Scheuermann, Praxishandbuch Brandschutz

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4.2.1 Muster-Industriebaurichtlinie (MlndBauRL) Fassung 2013/2014

Im Januar 2013 wurde von der ARGEBAU der neue Entwurf der MlndBauRL zur Anhörung veröffentlicht. Gut 13 Jahren nach der alten Ausführung vom März 2000 hat die zuständige Projektgruppe die Richtlinie abschließend beraten. Die hier beschriebene neue geplante MlndBauRL entspricht dem Redaktionsstand September 2013. Eine offizielle Veröffentlichung des Musters wird zum Sommer 2014 erwartet.

Baurechtlich relevant ist immer nur die Fassung ab dem Zeitpunkt, ab dem sie im einzelnen Bundesland bauaufsichtlich eingeführt wurde oder im Einzelfall im Genehmigungsverfahren akzeptiert wird.

Zu den zahlreichen Änderungen gehört die Umsetzung der im Jahr 2010 überarbeiteten »DIN 18230-1:2010-09 Baulicher Brandschutz im Industriebau – Teil 1: Rechnerisch erforderliche Feuerwiderstandsdauer«. Auch Begriffe des Baurechts wie »Geschoss« und »Ebene« wurden präziser gefasst. Zudem berücksichtigt die Richtlinie nun auch die Anforderungen des so genannten Grundsatzpapiers zum Thema Entrauchung gemäß § 14 MBO (siehe 4.4).

Im Absatz 5.7 wird zukünftig die Rauchableitung abgehandelt. Es müssen demnach Produktions- und Lagerräume mit mehr als 200 m2 Grundfläche zur Unterstützung der Brandbekämpfung entraucht werden. Beim Einsatz qualifizierter natürlicher Rauchabzugsgeräte (NRWG) gilt diese Vorgabe baurechtlich als erfüllt, wenn höchstens je A ≤ 400 m2 Grundfläche mindestens ein solches Gerät mit F ≥ 1,5 m2 aerodynamisch wirksamer Fläche im oberen Raumdrittel verbaut wird. Bei einer nicht qualifizierten »Öffnung zur Rauchableitung« werden größere Flächen erforderlich.

Wichtig für den Anwender ist, dass in den neueren baurechtlichen Vorschriften nur Anforderungen für die Sicherstellung von drei Schutzzielen enthalten sind:

  • Personenschutz,

  • Nachbarschaftsschutz und

  • Umweltschutz.

Werden weitere Schutzziele wie z.B. auf Betreiben des Versicherers der Sachschutz gefordert oder werden die materiellen Grenzen des Baurechts nicht eingehalten, also Abweichungen festgestellt, muss z.B. neben den in der Bauregelliste vorgegebenen Normen zu qualifizierten Rauchabzugsanlagen nach DIN EN 12101 »Rauch- und Wärmefreihaltung« sowie auch die qualifizierte Bemessung nach DIN 18232 »Rauch- und Wärmefreihaltung« benutzt werden.

Das neuere Baurecht geht davon aus, dass die drei oben genannten Schutzziele auch ohne qualifizierten Rauchabzug ausreichend umgesetzt werden können, wenn die im Baurecht benannten materiellen Grenzen (z.B.  4.2.1 Muster-Industriebaurichtlinie (MlndBauRL) Fassung 2013/2014 – Seite 2 – 01.06.2014>>für Flächen, vorgegebene Abstände oder Fluchtweglängen, vorgegebene Brandklassen, d.h. Baustoffklassen bzw. Bauteilanforderungen, maximale Personenkonzentrationen, erlaubte Brandlasten usw.) eingehalten werden. An die nur zur Unterstützung des Löschangriffs gedachte »Öffnung zur Rauchableitung« stellt das Baurecht keine qualifizierten Anforderungen. Sind dagegen bereits zur Erlangung der Baugenehmigung weitere Schutzziele zu beachten, oder liegen Abweichungen vor, sind die im Baurecht benannten Regeln zur Rauchabführung weder abschließend noch ausreichend. Hier sind dann qualifizierte Rauchabzugsanlagen (qualifizierte Geräte nach DIN EN 12101 mit qualifizierter Bemessung nach DIN 18232) einzusetzen. Und werden nach erteilter Baugenehmigung noch weitere Schutzziele relevant (z.B. Sachschutzanforderungen durch den Betreiber oder seinen Versicherer) oder nachträgliche Abweichungen erforderlich, sind auch hier qualifizierte Rauchabzugsanlagen (qualifizierte Geräte nach DIN EN 12101 mit qualifizierter Bemessung nach DIN 18232) zu wählen. Damit ist klar und deutlich im Vorfeld festzustellen, welche Regel für welche Fragen und Aufgaben anzuwenden ist. Die eine Regel ist damit nicht richtiger und die andere nicht falsch, die eine führt nicht grundsätzlich zu einer Überdimensionierung und die andere zur Unterdimensionierung. Es hängt also vom jeweiligen Schutzziel und den Einsatzgrenzen ab.

Wenn in einem Industriegebäude

  • nur die drei baurechtlich relevanten Schutzziele umgesetzt werden müssen und

  • keine Abweichungen vom Baurecht vorliegen,

bietet die neue MIndBauRL drei verschiedene Umsetzungsmöglichkeiten für die Entrauchung:

a) Natürliche Rauchabzugsgeräte (NRWG)

Natürliche Rauchabzugsgeräte sind qualifizierte Produkte, die nach DIN EN 12101-2 zu prüfen und zu zertifizieren sind. Bei regelmäßiger Überprüfung und Instandhaltung ist eine dauerhafte Funktionssicherheit dieser Produkte zu erwarten.

b) Maschinelle Rauchabzugsgeräte (MRA)

Maschinelle Rauchabzugsgeräte sind qualifizierte Produkte, die nach DIN EN 12101-3 zu prüfen und zu zertifizieren sind und deren Verwendbarkeit durch eine ergänzende, allgemein bauaufsichtliche Zulassung nachzuweisen ist. In Verbindung mit einer regelmäßigen Überprüfung und Instandhaltung ist eine dauerhafte Funktionssicherheit dieser Produkte zu erwarten. Beim Einsatz von NRWG oder MRA zur Rauchableitung sind die baurechtlichen Vorgaben der MIndBauRL zur Projektierung geringer als die Vorgaben, die sich aus den allgemein anerkannten technischen Regeln (z.B. DIN-Normen) ergeben. Beispielsweise müssen nach MIndBauRL bei Einsatz von NRWG Räume ohne Ebenen mindestens 1,5 m2 aerodynamisch wirksame Rauchabzugsflächen (Aw) pro 400 m2 Grundflä- 4.2.1 Muster-Industriebaurichtlinie (MlndBauRL) Fassung 2013/2014 – Seite 3 – 01.06.2014<<>>che aufweisen. Bei Entrauchung über MRA soll in Räumen ohne Ebenen der Luftvolumenstrom mindestens 10.000 m3/h je 400 m2 Grundfläche betragen.

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Abb. 1: Qualifizierte Rauchableitung

c) Öffnung zur Rauchableitung

Bei der Öffnung zur Rauchableitung handelt es sich um ein nicht qualifiziertes Produkt, an das nach Liste C der Bauregelliste keine besonderen baurechtlichen Anforderungen gestellt werden. Damit entfallen auch Vorgaben an eine Zertifizierung, an Verwendbarkeitsnachweise usw. In diesem Fall können aber auch keine Funktionssicherheiten erwartet oder verlangt werden. Im Zweifel ist davon auszugehen, dass eine Öffnung zur Rauchableitung im Brandfall nicht oder nicht vollständig funktionsfähig ist. Zudem ist bei Einsatz von Öffnungen zur Rauchableitung keine Vorhersage zur Rauchgastemperatur und Rauchzusammensetzung (bzgl. Sichtweiten und Giftigkeit) im Brandfall möglich, auch wenn die baurechtlichen Vorgaben über einzuhaltende Mindestflächen der Rauchableitungsflächen (z.B. 2 % der Grundfläche des Raumes) erfüllt wurden.

 4.2.1 Muster-Industriebaurichtlinie (MlndBauRL) Fassung 2013/2014 – Seite 4 – 01.06.2014<<>>
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Abb. 2: Nicht qualifizierte Rauchableitung

Und wird auch ohne Abweichung statt der Rauchableitung eine Rauchabzugsanlage eingesetzt, darf nach neuer geplanter MIndBauRL in Verbindung mit einer Brandmeldeanlage die ursprünglich erlaubte Brandabschnittsfläche sogar um 10 % vergrößert werden. Hier wird der Rauchabzug als Kompensationsmaßnahme bestätigt.

Die Diskussion über die erforderlichen Maßnahmen zur Sicherstellung der Entrauchung geht auf eine zum Grundsatzpapier »Rettung von Personen und wirksame Löscharbeiten – bauordnungsrechtliche Schutzziele mit Blick auf die Entrauchung« in 2009 sowohl von der Fachkommission Bauaufsicht als auch von den Gremien der Arbeitsgemeinschaft der Leiter der Berufsfeuerwehren in Deutschland (AGBF) einstimmig und ohne Änderungen angenommene Entscheidung zurück. Hierbei erfolgte erstmalig eine Querschnittsbetrachtung über alle Regelungen der MBO und der Sonderbauvorschriften hinsichtlich der Schutzziele aus § 14 MBO »Rettung von Menschen« und »wirksamer Löschangriff«. Die Grundsätze beziehen sich nur auf Gebäude, welche die bauordnungsrechtlichen Anforderungen einhalten, also frei von Abweichungen sind.

Rauchableitung

Grundlage der bauordnungsrechtlichen Anforderungen zur Rettung von Personen sind neben der inneren Abschottung von Gebäuden die Beschaffenheit der Rettungswege sowie die organisatorischen und anlagentechnischen Maßnahmen inkl. Alarmierung. Werden diese Grundlagen  4.2.1 Muster-Industriebaurichtlinie (MlndBauRL) Fassung 2013/2014 – Seite 5 – 01.06.2014<<>>eingehalten, so bedeutet dies, dass die Rauchableitung nur zur Unterstützung der Brandbekämpfung der Feuerwehr vorgesehen ist. Unklar verbleibt zunächst, wie beispielsweise die Regelungen der MIndBauRL zu deuten sind, die die Rettungsweglängen in Abhängigkeit der Raumhöhen ausführen. Das Grundsatzpapier stellt aber eindeutig klar, dass die MBO für die Personenrettung keine Maßnahmen zur Rauchableitung vorsieht, und diese Maßnahmen allenfalls als Kompensation einer Abweichung im Einzelfall in Betracht kommen. Das hier zitierte Grundsatzpapier zeigt auf, dass in der Phase der Selbstrettung von Personen Maßnahmen zur Rauchableitung im Regelfall noch nicht wirksam sind.

Es wurde auch klargestellt, dass das Bauordnungsrecht nicht die Aufgaben der Feuerwehr regelt. Diese ergeben sich aus den Feuerwehrgesetzen der Länder. Das Bauordnungsrecht erfasst nur die bauliche und technische Beschaffenheit eines Gebäudes. Diese muss so sein, dass die Rettung von Personen und wirksame Löschmaßnahmen möglich sind.

Zum damaligen Zeitpunkt wurde Handlungsbedarf mit dem Ziel festgestellt, mit diesem Grundsatzpapier eine Harmonisierung der Schutzziele auch in den Sonderbauvorschriften anzustoßen, um künftig nicht nur über vereinheitlichte Begriffe zu verfügen, sondern auch die Interpretationsspielräume bei allen an der Planung und Prüfung von Gebäuden Beteiligten zu begrenzen.

In der 292. Sitzung am 13.12./14.12.2012 hat die Fachkommission Bauaufsicht den Entwurf zur Änderung der Musterverordnung über den Bau und Betrieb von Versammlungsstätten (Muster-Versammlungsstättenverordnung – MVStättV), der Muster-Verordnung über den Bau und Betrieb von Verkaufsstätten (Muster-Verkaufsstättenverordnung – MVkVO) und der Muster-Richtlinie über den baulichen Brandschutz im Industriebau (Muster-Industriebaurichtlinie – MIndBauRL) beschlossen.

Insbesondere findet die oben zitierte Schutzzieldefinition in Änderungen zu den Anforderungen an die Rauchableitung ihren Niederschlag in den Entwürfen. Dementsprechend wird in den »Vorbemerkungen zur Neuregelung der Rauchableitung« dieser Punkt durch die ARGEBAU herausgegriffen. Es wird hierbei dargestellt, dass die bauordnungsrechtlich geforderten Maßnahmen zur Rauchableitung das bereits beschriebene Ziel haben, die Brandbekämpfung durch die Feuerwehr zu unterstützen. Die beschriebenen Anforderungen an die Rauchableitung sind auf andere Schutzziele nicht ausgerichtet. Dies bedeutet beispielsweise, dass es keinerlei Maßnahmen zur Rauchableitung bedarf, welche zur Unterstützung bzw. Sicherstellung der Phase der Selbstrettung dienen. Diese kann jedoch nur gelten, wenn die sonstigen bauordnungsrechtlichen Anforderungen eingehalten werden. Hier können beispielsweise die gestellten Anforderungen an die Ausführung und Ausbildung der Flucht- und Rettungswege genannt werden.

Ziel war es, die geforderten Maßnahmen zur Rauchableitung unmittelbar aus den bauordnungsrechtlichen Regelwerken entnehmen zu können. Dementsprechend wurden im zur Diskussion gestellten Entwurf die In- 4.2.1 Muster-Industriebaurichtlinie (MlndBauRL) Fassung 2013/2014 – Seite 6 – 01.06.2014<<halte der MVStättV, der MVkVO und der MIndBauRL geändert. Bezogen auf das Thema der Rauchableitung ist es hierbei gelungen, vergleichbare Anforderungen in den Regelwerken zu entwerfen. Dies ist für Brandschutzsachverständige oder Fachplaner eine deutliche Vereinfachung. Es gilt nun zu bewerten, ob die Umsetzung dieser Regelungen auch für Feuerwehren im Rahmen der einsatztaktischen Abwicklung im Brandfall Vorteile bringen. Und diese Frage muss mit einem »JA« beantwortet werden. Vergleichbare Anlagen mit vergleichbaren technischen Auslegungskriterien in den unterschiedlichen Sonderbauten stellen auch für die Feuerwehr eine einfachere Einsatzsituation dar. Es stellt sich nicht mehr die Frage, was installiert wurde, wie die Ansteuerung ausgeführt ist oder wie Zuluftflächen zu öffnen sind. Für die eingesetzten Kräfte der Feuerwehr wird damit eine von vielen Variablen zur Konstanten.

In den vorhergehenden Abschnitten wurden wie beschrieben nur Teillösungen dargestellt, so wurden beispielsweise die Anforderungen an alternative Lösungsmöglichkeiten wie den maschinellen Rauchabzug oder die Forderungen bei Räumen mit selbsttätiger Löschanlage nicht besprochen.

Damit ist ein Ende der DIN 18232 »Rauch- und Wärmefreihaltung« nicht gegeben. In dem Entwurf der Muster-Richtlinie über den baulichen Brandschutz im Industriebau (Muster-Industriebaurichtlinie – MIndBauRL) wird klargestellt, dass mit den Regelungen ein Regelbeispielkatalog geschaffen wird, der alternative Lösungsmöglichkeiten eröffnet, um das in 5.7 benannte Schutzziel zu erfüllen. Beispielhaft sei hier auf die Möglichkeit der Rauchableitung nach der Normenreihe DIN 18232 »Rauch- und Wärmefreihaltung« verwiesen.

Quellen:

  1. 1.

    E-MVkVO 2012

  2. 2.

    E-MVStättV 2012

  3. 3.

    G. Famers, J. Messerer

»Rettung von Personen« und »wirksame Löscharbeiten« – bauordnungsrechtliche Schutzziele mit Blick auf die Entrauchung; Ein Grundsatzpapier der Fachkommission Bauaufsicht

Anlage

Entwurf MIndBauRL Stand Februar 2014