Abschnitt 2.3 - 2.3 Taktile Gestaltung
Informationen aus unserer Umwelt und unserem Umfeld nehmen wir zu 80 bis 90 % durch Sehen, d. h. visuell auf. Beeinträchtigungen des Sehvermögens bedingen, dass ein Ausgleich über andere Sinne erfolgen muss. So setzen blinde Menschen oder Menschen ohne ausreichendes Sehvermögen vordringlich ihre taktilen und auditiven Sinne (Tastsinn und Hörvermögen) ein. Diese Sinne müssen gezielt geschult sein. Nach Möglichkeit ist die Vermittlung von Informationen parallel für verschiedene Sinne anzubieten.
Barrierefreies Planen soll für den zu erwartenden Personenkreis gleiche Bedingungen bezogen auf die Zugänglichkeit von Räumen sowie die Nutzung von Einrichtung und Ausstattung schaffen. Kompensatorische Hilfen, die die Orientierung und Informationsaufnahme in angemessener Form und hinreichend gewährleisten, fördern Selbständigkeit und Unabhängigkeit erheblich.
Allgemeines |
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Der Informationsvermittlung mittels Tastsinn kommt mit zunehmendem Sehverlust eine wichtige Rolle zu.
Um sich zurechtzufinden, müssen auch blinde und hochgradig sehbehinderte Menschen ihre Umgebung wahrnehmen und erkennen können. Hierfür ist ein mit taktilen Orientierungshilfen ausgestattetes Umfeld erforderlich, aus dem sie ausreichende Informationen ableiten können.
Gleiche Voraussetzungen gelten für die Nutzbarkeit von Anlagen und Arbeitsmitteln - beispielsweise durch taktil erfassbare Bedienelemente.
Bei der taktilen Orientierung wird in der Bewegung tastend mit
dem Langstock
den Füßen
den Händen
die Umwelt erfühlt.
Dabei sind der Nahbereich und der Fernbereich zu unterscheiden.
Für den Fernbereich kommen Hilfsmittel zum Einsatz, in aller Regel der Langstock, mit dem Hindernisse im Raum sowie die Struktur und Textur in der Fläche detektiert werden (siehe Abbildung 1).
Zusätzlich hilft es blinden und sehbehinderten Menschen, topografische Situationen über die Füße und Schuhsohlen wahrzunehmen und zu erkennen.
Je größer die Unterschiede der Oberfläche in der Struktur und im Härtegrad verwendeter Materialien sind, desto größer ist die Signalwirkung und damit die Unterscheidbarkeit.
Der Nahbereich wird in erster Linie mit der Hand oder mit den Fingerkuppen abgetastet.
Abb. 1 Bodenleitsysteme zur Zielfindung und Umgehung von Hindernissen
Orientieren und Leiten mit dem Langstock und den Füßen |
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Sehbehinderte und blinde Menschen, die einen Langstock einsetzen, orientieren sich mit der sogenannten Tipp- oder Schleiftechnik über Pendelbewegungen des Langstocks (siehe Abbildung 2).
Die Kontraste zwischen zwei benachbarten Flächen sind wesentliche Informationsgeber. Da die taktile Wahrnehmung und Erkennung über den Langstock nur sehr grob ist, bedarf es einer eindeutigen Differenzierung einzelner Flächen.
Dies kann durch die Verwendung unterschiedlicher Bodenbeläge oder von Bodenindikatoren gewährleistet werden.
Weitere Informationen zu Bodenbelägen sind in gesonderten Fachinformationsblättern enthalten.
Orientierungshilfen für sehbehinderte und blinde Menschen müssen
systematisch
durchgehend
zusammenhängend
gestaltet sein.
Dies sollte möglichst unabhängig von gegebenenfalls parallel vorhandenen visuellen und auditiven Orientierungshilfen gewährleistet sein. Voraussetzung für die Nutzbarkeit eines Leit- und Orientierungssystems ist, dass die Systematik wiederkehrend und überall mit gleicher Bedeutung ausgeführt wird.
Weitere Informationen zu Leit- und Orientierungssystemen sind in gesonderten Fachinformationsblättern enthalten.
Abb. 2 Absicherung des Bewegungsraums über Pendelschlag
Orientieren und Leiten mit Hilfe der Hände |
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Die Orientierung in unmittelbarer Nähe erfolgt mit Hilfe der Hand und der Finger.
So können Handläufe in Gebäuden mit taktilen Hilfen versehen werden, die Informationen für Sehbehinderte und Blinde vermitteln. Beispiele hierfür sind
Abb. 3 Stockwerksanzeigen an Handläufen mit Hilfe von Punkten
Stockwerksanzeigen an Treppenhandläufen am Treppenan- und -austritt (siehe Abbildung 3 und 4)
Raumbezeichnungen oder Richtungshinweise an Handläufen in Fluren
Raumbezeichnungen an Türdrückern (siehe Abbildung 5)
Beschilderungen mit Bezeichnung und Nummer der einzelnen Räume - insbesondere bei allgemein zugänglichen Räumen wie z. B. Sanitärbereichen (siehe Abbildung 7)
Als taktile Hilfen bieten sich einfache Strukturen wie Punkt und Strich (siehe Abbildung 3) oder aber auch erhabene Profil- und Punktschrift an (siehe Abbildung 4).
Abb. 4 Stockwerksanzeigen an Handläufen über Punktschrift und erhabene Profilschrift
Abb. 5 Türdrücker mit integrierter Punktbeschriftung
Textliche Informationen |
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Wesentliche Medien für Information und Orientierung im Nahbereich sind die taktil gestalteten Schriften:
Punktschrift
erhabene Profilschrift
tastbare Normalschrift
Punktschrift (auch Blindenschrift oder Brailleschrift genannt) wird vorwiegend von früherblindeten Menschen genutzt (siehe Abbildung 6).
Für Menschen, die der Brailleschrift nicht mächtig sind - insbesondere späterblindete Menschen - bedarf es zusätzlich der Darstellung der Texte in taktil gestalteter Normalschrift oder erhabener Profilschrift (siehe Abbildung 6a und 6b).
Da der Tastsinn im Vergleich zum Sehsinn nur ein sehr geringes Auflösungsvermögen hat, müssen die taktilen Informationen deutlich sein, damit sie sicher erkannt und flüssig gelesen werden können.
Hinweis: Die Tastnerven in der Fingerkuppe liegen etwa 1,2 mm auseinander, sodass dichter zusammenliegende Punkte nicht voneinander unterschieden werden können.
Abb. 6 Punktschrift
Abb. 6a erhabene Profilschrift
Abb. 6b tastbare Normalschrift
Bei der Verwendung von Punktschrift sind entsprechende Mindestmaße zu berücksichtigen, um die Erkennbarkeit der einzelnen Zeichen zu gewährleisten.
Die erhabene Profilschrift ist eine speziell für das taktile Erfassen gestaltete Normalschrift mit einem erhabenen Reliefprofil. Die Höhe der Schriftzeichen ist in der Regel zwischen 10 mm und 25 mm. Die Schrift ist mit prismenförmigem Profil und leicht gerundeter Oberkante auszuführen.
Die erhabene Profilschrift ist nur als Großschrift mit lateinischen Buchstaben und arabischen Ziffern sinnvoll einsetzbar.
Profilschriften sind kontrastierend zum Hintergrund zu gestalten, damit Sehbehinderte sie besser lesen können.
Piktogramme |
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Piktogramme als kulturübergreifende Darstellungen werden eingesetzt, um situativ und unmittelbar auf weiter Distanz Informationen zu vermitteln.
Für Beschilderungen mit taktilen Symbolen gilt, dass die Symbole mindestens 75 mm hoch sein sollen, damit Menschen mit visuellen Einschränkungen aus mittlerer Distanz sie erkennen können. Klassisches Beispiel hierfür sind die Hinweise auf WC-Anlagen in Form "Mann" für Herren-WC oder "Frau mit Rock" für Damen-WC (siehe Abbildung 7). Dies gilt ebenso für die üblichen Symbole für "Rollstuhl" oder "Fluchtweg". Die Symbole sollten mindestens 1,2 mm erhaben sein.
Werden Piktogramme für den Nahbereich verwendet, sind sie mindestens 25 mm groß und stark kontrastierend mit eindeutigen Konturen zu gestalten. Beispielhaft für ein verständliches taktiles Symbol ist die "Glocke" im Aufzug, welche den Notruftaster anzeigt.
Piktogramme lassen sich für sehbehinderte und blinde Menschen nach den gleichen Kriterien tastbar gestalten wie Schriften.
Problematisch sind sie jedoch für Menschen, die früherblindet sind, da sie Bildabstraktionen nur schwer interpretieren können. Für diese Menschen gilt es, Piktogramme möglichst mit Brailleschrift zu ergänzen oder zu erläutern.
Auch Bedienelemente wie Lichtschalter, Türklingeln und Ähnliches können sinnvollerweise mit ertastbaren Piktogrammen ausgestattet werden (siehe Abbildung 8).
Abb. 7 Piktogramm in Kombination mit erhabener Profil- und Punktschrift
Abb. 8 Tastbare Piktogramme auf Bedienelementen
Tast- und Reliefpläne |
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Zur Orientierung in einer komplexen Umgebung sind Tastpläne in Reliefform nach dem Zwei-Sinne-Prinzip hilfreich (siehe Abbildung 7 und 8). Diese tastbaren Pläne können beispielsweise Grundrisse in Gebäuden, städtebauliche Strukturen oder touristische Informationen vermitteln.
Sie sollten an exponierter Lage, etwa an Gebäudeeingängen oder erwartungskonform an zentralen Punkten positioniert werden. Über Tast- und Reliefpläne wird sehbehinderten und blinden Menschen ermöglicht, eigenständig den Weg zum gewünschten Ziel zu erkunden und ihn sich einzuprägen. Für sehbehinderte Menschen sind Tastpläne zugleich kontrastreich und mit großer Schrift zu gestalten.
Abb. 7 und 8 Festung Ehrenbreitstein: Topologische Orientierungshilfe als Tastmodell (Quelle: Meuser Architekten, Berlin)
Topologische Orientierungshilfen |
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Geschickt eingesetzte Orientierungshilfen für blinde und sehbehinderte Menschen können sich völlig selbstverständlich in die Gestaltung einfügen und Bestandteil davon sein (z. B. Baumalleen, markante Gebäude, Brunnenanlagen, Plätze in Städten oder wasserführende Rinnensysteme).
Vernetzung multimodaler Prinzipien der Orientierung |
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Die Orientierung und Wegeführung in Gebäuden, Gebäudekomplexen, Außenräumen, Freiräumen und Verkehrsanlagen sollte zusätzlich zu taktilen Beschriftungen weitere Komponenten wie taktile Übersichtsskizzen, akustische Informationen, Wegeleitungen über Bodenindikatoren und elektronische Leitelemente einschließen.
Es gilt die einzelnen Komponenten entsprechend ihrer Leistungsmerkmale logisch, zusammenhängend und gleichbleibend zu einem System zu verknüpfen. Wesentlich ist zudem, dass das Leitsystem lückenlos ist und klar definiert wird, welche Informationen an welcher Stelle mit welchem Umfang und über welche Medien übermittelt werden.
In den folgenden Angaben finden Sie weitere wertvolle Hinweise zu diesem Themenbereich.
Folgende Kapitel sind zu berücksichtigen:
Teil 2
Kapitel 1 | Planungsgrundlagen |
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Kapitel 2.1 | Visuelle Gestaltung |
Kapitel 2.2 | Auditive Gestaltung |
Weiterführende Informationen
Technische Regeln für Arbeitsstätten - Barrierefreie Gestaltung von Arbeitsstätten - ASR V 3a.2
DIN 18040-1:2010-10: Barrierefreies Bauen - Planungsgrundlagen - Teil 1: Öffentlich zugängliche Gebäude
DIN 32984:2011-10: Bodenindikatoren im öffentlichen Raum
DIN 32986:2015-01: Taktile Schriften und Beschriftungen - Anforderung an die Darstellung
und Anbringung von Braille- und erhabener Profilschrift
DIN 32976:03-2007: Blindenschrift - Anforderungen und Maße
DIN EN 81 70:2005-09, Sicherheitsregeln für die Konstruktion und den Einbau von Aufzügen - Besondere Anwendungen für Personen- und Lastenaufzüge - Teil 70: Zugänglichkeit von Aufzügen für Personen einschließlich Personen mit Behinderungen; Deutsche Fassung EN 81-70:2003 + A1:2004
Die Auflistung ist nicht abschließend und sollte vor Anwendung auf Aktualität geprüft werden.