DGUV Information 207-010 - Bewegen von Menschen im Gesundheitsdienst und in der Wohlfahrtspflege Prävention von Muskel- und Skelett-Erkrankungen

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Abschnitt 3.1 - 3.1 Unternehmenskultur und ergonomische Arbeitsweise

Durch den zunehmenden Wettbewerbsdruck sind die Einrichtungen des Gesundheitswesens gezwungen, alle zur Verfügung stehenden Leistungspotenziale und Ressourcen der Beschäftigten effektiv zu nutzen. Der damit verbundene Arbeits- und Leistungsdruck erfordert daher, die Gesundheit der Beschäftigten bei der Arbeit stärker in den Fokus zu nehmen. Die Entwicklung von Unternehmen hin zu einer Kultur, in der Sicherheit, Gesundheit und Wertschätzung als integrierte Werte verankert sind und gelebt werden, erfordert deshalb eine ganzheitliche Herangehensweise. Diese umfasst mehrere Handlungsfelder, die je nach Größe des Unternehmens und Branchenzugehörigkeit variieren können. Wichtig ist jedoch, alle Aspekte miteinander zu verknüpfen.

Der veränderte Umgang mit den arbeitsbedingten Gesundheitsgefahren macht unter anderem deutlich, welchen Stellenwert die Beschäftigten haben. Angesichts des wachsenden Fachkräftemangels und des Umgangs mit den sich verändernden Rahmenbedingungen bei der Beschäftigungsfähigkeit (Demographischer Wandel, Diversität, Inklusion), stehen heute viele Unternehmen vor der Notwendigkeit, ihre Kultur zu verändern, nicht nur um wirtschaftlicher, schneller und effizienter zu werden, sondern auch um die passenden Fachkräfte zu gewinnen - und diese auch an sich zu binden!

Jedes Unternehmen bildet im Hinblick auf den Umgang miteinander und durch die Bewältigung gemeinsamer Aufgaben eine Kultur, die sowohl in gemeinsamen Werten, Unternehmensethik, Normen und Haltungen ihren Ausdruck findet. Unternehmenskultur und "Corporate Identity" wirken dabei sowohl nach innen im Zusammenarbeiten der Beschäftigten als auch im Auftreten des Unternehmens nach außen.

Was bedeutet Unternehmenskultur?
Unternehmenskultur ist "die von einer Gruppe gehaltenen grundlegenden Überzeugungen, die deren Wahrnehmung, Denken, Fühlen und Handeln maßgeblich beeinflussen und die insgesamt typisch für die Gruppe sind" (Sackmann 2009).

Allgemein wird unter Unternehmenskultur ein System gemeinsam geteilter Muster des Denkens, Fühlens und Handelns sowie der sie vermittelnden Normen, Werte und Symbole innerhalb einer Organisation oder eines Unternehmens verstanden. Diese grundlegenden Überzeugungen prägen die Entscheidungen, die Handlungen und das Verhalten aller Organisationsmitglieder.

Damit wirkt die Unternehmenskultur auf jeder Ebene des Managements, beispielsweise bei der Entscheidungsfindung (Partizipation der Beschäftigten), der Art und Weise zu führen (Führungsverhalten und Führungskultur), den Beziehungen zu Kolleginnen und Kollegen (soziale Unterstützung) sowie zu den Menschen, die gepflegt, betreut oder versorgt werden.

3.1.1
Management für Sicherheit und Gesundheit bei der Arbeit

Sichtbar wird der Stellenwert der Gesundheit anhand der Gesundheitskultur eines Unternehmens sowie der Aktivitäten und Maßnahmen, die ein Unternehmen in die Gesundheit seiner Führungskräfte und Beschäftigten investiert. Die Gesundheitskultur umfasst die gesetzlich verankerten Pflichten aus Rechtsvorschriften wie beispielsweise der Durchführung der Gefährdungsbeurteilung nach dem Arbeitsschutzgesetz (ArbSchG) oder das Angebot eines betrieblichen Eingliederungsmanagements für Beschäftigte nach § 167 Sozialgesetzbuch IX (SGB IX), die krankheitsbedingt länger als 6 Wochen ausfallen. Zusätzlich werden die freiwilligen, gesundheitsförderlichen Maßnahmen der Unternehmensleitung z. B. zu ausgewogener Ernährung, ausreichender Bewegung oder gezielter Entspannung mit einbezogen. Diese drei Handlungsfelder werden ergänzt durch ein geeignetes Personalmanagement (z. B. bei der Auswahl von qualifiziertem Personal oder einem Angebot von Fortbildungen, die die fachlichen, sozialen und gesundheitlichen Kompetenzen weiterentwickeln) sowie einer Organisationsentwicklung, in der Themen wie der demographische Wandel oder die Vereinbarkeit von Privatleben und Beruf berücksichtigt werden.

Dieser ganzheitliche Ansatz ist in den Unternehmen unter dem Begriff Management für Sicherheit und Gesundheit (MSG) etabliert. Es umfasst die Gestaltung, Lenkung, Entwicklung betrieblicher Strukturen und Prozesse, um Arbeit, Organisation und Verhalten am Arbeitsplatz sicher und gesundheitsgerecht zu gestalten.

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Abb. 5
Ganzheitliches Verständnis eines Managements für Sicherheit und Gesundheit (Quelle: Unfallkasse Baden-Württemberg)

Management für Sicherheit und Gesundheit
Ein Management für Sicherheit und Gesundheit umfasst die systematische Entwicklung und Steuerung betrieblicher Rahmenbedingungen, Strukturen und Prozesse, um Arbeit und Zusammenarbeit gesund zu gestalten und die Beschäftigten zu gesundheitskompetentem Verhalten zu befähigen.

Ziel ist die Entwicklung und Gewährleistung einer gesunden Organisation.

Im Sinne eines ganzheitlichen Präventionsverständnisses aller Sozialversicherungsträger und deren koordiniertem Vorgehen gemäß Bundesrahmenempfehlungen nach dem Präventionsgesetz (PrävG) werden die innerbetrieblichen Maßnahmen für Arbeitssicherheit, betriebliche Gesundheitsförderung und des betrieblichen Eingliederungsmanagements miteinander verknüpft

Programme für Sicherheit und Gesundheit bei der Arbeit sind nur dann erfolgreich und wirksam, wenn sie nicht als Zusatzangebote, sondern als zentrale Organisationsstrategien integriert sind. Hierbei werden Maßnahmen zur gesundheitsgerechten Gestaltung der Arbeitsbedingungen mit der Förderung der individuellen Gesundheit verknüpft. Nachweislich haben solche Interventionen am Arbeitsplatz dazu beigetragen, (Arbeits-)Unfälle zu verhindern, das Risiko von Berufskrankheiten zu verringern und Entscheidungen zugunsten einer gesunden Lebensweise zu verbessern (vgl. u. a. Institut für Arbeit und Gesundheit, 2016).

Unternehmensleitungen können durch entsprechende Maßnahmen die Arbeitsbedingungen verbessern sowie den Beschäftigten Anreize für eine gesunde Lebensführung bieten, indem sie z. B.:

  • Sicherheit und Gesundheit zur Chefsache erklären und dauerhaft in der Unternehmenskultur verankern (Leitbild, Dienstvereinbarung zu Sicherheit und Gesundheit am Arbeitsplatz).

  • Führungskräften ihre Vorbildfunktion bzgl. ihres Führungsverhaltens und der Wahrnehmung ihrer eigenen Gesundheitskompetenz verdeutlichen.

  • Beschäftigte zu Beteiligten machen, indem sie z. B. bei der Gestaltung von Räumlichkeiten oder der Beschaffung von Arbeitsmitteln und Hilfsmitteln einbezogen werden. Sie sind die Expertinnen und Experten für die im Umgang mit Menschen erforderlichen Tätigkeiten und können ihr praktisches Erfahrungswissen bei der Planung, Einführung und Umsetzung einbringen. Zudem erhöht die Beteiligung die Akzeptanz von Maßnahmen.

  • Die demografische Entwicklung bei der Besetzung von Stellen berücksichtigen und altersgemischte Teams bilden, um eine physische, aber auch psychische Überlastung von Einzelnen zu vermeiden.

  • Die Vereinbarkeit von Privat- und Berufsleben vorantreiben, um den Wiedereinstieg bspw. nach der Elternzeit schneller zu ermöglichen. Dadurch kann die Arbeit früher wieder gleichmäßiger auf die vorhandenen Beschäftigten verteilt und entsprechende arbeitsintensive Spitzen abgefangen werden.

3.1.2
Gesundes Führen

Die Führung eines Unternehmens verknüpft die meist wirtschaftlichen Ziele eines Unternehmens mit den Menschen, die diese Ziele durch ihre Arbeit und Leistung erreichen sollen. Die Führungskräfte - die selbst ja auch Mitarbeitende sind - müssen daher die Interessen der Unternehmensleitung mit den Interessen der Beschäftigten in Einklang bringen. Sie sind nicht nur für die Sicherheit der Beschäftigten verantwortlich, sondern üben durch ihr persönliches Führungsverhalten auch einen entscheidenden Einfluss auf die Gesundheit der Beschäftigten aus. Ausschlaggebend für eine gesundheitsförderliche Führung ist dabei die Einstellung der Führungskraft selbst. Durch Studien konnte nachgewiesen werden, dass Führungskräfte, die auf ihre eigene Gesundheit achten, gesundheitsförderlicher führen als diejenigen, die nicht auf ihre Gesundheit achten (u. a. Franke, Vincent & Felfe 2011).

Diese Einstellung drückt sich u. a. dadurch aus, wie:

  • die Führungskraft mit den Beschäftigten kommuniziert und sie informiert,

  • sie ihre Anerkennung und Wertschätzung gegenüber ihren Beschäftigten ausdrückt (z. B. Lob- und Feedback-Gespräche),

  • sie die Arbeitsbedingungen für die Beschäftigten gestaltet: Trägt sie dazu bei, die physischen und psychischen Anforderungen u. a. beim Bewegen von Menschen zu reduzieren (z. B. durch die Bereitstellung von geeigneten Hilfsmitteln, Unterweisung, Qualifizierung oder den Hinweis auf gesundheitsförderliche individuelle Angebote)?

  • es um die eigene Gesundheit der Führungskraft steht: Trägt sie durch die eigene Vorbildfunktion zur Motivation zu gesundheitsbewusstem Verhalten ihrer Beschäftigten bei, indem sie z. B. Pausenzeiten einhält oder selbst Hilfsmittel zum Bewegen von Menschen einsetzt?

Durch eine entsprechende Arbeitsorganisation, das Zugeständnis von Handlungsspielräumen, die Beteiligungsmöglichkeit bei Entscheidungsprozessen, die Klärung von Aufgaben und Zuständigkeiten sowie die Bereitstellung von Informationen hat die Führungskraft einen entscheidenden Einfluss auf die Anforderungen, Belastungen und Ressourcen der Beschäftigten. Sie prägt durch ihr Verhalten die Unternehmenskultur.

"Kultur der Prävention"
Die Kampagne "Kultur der Prävention" der Berufsgenossenschaften und Unfallkassen sowie der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung wirbt seit 2017 dafür, einen ganzheitlichen Ansatz in der Prävention zu verfolgen. Ziel dieser Kampagne ist, dass Sicherheit und Gesundheit zum Maßstab allen Handelns werden. Sie sollen zudem bei allen Entscheidungen eigeninitiativ als wichtige Kriterien mitberücksichtigt werden. Dabei werden die folgenden sechs Handlungsfelder besonders unter die Lupe genommen:
Prävention als integrierter Bestandteil aller Aufgaben
Führung
Kommunikation
Beteiligung
Fehlerkultur
soziales Klima/Betriebsklima.
Um in allen Betrieben und Einrichtungen eine Präventionskultur zu etablieren, werden die Unfallversicherungsträger verstärkt ihre Unternehmen informieren, beraten und unterstützen. Nähere Informationen erhalten Sie bei Ihrem zuständigen Unfallversicherungsträger oder unter www.kommmitmensch.de.
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g_bu_1433_as_30.jpgFazit
Die Unternehmenskultur ist von grundlegender Bedeutung für die Sicherheit und Gesundheit bei der Arbeit und damit auch zur Prävention von MSE, da sie unter anderem
  • die Sicherheit und Gesundheit aller Menschen als Wert verankern kann (z. B. im Leitbild, durch Führungsgrundsätze, in Leitlinien),

  • durch die Gestaltung der Arbeitsbedingungen die Voraussetzung für das Bewusstsein für gesundheitsförderliches Führen und Verhalten schaffen kann,

  • Unterstützungsmöglichkeiten z. B. durch Qualifizierung, Coaching, Supervision sicherstellen kann.