Scheuermann, Praxishandbuch Brandschutz

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6.5.1 Praxisinformationen zur Maschinenrichtlinie 2006/42/EG

Übersicht

Die Richtlinie 2006/42/EG des europäischen Parlaments und des Rates vom 17. Mai 2006 über Maschinen und zur Änderung der Richtlinie 95/16/EG (Neufassung) (kurz: Maschinenrichtlinie) regelt ein einheitliches Schutzniveau an Maschinen beim Inverkehrbringen innerhalb des europäischen Wirtschaftsraumes (EWR) sowie der Schweiz und der Türkei – siehe hierzu die ausführliche Darlegung in Kapitel 3.6.2 (folgt demnächst).

Die Maschinenrichtlinie 2006/42/EG stellt die ordnungspolitische Grundlage für die Harmonisierung der grundlegenden Gesundheits- und Sicherheitsanforderungen an Maschinen auf europäischer Ebene dar. Die Maschinenrichtlinie entfaltet wie alle Richtlinien, die auf Grundlage des EG-Vertrags erlassen werden, keine unmittelbare Wirkung. Sie muss in nationales Recht umgesetzt werden. In Deutschland ist dies durch das Produktsicherheitsgesetz (ProdSG) und die darauf gestützte Maschinenverordnung (9. ProdSV) erfolgt, in Österreich beispielsweise durch die Maschinensicherheitsverordnung. Richtlinien nach Artikel 114 des EG-Vertrages müssen ohne Änderungen in nationales Recht übernommen werden. Insoweit ist in der Maschinenverordnung beispielsweise der Anhang I der Maschinenrichtlinie in Bezug genommen, sodass eine quasi unmittelbare Wirkung der grundlegenden Sicherheits- und Gesundheitsanforderungen der europäischen Maschinenrichtlinie besteht.

Seit dem 29. Dezember 2009 ist die neue Maschinenrichtlinie verbindlich ohne Übergangsfristen anzuwenden. Im Wesentlichen wurden nachstehende Änderungen vorgenommen:

  • Klarere Abgrenzung des Anwendungsbereichs zur Niederspannungsrichtlinie und zur Aufzugsrichtlinie

  • Unvollständige Maschinen sind im Anwendungsbereich mit aufgenommen. Aus den zugehörigen Unterlagen muss hervorgehen, welche Anforderungen der Richtlinie erfüllt wurden. Zum Lieferumfang gehören eine Einbauerklärung und eine Montageanleitung, welche in einer Amtssprache der EG abzufassen ist, die vom Hersteller der vollständigen Maschine, in die die unvollständige Maschine eingebaut wird, akzeptiert wird (im Gegensatz dazu müssen Betriebsanleitungen immer in der Sprache des Aufstellungslandes abgefasst sein).

  • Die grundlegenden Gesundheits- und Sicherheitsanforderungen wurden an den technischen Fortschritt angepasst.

  • Wahlmöglichkeiten bei Konformitätsbewertungsverfahren für als besonders gefährlich eingeschätzten Maschinen

  • Sicherheitsbauteile erhalten CE-Kennzeichnung.

  • Aufnahme von auch gewerblich genutzten Haushaltsgeräten, sofern sie die Maschinendefinition erfüllen

 6.5.1 Praxisinformationen zur Maschinenrichtlinie 2006/42/EG – Seite 2 – 01.12.2012>>

Zur Beantwortung häufig gestellter Fragen hat die Europäische Kommission in Absprache mit den Mitgliedstaaten eine Sammlung der häufig gestellten Fragen in einem »Leitfaden für die Anwendung der Maschinenrichtlinie 2006/42/EG«, 2. Auflage Juni 2010, veröffentlicht, der unter der Internetadresse: http://ec.europa.eu/enterprise/sectors/mechanical/files/machinery/guide-appl-2006-42-ec-2nd-201006_de.pdf zur Verfügung steht.

In diesem Dokument werden auch weitere Fragen (z.B. im Hinblick auf die Verwendung von Baumusterprüfbescheinigungen) beantwortet, auf die in dem vorliegenden Beitrag nicht eingegangen werden soll.

6.5.1.1 Die EU-Maschinenrichtlinie 2006/42/EG

1. Anwendungsbereich und Definitionen

Der Anwendungsbereich der neuen Maschinenrichtlinie wurde klarer gefasst (Lastaufnahmemittel, Bolzenschussgeräte und unvollständige Maschinen) und erweitert (Baustellenaufzüge). Der besseren Rechtssicherheit sollen insbesondere auch die neugefassten Maschinendefinitionen dienen:

»Maschine«

  • eine mit einem anderen Antriebssystem als der unmittelbar eingesetzten menschlichen oder tierischen Kraft ausgestattete oder dafür vorgesehene Gesamtheit miteinander verbundener Teile oder Vorrichtungen, von denen mindestens eines bzw. eine beweglich ist und die für eine bestimmte Anwendung zusammengefügt sind;

  • eine Gesamtheit im Sinne des ersten Gedankenstrichs, der lediglich die Teile fehlen, die sie mit ihrem Einsatzort oder mit ihren Energie- und Antriebsquellen verbinden;

  • eine einbaufertige Gesamtheit im Sinne des ersten und zweiten Gedankenstrichs, die erst nach Anbringung auf einem Beförderungsmittel oder Installation in einem Gebäude oder Bauwerk funktionsfähig ist;

  • eine Gesamtheit von Maschinen im Sinne des ersten, zweiten und dritten Gedankenstrichs oder von unvollständigen Maschinen im Sinne des Buchstabens g, die, damit sie zusammenwirken, so angeordnet sind und betätigt werden, dass sie als Gesamtheit funktionieren;

  • eine Gesamtheit miteinander verbundener Teile oder Vorrichtungen, von denen mindestens eines bzw. eine beweglich ist und die für Hebevorgänge zusammengefügt sind und deren einzige Antriebsquelle die unmittelbar eingesetzte menschliche Kraft ist.

Die Richtlinie definiert erstmals »unvollständige Maschinen«, die bislang als »Teilmaschinen« bezeichnet wurden:

 6.5.1 Praxisinformationen zur Maschinenrichtlinie 2006/42/EG – Seite 3 – 01.12.2012<<>>
  • »unvollständige Maschine« eine Gesamtheit, die fast eine Maschine bildet, für sich genommen aber keine bestimmte Funktion erfüllen kann. Ein Antriebssystem stellt eine unvollständige Maschine dar. Eine unvollständige Maschine ist nur dazu bestimmt, in andere Maschinen oder in andere unvollständige Maschinen oder Ausrüstungen eingebaut oder mit ihnen zusammengefügt zu werden, um zusammen mit ihnen eine Maschine im Sinne dieser Richtlinie zu bilden;

Weitere Änderungen sind:

  • Die grundlegenden Sicherheits- und Gesundheitsanforderungen (Anhang I) fordern zukünftig vom Hersteller eine Risikobeurteilung.

  • Die Anforderungen an »unvollständige Maschinen« sind in der Neufassung der Maschinenrichtlinie neu geregelt worden. Bisher genügte eine Herstellererklärung. Künftig muss der Hersteller eine Einbauerklärung mitliefern. Darin muss angegeben werden, welche Anforderungen der Richtlinie auf die Teilmaschine zutreffen und eingehalten wurden. Eine Montageanleitung muss den Unterlagen zur Maschine beigefügt werden.

  • Die Abgrenzung zur Niederspannungsrichtlinie ist nicht mehr risikobezogen, sondern produktbezogen geregelt.

  • Anstatt einer »Gefahrenanalyse« ist eine Risikoabschätzung und »Risikobewertung« nötig.

  • interne Fertigungskontrolle für Serienmaschinen (Anhang VIII)

  • Die Gültigkeit von EG-Baumusterprüfbescheinigungen ist durch die Prüfstelle alle fünf Jahre zu überprüfen. Hersteller und Prüfstelle sind verpflichtet, die relevanten technischen Dokumente 15 Jahre aufzubewahren.

2. Herstellerpflichten für Maschinen

Die Herstellerpflichten für Maschinen (Achtung: Maschine steht hier für alle Produkte des Anwendungsbereiches, bis auf unvollständige Maschinen) werden klargestellt und dazu erstmals in einem einzigen Artikel (Artikel 5 Abs. 1) zusammengefasst.

Dazu zählen:

  • die Einhaltung der Sicherheits- und Gesundheitsschutzanforderungen (inkl. Risikobeurteilung und Betriebsanleitung)

  • die Erstellung und Bereithaltung der technischen Unterlagen nach Anhang VII Teil A, die Durchführung der Konformitätsbewertung gemäß Artikel 12

  • das Ausstellen und Aushändigen der Konformitätserklärung inkl. der Anbringung der CE-Kennzeichnung

 6.5.1 Praxisinformationen zur Maschinenrichtlinie 2006/42/EG – Seite 4 – 01.12.2012<<>>

3. Herstellerpflichten für unvollständige Maschinen

Für unvollständige Maschinen werden erstmals Herstellerpflichten genannt (Artikel 5 Abs. 2). Dazu zählen:

  • Durchführung des Verfahrens (nicht des Konformitätsbewertungsverfahrens!) nach Artikel 13 nach »Wahl des Herstellers«; die Einhaltung bestimmter Sicherheits- und Gesundheitsschutzanforderungen (inkl. Risikobeurteilung)

  • die Erstellung und Bereithaltung spezieller technischer Unterlagen gemäß Anhang VII Teil B; die Erstellung und Aushändigung der Montageanleitung gemäß Anhang VI

  • die Ausstellung und Aushändigung einer Einbauerklärung gemäß Anhang II Teil 1 Abschnitt B

4. Sicherheits- und Gesundheitsanforderungen

Wie bislang, so werden auch in der neuen Maschinenrichtlinie die grundlegenden Sicherheits- und Gesundheitsanforderungen an Maschinen im Anhang I zusammengefasst. Diese Anforderungen sollen weiterhin in den harmonisierten Normen konkretisiert werden. Änderungen gibt es hier im Bereich der »Allgemeinen Grundsätze« (bislang »Vorbemerkungen«).

Aus der »Gefahrenanalyse« wurde die »Risikobeurteilung« (s. unten). Das Prinzip der Integration der Sicherheit und der Bezug zum Stand der Technik wurden beibehalten. Auch die Nummerierung der einzelnen Abschnitte und Unterabschnitte des Anhang I wurde weitgehend beibehalten. Weitgehend beibehalten wurden auch die bisherigen einzelnen Detailanforderungen. Insofern gibt es keine gravierenden Änderungen. Bei den einzelnen Sicherheits- und Gesundheitsschutzanforderungen waren jedoch – nicht zuletzt wegen der Erweiterung des Anwendungsbereiches – zum Teil Ergänzungen notwendig.

5. Risikobeurteilung

Wie dargestellt, wird die Gefahrenanalyse mit der neuen Maschinenrichtlinie zur Risikobeurteilung, die in den »Allgemeinen Grundsätzen« zu Beginn des Anhangs I in ihrem Ablauf analog der DIN EN ISO 12100:2010 »Sicherheit von Maschinen – Allgemeine Gestaltungsleitsätze – Risikobeurteilung und Risikominderung« (ISO 12100:2010)1 ausführlich beschrieben  6.5.1 Praxisinformationen zur Maschinenrichtlinie 2006/42/EG – Seite 5 – 01.12.2012<<>>wird. Zu beachten ist, dass der Hersteller nach der neuen Richtlinie »dafür zu sorgen« hat, dass eine Risikobeurteilung durchgeführt wird und die Maschine nach dieser Beurteilung konstruiert und gebaut werden muss. Damit wird ein iterativer Prozess beschrieben und klargestellt, dass eine Risikobeurteilung im Nachhinein nicht den rechtlichen Vorgaben entspricht. Das bedeutet z.B. für den Einsatz von Dienstleistern, dass diese bereits ab Beginn der Planung mit einbezogen werden müssen.

6. Dokumentation

Eine ins »Auge stechende« Änderung findet sich im Bereich der Dokumentation (Anhang VII). Jeder Hersteller muss zukünftig in seiner Konformitätserklärung bzw. Einbauerklärung einen »Dokumentationsverantwortlichen« mit Sitz in der Gemeinschaft angeben. Ansonsten hat sich nichts geändert.

Die Dokumentation muss sich nicht unbedingt im Gebiet der Gemeinschaft befinden und auch nicht ständig körperlich vorhanden sein. Sie muss jedoch von dem »Dokumentationsverantwortlichen« innerhalb einer angemessenen Frist zusammengestellt und zur Verfügung gestellt werden können. Für die Dauer der Frist spielt dabei die Komplexität der Dokumentation eine wichtige Rolle. Hersteller, die über eine eigene Dokumentationsabteilung verfügen, haben es hier sicher deutlich einfacher.

Neu ist die Klarstellung, dass auch für unvollständige Maschinen in Zukunft eine spezielle Dokumentation verfügbar sein muss.

7. Konformitätsbewertung

Die Konformitätsbewertung für Maschinen hat sich für den »Normalfall« nicht geändert. Diese kann der Hersteller nach wie vor in eigener Zuständigkeit durchführen. Das Verfahren ist in Anhang VIII beschrieben. Allerdings gibt es im Bereich der Konformitätsbewertung für besonders »gefährliche Maschinen« (Anhang IV-Maschinen) einige Änderungen. Hier sind zukünftig drei Verfahren möglich, die in Abhängigkeit von der »Normenkonformität« gewählt werden können:

  1. 1.

    Konformitätsbewertung allein durch den Hersteller (Anhang VIII, s. »normale Maschinen«)

  2. 2.

    EG-Baumusterprüfung (Anhang IX plus interne Qualitätssicherung)

  3. 3.

    Umfassende Qualitätssicherheit

Die Prüfung bzw. Aufbewahrung der technischen Unterlagen durch eine benannte Stelle ist entfallen.

Bei »Anhang IV-Maschinen« sind zwei Fallgestaltungen zu unterscheiden:

  1. 1.

    Die Maschine wird komplett nach harmonisierten Normen hergestellt und diese Normen berücksichtigen alle relevanten grundlegenden Sicherheits- und Gesundheitsschutzanforderungen. In diesem Fall hat der Hersteller die Wahl zwischen allen drei o.a. Verfahren.

     6.5.1 Praxisinformationen zur Maschinenrichtlinie 2006/42/EG – Seite 6 – 01.12.2012<<>>
  2. 2.

    Die Maschine wird nicht nach harmonisierten Normen hergestellt, die alle relevanten grundlegenden Sicherheits- und Gesundheitsschutzanforderungen der Maschine abdecken. In diesem Fall hat der Hersteller die beiden o. a. letztgenannten Möglichkeiten (Baumusterprüfung oder Qualitätssicherung).

Zu beachten ist, dass Anhang IV in einigen Punkten geändert wurde, z.B.:

  • Erweiterung auf alle Logikeinheiten mit Sicherheitsfunktionen

  • Lastenaufzüge

  • Wegfall der Verbrennungsmotoren

Hinsichtlich der Konformitätsbewertung der Maschinen im Rahmen der Maßnahmen gegen elektrische Gefahren wird klargestellt, dass zwar die »technischen« Anforderungen der Niederspannungsrichtlinie gelten, die Konformitätsbewertung aber nach der Maschinenrichtlinie und nicht nach der Niederspannungs-Richtlinie durchzuführen ist.

8. Konformitätserklärung

Die EG-Konformitätserklärung nach Anhang II bleibt unverändert bestehen und gilt jetzt für alle Produkte des Anwendungsbereiches bis auf »unvollständige Maschinen« und damit auch für Sicherheitsbauteile.

Die bisherige »Herstellererklärung« für die bisherigen »Teilmaschinen« wird durch eine »Einbauerklärung« abgelöst, die jetzt konkretere Aussagen hinsichtlich der Richtlinienkonformität der jetzt »unvollständige Maschinen« enthält. Dazu kommt die mitzuliefernde Montageanleitung.

Wie bereits oben erwähnt, muss sowohl in der Konformitätserklärung als auch in der Einbauerklärung in Zukunft der »Dokumentationsverantwortliche« angegeben werden.

6.5.1.2 Informationen zu einzelnen Aspekten der neuen Maschinenrichtlinie

Die Risikobeurteilung

Bereits in der alten Maschinenrichtlinie war die Durchführung einer Risikobeurteilung obligatorisch. Jedoch war diese Verpflichtung unter der Bezeichnung »Gefahrenanalyse« lediglich in den Vorbemerkungen zum Anhang I enthalten.

In der Maschinenrichtlinie 2006/42/EG wird die zentrale Bedeutung der Risikobeurteilung schon allein durch ihre Platzierung als Ziffer 1 der »Allgemeinen Grundsätze« deutlich herausgestellt:

»Der Hersteller einer Maschine oder sein Bevollmächtigter hat dafür zu sorgen, dass eine Risikobeurteilung vorgenommen wird, um die für die Maschine geltenden Sicherheits- und Gesundheitsschutzanforde- 6.5.1 Praxisinformationen zur Maschinenrichtlinie 2006/42/EG – Seite 7 – 01.12.2012<<>>rungen zu ermitteln. Die Maschine muss dann unter Berücksichtigung der Ergebnisse der Risikobeurteilung konstruiert und gebaut werden« (RL 2006/42/EG; Anhang 1, Ziff. 1).

Damit bleibt die Verpflichtung aus der alten Maschinenrichtlinie dem Grunde nach bestehen. Neu hinzugekommen sind konkrete Angaben zu den notwendigen Schritten, um die für die Maschine geltenden Sicherheits- und Gesundheitsschutzanforderungen zu ermitteln:

  • Bestimmung der Grenzen der Maschine (einschließlich der bestimmungsgemäßen Verwendung und jeder vernünftigerweise vorhersehbaren Fehlanwendung)

  • Ermittlung der Gefährdungen, die von der Maschine ausgehen können, und der damit verbundenen Gefährdungssituationen

  • Abschätzung der Risiken möglicher Gefährdungen unter Berücksichtigung der Schwere möglicher Verletzungen oder Gesundheitsschäden und der Wahrscheinlichkeit ihres Eintretens

  • Bewertung der Risiken, um zu ermitteln, ob eine weitere Risikominderung notwendig ist

  • Ausschaltung der Gefährdungen oder Minderung der mit diesen Gefährdungen verbundenen Risiken durch Anwendung von Schutzmaßnahmen in der Rangfolge nach Anh. 1, Ziff. 1.1.2

Die genannte Rangfolge beinhaltet (nach wie vor) die folgenden Stufen:

  1. a)

    Beseitigung oder Minimierung der Risiken so weit wie möglich (Integration der Sicherheit in Konstruktion und Bau der Maschine)

  2. b)

    Ergreifen der notwendigen Schutzmaßnahmen gegen Risiken, die sich nicht beseitigen lassen

  3. c)

    Unterrichtung der Benutzer über die Restrisiken aufgrund der nicht vollständigen Wirksamkeit der getroffenen Schutzmaßnahmen; Hinweis auf eine eventuell erforderliche spezielle Ausbildung oder Einarbeitung und persönliche Schutzausrüstung

Somit befinden sich diese Maßnahmenhierarchie und auch das Vorgehen insgesamt im Einklang mit der Strategie zur Risikominderung nach DIN EN ISO 12100:2011-03 »Sicherheit von Maschinen – Allgemeine Gestaltungsleitsätze – Risikobeurteilung und Risikominderung (ISO 12100:2010)«. In dieser weltweit gültigen Norme werden u.a. detaillierte Angaben zur Risikominderung gemacht.

In der Praxis werden für die Risikobewertung vielfach Risikofaktoren herangezogen. Aus diesen Risikofaktoren (Schwere der Verletzung, Häufigkeit und/oder Dauer des Aufenthaltes im Gefahrenbereich, Wahrscheinlichkeit des Ereigniseintritts) wird eine Risikozahl ermittelt. Die Risikozahl kann als  6.5.1 Praxisinformationen zur Maschinenrichtlinie 2006/42/EG – Seite 8 – 01.12.2012<<>>Anhaltspunkt dafür dienen, ob sich mit den beabsichtigten Maßnahmen eine ausreichende Risikominimierung erreichen lässt.

Beurteilungsmethode

Die Schrift »Methode Suva zur Beurteilung von Risiken an Arbeitsplätzen und bei Arbeitsabläufen«2 der schweizerischen Unfallversicherungsanstalt ist im Arbeitsschutz allgemein anerkannt. Nach der Methode Suva steht das Risiko (R) als quantitative Größe für eine Gefährdung. Ein Risiko setzt sich aus dem Schadensausmaß (S) und der Wahrscheinlichkeit (W) des Schadenseintritts zusammen.

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Abb. 1: Risikoeinschätzung analog des Schemas aus DIN EN ISO 12100

Die Funktion der Eintrittswahrscheinlichkeit eines Schadens lässt sich darstellen als W = f (e, v, w) mit

e =

die Häufigkeit und Dauer der Exposition gegenüber der Gefährdung

w =

die Wahrscheinlichkeit des Eintritts des Gefährdungsereignisses

v =

die Möglichkeit zur Vermeidung oder Begrenzung des Schadens durch richtiges Verhalten der beteiligten Personen

Da Schadensausmaß und Wahrscheinlichkeit des Eintritts in der Regel nur abgeschätzt werden können, hat es sich bewährt, bewusst »konservativ« zu schätzen. Auf jeden Fall muss die Schätzung aber bezogen auf den Beurteilungsgegenstand, die betrieblichen Gegebenheiten und die Quali- 6.5.1 Praxisinformationen zur Maschinenrichtlinie 2006/42/EG – Seite 9 – 01.12.2012<<>>fikation der Mitarbeiter erfolgen, da eine rein konservative Einschätzung in aller Regel zur Betriebsstilllegung führen würde.

Um eine realistische Grundannahme vorzugeben, werden das Schadensausmaß und die Wahrscheinlichkeit wie in der folgenden Abbildung 2 definiert. Es wurde eine bewusst unbestimmte Festlegung gewählt, um die beurteilenden Verantwortlichen nicht ihrer eigentlichen Aufgaben zu entpflichten.

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Abb. 2: Risikobewertung

Als Hilfestellung zur Bewertung der Risiken sind in der Risikomatrix sowie die oben aufgeführten Bewertungskriterien zusammengefasst und können zur Dokumentation der Risiken hinzugefügt werden. Die Risikoeinschätzung kann anhand der Tabellen vorgenommen werden.

Fazit

Mit der Maschinenrichtlinie 2006/42/EG wird die zentrale Bedeutung der Risikobeurteilung deutlicher als bisher in den Vordergrund gerückt. Es wird jetzt detailliert beschrieben, was in diesem Zusammenhang zu tun ist. Auch die geforderte Ermittlung und anschließende Bewertung aller Gefährdungen und Gefährdungssituationen (z.B. Reinigungstätigkeiten, Störungsbeseitigung, Instandhaltung) macht die Notwendigkeit einer umfassenden und systematischen Sicherheitsanalyse von Beginn an deutlich.

Es ist dringend zu empfehlen, den Vorgaben nachzukommen. Mit welchem Nachdruck der Richtliniensetzer generell auf die Einhaltung der Maschinenrichtlinie 2006/42/EG hinweist, wird in Artikel 23 der Maschinenrichtlinie klar. Dieser Artikel ist neu in die Richtlinie aufgenommen und trägt den Titel »Sanktionen«. Demnach sind von den Mitgliedstaaten Verstöße gegen die Maschinenrichtlinie mit Sanktionen zu ahnden, die  6.5.1 Praxisinformationen zur Maschinenrichtlinie 2006/42/EG – Seite 10 – 01.12.2012<<»wirksam, verhältnismäßig und abschreckend« sind. Dadurch, dass die Marktaufsicht zur Maschinenrichtlinie meist den Gewerbeaufsichtsämtern unterliegt, stehen die Betreiber hier zurzeit unter stärkerer Beobachtung als die Maschinenhersteller selbst.

Aber nicht die Sanktionen an sich sollten Grund genug sein, die Vorgaben der Maschinenrichtlinie zu beachten. Vielmehr geht es darum, von Anfang an eine systematische Sicherheitsanalyse in den Herstellungsprozess technischer Arbeitsmittel zu integrieren. Nur so wird es dauerhaft gelingen, Unfälle beim Umgang mit technischen Arbeitsmitteln schon im Vorfeld wirkungsvoll zu vermeiden.

Bei unsicheren Maschinen bzw. auch bei fehlenden Unterlagen können die Behörden Produktionsmittel sogar stilllegen.

Aus drei mach eins – dies ist das Ziel der Zurückziehung und der Zusammenlegung der für die Maschinensicherheit grundlegenden Typ-A-Normen DIN EN ISO 12100-1 »Sicherheit von Maschinen – Grundbegriffe, allgemeine Gestaltungsleitsätze« –

Teil 1: Grundsätzliche Terminologie, Methodologie und DIN EN ISO 12100-2 »Sicherheit von Maschinen – Grundbegriffe, allgemeine Gestaltungsleitsätze« –

Teil 2: Technische Leitsätze sowie DIN EN ISO 14121 »Sicherheit von Maschinen – Risikobeurteilung –

Teil 1: Leitsätze« zur neuen DIN EN ISO 12100:2010 »Sicherheit von Maschinen – Allgemeine Gestaltungsleitsätze, Risikobewertung und Risikominderung«

Forsblom-Pärli, Ursula: Suva – Schweizerische Unfallversicherungsanstalt, Methode Suva zur Beurteilung von Risiken an Arbeitsplätzen und bei Arbeitsabläufen, 3. Auflage, Luzern 2004