrswegen, Fluchtwegen, Notausgängen, Treppen, Orientierungssystemen, Waschgelegenheiten und Toilettenräumen."

Die Technische Regel für Arbeitsstätten ASR V3a.2 präzisiert diese Forderung und weist darauf hin, dass sich die hierfür erforderlichen Maßnahmen zur barrierefreien Gestaltung aus den individuellen Erfordernissen der Beschäftigten mit Behinderungen ergeben, wobei technische Maßnahmen vorrangig sind.

Allerdings berücksichtigt die ASR V3a.2 nur Mindestanforderungen. Diese sind jedoch in Werkstätten für behinderte Menschen häufig nicht ausreichend. So wird für einen handbetriebenen Rollstuhl ein Wendekreis von 1,5 m zugrunde gelegt, der jedoch bei elektrisch angetriebenen Rollstühlen 2,2 m bis 2,5 m betragen kann.

Daher ist bei der konkreten Planung auch von den jeweiligen realen Platzbedarfen auszugehen.

Weitere Hinweise zum barrierefreien Bauen finden sich in den DGUV Informationen 215-111 "Barrierefreie Arbeitsgestaltung Teil I: Grundlagen" und 215-112 "Barrierefreie Arbeitsgestaltung Teil II: Grundsätzliche Anforderungen".

g_bu_1434_as_18.jpgGood Practice
Erforderliche Maßnahmen zur barrierefreien Gestaltung ergeben sich aus den individuellen Erfordernissen der Beschäftigten mit Behinderung. Die konkreten Anforderungen sind mit Hilfe einer Gefährdungsbeurteilung nach ASR V3 "Gefährdungsbeurteilung" zu ermitteln. Technische Maßnahmen sind vorrangig umzusetzen.

Die in den Anhängen der ASR V3a.2 genannten Anforderungen ergänzen die Forderungen der übrigen ASR hinsichtlich der barrierefreien Gestaltung von Arbeitsstätten. Am Ende der Absätze wird in Klammern auf den jeweils betreffenden Abschnitt der in Bezug genommenen ASR verwiesen:

Anhang A1.3:Ergänzende Anforderungen zur ASR A1.3 "Sicherheits- und Gesundheitsschutzkennzeichnung"
Anhang A1.6:Ergänzende Anforderungen zur ASR A1.6 "Fenster, Oberlichter, lichtdurchlässige Wände"
Anhang A1.7:Ergänzende Anforderungen zur ASR A1.7 "Türen und Tore"
Anhang A1.8:Ergänzende Anforderungen zur ASR A1.8 "Verkehrswege"
Anhang A2.3:Ergänzende Anforderungen zur ASR A2.3 "Fluchtwege und Notausgänge, Flucht- und Rettungsplan"
Anhang A3.4/3:Ergänzende Anforderungen zur ASR A3.4/3 "Sicherheitsbeleuchtung, optische Sicherheitsleitsysteme"

Zur Konkretisierung der Anforderungen an baulichen Anlagen sind u. a. die unten genannten Normen als anerkannte Regeln der Technik zugrunde zu legen.

DIN 18040-1barrierefreies Bauen: öffentlich zugängliche Gebäude
DIN 18040-2barrierefreies Bauen: Wohnungen
DIN 18041Hörsamkeit in Räumen
DIN 32977-1behindertengerechtes Gestalten

Die Pflichten beziehen sich nicht nur auf die im Betrieb namentlich bekannten schwerbehinderten Beschäftigten, sondern auf alle Beschäftigten mit einer bekannten Behinderung - also auch schon, wenn der Grad der Behinderung weniger als 50 beträgt. Hierbei sind alle Bereiche der Arbeitsstätte zu berücksichtigen zu denen Beschäftigte mit Behinderung Zugang haben müssen.

In dieser DGUV Information werden auf folgende Mindestanforderungen eingegangen, die durch die ASR V3a.2 zu beachten und umzusetzen sind:

  • Bewegungsflächen am Arbeitsplatz

  • Begegnungsflächen in Fluren und Verkehrswegen

  • Türen

  • Rampen, stufenlose Erreichbarkeit von Ebenen

  • Treppen

  • Bodenbeläge

  • Wände und Decken

  • Sanitärräume

g_bu_1434_as_8.jpgHinweis
In der ASR V3a.2 können nur solche Belange angesprochen und konkretisiert werden, die in der ArbStättV und den zugehörigen ASR thematisiert sind. Da kognitive oder kombinierte Behinderungsbilder nicht im Fokus der ArbStättV stehen, werden die sich aus diesen Behinderungsbildern ergebende Anforderungen in den einzelnen ASR nicht beschrieben und können demnach auch nicht in der ASR V3a.2 berücksichtigt oder konkretisiert werden!

Die ASR V3a.2 enthält daher nur Mindestanforderungen. Eine individuelle Gefährdungsbeurteilung gemäß der ASR V3 unter Berücksichtigung der individuellen Behinderungsbilder ist daher grundsätzlich erforderlich.