Abschnitt 9.1 - 9 Bedienelemente und Haltegriffe
9.1 Bedienelemente
Die Nutzung von Arbeitsstätten, Bildungseinrichtungen und deren Ausstattung hängt im starken Maße davon ab, dass alle Funktionen über Bedienelemente wie Schalter, Taster oder Griffe universell von allen Menschen ausgeübt werden können. Dies gilt auch für Menschen mit körperlichen, sensorischen oder kognitiven Einschränkungen.
Es kommt darauf an, dass Bedienelemente wahrnehmbar und erkennbar sowie in ihrer Funktion verständlich sind. Sie müssen zugänglich installiert werden und hinsichtlich ihrer Handhabung ergonomisch gestaltet sein.
Für eine barrierefreie Gestaltung gelten die nachfolgenden Mindestanforderungen:
Allgemeines |
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Bedienelemente sind Griffe, Drücker, Schalter, Tastaturen, Knöpfe usw. Diese können dazu dienen, Einfluss auf eine Maschine (z. B. Ein-Aus-Schalter) oder Anlage (z. B. Lichtschalter) zu nehmen. Typische Betätigungsarten sind Tipp-, Tast- oder Schaltbetrieb oder Dauereinfluss.
Bedienelemente dienen auch zum Ergreifen, Halten und Ausführen der mechanischen Bedienung (z. B. Türdrücker).
Je nach Verwendung erfolgt die Auslösung des Bedienvorganges z. B. durch Hand, Fuß, Finger, Ellenbogen oder Knie.
Für eine barrierefreie Gestaltung ist zum einen das Zwei-Kanal-Prinzip umzusetzen. Dies kommt im Allgemeinen allen Nutzern zugute (z. B. Taster für automatische Türanlagen).
Zum anderen ist das Zwei-Sinne-Prinzip zu berücksichtigen, um die allgemeine Wahrnehmbarkeit und Erkennbarkeit sicherzustellen (z. B. visuell und taktil erfassbare Türöffner - siehe Abbildung 1).
Abb. 1 Schalter nach dem Zwei-Sinne-Prinzip
Bedienelemente sind barrierefrei, wenn sie von allen Personen unabhängig von ihren Fähigkeiten benutzt werden können. Dies bedeutet, dass sie in jeder Phase der Nutzung
wahrnehmbar
erkennbar
erreichbar
nutzbar
kontrollierbar
sein müssen.
Zielsetzung ist es, den selbständigen Zugang und die unabhängige Nutzung aller Einrichtungen und Ausstattungen auch für Personen mit körperlichen, sensorischen oder kognitiven Einschränkungen zu gewährleisten.
Wahrnehmbarkeit und Erkennbarkeit |
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Bedienelemente müssen visuell kontrastreich gestaltet werden und mindestens mit zwei Sinnen wahrgenommen werden können.
Dies wird zum Beispiel durch deutliches Hervorheben von der Umgebung erreicht (siehe Abbildung 2).
Abb. 2 Visuell kontrastreiches Bedienelement
Die Wahrnehmung wird darüber hinaus unterstützt durch eine erwartungsgemäße Anordnung der Bedienelemente (z. B. Lichtschalter in der Türumgebung).
Bedienelemente müssen in ihrer Funktion (siehe Abbildung 3) und ihrer Funktionsweise (siehe Abbildung 4) eindeutig erkennbar sein.
Die Funktionen von Bedienelementen gilt es für Menschen mit sensorischen Einschränkungen gleichwertig erkennbar zu machen. Dies wird in der Regel möglich, wenn die Funktionen von Tasten taktil erfassbar gestaltet sind und allgemein eingeführte Tastenkombinationen berücksichtigt werden (numerischer Tastenblock mit Punktkennung auf der "5" und Reihung von unten nach oben bei Nummernblöcken von PC-Tastaturen und Telefonen).
Abweichend von dieser Anordnung ist z. B. bei Geld- oder Fahrkartenautomaten eine Reihung von oben nach unten üblich (siehe Abbildung 5).
Hilfreich ist zudem, die Tasten farblich zu codieren (siehe Abbildung 5):
"Cancel" in rot, zusätzlich taktil markiert mit einem X
"Clear" in gelb, zusätzlich taktil markiert mit einem vertikalen Strich
"Enter" in grün, zusätzlich taktil markiert mit einem Kreis
Zur Kennzeichnung sind eindeutige Abkürzungen und allgemein verständliche Bildzeichen zu verwenden.
Doppel- oder Mehrfachfunktionen von Bedienelementen sind zu vermeiden.
Die Anzahl der Bedienelemente ist so gering wie möglich zu halten. Dicht nebeneinander angeordnete Bedienelemente müssen übersichtlich und entsprechend ihrer Funktionsweise (z. B. entsprechend ihrer Bedienabfolge oder der Bedienhäufigkeit) logisch positioniert werden.
Abb. 3 Erkennbare Funktion eines Bedienelementes
Abb. 4 Erkennbare Funktionsweise eines Bedienelementes
Abb. 5 Numerisches Tastenfeld
Erreichbarkeit |
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Bedienelemente müssen stufenlos erreichbar sein.
Das Achsmaß von Greifhöhen und Bedienhöhen beträgt grundsätzlich 85 cm über Oberkante Fertigfußboden (OFF). Müssen mehrere Bedienelemente übereinander angeordnet sein, so gilt für die Montage eine Zone zwischen 85 cm und 105 cm. Bezugspunkte sind dabei die Höhenachsen der Bedienelemente. Dies ermöglicht auch Rollstuhlnutzerinnen und -nutzern mit geringen motorischen Funktionen der Arme, mit geringstem Aufwand die Bedienelemente zu erreichen und zu betätigen.
Abb. 6 Optimaler Greifbereich
Idealerweise sind Bedienelemente im optimalen Greifbereich für beide Hände anzuordnen (siehe Abbildung 6).
Für Menschen, die auf einen Rollstuhl angewiesen sind, ist vor den Bedienelementen eine Bewegungsfläche von mindestens 150 cm x 150 cm vorzusehen. Bei seitlicher Anfahrt der Bedienelemente ist eine Bewegungsfläche von 120 cm Breite x 150 cm Länge (in Fahrtrichtung) ausreichend.
Diese Bewegungsfläche ermöglicht zudem Menschen, die auf Gehhilfen wie Rollator oder Krücken angewiesen sind, ebenfalls die Nutzung der Bedienelemente.
Rollstuhlnutzerinnen und -nutzer benötigen eine seitliche Anfahrbarkeit von mindestens 50 cm zu festen Bauteilen (z. B. Wänden), damit sie Bedienelemente wie Drücker, Griffe und Lichtschalter erreichen können (siehe Abbildung 7).
Bedienelemente, die eine frontale Bedienung erfordern wie beispielsweise bei einigen Automaten, müssen in einer Höhe von 67 cm in einer Tiefe von 30 cm und in einer Höhe von 35 cm in einer Tiefe bis 55 cm in einer Breite von mindestens 90 cm unterfahrbar sein (siehe Abbildung 8).
Abb. 7 Raummaße für Erreichbarkeit von Bedienelementen
Abb. 8 Frontale Anfahrbarkeit von Bedienelementen
Damit Rollstuhlfahrerinnen und -fahrer sich für die Nutzung von Bedienelementen, z. B. Kassenautomaten, vor Wänden nicht vorbeugen müssen, muss die Tiefe der Rollstuhlfußrasten und der Fußspitzen ausgeglichen werden. Hierzu ist im Fußbereich ein unterfahrbarer Freiraum von mindestens 10 cm Tiefe vorzusehen.
Nutzbarkeit und Kontrollierbarkeit |
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Eine barrierefreie Nutzbarkeit von Bedienelementen ist insbesondere bestimmt von
den aufzubringenden Bedienkräften
Form, Oberflächenbeschaffenheit und Größe der Bedienelemente
den auszuführenden Bedienbewegungen
Grundsätzlich sind Bedienkräfte zur Funktionsauslösung nach Möglichkeit zu minimieren. Für Schalter und Taster sind die Bedienkräfte auf 2,5 N bis 5,0 N zu begrenzen.
Gleichzeitig müssen unkontrollierte Funktionsauslösungen ausgeschlossen sein. Dies kann z.B. erreicht werden, wenn eine vorgegebene Mindestdruckkraft zu überwinden ist. Für eine effektive Kraftübertragung auf Bedienelemente ist es erforderlich, einen optimalen Form- und/oder Reibschluss zwischen Bediener und Bedienelement umzusetzen (siehe Abbildung 9 und 10).
Zur barrierefreien Bedienung insbesondere von allgemein genutzten Anlagen in Gebäuden (z. B. Lichtschalter) sind großformatige Bedienelemente mit "Handbetätigung" zu wählen. Dies erfordert bei den Bedienelementen ein Tastfeld von mindestens 40 mm im Durchmesser (siehe Abbildung 11).
Größere Abmessungen von Bedienelementen erleichtern die alternative Bedienung beispielsweise mittels Knie oder Ellenbogen.
Ist in anderen Bereichen eine "Handbetätigung" nicht realisierbar, ist die Größe der Bedienelemente entsprechend Tabelle 1 zu bemessen.
Für Bedienbewegungen wie Drehen, Drücken und Schieben ist die logische Richtung zu wählen (siehe Abbildung 12).
Um auch Personen mit feinmotorischen Einschränkungen die Betätigung von Bedienelementen zu erleichtern, sind Drehbewegungen - insbesondere bei gleichzeitigem Drücken oder Ziehen - zu vermeiden.
Grundsätzlich sollte die Betätigung mit einer Hand möglich sein, soweit sicherheitstechnische Anforderungen dem nicht entgegenstehen (z. B. bei Zwei-Hand-Bedienung).
Abb. 9 Formschlüssiges Bedienelement - Regler mit Fingerbedienung
Abb. 10 Reibschlüssiges Bedienelement - Regler mit Fingerbedienung
Abb. 11 Großflächiger Kippschalter
Abb. 12 Logische Betätigungsrichtung
Es sollte die Möglichkeit bestehen, motorische Betätigung durch einen zweiten Kanal zu ersetzen (z. B. Sprachsteuerung).
Beim Betätigen von Bedienelementen darf kein zeitlicher Zwang ausgeübt werden.
Sensortaster, Touchscreens oder berührungslos wirkende Bedienelemente dürfen nur verwendet werden, sofern ein unbeabsichtigtes Auslösen etwa beim Ertasten der Bedienelemente ausgeschlossen ist. Dies ist von besonderer Bedeutung, wenn die Funktionsauslösung zu einer Gefährdungssituation führen kann.
Eine Funktionsauslösung sollte nach dem Zwei-Sinne-Prinzip rückgemeldet werden. Dies kann zum Beispiel durch Quittierton oder Beleuchtung erfolgen.
1 Greifart | 2 Teil der Hand, der die Stellkraft ausübt | 3 Breite oder Durchmesser des Stellteils mm | 4 Länge des Stellteils längs der Bewegungs- oder Drehachse mm |
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Kontaktgriff | Finger Daumen Hand (flach) | ≥ 7 ≥ 20 ≥ 40 | ≥ 7 ≥ 20 ≥ 40 |
Zufassungsgriff | Finger/Daumen Hand/Daumen | ≥ 7 bis ≤ 80 ≥ 15 bis ≤ 60 | ≥ 7 bis ≤ 80 ≥ 60 bis ≤ 100 |
Umfassungsgriff | Finger/Hand | ≥ 15 bis ≤ 35 | ≥ 100 |
Tabelle 1 aus DIN EN 894-3:2010-01
In den folgenden Angaben finden Sie weitere wertvolle Hinweise zu diesem Themenbereich.
Folgende Kapitel sind zu berücksichtigen:
Teil 2
Kapitel 1 | Planungsgrundlagen - Flächen und Freiräume |
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Kapitel 2.1 | Visuelle Gestaltung |
Kapitel 2.2 | Auditive Gestaltung |
Kapitel 2.3 | Taktile Gestaltung |
Kapitel 4.6 | Leitsysteme im Innenbereich |
Kapitel 5 | Türen |
Kapitel 6 | Fenster |
Kapitel 9.2 | Griffe zum Stützen, Halten und Führen |
Weiterführende Informationen
Arbeitsstättenverordnung - ArbStättV
Technische Regeln für Arbeitsstätten - Barrierefreie Gestaltung von Arbeitsstätten - ASR V 3a.2 Landesbauordnungen
DIN 18040-1:2010-10: Barrierefreies Bauen - Planungsgrundlagen - Teil 1: Öffentlich zugängliche Gebäude
Die Auflistung ist nicht abschließend und sollte vor Anwendung auf Aktualität geprüft werden.