Scheuermann, Praxishandbuch Brandschutz

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15. Abweichungsanträge von baurechtlichen Vorschriften

Darstellung im BS-Nachweis

Im Brandschutznachweis muss eine Aussage enthalten sein, dass bis auf nachfolgende Abweichungen alle baurechtlich relevanten Vorschriften eingehalten werden.

Danach sollten die Abweichungen fortlaufend nummeriert festgehalten werden.

Beim Bauen im Bestand kann unterschieden werden zwischen bestehenden Abweichungen, für die kein Abweichungsantrag erforderlich ist (Darstellung der vorhandenen Schwachstellen), und den neuen Abweichungen, für die ein Abweichungsantrag beantragt und genehmigt werden muss (Nachweis der Schutzzielerreichung vorausgesetzt).

Zusätzlich zu den genehmigungspflichtigen Abweichungen sollten alle weiteren Abweichungsarten im BS-Konzept behandelt und unter einem Punkt zusammengefasst werden (z.B. unter Punkt Abweichungen aber getrennt gegliedert von den genehmigungsbedürftigen Abweichungen).

Abweichung 1 vom Art. xx BayBO:

  • Begründung, warum die baurechtlichen Vorschriften nicht eingehalten werden können oder sollen

     15. Abweichungsanträge von baurechtlichen Vorschriften – Seite 304 – 01.06.2015>>
  • Darstellung der mit den betreffenden Vorgaben zu erreichenden Schutzziele (z.B. tragende Bauteile ausreichend lange tragfähig und dem zu erreichenden Schutzniveau z.B. 90 min)

  • Angaben über die vorgesehenen Kompensationsmaßnahmen

  • ausführliche Einschätzung über die Vertretbarkeit der abweichenden Ausführung bzw. die Schutzzielerreichung im vorgegebenen Schutzniveau

In bestehenden Gebäuden sind die vorhandenen Abweichungen von baurechtlichen Vorschriften im BS-Nachweis aufzuzählen (vorhandene Schwachstellen). Ein Abweichungsantrag ist nur erforderlich, wenn kein Bestandsschutz angesetzt werden kann.

Abweichung 2 vom Art. yy BayBO oder anderer Vorschriften:

Analog der 1. Abweichung

Erläuterungen:

15.1 Arten von Abweichungen

  • Abweichungen von grundsätzlichen Schutzzielen (Art. 3 und 12 BayBO, einschließlich der speziellen Schutzziele aus den materiellen Anforderungen (in der Regel Abs. 1 der jeweiligen Anforderung aus Abschnitt IV BayBO))

  • Abweichungen von Anforderung der »Eingeführten Technischen Baubestimmungen« (Art. 3 Abs. 2 BayBO)

  • Abweichungen von Anforderungen aus den Verwendbarkeits- oder Anwendbarkeitsnachweisen (Abschnitt III BayBO)

  • Abweichungen von materiellen Anforderungen aus den Landesbauordnungen oder Sonderbauverordnungen (Art. 63 BayBO)

  • Abweichungen von Verwaltungsvorschriften

  • Genehmigte Abweichungen im Bestand

  • Abweichungen von Technischen Regeln des Arbeitsschutz- oder Gefahrstoffrechtes (einschließlich Strahlenschutz. Biologische Arbeitsstoffe usw.)

15.2 Abweichungen von Schutzzielen

Mit den Brandschutznachweisen oder Brandschutzkonzepten ist immer die Schutzzielerreichung nachzuweisen. Von den grundsätzlichen Schutzzielen kann somit nicht abgewichen werden.

 15. Abweichungsanträge von baurechtlichen Vorschriften – Seite 305 – 01.06.2015<<>>

Für die materiellen Einzelmaßnahmen (siehe Abschnitt IV BayBO) ist je ein Schutzziel (spezielles Schutzziel) und eine konkrete Anforderung vorgegeben. Die Anforderung steigt in der Regel mit dem Risiko des Gebäudes bzw. in Abhängigkeit von der Gebäudeklasse oder es sind Vorgaben in Sonderbauverordnungen enthalten. Für nicht geregelte Sonderbauten sollten die Festlegungen entsprechend der Gefahr durchgeführt werden, und das für den Einzelfall.

Von den vorgegebenen Anforderungen kann grundsätzlich abgewichen werden, soweit das Schutzziel und das vorgegebene Schutzniveau erreicht werden. Von den speziellen Schutzzielen kann nur abgewichen werden, wenn durch andere Maßnahmen auf die Schutzwirkung von einzelnen Bauteilen oder anderen Schutzvorkehrungen verzichtet werden kann. Das gilt grundsätzlich auch für die grundlegenden brandschutztechnischen Schutzziele aus Art. 3 und 12 BayBO.

Im Bestand kann es zulässig sein, Abstriche bei der Schutzzielerreichung zuzulassen, soweit ein gewisser Grundschutz gegeben ist. Wenn Bestandsschutz vorliegt, ist diese Schwelle bei der »erheblichen oder konkreten Gefahr« zu ziehen. Soweit andere Schutzziele zu berücksichtigen sind, wie beispielsweise Denkmalschutz, sind die zutreffenden Schutzziele gegeneinander abzuwägen

15.3 Abweichungen von »Eingeführten Technischen Baubestimmungen«

Beispielsweise ist die Leitungsanlagenrichtlinie in der Liste der in Bayern »Eingeführten Technischen Baubestimmungen« (ETB) enthalten. Dasselbe gilt übrigens für die Richtlinie für brandschutztechnische Anforderungen an Doppelböden oder Systemböden, die Lüftungsanlagenrichtlinie, die Richtlinie für Flächen für die Feuerwehr, die DIN 4102, um einige der wesentlichen technischen Baubestimmungen zu nennen.

Wenn technische Baubestimmungen in einem Bundesland bauaufsichtlich eingeführt sind, so sind diese einzuhalten. Alternativ sind gleichwertige Maßnahmen zu treffen, um die Schutzziele der Landesbauordnungen umzusetzen. Dazu gehört auch eine entsprechende Dokumentation der Gleichwertigkeit im BS-Nachweis.

Nicht eingeführte »Technische Regeln« oder Normen brauchen in dem entsprechenden Bundesland auf Grundlage des Baurechtes nicht zwingend umgesetzt zu werden. Allerdings können sich zivilrechtliche Konsequenzen für den Planer ergeben, wenn der »Stand der Technik« nicht umgesetzt wird. Formale Abweichungsanträge sind in beiden Fällen nicht erforderlich.

Abweichungen von »Eingeführten Technischen Baubestimmungen«, welche sozusagen Musterbrandschutzkonzepte oder Teile von Brandschutzkonzepten für besondere Nutzungen sind, sollten vergleichbar wie Abweichungen von den Bauordnungen oder Sonderbauordnungen  15. Abweichungsanträge von baurechtlichen Vorschriften – Seite 306 – 01.06.2015<<>>behandelt werden, obwohl in den meisten Ländern grundsätzlich keine Abweichungsverfahren erforderlich sind. Zu nennen sind die Industriebaurichtlinie, die Kunststofflagerrichtlinie, die Löschwasserrückhalterichtlinie.

Sonderfall Industriebaurichtlinie

Am Beispiel von Industriebauten stellt sich die Rechtslage in Bezug auf Abweichungen folgendermaßen dar:

Industriebauten weichen in der Regel immer von den Verhältnissen in Wohn- und Bürogebäuden ab. Deshalb handelt es sich um Sonderbauten im Sinne der Landesbauordnungen (je nach Bundesland unterschiedliche Schwellen, in Bayern ab 1600 m2). Auf Grund der »Sondernutzungen« (abweichend von Wohn- und Büronutzungen) können weitergehende Anforderungen erforderlich werden, um die Schutzziele der Bauordnungen zu erreichen. Ggf. können auch geringere Anforderungen vertretbar sein (Art. 54 Abs. 3 BayBO).

Vom Grundsatz her müsste der Brandschutzplaner für Sonderbauten ohne Sonderbauverordnung ein vorhabenbezogenes BS-Konzept erstellen. Damit ergibt sich immer eine planerische Unsicherheit bis zur Genehmigung durch die Behörde (Prüfung durch Behörde oder Prüfsachverständigen). In Abhängigkeit vom Sachverstand der Brandschutzplaner und Prüfer ergeben sich unterschiedliche Anforderungen für solche Gebäude.

Diese Probleme wurden für industriell genutzte Gebäude ab Einführung der Industriebaurichtlinie beseitigt. Durch die Einführung wird eine einheitliche Betrachtung sichergestellt, unabhängig vom Sachverstand und den Vorlieben der Prüfer.

Industriebauten werden anderen »geregelten Sonderbauten« gleichgestellt. Diese Richtlinie ist von Bauherren/Planern und Genehmigungsbehörden gleichermaßen zu beachten.

Auf Grund der Nutzung sind im Wesentlichen folgende Erleichterungen aus dem Bereich des vorbeugenden baulichen Brandschutzes regelgerecht möglich:

  • Feuerwiderstandsfähigkeit der Bauteile

  • Größe der Brandabschnitte oder Brandbekämpfungsabschnitte

  • Anordnung, Lage und Länge der Rettungswege

Zusätzlich zum Standardbrandschutzkonzept der Landesbauordnungen werden Anforderungen an den vorbeugenden anlagentechnischen, betrieblich/organisatorischen und den abwehrenden Brandschutz umzusetzen sein (siehe Ziffer 5 der IndBauRL).

Außerdem ergeben sich zusätzliche Anforderungen des vorbeugenden baulichen Brandschutzes in Bezug auf die Ausführung von Brandwänden, Außenwänden und Dächern.

 15. Abweichungsanträge von baurechtlichen Vorschriften – Seite 307 – 01.06.2015<<>>

Wie bei anderen eingeführten technischen Baubestimmungen oder Sonderbaurichtlinien kann man auch von der Industriebaurichtlinie abweichen. Das setzt aber voraus, dass durch andere Maßnahmen die Umsetzung der Schutzziele des Baurechtes sichergestellt wird.

Die Richtlinie schränkt die Abweichungsmöglichkeiten, vor allem in Bezug auf die Größe der Brandabschnitte, die Auslegung der Bauteile und die Länge der Rettungswege, auf die nächsthöhere Nachweisstufe ein bzw. hat der Antragsteller die Wahl, eines von den drei vorgegebenen Nachweisverfahren anzuwenden (Ziffer 1 der offiziellen Begründung der MIndBauRL 2000).

Das heißt, wenn die Anforderungen aus dem Tabellenverfahren (Nachweisstufe 1 nach Ziffer 6 IndBauRL) nicht eingehalten werden können, ist das vereinfachte Rechenverfahren nach DIN 18230 (Nachweisstufe 2, nach Ziffer 7 IndBauRL) oder der Nachweis mit ingenieurmäßigen Rechenverfahren durchzuführen (Nachweisstufe 3). Die Anforderungen an ingenieurmäßige Verfahren sind im Anhang 1 zur IndBauRL festgehalten.

Die Richtlinie kann auch zur Begründung von Erleichterungen oder Abweichungen bei ähnlich genutzten Gebäuden Verwendung finden, wenn diese mit dem Brandrisiko von Industriebauten vergleichbar sind (z.B. im Kraftfahrzeughandel). Ausdrücklich ausgenommen sind auch in diesem Fall Erleichterungen in Bezug auf die Rettungswege.

Um die Erleichterungen der IndBauRL in Anspruch zu nehmen, müssen das komplette »Muster BS-Konzept für Industriebauten« bzw. die materiellen Anforderungen aus der Landesbauordnung (einschließlich mit geltende Rechtsnormen), in Verbindung mit der IndBauRL, umgesetzt werden.

Die Behandlung von Abweichungen (Beantragung von Abweichungen) ist in den meisten Bundesländern für Industriebauten nicht erforderlich. Allerdings sollte mit der zuständigen Bauaufsichtsbehörde oder dem Prüfsachverständigen abgestimmt werden, wie mit Abweichungen von der IndBauRL verfahren werden soll. Einzelne Bauaufsichtsbehörden fordern die Einreichung von begründeten Abweichungsanträgen.

In Bayern wurde mit Einführung der BayBO 2008 von der Obersten Baubehörde klargestellt, dass Abweichungen von eingeführten Technischen Baubestimmungen ohne bauaufsichtliche Zulassungsentscheidung nur bei gleich- oder höherwertigen Lösungen zulässig sind. Wird der Mindeststandart der Baubestimmung unterschritten, ist keine Abweichung zulässig.

Wegen der Brisanz sind Abweichungen von Musterbrandschutzkonzepten, wie beispielsweise der Industriebaurichtlinie, nach Art. 63 Abs. 1 Satz 1 BayBO zu behandeln.

Zusammenfassend ist festzuhalten, dass die in einem Bundesland »Eingeführten Technischen Baubestimmungen« zu beachten sind. Damit binden sie die am Bau Beteiligten. Abweichungen sind möglich, wenn durch andere Maßnahmen das jeweilige Schutzziel erreicht wird. Die  15. Abweichungsanträge von baurechtlichen Vorschriften – Seite 308 – 01.06.2015<<>>Gleichwertigkeit der anderen technischen Lösung muss im BS-Nachweis belegt werden. Einer förmlichen Entscheidung der Bauaufsichtsbehörde, wie bei Abweichungen von Gesetzen oder Verordnungen, bedarf es jedoch nicht (außer für bestimmte Technische Baubestimmungen, welche ein Brandschutzkonzept darstellen, z.B. in Bayern).

15.4 Abweichungen von Verwendbarkeitsnachweisen oder Anwendbarkeitsnachweisen

Die nationalen Anforderungen an Bauprodukte und Bauarten sind im Abschnitt III der Bauordnungen, in der Bauregelliste und teilweise in den eingeführten Technischen Baubestimmungen geregelt. Es handelt sich um An- oder Verwendungsvorgaben.

Des Weiteren mussten bis 7/2013 die europäische Bauproduktenrichtlinie und das deutsche Bauproduktengesetz eingehalten werden. Diese Vorgaben sollen im Wesentlichen Handelshemmnisse innerhalb Europas abbauen bzw. den Binnenmarkt fördern. Die Bauproduktenverordnung löste die Bauproduktenrichtlinie ab. Da europäische Verordnungen direkt gelten, wurde das Bauproduktengesetz bis auf wichtige Umsetzungsvorgaben zusammengestrichen. Hier handelt es sich um Vorgaben, welche das »Inverkehrbringen« von Bauprodukten regeln.

In den nationalen Vorschriften wurde u.a. festgelegt, dass nur Bauprodukte verwendet werden dürfen, wenn diese für diesen Verwendungszweck geeignet sind. Sie benötigen sozusagen einen »Schein«, welcher sich Verwendbarkeitsnachweis nennt (für Bauarten Anwendbarkeitsnachweis). Ausnahmen ergeben sich aus der Bauregelliste C, in der die für die Brandschutzanforderungen unwesentlichen Bauteile gelistet sind (z.B. Fensterkitt).

Soweit von den Ver- oder Anwendbarkeitsnachweisen nicht wesentlich abgewichen wird, darf die Übereinstimmung bescheinigt bzw. dürfen diese Bauprodukte und Bauarten eingebaut werden.

Bei wesentlichen Abweichungen von den vorgegebenen Ver- oder Anwendbarkeitsnachweisen ist eine Zustimmung im Einzelfall bei der Obersten Bauaufsichtsbehörde zu beantragen. Ggf. kann ein anderer Ver- oder Anwendbarkeitsnachweis erbracht werden. Im Denkmalschutz ist in einigen Bundesländern die Untere Bauaufsichtsbehörde für die Erteilung der Zustimmung im Einzelfall zuständig.

Die Feststellung, ob die Abweichungen nun wesentlich oder nicht wesentlich sind, wird in der Regel vom Hersteller des Bauproduktes oder vom Errichter der Bauart getroffen. Im Zweifelsfall ist ein Prüfinstitut oder das Deutsche Institut für Bautechnik zu beteiligen, da diese die Reserven der Bauteile oder Bauarten auf Grund der Prüferfahrung kennen.

Die Bauteile oder Bauarten müssen trotz abweichender Bauausführung die Schutzziele im erforderlichen Schutzniveau erreichen, wie beispiels- 15. Abweichungsanträge von baurechtlichen Vorschriften – Seite 309 – 01.06.2015<<>>weise die nach Bauordnung erforderliche Feuerwiderstandsdauer bzw. die Sicherung des Abschottungsprinzips. Der Weg der Nachweisführung ist zu dokumentieren (z.B. Ablage in der BS-Akte). In der Regel kommt die Dokumentation im BS-Konzept nicht in Frage, da diese Probleme erst in späteren Leistungsphasen auftreten. Das BS-Konzept wird in der Leistungsphase 4 erstellt und ist Bauvorlage als Genehmigungsgrundlage.

Zusammenfassend ist festzuhalten, dass die Anforderungen, welche an Bauprodukte und Bauarten gestellt werden, die am Bau Beteiligten bindet. Nichtwesentliche Abweichungen sind zulässig. Die Entscheidung über den Abweichungsgrad treffen die Hersteller der Bauprodukte oder die Ersteller der Bauarten. Bei wesentlichen Abweichungen ist in der Regel von der jeweiligen Obersten Baubehörde zu entscheiden, ob die Schutzziele mit der abweichenden Ausführung erreicht werden (»Zustimmung im Einzelfall«).

In Fällen, in denen die Schutzziele mit geplanten Bauteilen oder Bauarten nicht erreicht werden können, kommen auch Abweichungen von materiellen Anforderungen an die Bauteile in Frage. Voraussetzung dafür sind wirksame Kompensationen (z.B. statt feuerbeständige Wände Einsatz einer Sprinkleranlage und Herabsetzung der Anforderung auf feuerhemmend). Solche Abweichungen sind bei den Unteren Bauaufsichtsbehörden zu beantragen bzw. auf der Grundlage von Art. 63 BayBO zu entscheiden. Auch bei dieser Entscheidung ist Schutzzielerreichung das Kriterium.

15.5 Abweichungen von Anforderungen aus den Landesbauordnungen bzw. Sonderbauverordnungen

Grundsätzlich sind beim Bauen die jeweiligen Bauordnungen, ggf. die zutreffenden Sonderbauverordnungen und die Verordnungen für Technische Anlagen bzw. die dort vorgegebenen materiellen Anforderungen einzuhalten. Diese Anforderungen binden nicht nur die Behörden, sondern auch die Planer.

Aus unterschiedlichsten Gründen können die zutreffenden baurechtlichen Vorschriften nicht immer eingehalten werden. Das trifft vor allem beim Bauen im Bestand oder bei außergewöhnlichen Nutzungen zu.

In diesen Fällen muss vom Brandschutzplaner nachgewiesen werden, dass mit der abweichenden Ausführung oder durch zusätzliche Schutz- bzw. Kompensationsmaßnahmen die jeweiligen Schutzziele im vorgegebenen Schutzniveau erreicht werden. Bei fehlender Gefährdung können Abweichungen von baurechtlichen Anforderungen auch ohne Kompensationsmaßnahmen vertretbar sein. Diese Verfahrensweise erfordert begründete Abweichungsanträge, welche von der zuständigen Behörde oder dem Prüfsachverständigen zu prüfen sind (Zustimmung oder Ablehnung).

Von den Brandschutznachweiserstellern oder Planern sind, nicht zuletzt wegen haftungsrechtlicher Gründe, alle Abweichungen von baurechtlichen Vorschriften zu erkennen und diese bei den zuständigen Behörden oder  15. Abweichungsanträge von baurechtlichen Vorschriften – Seite 310 – 01.06.2015<<>>Prüfsachverständigen zu beantragen. Dazu gehört auch der Nachweis der vergleichbaren Schutzzielerreichung.

Die Brandschutzplaner können sich nicht darauf verlassen, dass Fehler oder nicht beantragte Abweichungen von den Prüfern erkannt werden. In diesem Zusammenhang wird darauf verwiesen, dass für Gebäude, bei denen der Brandschutznachweis nicht geprüft wird, die Abweichungen im wahrsten Sinne des Baurechtes »zementiert« werden. Dann kommen haftungsrechtliche Probleme auf die Planer oder Betreiber zu (ggf. auch strafrechtliche).

Auch wenn vorgegebene Standardbrandschutzkonzepte nicht als Planungsgrundlage dienen sollen oder können, sondern vorhabenbezogene Brandschutzkonzepte wegen der besonderen Nutzung erstellt werden müssen, ist Einvernehmen mit der zuständigen Bauaufsichtsbehörde bzw. dem Prüfer des Brandschutzes herzustellen.

Zusammenfassend ist festzuhalten, dass Gesetze und Verordnungen materielles Recht setzen, welches sowohl die am Bau Beteiligten als auch die Behörden bindet. Abweichungen sind von den Nachweiserstellern zu beantragen. Von den Behörden sind diese zu genehmigen oder abzulehnen, jeweils in Abhängigkeit der Vertretbarkeit.

15.6 Abweichungen von Verwaltungsvorschriften

Der § 51 MBO oder der entsprechende § oder Art. der Landesbauordnungen (z.B. Art. 54 Abs. 3 BayBO) ermächtigt die Unteren Bauaufsichtsbehörden für Sonderbauten, besondere Anforderungen zu stellen oder Erleichterungen zuzulassen. Die von den Obersten Bauaufsichten erlassenen Verwaltungsvorschriften binden die Unteren Bauaufsichten in ihrer Entscheidung.

Ein Beispiel von so zu behandelnden Verwaltungsvorschriften sind die Hochhausrichtlinien, Schulbaurichtlinien oder Krankenhausbaurichtlinien, wenn diese nicht als eingeführte Technische Baubestimmung oder als Verordnung im jeweiligen Bundesland, sondern als Verwaltungsvorschrift erlassen wurden. Um Fehlinterpretationen der am Bau Beteiligten über die Zulässigkeit von Abweichungen auszuschließen, wird den Ländern empfohlen, z.B. auch die Musterhochhausrichtlinie 2007 als Verwaltungsvorschrift einzuführen. Die eingeführten Verwaltungsvorschriften haben damit den Charakter einer ermessensleitenden Regelung.

Die Bauaufsichtsbehörden haben die für Hochhäuser erforderlichen Anforderungen z.B. über Nebenbestimmungen bzw. Auflagen in den Baugenehmigungen durchzusetzen. In der Regel werden aber BS-Konzepte zur Überarbeitung zurückgegeben, wenn die Vorgaben aus Richtlinien nicht eingehalten werden bzw. diese Anforderungen nicht entsprechend kompensiert sind.

 15. Abweichungsanträge von baurechtlichen Vorschriften – Seite 311 – 01.06.2015<<>>

Es vereinfacht die Genehmigungsverfahren, wenn die Planungen gleich nach den Verwaltungsvorschriften (z.B. Hochhausrichtlinien) durchgeführt werden. Das ist schon deshalb zu berücksichtigen, da manche Bauaufsichtsbehörden keine Auflagen mehr erlassen, sondern die Genehmigung so lange versagen, bis die Schutzziele in den Brandschutzplanungen erreicht werden. Indirekt werden so die am Bau Beteiligten ebenfalls durch die als Verwaltungsvorschrift eingeführten Richtlinien gebunden.

15.7 Abweichungen im Bestand

Für bestehende Gebäude bzw. wenn Änderungen im Bestand geplant sind, ist vom Planer zu klären, ob noch Bestandschutz für das Gebäude oder für Gebäudeteile vorliegt (ggf. im Einvernehmen mit der Bauaufsichtsbehörde bzw. dem Prüfersachverständigen, Nachweispflicht liegt beim Bauherrn oder dessen Beauftragten).

Auch wenn Bestandsschutz vorliegt und die Änderungen nicht den gesamten Bestandsschutz in Frage stellen, sind die vorhandenen Abweichungen (ggf. Schwachstellen) im BS-Nachweis/Konzept aufzuzählen bzw. ist vom BS-Nachweisersteller darzulegen, warum diese bereits genehmigten Abweichungen unabhängig von den Änderungen weiter belassen werden können oder noch vertretbar sind.

Formelle Abweichungsanträge sind nicht erforderlich, soweit diese nicht durch genehmigungsbedürftige Änderungen herbeigeführt werden.

Vom Prüfer (zuständige Behörde oder Prüfsachverständiger) sind die Aussagen zu prüfen und es ist festzulegen, ob neue bzw. die bereits vorhandenen Abweichungen, unter Berücksichtigung der geplanten Änderungen, noch vertretbar sind. Dass trifft vor allem zu, wenn zusätzliche Gefährdungen durch die neuen Nutzungen dazu kommen.

Wenn die »bestandsgeschützten« Abweichungen eine erhebliche oder konkrete Gefahr für Leben und Gesundheit hervorrufen, entfällt der Bestandsschutz und der Bauherr kann sich nicht mehr auf den grundgesetzlich verbrieften Schutz des Eigentums berufen.

In diesem Fall überwiegt das Recht auf Schutz des Lebens und die ebenfalls grundgesetzliche Vorgabe, dass Eigentum verpflichtet.

15.8 Abweichungen von Technischen Regeln des Arbeits- und Gesundheitsschutzes einschließlich Technischer Regeln anderer Bereiche des Sicherheitsrechtes

Im Planungszeitraum sind nicht immer alle Gefährdungen bekannt, welche sich aus den späteren Nutzungen ergeben. Das trifft auch für die Brand- und vergleichbaren Gefährdungen zu. Die bekannten Brand- und vergleichbaren Gefährdungen sind allerdings im BS-Konzept zu berück- 15. Abweichungsanträge von baurechtlichen Vorschriften – Seite 312 – 01.06.2015<<>>sichtigen. Das gilt auch, wenn die sich daraus ergebenden Forderungen in anderen Rechtsgebieten geregelt sind.

Wenn andere Rechtsgebiete betroffen sind, wie Arbeitsschutz-, Umweltschutz-, Gentechnik-, Strahlenschutz- oder Gefahrstoffrecht, sind erforderliche Schutzmaßnahmen unter Berücksichtigung der zutreffenden Technischen Regeln umzusetzen bzw. sind entsprechende Kompensationsmaßnahmen vorzusehen, zumindest sind die Schutzziele der jeweiligen Rechtsvorschriften einzuhalten.

Die Gesetze oder Verordnungen der vorgenannten Rechtsgebiete enthalten fast ausschließlich nur Schutzziele und Vorgaben in Bezug auf die Vorgehensweise. Materielle bzw. bauliche, anlagentechnische, betriebliche und abwehrende Anforderungen können aus den betreffenden Technischen Regeln entnommen werden. Die Technischen Regeln sind ähnlich wie die eingeführten Technischen Baubestimmungen nicht zwingend einzuhalten, wenn die Schutzziele des jeweiligen Rechtsgebietes mit vergleichbarem Schutzniveau umgesetzt werden. Bei Einhaltung vorgenannter Technischer Regeln kann von der Schutzzielerhaltung ausgegangen werden (Vermutungswirkung).

Abweichende Lösungen müssen immer das geforderte Sicherheitsniveau erreichen und sind im BS-Nachweis entsprechend zu begründen bzw. ist die Schutzzielerreichung nachzuweisen. Formelle Anträge auf Abweichung sind nicht erforderlich. Da es sich bei solchen Nutzungen in der Regel um Sonderbauten handelt oder andere Genehmigungsverfahren zum Tragen kommen, ist eine Prüfung der BS-Nachweise obligatorisch.

Die Vertretbarkeit der abweichenden Lösung muss für die Prüfer erkennbar sein und die Alternativlösung wird im Genehmigungsverfahren abschließend beurteilt (ggf. von der zuständigen Behörde, z.B. vom GGA nach Zuleitung durch die Bauaufsichtsbehörde).

15.9 Grundsätzliche Aussagen zu Abweichungen

Wie bereits dargelegt, sind die obligatorischen Schutzziele in den Gesetzen und Verordnungen enthalten. Im Unterschied zum Arbeitsschutzrecht enthalten die baurechtlichen Vorschriften zusätzlich noch materielle Vorgaben, mit denen die Schutzzielerreichung ermöglicht werden kann und soll.

Gesetze sind in einer parlamentarischen Demokratie immer Ergebnisse, welche auf Kompromissen der unterschiedlichen Interessengruppen begründet sind. Das gilt nicht nur für die Bauordnungen als Landesgesetze, sondern trifft sinngemäß auch auf die Sonderbauverordnungen, Sonderbaurichtlinien und teilweise auch auf die Technischen Regeln zu, da alle diese Vorgaben in unterschiedlich besetzten Gremien erarbeitet werden. Aus diesen Vorgaben ist in der Regel das gesellschaftlich akzeptierte Restrisiko abzuleiten.

 15. Abweichungsanträge von baurechtlichen Vorschriften – Seite 313 – 01.06.2015<<

Bei der Erarbeitung dieser Vorgaben können keine konkreten, sondern nur abstrakte oder fiktive Bauvorhaben oder Nutzungen als Grundlage dienen. Dieser Vorgang geschieht ohne genaue Kenntnis der vorhandenen Randbedingungen, wie Nachbarschaft, besondere Nutzung und der sich im Nutzungszeitraum ändernden Bedingungen.

Das bedeutet, die Festlegung von Brandschutzmaßnahmen in baurechtlichen Vorschriften erfolgt in der Regel pauschal nach klassifizierten Risikokategorien ohne besondere Beachtung der konkreten Risikoverhältnisse. Diese Risikokategorien (Gebäudeklassen) sind lediglich abhängig von der Gebäudehöhe, der Größe von Nutzungseinheiten, für geregelte Sonderbauten noch von der Nutzungsart, aber immer ohne Berücksichtigung der konkreten Randbedingungen. Bei starrer Einhaltung von baurechtlichen Vorschriften, ohne Berücksichtigung der konkreten Randbedingungen und vor allem Gefährdungen, kann keine Sicherheit erwartet werden.

Im Arbeitsschutz- und Gefahrstoffrecht wurde diese Erkenntnis bereits berücksichtigt und die Vorgaben nur noch in Technischen Regeln festgeschrieben, ohne dass diese zwingend umzusetzen sind. Die Schutzzielerreichung muss mit dem Instrument der Gefährdungsbeurteilung (Risikobeurteilung) vor erstmaliger Inbetriebnahme nachgewiesen werden. In Abhängigkeit der sich ändernden Randbedingungen und Erkenntnisse ist dieser Nachweis immer wieder neu zu führen. Bestandsschutz kennt das Arbeitsschutzrecht nicht. Die Schutzzielerreichung ist der vertretbare Maßstab.

Brandschutzplanungen mit Abweichungen von baurechtlich festgelegten Vorgaben (Gesetzen und Verordnungen) müssen keine schlechteren Lösungen sein. Schutzzielorientierte BS-Konzepte, welche auf der Grundlage einer konkreten bauliche Anlage, unter Berücksichtigung der Randbedingungen und der bekannten Nutzung erstellt wurden, sind in der Regel wirkungsvoller.

Deshalb kann festgehalten werden, dass auch Bauvorhaben mit mehreren »Abweichungen« nicht nur wirtschaftlicher, sondern auch sicherer sein können als Gebäude, welche dem Baurecht entsprechen. Auch die Akzeptanz solcher »Lösungen« wird bei den Anwendern höher sein als die Umsetzung von nicht immer zutreffenden bzw. für den Einzelfall nicht wirksamen Vorgaben.