DGUV Information 202-100 - Fachkonzept "Frühe Bildung mit Sicherheit und Gesundheit fördern" Prävention und Gesundheitsförderung in der guten gesunden Kindertageseinrichtung

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Abschnitt 4 - 4 Konsequenzen für die Arbeit der gesetzlichen Unfallversicherung

Wie in Kapitel 3 beschrieben, werden schon in den ersten Lebensjahren die Grundlagen für ein gesundes Leben gelegt. Die ersten Lebensjahre prägen nicht nur die Persönlichkeit und die Bildungschancen, sondern auch das Sicherheits- und Gesundheitsverhalten sowie die Gesundheitschancen. In der frühesten und frühen Kindheit können die elementaren Voraussetzungen erworben werden, die Menschen in die Lage versetzen, kompetent mit Risiken und Gefahren umzugehen und ihre Gesundheit zu erhalten und zu stärken.

Damit haben Prävention und Gesundheitsförderung in diesen Entwicklungsstufen nicht nur Bedeutung für die Sicherheit und Gesundheit in Kindertageseinrichtungen. Die Sicherheit und Gesundheit in allen anderen Lebenswelten - Schule, Familie, Freizeit und Arbeit - und Lebensphasen wird wesentlich von der Qualität der Prävention und Gesundheitsförderung in der frühen Bildung beeinflusst. Im Sinne einer nachhaltig wirksamen Gesundheitsförderung und Prävention ist es deshalb zwingend erforderlich, die frühe Bildung gesundheitsfördernd zu gestalten und für Prävention zu nutzen. Es gilt, Kinder möglichst frühzeitig dabei zu unterstützen, sich ein ausgeprägtes Gefahrenbewusstsein und umfassende Sicherheits- und Gesundheitskompetenzen anzueignen, damit sie sich sicherheits- und gesundheitsbewusst verhalten und zunehmend selbstbestimmt entscheiden können.

Nachhaltig wirksame Prävention und Gesundheitsförderung in Kindertageseinrichtungen sind dann wahrscheinlich, wenn sie für die Adressaten attraktiv und lohnenswert sind. Nur dann werden sie von ihnen akzeptiert und zu einem selbstverständlichen Bestandteil der Arbeit und des Alltags in der Einrichtung. Vor diesem Hintergrund sind beim Schutz und bei der Förderung von Sicherheit und Gesundheit in Kindertageseinrichtungen durch die Unfallversicherungsträger nachfolgende Aspekte zu berücksichtigen:

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Schutz und Förderung von Sicherheit und Gesundheit als integrativer Bestandteil in Kindertageseinrichtungen

Der Schutz und die Förderung von Sicherheit und Gesundheit dürfen in Kindertageseinrichtungen nicht als Zusatzaufgabe verstanden und wahrgenommen werden, sondern als integrativer Bestandteil der pädagogischen Arbeit. Dies ist vor allem dann der Fall, wenn Sicherheits- und Gesundheitsinterventionen die Umsetzung des Betreuungs-, Erziehungs- und Bildungsauftrags von Kindertageseinrichtungen unterstützen und sich an den Inhalten der länderspezifischen Bildungspläne orientieren. Die Orientierung der Maßnahmen am Betreuungs-, Erziehungs- und Bildungsauftrag ist erforderlich, weil es einen engen wechselseitigen Zusammenhang zwischen Bildung einerseits sowie Sicherheit und Gesundheit andererseits gibt. Wohlergehen, Gesundheit und Sicherheit sind zentrale Voraussetzungen für die Arbeits- und Leistungsfähigkeit und damit für die Qualität der Produkte und Dienstleistungen einer sozialen Organisation. Dies trifft im besonderen Maße für Bildungseinrichtungen zu, da das Produkt "Bildung" weniger ein technisches als vielmehr ein personen- und beziehungsabhängiges Ergebnis ist. Umgekehrt beeinflussen aber auch die Anforderungen, Arbeitsbedingungen und Ergebnisse der Arbeits- und Lebenswelt Kindertageseinrichtung die Sicherheit und Gesundheit. Letztere sind also sowohl Voraussetzungen als auch Ergebnisse von Arbeits-, Erziehungs- und Bildungsprozessen in den Einrichtungen.

Daher sind Interventionen zur Förderung von Sicherheit und Gesundheit so zu gestalten, dass sie sowohl einen Beitrag zum Erhalt und/oder zur Verbesserung der Gesundheit leisten als auch einen Beitrag zur Verbesserung der Bildungsqualität einer Kindertageseinrichtung. Umgekehrt dürfen Maßnahmen zum Beispiel zur Verbesserung der Betreuung oder des Sozialklimas nicht zu Lasten der Sicherheit und Gesundheit gehen, sondern sollten diese nach Möglichkeit fördern. Es geht folglich immer um die gemeinsame Realisierung von Bildungs- und Gesundheitszielen. Maßnahmen hingegen, die die Verbesserung der Sicherheit und Gesundheit als alleiniges Ziel haben, werden eher als additiv und als zusätzliche Aufgabe wahrgenommen und laufen damit Gefahr, keine oder nur bedingte Akzeptanz zu finden. Die Kindertageseinrichtung sollte nicht mehr als ein Lebensraum verstanden werden, der lediglich gesundheitsfördernd zu gestalten ist. Es geht vielmehr um die Unterstützung von Kindertageseinrichtungen bei der Bewältigung ihres Kerngeschäfts.

Organisationsentwicklung

Vor diesem Hintergrund sind Prävention und Gesundheitsförderung als Beitrag zur Entwicklung einer Organisation und ihrer Qualität zu verstehen und dementsprechend zu gestalten. Deshalb und weil die Sicherheit und Gesundheit von Kindertageseinrichtungen und ihrer Akteurinnen und Akteure sowohl durch die Organisationsverhältnisse als auch durch die individuellen Verhaltensweisen bestimmt werden, sollten der Schutz und die Förderung von Sicherheit und Gesundheit im Wesentlichen als Organisationsentwicklung realisiert werden. "Organisationsentwicklung" heißt zunächst Förderung der materiellen und sozialen Strukturen sowie Gestaltung der Prozesse einer sozialen Organisation, aber auch personale Entwicklung 22) . Charakteristisch für Organisationsentwicklung ist, dass sie sich auf das Ganze einer Organisation bezieht und nicht nur auf Teilaspekte. Gleichzeitig wird betont, dass nur eine schrittweise Entwicklung möglich ist, die an einzelne Faktoren wie zum Beispiel Sozialklima, Gestaltung der Räumlichkeiten oder Leitung anknüpft.

Ganzheitliches und dynamisches Bildungs- und Gesundheitsverständnis

Die Orientierung am Betreuungs-, Erziehungs- und Bildungsauftrag sowie die Tatsache, dass in Kindertageseinrichtungen die Sicherheit und Gesundheit von Erwachsenen und Kindern in den Blick genommen werden müssen, fordern ein ganzheitliches und dynamisches Gesundheitsverständnis. Dieses schließt nicht nur die klassischen Sicherheits- und Gesundheitsthemen wie "Verhütung von Unfällen", "Bewegungsförderung" oder "Gewaltprävention" ein, sondern auch Themen wie "Sozialklima", "Kooperation" oder "Selbstwirksamkeit". Ein solches Gesundheitsverständnis ermöglicht in der Praxis unterschiedliche und bisher wenig genutzte thematische Zugänge. Dadurch kann die Passung zwischen dem bildungsbezogenen Auftrag einer Kindertageseinrichtung und der Förderung von Sicherheit und Gesundheit besser hergestellt werden.

Vergleichbare Strategien und Ziele der Maßnahmen der Unfallversicherungsträger

Die unterschiedliche Trägerschaft von Kindertageseinrichtungen hat zur Folge, dass verschiedene Träger der gesetzlichen Unfallversicherung für die Kindertageseinrichtungen zuständig sind: Für Einrichtungen der öffentlichen Träger sind es Unfallkassen und Gemeindeunfallversicherungsverbände, für Einrichtungen der freien Träger der Jugendhilfe ist es die Berufsgenossenschaft für Gesundheitsdienst und Wohlfahrtspflege (BGW). Sie ist in diesen Einrichtungen zuständig für die Sicherheit und Gesundheit der Beschäftigten, nicht jedoch für die Sicherheit und Gesundheit der Kinder. Dies sind die Unfallkassen und Gemeindeunfallversicherungsverbände. Die BGW ist zudem zuständig für die Beschäftigten und Kinder in privaten gewerblichen Kindertageseinrichtungen. Betriebskindertageseinrichtungen sind bei der Berufsgenossenschaft versichert, bei der der Stammbetrieb Mitglied ist. Damit ist die Förderung von Sicherheit und Gesundheit sowohl der dort beschäftigten Erwachsenen als auch der Kinder ihre Aufgabe. Da die Unterbringung in einer bestimmten Kindertageseinrichtung nicht per se eine präventive und gesundheitsfördernde Bevorzugung oder Benachteiligung von Kindern und Beschäftigten bedeuten sollte, ist es erforderlich, dass die präventive Arbeit der zuständigen Unfallversicherungsträger nach Möglichkeit hinsichtlich der Strategien, Ziele und Inhalte identisch beziehungsweise vergleichbar sein muss. Dies erfordert vergleichbares Engagement, eine einheitliche konzeptionelle Grundlage sowie Abstimmung und Kooperation.

Kooperation und Vernetzung

Wie in Kapitel 2 beschrieben, muss die Präventionsarbeit der Unfallversicherungsträger in Kindertageseinrichtungen nach dem im § 14 Abs. 1 SGB VII formulierten Präventionsauftrag auf die Verhütung von Arbeitsunfällen, Berufskrankheiten und arbeits- beziehungsweise einrichtungsspezifische Gesundheitsgefahren sowie eine wirksame Erste Hilfe abzielen. Die Unfallversicherungsträger können damit nur einen Teil der in Kindertageseinrichtungen notwendigen präventiven und gesundheitsfördernden Maßnahmen abdecken. Eine ganzheitliche Förderung von Sicherheit und Gesundheit erfordert deshalb Kooperation und Vernetzung, insbesondere mit den Verantwortlichen für die Lebenswelt Kindertageseinrichtung, wie den Trägern, Leitungen und Fachaufsichten sowie mit den im Präventionsgesetz aufgeführten Trägern der Kranken- und Rentenversicherung und anderen Sozialleistungsträgern. Mehr Sicherheit und Gesundheit sind daher nur zu erreichen, wenn Schnittstellen zu anderen Sozialversicherungs- und leistungsträgern sowie in Frage kommenden Expertenoder Expertinnen und Institutionen identifiziert werden und sie sich entsprechend ihrem gesetzlichen Auftrag und ihren Möglichkeiten an der Planung und Umsetzung von Konzepten und darauf basierenden konkreten Maßnahmen beteiligen.

Vgl. Anhang 6.1 "Der Organisationsentwicklungsprozess".