Scheuermann, Praxishandbuch Brandschutz

Online-Shop für Schriften

Jetzt bei uns im Shop bestellen

Jetzt bestellen

3.6.7 Europäisches und deutsches Maschinenrecht

3.6.7.1 Einleitung

Das europäische und deutsche Maschinenrecht statuiert im Sinne einer produktbezogenen (vertikalen) Richtlinie die öffentlich-rechtlichen, genauer produktsicherheitsrechtlichen Anforderungen an das Inverkehrbringen und die Inbetriebnahme von Maschinen. Dabei handelt es sich beim Begriff der Maschine um einen genuinen Rechtsbegriff, der somit exakt so aufzufassen ist, wie er in den anwendbaren (europäischen und deutschen) Rechtsakten definiert wird. Umgangssprachliche Anschauungen in Bezug auf Maschinen spielen demgegenüber keine Rolle.

Maschinen im Rechtssinne sind insbesondere mit einem anderen Antriebssystem als der unmittelbar eingesetzten menschlichen oder tierischen Kraft ausgestattete oder dafür vorgesehene Gesamtheiten miteinander verbundener Teile oder Vorrichtungen, von denen mindestens eines bzw. eine beweglich ist und die für eine bestimmte Anwendung zusammengefügt sind. Daneben sind Maschinen auch auswechselbare Ausrüstungen, Sicherheitsbauteile, Lastaufnahmemittel, Ketten, Seile und Gurte sowie abnehmbare Gelenkwellen. Schließlich beinhaltet das Maschinenrecht auch Regelungen zu unvollständigen Maschinen, die sorgfältig von den (vollständigen) Maschinen abzugrenzen sind: Für das Inverkehrbringen von unvollständigen Maschinen gelten dezidiert andere Anforderungen als für das Inverkehrbringen bzw. die Inbetriebnahme von (vollständigen) Maschinen.

Vor diesem Hintergrund wird die Bedeutung des Maschinenrechts in der Praxis deutlich: Dieser Teil des geltenden Produktsicherheitsrechts befasst sich mit einer Vielzahl von typischerweise Nicht-Verbraucherprodukten (B2B-Produkten; engl. Business-to-Business), denen im Maschinen- und (Industrie-)Anlagenbau eine enorme Bedeutung zukommt. Maschinen im Rechtssinne sind ohne Weiteres klassische Arbeitsmittel im Sinne des Arbeitsschutzrechts im Allgemeinen und des Betriebssicherheitsrechts im Besonderen. Arbeitsmittel sind gemäß § 2 Abs. 1 BetrSichV »Werkzeuge, Geräte, Maschinen oder Anlagen, die für die Arbeit verwendet werden, sowie überwachungsbedürftige Anlagen«. Maschinen in diesem betriebssicherheitsrechtlichen Sinn sind naturgemäß vor allem Maschinen im Sinne des europäischen und deutschen Maschinenrechts. Die genannte Definition aus der neuen Betriebssicherheitsverordnung wird ab dem 1.6.2015 gelten, wenn zugleich die alte Betriebssicherheitsverordnung vom 27.9.2002 außer Kraft treten wird.

Daneben weist das Maschinenrecht indes auch deutliche Bezüge zu Verbraucherprodukten auf: Zu den Maschinen im Sinne des Maschinenrechts rechnen z.B. auch handbetriebene bzw. -gehaltene Maschinen wie etwa Bohrmaschinen oder Schlagbohrmaschinen. Solche Erzeugnisse werden z.B. in Baumärkten auf dem Markt bereitgestellt und sind somit ohne Weiteres Produkte im Sinne der Richtlinie 2001/95/EG (sogenannte allgemeine Produktsicherheitsrichtlinie).

 3.6.7 Europäisches und deutsches Maschinenrecht – Seite 2 – 01.06.2015>>

Zu unterscheiden ist das europäische und deutsche Maschinenrecht von gefahrenspezifischen (horizontalen) Richtlinien wie z.B. der EMV-Richtlinie (Richtlinie 2004/108/EG bzw. 2014/30/EU) oder der allgemeinen Produktsicherheitsrichtlinie (2001/95/EG). Aufgrund der Ausgestaltung als vertikale Richtlinie verfolgt das Maschinenrecht das Ziel, sämtliche maschinenbezogenen Gefährdungen abzudecken. Europäisches Maschinenrecht befasst sich vor diesem Hintergrund insbesondere mit

  • mechanischen Gefährdungen,

  • elektrischen Gefährdungen,

  • Gefährdungen infolge extremer Temperaturen,

  • Brandgefährdungen und

  • Explosionsgefährdungen.

Bereits mit Blick auf diese potenziellen Gefährdungslagen im Zusammenhang mit dem Betrieb von Maschinen wird deutlich, dass das Maschinenrecht eng mit genuin brandschutzrechtlichen Aspekten verknüpft ist und damit im Ergebnis einen Beitrag zur Beseitigung bzw. Reduzierung von Brandrisiken leisten soll.

Insgesamt erweist sich Maschinenrecht als zentrale Rechtsmaterie für den Maschinen- und Anlagenbau einerseits und für das Arbeitsschutzrecht andererseits: Produktsicherheitsrechtlich beinhaltet das Maschinenrecht rechtlich verbindliche Vorgaben für eine in der EU wie in der Bundesrepublik Deutschland eminent wichtige Industrie. Die Europäische Kommission weist darauf hin, dass der Maschinensektor ein wichtiger Sektor der Maschinenbauindustrie und eines der industriellen Standbeine der europäischen Wirtschaft sei. Weil zugleich Arbeitsunfälle in der täglichen Praxis der Unternehmen und Betriebe nicht selten im Zusammenhang mit dem Betrieb von Maschinen oder Maschinenanlagen stehen, wirkt sich das Maschinenrecht zugleich auch auf der (im Vergleich zum Produktsicherheitsrecht) nachgelagerten Ebene des betrieblichen Arbeitsschutzes aus; denn das in der EU bzw. in Deutschland geltende Betriebssicherheitsrecht mit der Richtlinie 2009/104/EG einerseits und der neuen Betriebssicherheitsverordnung 2015 andererseits knüpft in Bezug auf die Beschaffenheitsanforderungen an Arbeitsmittel im Allgemeinen und an Maschinen im Besonderen an die dahinter stehenden produktsicherheitsrechtlichen Anforderungen an. Insofern wird Produktsicherheitsrecht zu Recht als vorgreifendes bzw. vorbeugendes (produktbezogenes) Arbeitsschutzrecht bezeichnet.

Betriebssicherheitsrechtlicher Anknüpfungspunkt für die Verzahnung der beiden Regelungsregime ist dabei Art. 4 Richtlinie 2009/104/EG bzw. § 5 Abs. 3 BetrSichV, welcher die bisherige Regelung in § 7 Abs. 1 BetrSichV 2002 ersetzen soll. Schon europarechtlich ist damit aufgrund der genannten Bestimmung aus der Richtlinie 2009/104/EG vorgegeben, dass der Arbeitgeber seinen Arbeitnehmern bzw. Beschäftigten nur solche Arbeitsmittel zur Verfügung stellt, die »den Bestimmungen aller geltenden einschlägigen Gemeinschaftsrichtlinien entsprechen« bzw. jedenfalls »den  3.6.7 Europäisches und deutsches Maschinenrecht – Seite 3 – 01.06.2015<<>>Mindestvorschriften im Sinne des Anhangs I [der Richtlinie 2009/104/EG] entsprechen, wenn keine andere Gemeinschaftsrichtlinie anwendbar ist oder wenn eine etwaige andere Gemeinschaftsrichtlinie nur teilweise anwendbar ist«, Art. 4 Abs. 1 lit. a) Richtlinie 2009/104/EG. In Bezug auf Maschinen führt diese Bestimmung zur arbeitsschutzrechtlichen Maßgeblichkeit der produktsicherheitsrechtlichen Anforderungen aus dem europäischen Maschinenrecht im Allgemeinen und aus der Richtlinie 2006/42/EG im Besonderen.

Im Folgenden sollen zunächst das europäische (dazu Kap. 3.6.7.2) und sodann das deutsche Maschinenrecht in seinen Grundzügen dargestellt werden (dazu Kap. 3.6.7.3). Weil das deutsche Maschinenrecht im Wesentlichen nur nachvollzieht, was auf der europäischen Ebene in Gestalt der Richtlinie 2006/42/EG als Recht erlassen wurde, liegt der Schwerpunkt dieses Beitrags naturgemäß auf dem europäischen (Maschinen-)Recht.

3.6.7.2 Europäisches Maschinenrecht

3.6.7.2.1 Rechtsgrundlagen und Materialien

In diesem Kapitel werden zunächst die spezifischen Rechtsgrundlagen in den Fokus des Interesses gerückt, die derzeit den Rahmen für das europäische Maschinenrecht bilden, bevor näher auf die harmonisierten technischen Normen eingegangen werden soll. Erwähnenswert sind wiederum die das europäische Produktsicherheitsrecht prägenden Leitfäden bzw. Guides und damit die maschinenrechtlichen Materialien.

Rechtsgrundlagen

Die zentrale Rechtsgrundlage im europäischen Maschinenrecht ist die Richtlinie 2006/42/EG, die als sog. EG-Maschinenrichtlinie bezeichnet wird. Die EG-Maschinenrichtlinie trat am zwanzigsten Tag nach ihrer Veröffentlichung im Amtsblatt der Europäischen Union in Kraft. Umzusetzen in innerstaatliches (nationales) Recht war die EG-Maschinenrichtlinie bis zum 29.6.2008 und anzuwenden in den EU-Mitgliedstaaten ab dem 29.12.2009, Art. 26 Abs. 1 Unterabs. 1, 2 Richtlinie 2006/42/EG. Mit der Richtlinie wurde zugleich die »alte« EG-Maschinenrichtlinie (Richtlinie 98/37/EG) vom 22.6.1998 aufgehoben, Art. 25 Unterabs. 1 Richtlinie 2006/42/EG. Die Neufassung des europäischen Maschinenrechts in Gestalt der Richtlinie 2006/42/EG wurde ausweislich der Erwägungsgründe der Europäischen Kommission aus Gründen der Klarheit vorgenommen, weil die Richtlinie 98/37/EG zwischenzeitlich substanziell geändert worden war.

Die EG-Maschinenrichtlinie 2006/42/EG rechnet wie die Niederspannungsrichtlinie 2006/95/EG (dazu Kap. 3.6.3), die EMV-Richtlinie 2004/108/EG (dazu Kap. 3.6.4), die R&TTE-Richtlinie 1999/5/EG (dazu Kap. 3.6.5) oder die 97/23/EG-Druckgeräterichtlinie (dazu Kap. 3.6.6) zu jenen Richtlinien,  3.6.7 Europäisches und deutsches Maschinenrecht – Seite 4 – 01.06.2015<<>>die auf dem das europäische Produktsicherheitsrecht prägenden Neuen Konzept (engl. New Approach) beruhen.

Kennzeichnend für das europäische Produktsicherheitsrecht im Allgemeinen und damit auch für das europäische Maschinenrecht im Besonderen ist zum einen die Prägung durch die Verordnung (EG) Nr. 765/2008 (die sogenannte Marktüberwachungsverordnung) und zum anderen das Zusammenspiel mit der allgemeinen Produktsicherheitsrichtlinie (Richtlinie 2001/95/EG). Die europäische Marktüberwachungsverordnung ist als zentraler Bestandteil des europäischen Maßnahmenpakets namens New Legislative Framework (im Folgenden »NLF«), mit der das Neue Konzept überarbeitet wurde, seit dem 1.1.2010 in all ihren Teilen verbindlich und gilt unmittelbar in allen – nach dem Beitritt Kroatiens am 1.7.2013 inzwischen – 28 EU-Mitgliedstaaten, vgl. Art. 288 Unterabs. 2 S. 2 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV). Der darin statuierte Rechtsrahmen für eine gemeinschaftliche Marktüberwachung und die Kontrolle von in den Gemeinschaftsmarkt eingeführten Produkten in Kapitel III gilt gemäß Art. 15 Abs. 1 VO (EG) Nr. 765/2008 »für Produkte, die unter Harmonisierungsrechtsvorschriften der Gemeinschaft fallen«. Weil Harmonisierungsrechtsvorschriften der Gemeinschaft wiederum gemäß Art. 2 Nr. 21 VO (EG) Nr. 765/2008 »Rechtsvorschriften der Gemeinschaft zur Harmonisierung der Bedingungen für die Vermarktung von Produkten« sind, lässt sich die Richtlinie 2006/42/EG ohne Weiteres hierzu rechnen. Daraus folgt, dass die EG-Maschinenrichtlinie derzeit von den Bestimmungen der Verordnung (EG) Nr. 765/2008 überlagert wird. In der Folge muss z.B. der – für die Bestimmung des handlungsspezifischen Anwendungsbereichs der Richtlinie 2006/42/EGzentrale Begriff des Inverkehrbringens, der z.B. in den Artt. 4 Abs. 1, 6 Abs. 1 Richtlinie 2006/42/EG verwendet wird, im Lichte des Art. 2 Nr. 2 VO (EG) Nr. 765/2008 gelesen werden, weil dort definiert wird, was seit dem 1.1.2010 unter dem Rechtsbegriff »Inverkehrbringen« im europäischen Produktsicherheitsrecht zu verstehen ist.

Was sodann die allgemeine Produktsicherheitsrichtlinie 2001/95/EG anbelangt, gilt diese ausweislich ihres Art. 2 lit. a) für »jedes Produkt, das – auch im Rahmen einer Dienstleistung – für Verbraucher bestimmt ist oder unter vernünftigerweise vorhersehbaren Bedingungen von Verbrauchern benutzt werden könnte, selbst wenn es nicht für diese bestimmt ist«. Wenn und soweit ein vom Maschinenrecht erfasstes Produkt folglich zugleich Verbraucherprodukt (B2C-Produkt; engl. Business-to-Consumer) im Sinne der Richtlinie 2001/95/EG ist, muss stets geprüft werden, ob nicht die Bestimmungen der Richtlinie 2001/95/EG ergänzend zur Anwendung gelangen.

Harmonisierte technische Normen

Technische Normen spielen im Maschinenrecht eine herausgehobene Rolle. Dabei sind – entsprechend dem Neuen Konzept – die sogenannten harmonisierten Normen in den Fokus des Interesses zu rücken. Was unter einer harmonisierten Norm zu verstehen sein soll, wird in der  3.6.7 Europäisches und deutsches Maschinenrecht – Seite 5 – 01.06.2015<<>>EG-Maschinenrichtlinie in Art. 2 S. 2 lit. 1) Richtlinie 2006/42/EG ausdrücklich definiert. Danach ist eine harmonisierte Norm

»eine nicht verbindliche technische Spezifikation, die von einer europäischen Normenorganisation, nämlich dem Europäischen Komitee für Normung (CEN), dem Europäischen Komitee für Elektrotechnische Normung (CENELEC) oder dem Europäischen Institut für Telekommunikationsnormen (ETSI), aufgrund eines Auftrags der Kommission nach den in der Richtlinie 98/34/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. Juni 1998 über ein Informationsverfahren auf dem Gebiet der Normen und technischen Vorschriften und der Vorschriften für die Dienste der Informationsgesellschaft festgelegten Verfahren angenommen wurde.«

Überlagert wird diese Definition indes seit dem 1.1.2010 EU-weit durch die Definition des Rechtsbegriffs der harmonisierten Norm aus Art. 2 Nr. 9 VO (EG) Nr. 765/2008. Danach ist eine harmonisierte Norm »eine Norm, die von einem in Anhang I der Richtlinie 98/34/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. Juni 1998 über ein Informationsverfahren auf dem Gebiet der Normen und technischen Vorschriften und der Vorschriften für die Dienste der Informationsgesellschaft anerkannten europäischen Normungsgremien auf der Grundlage eines Ersuchens der Kommission nach Artikel 6 jener Richtlinie erstellt wurde«. Normungsrechtlich beachtlich ist zudem seit ihrem Inkrafttreten am 1.1.2013 die Verordnung (EU) Nr. 1025/2012 (sogenannte Normungsverordnung).

Die unter der Richtlinie 2006/42/EG gelisteten harmonisierten Normen wurden zuletzt am 13.2.2015 im Amtsblatt der Europäischen Union veröffentlicht (2015/C 054/01). Die Liste kann unter dem folgenden Link abgerufen werden:

http://ec.europa.eu/enterprise/policies/european-standards/harmonised-standards/pressure-equipment/index_en.htm

Innerhalb jener harmonisierten Normen, die unter der EG-Maschinenrichtlinie gelistet sind, ist zu beachten, dass es unterschiedliche Typen von technischen Normen gibt. Im Einzelnen kennt das europäische Maschinenrecht folgende Normtypen:

  • Typ-A-Normen

  • Typ-B-Normen

  • Typ-C-Normen

Insoweit weicht das europäische Maschinenrecht von den übrigen New-Approach-Richtlinien ab, weil diese eine vergleichbare Kategorienbildung innerhalb der harmonisierten Normen nicht kennen. Dabei legen maschinenrechtliche Typ-A-Normen grundlegende Begriffe, Terminologie und Gestaltungsleitsätze fest, die für sämtliche Maschinenkategorien anwendbar sind. Sie bilden damit einen wichtigen Rahmen für die richtige Anwendung der EG-Maschinenrichtlinie. Derzeit gibt es mit der EN ISO 12100:2010 Sicherheit von Maschinen – Allgemeine Gestaltungsleitsätze 3.6.7 Europäisches und deutsches Maschinenrecht – Seite 6 – 01.06.2015<<>>– Risikobeurteilung und Risikominderung (ISO 12100:2010) nur eine einzige Typ-A-Norm. Im Unterschied dazu befassen sich die maschinenrechtlichen Typ-B-Normen mit bestimmten Aspekten der Maschinensicherheit oder bestimmten Arten von Schutzeinrichtungen, die über eine große Bandbreite von Maschinenkategorien verwendet werden können. Exemplarisch ist auf die EN 953:1997+A1:2009 Sicherheit von Maschinen – Trennende Schutzeinrichtungen – Allgemeine Anforderungen an Gestaltung und Bau von feststehenden und beweglichen trennenden Schutzeinrichtungen hinzuweisen. Maschinenrechtliche Typ-C-Normen schließlich enthalten Spezifikationen für eine bestimmte Maschinenkategorie. Die unterschiedlichen Maschinenarten, die zu der durch eine Typ-C-Norm abgedeckten Kategorie zählen, weisen einen gleichartigen Verwendungszweck auf und sind durch gleichartige Gefährdungen gekennzeichnet. Innerhalb der Liste der harmonisierten Normen dominieren die Typ-C-Normen. Als Beispiele mögen in diesem Zusammenhang die EN 201:2009 Kunststoff- und Gummimaschinen – Spritzgießmaschinen – Sicherheitsanforderungen und die EN ISO 11148-2:2011 Handgehaltene nicht elektrisch betriebene Maschinen – Sicherheitsanforderungen – Teil 2: Maschinen zum Abschneiden und Quetschen (ISO/FDIS 11148-2:2011) dienen.

Die in der genannten Liste aufgeführten harmonisierten Normen begründen im europäischen Maschinenrecht entsprechend den Kernaussagen des zugrunde liegenden Neuen Konzepts die produktsicherheitsrechtliche Konformitätsvermutung bzw. Vermutungswirkung. Ausdrücklich ist dies in Art. 7 Abs. 2 Richtlinie 2006/42/EG geregelt. Dort heißt es wie folgt:

»Ist eine Maschine nach einer harmonisierten Norm hergestellt worden, deren Fundstellen im Amtsblatt der Europäischen Union veröffentlicht worden sind, so wird davon ausgegangen, dass sie den von dieser harmonisierten Norm erfassten grundlegenden Sicherheits- und Gesundheitsschutzanforderungen entspricht.«

Die maschinenrechtliche Konformitätsvermutung speist sich vor diesem Hintergrund schon aus den europäischen Normen (»EN«), sodass umgekehrt nicht auf die nationalen »Spiegelnormen« (»DIN EN«), mit denen die europäischen Normen (»EN«) eins-zu-eins umgesetzt werden, abgestellt werden muss.

Leitfaden für die Anwendung der Maschinenrichtlinie 2006/42/EG und Blue Guide

Wer sich mit dem europäischen Maschinenrecht beschäftigt, sollte im Übrigen auch den Leitfaden für die Anwendung der Maschinenrichtlinie 2006/42/EG zu Rate ziehen. Dieser Leitfaden wird von der Europäischen Kommission, Generaldirektion Unternehmen und Industrie (engl. Enterprise and Industry), herausgegeben und liegt derzeit in einer Fassung aus dem Jahr 2010 (auch auf Deutsch) vor (2. Auflage). Auch wenn dieser Leitfaden nicht rechtsverbindlich ist, soll er doch die Konzepte und Anforderungen der EG-Maschinenrichtlinie erläutern und auf diese Weise für eine einheitliche Auslegung und Anwendung in der 3.6.7 Europäisches und deutsches Maschinenrecht – Seite 7 – 01.06.2015<<>>gesamten EU sorgen. In nicht weniger als 408 Paragraphen und 432 Seiten geht der Leitfaden chronologisch auf sämtliche Erwägungsgründe zur Richtlinie 2006/42/EG, die einzelnen Artikel und die zwölf Anhänge der EG-Maschinenrichtlinie ein.

Damit hat die Europäische Kommission ein umfassendes Guidance document geschaffen, welches sich mit allen relevanten maschinenrechtlichen Themen befasst. Vor diesem Hintergrund nimmt es wenig wunder, dass dem Leitfaden eine nicht unerhebliche praktische Bedeutung zukommt. Die englische Originalfassung kann ebenso wie die deutsche Fassung unter der folgenden Webseite der Europäischen Kommission heruntergeladen werden:

http://ec.europa.eu/enterprise/sectors/mechanical/machinery/

Interpretationspapiere des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales

Praktisch wichtig in Deutschland sind im Übrigen zwei sogenannte Interpretationspapiere, die vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) herausgegeben werden. Bei den beiden Papieren handelt es sich um das

  • Interpretationspapier zum Thema »Wesentliche Veränderung von Maschinen« vom 9.4.2015 und das

  • Interpretationspapier zum Thema »Gesamtheit von Maschinen« vom 5.5.2011.

Auch wenn die beiden Interpretationspapiere (ebenfalls) nicht rechtsverbindlich sind, orientieren sich die deutschen Marktüberwachungsbehörden an diesen Papieren beim Vollzug des deutschen Maschinenrechts (in der Maschinenverordnung bzw. 9. ProdSV). Aus der Perspektive der Wirtschaftsakteure ist es daher empfehlenswert, sich im Falle von – durchgeführten oder beabsichtigten – Veränderungen an Maschinen bzw. bei mehreren Maschinen mit den ministeriellen Inhalten zu befassen, um zu prüfen, ob nach Auffassung der deutschen Marktüberwachung eine (erfolgte) Veränderung an einer Maschine eine wesentliche Veränderung im Rechtssinne ist bzw. wäre bzw. ob mehrere Maschinen eine Gesamtheit von Maschinen im Rechtssinne bilden.

Was das Papier zur wesentlichen Veränderung von Maschinen anbelangt, sind die insoweit errichteten Anforderungen an eine wesentliche Veränderung überaus hoch, sodass es bei Zugrundelegung dieses Papiers regelmäßig nicht zur Annahme einer wesentlichen Veränderung kommt (mit der Folge, dass derjenige, der die betreffenden Veränderungen durchführt, nicht zum Hersteller einer »neuen« Maschine im Rechtssinne wird).

 3.6.7 Europäisches und deutsches Maschinenrecht – Seite 8 – 01.06.2015<<>>

Webseite der Europäischen Kommission

Schließlich ist auf die Webseite der Europäischen Kommission hinzuweisen, auf der unter dem Stichwort der Maschinen – auch auf Deutsch – Informationen über den Maschinensektor zusammengefasst werden. Abzurufen sind diese Informationen auf der folgenden Webseite:

http://ec.europa.eu/enterprise/sectors/mechanical/machinery/index_de.htm

Zu beachten ist, dass diese Webseite nicht mehr aktualisiert wird. Sie ist am 2.2.2015 archiviert. Zuständig ist nunmehr die Generaldirektion (engl. Department [Directorate-Generals]) Internal Market, Industry, Entrepreneurship and SMEs (GROW).

3.6.7.2.2 Richtlinie zur vollständigen Harmonisierung

Bei der EG-Maschinenrichtlinie handelt es sich um eine sog. EU-Binnenmarktrichtlinie, die mit dem Inkrafttreten des Lissabon-Vertrages auf der Grundlage des Art. 114 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) erlassen werden (ehemals Art. 95 des EG-Vertrages). Art. 114 AEUV ist ein wichtiges europarechtliches Instrument zur Rechtsangleichung. Die Norm ist Mittel zum Zweck der Verwirklichung des europäischen Binnenmarkts.

Weil mit der Richtlinie 2006/42/EG eine vollständige Harmonisierung bezweckt wird, ersetzt sie zuvor bestehende nationale Bestimmungen. Sachlich-inhaltlich von der EG-Maschinenrichtlinie erfasste (vollständige wie unvollständige) Maschinen dürfen nur dann in den Verkehr gebracht bzw. in Betrieb genommen werden, wenn sie die Anforderungen der Maschinenrichtlinie eins-zu-eins erfüllen. In diesem Fall dürfen die Mitgliedstaaten den freien (Waren-)Verkehr richtlinienkonformer Produkte nicht behindern, und zwar weder durch tarifäre noch durch nichttarifäre Handelshemmnisse.

Aufgrund des Übereinkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum gelten die Bestimmungen des europäischen Maschinenrechts auch für die folgenden Staaten der Europäischen Freihandelsassoziation (EFTA):

  • Island

  • Liechtenstein

  • Norwegen

Aufgrund des Abkommens über die gegenseitige Anerkennung mit der EU gilt der freie Warenverkehr für mit der Richtlinie 2006/42/EG im Einklang stehende Maschinen auch in der Schweiz. In der Türkei gilt nichts anderes wegen der insoweit bestehenden Zollunion.

 3.6.7 Europäisches und deutsches Maschinenrecht – Seite 9 – 01.06.2015<<>>

3.6.7.2.3 Der sachliche Anwendungsbereich der Maschinenrichtlinie 2006/42/EG: Maschinen und unvollständige Maschinen

Gegenstand des europäischen Maschinenrechts sind die in Art. 1 Abs. 1 Richtlinie 2006/42/EG genannten Produkte. Danach gilt die EG-Maschinenrichtlinie für

  • Maschinen,

  • auswechselbare Ausrüstungen,

  • Sicherheitsbauteile,

  • Lastaufnahmemittel,

  • Ketten, Seile und Gurte,

  • abnehmbare Gelenkwellen sowie

  • unvollständige Maschinen.

Dabei ist wichtig, dass die ersten sechs Produkte gemäß Art. 2 S. 1 Richtlinie 2006/42/EG allesamt Maschinen im Sinne der EG-Maschinenrichtlinie 2006/42/EG sind. Damit unterfallen die sogenannten unvollständigen Maschinen umgekehrt nicht dem Rechtsbegriff der Maschine.

Eine auswechselbare Ausrüstung ist gemäß Art. 2 S. 2 lit. b) Richtlinie 2006/42/EG »eine Vorrichtung, die der Bediener einer Maschine oder Zugmaschine nach deren Inbetriebnahme selbst an ihr anbringt, um ihre Funktion zu ändern oder zu erweitern, sofern diese Ausrüstung kein Werkzeug ist«. Beispielhaft ist in diesem Zusammenhang auf Ausrüstungen hinzuweisen, die an land- oder forstwirtschaftliche Zugmaschinen für Funktionen wie Pflügen, Ernten, Heben oder Laden montiert werden. Somit ist etwa ein Düngerstreuer eine auswechselbare Ausrüstung und damit eine Maschine im Sinne der Richtlinie 2006/42/EG. Erfasst werden auch Ausrüstungen für den Anbau an Erdbaumaschinen für Funktionen wie Bohr- oder Abbrucharbeiten.

Ein Sicherheitsbauteil ist gemäß Art. 2 S. 2 lit. c) Richtlinie 2006/42/EG ein Bauteil,

  • das zur Gewährleistung einer Sicherheitsfunktion dient,

  • gesondert in Verkehr gebracht wird,

  • dessen Ausfall und/oder Fehlfunktion die Sicherheit von Personen gefährdet und

  • das für das Funktionieren der Maschine nicht erforderlich ist oder durch für das Funktionieren der Maschine übliche Bauteile ersetzt werden kann.

Im Ergebnis sind Sicherheitsbauteile Bauteile, die vom Hersteller der Bauteile für die Montage an Maschinen vorgesehen sind und dort 3.6.7 Europäisches und deutsches Maschinenrecht – Seite 10 – 01.06.2015<<>>eine Schutzfunktion erfüllen sollen. Als Sicherheitsbauteile gelten auch gesondert in Verkehr gebrachte Bauteile, die vom Bauteilehersteller für Funktionen vorgesehen sind, die sowohl Sicherheits- als auch Betriebsfunktionen abdecken, oder die vom Bauteilehersteller entweder für Sicherheits- oder für Betriebsfunktionen der Maschine vorgesehen sind.

Ein Lastaufnahmemittel wiederum ist gemäß Art. 2 S. 2 lit. d) Richtlinie 2006/42/EG ein »nicht zum Heben gehörendes Bauteil oder Ausrüstungsteil, das das Ergreifen der Last ermöglicht und das zwischen Maschine und Last oder an der Last selbst angebracht wird oder das dazu bestimmt ist, ein integraler Bestandteil der Last zu werden, und das gesondert in Verkehr gebracht wird; als Lastaufnahmemittel gelten auch Anschlagmittel und ihre Bestandteile«. Ausrüstungsgegenstände zwischen der Haltevorrichtung des Hebezeugs und der Last oder an der Last angebrachte Ausrüstungsgegenstände, die jeweils dem Zweck dienen, die Last während des Hebevorgangs zu halten, sind Lastaufnahmemittel im Sinne der EG-Maschinenrichtlinie. Vorrichtungen zum Festhalten der Lasten wie z.B. Haken gelten dabei nicht als Lastaufnahmemittel.

Ketten, Seile und Gurte im Sinne der EG-Maschinenrichtlinie sind »für Hebezwecke als Teil von Hebezeugen oder Lastaufnahmemitteln entwickelte und hergestellte Ketten, Seile und Gurte«, Art. 2 S. 2 lit. e) Richtlinie 2006/42/EG.

Schließlich ist eine abnehmbare Gelenkwelle gemäß Art. 2 S. 2 lit. f) Richtlinie 2006/42/EG »ein abnehmbares Bauteil zur Kraftübertragung zwischen einer Antriebs- oder Zugmaschine und einer anderen Maschine, das die ersten Festlager beider Maschinen verbindet. Wird die Vorrichtung zusammen mit der Schutzeinrichtung in Verkehr gebracht, ist diese Kombination als ein einziges Erzeugnis anzusehen.«

Maschinen sind zusätzlich die in Art. 2 S. 2 lit. a) Richtlinie 2006/42/EG aufgeführten Erzeugnisse. Besondere Beachtung verdienen hierbei die zwei folgenden Definitionen:

»– eine mit einem anderen Antriebssystem als der unmittelbar eingesetzten menschlichen oder tierischen Kraft ausgestattete oder dafür vorgesehene Gesamtheit miteinander verbundener Teile oder Vorrichtungen, von denen mindestens eines bzw. eine beweglich ist und die für eine bestimmte Anwendung zusammengefügt sind«

Danach muss eine Maschine aus mehreren Teilen bestehen, von denen mindestens eines beweglich ist. Zusätzlich müssen die Teile für eine bestimmte Anwendung zusammengefügt sein. Darauf hinzuweisen ist, dass nach wohl herrschender Meinung in der produktsicherheitsrechtlichen Literatur mangels Bagatellklausel auch (Armband-)Uhren, Handwerkszeuge mit Federmechanismus, Kugelschreiber und sogar Türklinken Maschinen im Sinne des europäischen Maschinenrechts sein sollen.

Dabei spielt im Übrigen keine Rolle, wenn den o.g. Maschinen lediglich die Teile fehlen, die sie mit ihrem Einsatzort oder mit ihren Energie- und  3.6.7 Europäisches und deutsches Maschinenrecht – Seite 11 – 01.06.2015<<>>Antriebsquellen verbinden. Auch solche Maschinen werden ausdrücklich als Maschinen im Sinne der EG-Maschinenrichtlinie qualifiziert.

»– eine Gesamtheit von Maschinen im Sinne des ersten, zweiten und dritten Gedankenstrichs oder von unvollständigen Maschinen im Sinne des Buchstabens g, die, damit sie zusammenwirken, so angeordnet sind und betätigt werden, dass sie als Gesamtheit funktionieren«.

Aufgrund dieser Definition von ebenfalls sachlich erfassten Maschinen ist auch das Inverkehrbringen bzw. die Inbetriebnahme sogenannter Gesamtheiten von Maschinen am Maßstab der Richtlinie 2006/42/EG zu messen. Diese Gesamtheiten von Maschinen werden auch als Maschinenanlagen, verkettete oder komplexe Maschinen bezeichnet. Gesamtheiten von Maschinen in diesem Sinne können z.B. Maschinenanlagen in der Metallverarbeitung, Papiermaschinen, Fertigungsstraßen in der Automobilindustrie oder Anlagen in der Nahrungsmittelproduktion sein.

Unter einer unvollständigen Maschine wird gemäß Art. 2 S. 2 lit. g) Richtlinie 2006/42/EG eine Gesamtheit verstanden, »die fast eine Maschine bildet, für sich genommen aber keine bestimmte Funktion erfüllen kann«. Eine unvollständige Maschine ist nur dazu bestimmt, in andere Maschinen oder in andere unvollständige Maschinen oder Ausrüstungen eingebaut oder mit ihnen zusammengefügt zu werden, um zusammen mit ihnen eine Maschine im Sinne dieser Richtlinie zu bilden. Antriebssysteme wie z.B. Verbrennungsmotoren, Hochspannungs-Elektromotoren oder Getriebe, die einbaufertig für den Einbau in Maschinen im Sinne der Richtlinie 2006/42/EG in Verkehr gebracht werden, sind unvollständige Maschinen.

Ausnahmetatbestände

Bestimmte Produkte sind aus dem sachlichen Anwendungsbereich der Richtlinie 2006/42/EG herausgenommen, und zwar unabhängig davon, ob sie die Begriffsmerkmale der Definition der Maschine oder der unvollständigen Maschine erfüllen oder nicht. Der negative Anwendungsbereich der Richtlinie 2006/42/EG wird abschließend in Art. 1 Abs. 2 Richtlinie 2006/42/EG bestimmt. Danach sind die folgenden Produkte ohne jede maschinenrechtliche Relevanz:

  • Sicherheitsbauteile, die als Ersatzteile zur Ersetzung identischer Bauteile bestimmt sind und die vom Hersteller der Ursprungsmaschine geliefert werden

  • spezielle Einrichtungen für die Verwendung auf Jahrmärkten und in Vergnügungsparks

  • speziell für eine nukleare Verwendung konstruierte oder eingesetzte Maschinen, deren Ausfall zu einer Emission von Radioaktivität führen kann

     3.6.7 Europäisches und deutsches Maschinenrecht – Seite 12 – 01.06.2015<<>>
  • Waffen einschließlich Feuerwaffen

  • die folgenden Beförderungsmittel:

    • land- und forstwirtschaftliche Zugmaschinen in Bezug auf Risiken, die von der Richtlinie 2004/37/EG erfasst werden, mit Ausnahme der auf diesen Fahrzeugen angebrachten Maschinen

    • Kraftfahrzeuge und Kraftfahrzeuganhänger im Sinne der Richtlinie 70/156/EWG des Rates vom 6.2.1970 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Betriebserlaubnis für Kraftfahrzeuge und Kraftfahrzeuganhänger mit Ausnahme der auf diesen Fahrzeugen angebrachten Maschinen

    • Fahrzeuge im Sinne der Richtlinie 2002/24/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 18.3.2002 über die Typgenehmigung für zweirädrige oder dreirädrige Kraftfahrzeuge mit Ausnahme der auf diesen Fahrzeugen angebrachten Maschinen

    • ausschließlich für sportliche Wettbewerbe bestimmte Kraftfahrzeuge

    • Beförderungsmittel für die Beförderung in der Luft, auf dem Wasser und auf Schienennetzen mit Ausnahme der auf diesen Beförderungsmitteln angebrachten Maschinen

  • Seeschiffe und bewegliche Offshore-Anlagen sowie Maschinen, die auf solchen Schiffen und/oder in solchen Anlagen installiert sind

  • Maschinen, die speziell für Forschungszwecke konstruiert und gebaut wurden und zur vorübergehenden Verwendung in Laboratorien bestimmt sind

  • Schachtförderanlagen

  • Maschinen zur Beförderung von Darstellern während künstlerischer Vorführungen

  • elektrische und elektronische Erzeugnisse folgender Arten, soweit sie unter die EG-Niederspannungsrichtlinie (Richtlinie 2006/95/EG) fallen:

    • für den häuslichen Gebrauch bestimmte Haushaltsgeräte

    • Audio- und Videogeräte

    • informationstechnische Geräte

    • gewöhnliche Büromaschinen

    • Niederspannungsschaltgeräte und -steuergeräte

    • Elektromotoren

  • die folgenden Arten von elektrischen Hochspannungsausrüstungen:

    • Schalt- und Steuergeräte

    • Transformatoren

 3.6.7 Europäisches und deutsches Maschinenrecht – Seite 13 – 01.06.2015<<>>

Mit Blick auf die zahlreichen Ausnahmetatbestände sind zwei Aspekte besonders zu betonen: Erstens werden Fahrräder mit einem elektromotorischen Hilfsantrieb (sog. E-Bikes oder Pedelecs) nicht von der Ausnahmebestimmung über die Beförderungsmittel erfasst; denn E-Bikes oder Pedelecs unterfallen insbesondere nicht der Richtlinie 2002/24/EG.

Zweitens ist die Abgrenzung zwischen dem europäischen Maschinen- und dem europäischen Niederspannungsrecht praktisch wichtig: Maßgeblich ist nunmehr eine produktspezifische Abgrenzung, wohingegen in der alten EG-Maschinenrichtlinie (Richtlinie 98/37/EG) noch eine gefahrenorientierte bzw. phänomenbezogene Abgrenzung Geltung beanspruchte. Bedeutsam innerhalb der Aufzählung sind zum einen die für den häuslichen Gebrauch bestimmten Haushaltsgeräte und zum anderen die Elektromotoren.

Mit den Haushaltsgeräten wird die sog. weiße Ware in Bezug genommen, d.h. beispielsweise Kaffeemaschinen, Toaster, Bügeleisen, Waschmaschinen, Wäschetrockner oder Staubsauger. Bei den Elektromotoren wiederum ist zu beachten, dass sie nur dann nicht in den Anwendungsbereich der Richtlinie 2006/42/EG fallen, wenn sie die niederspannungsrechtliche Voraussetzung in Bezug auf die Spannungsgrenzen erfüllen: Die EG-Niederspannungsrichtlinie gilt gemäß Art. 1 Richtlinie 2006/95/EG nur für elektrische Betriebsmittel zur Verwendung bei einer Nennspannung zwischen 50 und 1.000 V für Wechselstrom und zwischen 75 und 1.500 V für Gleichstrom.

3.6.7.2.4 Die Anforderungen an das Inverkehrbringen und/oder die Inbetriebnahme

Das europäische Maschinenrecht statuiert sowohl formelle als auch materielle Anforderungen an das Inverkehrbringen bzw. die Inbetriebnahme der sachlich erfassten Produkte (vollständige Maschinen und unvollständige Maschinen). Der grundlegende Unterschied zwischen den formellen und den materiellen Anforderungen besteht darin, dass sich die materiellen Anforderungen auf die Sicherheit des Produkts beziehen, wohingegen ein Verstoß gegen bloß formelles Recht nicht mit einer Sicherheitsrelevanz einhergeht. Aus einer brandschutzrechtlichen Perspektive sind damit die materiellen Anforderungen von übergeordnetem Interesse, weil sich die formellen Erfordernisse an das Inverkehrbringen und die Inbetriebnahme von vornherein nicht mit dem Aspekt des Brandschutzes befassen.

Im Unterschied etwa zum europäischen Niederspanungs- (vgl. dazu Kap. 3.6.3) und europäischen Druckgeräterecht (vgl. dazu Kap. 3.6.6) unterwirft das europäische Maschinenrecht nicht nur das Inverkehrbringen, sondern auch die Inbetriebnahme produktsicherheitsrechtlichen Regelungen. Vor diesem Hintergrund ist die sogenannte Eigenherstellung von Maschinen bzw. die Herstellung für den Eigengebrauch maschinenrechtlich relevant (so auch schon unter der »alten« EG-Maschinenrichtlinie).

 3.6.7 Europäisches und deutsches Maschinenrecht – Seite 14 – 01.06.2015<<>>

Unter dem Rechtsbegriff des Inverkehrbringens ist seit dem Geltungsbeginn der Marktüberwachungsverordnung am 1.1.2010 gemäß Art. 2 Nr. 2 VO (EG) Nr. 765/2008 »die erstmalige Bereitstellung eines Produkts auf dem Gemeinschaftsmarkt« zu verstehen. Bereitstellung auf dem Markt wiederum ist gemäß Art. 2 Nr. 1 VO (EG) Nr. 765/2008 »jede entgeltliche oder unentgeltliche Abgabe eines Produkts zum Vertrieb, Verbrauch oder zur Verwendung auf dem Gemeinschaftsmarkt im Rahmen einer Geschäftstätigkeit«. Diese Definition aus der Marktüberwachungsverordnung überlagert die entsprechende Begriffsbestimmung zum Inverkehrbringen aus Art. 2 S. 2 lit. h) Richtlinie 2006/42/EG. Die Inbetriebnahme wiederum ist gemäß Art. 2 S. 2 lit. k) Richtlinie 2006/42/EG »die erstmalige bestimmungsgemäße Verwendung einer von dieser Richtlinie erfassten Maschine in der Gemeinschaft«. Danach müssen im Falle der Eigenherstellung von Maschinen die maschinenrechtlichen Anforderungen eingehalten werden, bevor die Maschine erstmals für den vorgesehenen Verwendungszweck in der EU eingesetzt wird.

Wenn und soweit die Anforderungen an das Inverkehrbringen bzw. die Inbetriebnahme von (unvollständigen) Maschinen nicht ausnahmslos erfüllt werden bzw. wenn die Maschinen »bei ordnungsgemäßer Installation und Wartung und bei bestimmungsgemäßer oder vernünftigerweise vorhersehbarer Verwendung die Sicherheit und Gesundheit von Personen und gegebenenfalls von Haustieren und Sachen« gefährden, treffen die EU-Mitgliedstaaten »alle erforderlichen Maßnahmen« im Rahmen der Marktaufsicht, Art. 4 Abs. 1 Richtlinie 2006/42/EG. Umgekehrt führt Product Compliance zum freien Warenverkehr für (unvollständige) Maschinen, Art. 6 Abs. 1 Richtlinie 2006/42/EG.

Formelle Anforderungen an das Inverkehrbringen und/oder die Inbetriebnahme

Was die formellen Anforderungen an das Inverkehrbringen und/oder die Inbetriebnahme von (unvollständigen) Maschinen anbelangt, spielen Kennzeichnungsbestimmungen eine herausragende Rolle.

(Vollständige) Maschinen

Im Maschinenrecht regeln Art. 16 Richtlinie 2006/42/EG sowie mehrere Nummern in Anhang I der Richtlinie 2006/42/EG formelle Voraussetzungen für das Inverkehrbringen bzw. die Inbetriebnahme. Während sich Art. 16 Abs. 1, 2 Richtlinie 2006/42/EG in Verbindung mit Anhang III der Richtlinie 2006/42/EG mit der CE-Kennzeichnung befasst, werden in Nr. 1.7.3. des Anhangs I der Richtlinie 2006/42/EG Vorgaben zur Kennzeichnung der Maschinen und in Nr. 1.7.4. des Anhangs I der Richtlinie 2006/42/EG Vorgaben zur Betriebsanleitung gemacht.

Was die CE-Kennzeichnung anbelangt, sieht Art. 16 Abs. 1, 2 Richtlinie 2006/42/EG die folgende Regelung vor:

 3.6.7 Europäisches und deutsches Maschinenrecht – Seite 15 – 01.06.2015<<>>

(Abs. 1) »Die CE-Konformitätskennzeichnung besteht aus den Buchstaben »CE« mit dem in Anhang III wiedergegebenen Schriftbild.«

(Abs. 2) »Die CE-Kennzeichnung ist gemäß Anhang III sichtbar, leserlich und dauerhaft auf dem Erzeugnis anzubringen.«

In diesem Zusammenhang ist sodann darauf hinzuweisen, dass seit dem 1.1.2010 zusätzlich die Bestimmung in Art. 30 Abs. 1 VO (EG) Nr. 765/2008 zu beachten ist. Danach darf nur der Hersteller oder sein Bevollmächtigter die CE-Kennzeichnung anbringen.

Im Hinblick auf die Frage, wo die CE-Kennzeichnung anzubringen ist, ergibt sich die Stoßrichtung schon ohne Weiteres aus Art. 16 Abs. 2 Richtlinie 2006/42/EG: Danach ist die Maschine selbst der Ort der Anbringung der CE-Kennzeichnung. Diese Lösung ist sachgerecht, da Maschinen typischerweise ausreichend Raum für das Anbringen der CE-Kennzeichnung bieten. Konkretisiert wird der Ort der Anbringung schließlich durch die Regelung in Anhang III der Richtlinie 2006/42/EG. Danach ist die CE-Kennzeichnung in unmittelbarer Nähe der Angabe des Herstellers oder seines Bevollmächtigten anzubringen und in der gleichen Technik wie sie auszuführen.

Eine Maschine darf gemäß Art. 16 Abs. 3 Richtlinie 2006/42/EG nicht mit anderen Kennzeichnungen, Zeichen oder Aufschriften versehen werden, die möglicherweise von Dritten hinsichtlich ihrer Bedeutung oder Gestalt oder in beiderlei Hinsicht mit der CE-Kennzeichnung verwechselt werden können. Bedeutung kann diese Vorgabe etwa für das genuin deutsche GS-Zeichen (dazu ausführlich Kap. 3.6.1.14) haben. Im Ergebnis besteht eine solche Verwechselungsgefahr indes nicht, und zwar weder graphisch-typologisch noch sachlich-inhaltlich, da das GS-Zeichen im Unterschied zur CE-Kennzeichnung ein echtes Qualitätszeichen und Gütesiegel ist.

Demgegenüber ist die Regelung in Anhang III der Richtlinie 2006/42/EG im Übrigen praktisch wenig bedeutsam; denn dort ist vor allem das Schriftbild der CE-Kennzeichnung geregelt.

Praktisch wichtig sind sodann die Kennzeichnungsbestimmungen aus Nr. 1.7.3. des Anhangs I der Richtlinie 2006/42/EG. Danach muss jede Maschine mit den folgenden Angaben versehen werden:

  • Firmenname und vollständige Anschrift des Herstellers und gegebenenfalls seines Bevollmächtigten

  • Bezeichnung der Maschine

  • Baureihen- oder Typbezeichnung

  • gegebenenfalls Seriennummer

  • Baujahr, d.h. das Jahr, in dem der Herstellungsprozess abgeschlossen wurde

 3.6.7 Europäisches und deutsches Maschinenrecht – Seite 16 – 01.06.2015<<>>

In Bezug auf das Baujahr wird ausdrücklich darauf hingewiesen, dass eine Vor- oder Nachdatierung bei der Anbringung der CE-Kennzeichnung untersagt ist. Im Übrigen müssen die genannten Angaben erkennbar, deutlich lesbar und dauerhaft auf der Maschine angebracht werden. Brandschutzrechtlich relevant ist die Vorgabe, wonach im Falle der Konstruktion einer Maschine für den Einsatz in explosionsgefährdeter Umgebung ein entsprechender Hinweis vorhanden sein muss.

Schließlich können – je nach Beschaffenheit – Informationen und Warnhinweise an der Maschine anzubringen sein. Dieser Aspekt ist in Nr. 1.7. des Anhangs I der Richtlinie 2006/42/EG näher konturiert. Die im Einzelfall erforderlichen Informationen und Warnhinweise an der Maschine sollten vorzugsweise in Form leicht verständlicher Symbole oder Piktogramme gegeben werden.

Instruktiv müssen die Anforderungen aus Nr. 1.7.4. des Anhangs I der Richtlinie 2006/42/EG erfüllt werden. Danach muss jeder Maschine eine Betriebsanleitung in der oder den Amtssprachen der Gemeinschaft des Mitgliedstaats beiliegen, in dem die Maschine in Verkehr gebracht und/oder in Betrieb genommen wird. Der Regelung in Art. 5 Abs. 1 lit. c) Richtlinie 2006/42/EG lässt sich entnehmen, dass diese Pflicht im Zeitpunkt des Inverkehrbringens bzw. der Inbetriebnahme zu erfüllen ist.

Der Inhalt der Betriebsanleitung ist detailliert in Nr. 1.7.4.2. des Anhangs I der Richtlinie 2006/42/EG geregelt. Danach müssen u.a. die folgenden Angaben Gegenstand der Betriebsanleitung sein (wenn und soweit erforderlich):

  • Firmenname und vollständige Anschrift des Herstellers und seines Bevollmächtigten

  • eine allgemeine Beschreibung der Maschine

  • die für die Verwendung, Wartung und Instandsetzung der Maschine und zur Überprüfung ihres ordnungsgemäßen Funktionierens erforderlichen Zeichnungen, Schaltpläne, Beschreibungen und Erläuterungen

  • Beschreibung der bestimmungsgemäßen Verwendung der Maschine

  • Warnhinweise in Bezug auf Fehlanwendungen der Maschine, zu denen es erfahrungsgemäß kommen kann

  • Anleitungen zur Montage, zum Aufbau und zum Anschluss der Maschine, einschließlich der Zeichnungen, Schaltpläne und der Befestigungen, sowie Angabe des Maschinengestells oder der Anlage, auf das bzw. in die die Maschine montiert werden soll

  • Hinweise zur Inbetriebnahme und zum Betrieb der Maschine sowie erforderlichenfalls Hinweise zur Ausbildung bzw. Einarbeitung des Bedienungspersonals

     3.6.7 Europäisches und deutsches Maschinenrecht – Seite 17 – 01.09.2015<<>>
  • Angaben zu Restrisiken, die trotz der Maßnahmen zur Integration der Sicherheit bei der Konstruktion, trotz der Sicherheitsvorkehrungen und trotz der ergänzenden Schutzmaßnahmen noch verbleiben

Abschließend ist die EG-Konformitätserklärung vom Hersteller oder von seinem Bevollmächtigten auszustellen und der Maschine beim Inverkehrbringen bzw. der Inbetriebnahme beizufügen. Mit der EG-Konformitätserklärung erklärt der Hersteller, dass die betreffende Maschine allen einschlägigen Bestimmungen der EG-Maschinenrichtlinie entspricht. Gegebenenfalls ist zudem die Übereinstimmung mit weiteren (anwendbaren) Richtlinien wie z.B. der EMV-Richtlinie (Richtlinie 2004/108/EG) zu erklären. Der erforderliche Inhalt der EG-Konformitätserklärung ist in Teil 1 Abschnitt A des Anhangs II der Richtlinie 2006/42/EG detailliert geregelt.

Unvollständige Maschinen

Was die unvollständigen Maschinen gemäß Art. 2 S. 2 lit. g) Richtlinie 2006/42/EG anbelangt, gelten die produktsicherheitsrechtlichen Anforderungen aus Art. 13 Richtlinie 2006/42/EG.

In formeller Hinsicht bedeutet dies zunächst, dass eine CE-Kennzeichnung – im Unterschied zu den Maschinen – nicht vorgesehen ist, d.h. sie darf folglich auch nicht auf unvollständigen Maschinen angebracht werden.

Beim Inverkehrbringen einer unvollständigen Maschine ist eine Montageanleitung zu erstellen. Was deren Inhalt anbelangt, gelten die Vorgaben aus Anhang VI der Richtlinie 2006/42/EG.

Die EG-Konformitätserklärung wird bei unvollständigen Maschinen durch die Erklärung für den Einbau einer unvollständigen Maschine (sogenannte Einbauerklärung) ersetzt. Der Inhalt der Einbauerklärung wird näher in Teil 1 Abschnitt B des Anhangs II der Richtlinie 2006/42/EG geregelt. Die Einbauerklärung trat mit Geltungsbeginn der Richtlinie 2006/42/EG an die Stelle der zuvor maßgeblichen Herstellererklärung.

Gemäß Art. 13 Abs. 2 Richtlinie 2006/42/EG sind die Montageanleitung und die Einbauerklärung der unvollständigen Maschine bis zu ihrem Einbau in die vollständige Maschine beizufügen. Im Anschluss daran sollen sie Teil der technischen Unterlagen der vollständigen Maschine sein.

Materielle Anforderungen an das Inverkehrbringen und/oder die Inbetriebnahme

Was die materiellen Anforderungen an das Inverkehrbringen bzw. die Inbetriebnahme von Maschinen bzw. unvollständigen Maschinen anbelangt, spielen die grundlegenden Sicherheits- und Gesundheitsschutzanforderungen für Konstruktion und Bau von Maschinen gemäß Anhang I der  3.6.7 Europäisches und deutsches Maschinenrecht – Seite 18 – 01.09.2015<<>>Richtlinie 2006/42/EG eine herausragende Rolle. Der Grund hierfür liegt darin, dass die Rechtmäßigkeit des Inverkehrbringens bzw. der Inbetriebnahme von Maschinen gemäß Art. 5 Abs. 1 Richtlinie 2006/42/EG u.a. daran geknüpft wird, dass der Hersteller oder sein Bevollmächtigter zuvor sicherstellen muss, »dass die Maschine die in Anhang I aufgeführten, für sie geltenden grundlegenden Sicherheits- und Gesundheitsschutzanforderungen erfüllt«. Mit Blick auf diese Formulierung wird zugleich deutlich, dass aus dem umfangreichen Katalog maschinenrechtlich grundsätzlich zu berücksichtigender Anforderungen naturgemäß nicht stets sämtliche Vorgaben im Einzelfall zu beachten sind. Sichtbar wird dieses Prinzip insbesondere mit Blick auf die Bestimmungen in Nr. 2 des Anhangs I der Richtlinie 2006/42/EG; denn dort werden spezifische grundlegende Sicherheits- und Gesundheitsschutzanforderungen an bestimmte Maschinengattungen wie z.B. Nahrungsmittelmaschinen und Maschinen für kosmetische und pharmazeutische Erzeugnisse statuiert.

Prüfungsmaßstab

Gemäß Art. 4 Abs. 1 Richtlinie 2006/42/EG kommt es entscheidend darauf an, dass Maschinen keine Gefahren bei »ordnungsgemäßer Installation und Wartung und bei bestimmungsgemäßer oder vernünftigerweise vorhersehbarer Verwendung« in sich bergen. Aufgrund dieser Regelung bedarf es somit im Maschinenrecht keines Rückgriffs auf die Bestimmung in Art. 16 Abs. 2 VO (EG) Nr. 765/2008, wonach »unter Harmonisierungsrechtsvorschriften der Gemeinschaft fallende Produkte, die bei bestimmungsgemäßer Verwendung oder bei einer Verwendung, die nach vernünftigem Ermessen vorhersehbar ist, (…) die Gesundheit oder Sicherheit der Benutzer gefährden können (…), vom Markt genommen werden bzw. ihre Bereitstellung auf dem Markt untersagt oder eingeschränkt wird«; denn die vorhersehbare Verwendung wird – anders als etwa im europäischen Niederspannungsrecht – bereits maschinenrechtlich erfasst. Neben der vorhersehbaren Verwendung müssen Maschinen bzw. unvollständige Maschinen daneben auch bei

  • ordnungsgemäßer Installation,

  • ordnungsgemäßer Wartung und

  • bestimmungsgemäßer Verwendung

im Einklang mit den materiellen (sicherheitsrelevanten) Anforderungen der Richtlinie 2006/42/EG stehen.

Grundlegende Sicherheits- und Gesundheitsschutzanforderungen

In den Erwägungsgründen zur EG-Maschinenrichtlinie weist die Europäische Kommission darauf hin, dass Maschinen insbesondere dann sicher sind, wenn die grundlegenden Sicherheits- und Gesundheitsschutzanforderungen eingehalten werden (vgl. Erwägungsgrund (14) zur Richtlinie 2006/42/EG).

 3.6.7 Europäisches und deutsches Maschinenrecht – Seite 19 – 01.09.2015<<>>

Innerhalb der grundlegenden Sicherheits- und Gesundheitsschutzanforderungen für Konstruktion und Bau von Maschinen in Anhang I der Richtlinie 2006/42/EG gilt folgende Gliederung:

  • Allgemeine Grundsätze

  • Grundlegende Sicherheits- und Gesundheitsschutzanforderungen (Nr. 1)

  • Zusätzliche grundlegende Sicherheits- und Gesundheitsschutzanforderungen an bestimmte Maschinengattungen (Nr. 2)

  • Zusätzliche grundlegende Sicherheits- und Gesundheitsschutzanforderungen zur Ausschaltung der Gefährdungen, die von der Beweglichkeit von Maschinen ausgehen (Nr. 3)

  • Zusätzliche grundlegende Sicherheits- und Gesundheitsschutzanforderungen zur Ausschaltung der durch Hebevorgänge bedingten Gefährdungen (Nr. 4)

  • Zusätzliche grundlegende Sicherheits- und Gesundheitsschutzanforderungen an Maschinen, die zum Einsatz unter Tage bestimmt sind

  • 5)

  • Zusätzliche grundlegende Sicherheits- und Gesundheitsschutzanforderungen an Maschinen, von denen durch das Heben von Personen bedingte Gefährdungen ausgehen (Nr. 6)

Elementar wichtige Aussagen zum Verständnis der grundlegenden Sicherheits- und Gesundheitsschutzanforderungen für Konstruktion und Bau von Maschinen beinhalten die insgesamt vier Nummern der Allgemeinen Grundsätze.

Zunächst wird in Nr. 1 der Allgemeinen Grundsätze darauf hingewiesen, dass der Hersteller einer Maschine oder sein Bevollmächtigter dafür zu sorgen hat, dass eine Risikobeurteilung durchgeführt wird. Die Risikobeurteilung wird zu Recht als Kernstück des maschinenrechtlichen Konformitätsbewertungsverfahrens bezeichnet. Sie soll sich dabei auf alle Lebensphasen wie Rüsten, Umbau, Einrichten, Wartung, Reinigung, Instandsetzung, Reparatur, Demontage und sogar die Entsorgung beziehen. Im Ergebnis soll es sich bei der Risikobeurteilung um ein iteratives Verfahren handeln, da jede Maßnahme zur Minderung eines Risikos, die für eine bestimmte Gefährdung vorgesehen ist, darauf zu überprüfen ist, ob sie angemessen ist und keine neuen Gefährdungen hervorruft. Die Risikobeurteilung ist ein planungs- und konstruktionsbegleitender Prozess, der grundsätzlich nicht an der fertigen Maschine nachgeholt werden kann. Die Form der Risikobeurteilung ist in der EG-Maschinenrichtlinie 2006/42/EG nicht vorgegeben. In der Praxis werden typischerweise die Inhalte der EN ISO 12100:2010 Sicherheit von Maschinen – Allgemeine Gestaltungsleitsätze – Risikobeurteilung und Risikominderung zugrunde gelegt, weil es sich hierbei erstens um eine harmonisierte Norm handelt und sie zweitens Lösungsmöglichkeiten aufzeigt, wie eine Risikobeurteilung durchgeführt werden kann.

 3.6.7 Europäisches und deutsches Maschinenrecht – Seite 20 – 01.09.2015<<>>

Was die konkrete Vorgehensweise bei der Durchführung der Risikobeurteilung anbelangt, ist eine Orientierung an den folgenden sechs Schritten ratsam:

  • Information zur Risikobeurteilung

  • Festlegung der Grenzen der Maschine

  • Identifizierung der Gefährdungen

  • Risikoeinschätzung

  • Risikobewertung

  • Risikominderung

Bei Zugrundelegung der EN ISO 12100:2010 kommt es im Ergebnis auf die beiden Elemente »Schadensausmaß« und »Eintrittswahrscheinlichkeit« an, wenn die bestehenden Risiken von Maschinen identifiziert, bewertet und gemindert werden sollen.

Praktisch wichtig ist sodann die Vorgabe aus Nr. 3 der Allgemeinen Grundsätze: Danach sind die grundlegenden Sicherheits- und Gesundheitsschutzanforderungen aus Anhang I der Richtlinie 2006/42/EGgrundsätzlich bindend. Wenn und soweit allerdings die gesetzten Ziele »aufgrund des Stands der Technik nicht erreicht werden können«, »muss die Maschine so weit wie möglich auf diese Ziele hin konstruiert und gebaut werden«.

Innerhalb der grundlegenden Sicherheits- und Gesundheitsschutzanforderungen in Nr. 1 des Anhangs I der Richtlinie 2006/42/EG ist das besondere Augenmerk mit Blick auf den Brandschutz auf die beiden folgenden Nummern zu richten:

  • Nr. 1.5.6. zum Aspekt »Brand«

  • Nr. 1.5.7. zum Aspekt »Explosion«

Nr. 1.5.6. des Anhangs I der Richtlinie 2006/42/EG lautet wie folgt:

»Die Maschine muss so konstruiert und gebaut sein, dass jedes Brand- und Überhitzungsrisiko vermieden wird, das von der Maschine selbst oder von Gasen, Flüssigkeiten, Stäuben, Dämpfen und anderen von der Maschine freigesetzten oder verwendeten Stoffen ausgeht.«

Mit anderen Worten steht die Erfüllung der Anforderungen an Konstruktion und Bau von Maschinen nicht im Belieben des Maschinenherstellers. Ein etwaiger Verweis des Herstellers auf die vertraglich fixierte Beschaffenheitsvereinbarung einer zu liefernden Maschine mit gegebenenfalls weitaus geringeren Vorgaben an den Brandschutz oder der Hinweis auf eine Branchenüblichkeit ist vor diesem Hintergrund unbeachtlich. Die öffentlich-rechtlichen, produktsicherheitsrechtlichen Anforderungen an das Inverkehrbringen von Maschinen sind ausnahmslos zu beachten.

 3.6.7 Europäisches und deutsches Maschinenrecht – Seite 21 – 01.09.2015<<>>

Nr. 1.5.7. des Anhangs I der Richtlinie 2006/42/EG lautet wie folgt:

»Die Maschine muss so konstruiert und gebaut sein, dass jedes Explosionsrisiko vermieden wird, das von der Maschine selbst oder von Gasen, Flüssigkeiten, Stäuben, Dämpfen und anderen von der Maschine freigesetzten oder verwendeten Stoffen ausgeht.

Hinsichtlich des Explosionsrisikos, das sich aus dem Einsatz der Maschine in einer explosionsgefährdeten Umgebung ergibt, muss die Maschine den hierfür geltenden speziellen Gemeinschaftsrichtlinien entsprechen.«

Die so genannte Atex-Richtlinie (Richtlinie 94/9/EG) geht der Richtlinie 2006/42/EG in Bezug auf das Thema »Explosionen« insoweit vor, als sie sich mit Geräten und Schutzsystemen zur bestimmungsgemäßen Verwendung in explosionsgefährdeten Bereichen befasst. Entsprechend ordnet Nr. 1.5.7. des Anhangs I der Richtlinie 2006/42/EG an, dass Maschinen hinsichtlich des Explosionsrisikos, das sich aus dem Einsatz der Maschine in einer explosionsgefährdeten Umgebung ergibt, »den hierfür geltenden speziellen Gemeinschaftsrichtlinien entsprechen« muss (= Atex-Richtlinie). Brände im Gefolge von Explosionen unterfallen somit konsequenterweise ebenfalls der Atex-Richtlinie.

Sodann hat der europäische Richtliniengeber in den zusätzlichen grundlegenden Sicherheits- und Gesundheitsschutzanforderungen zur Ausschaltung der Gefährdungen, die von der Beweglichkeit von Maschinen ausgehen, eine Regelung zum »Brand« aufgenommen. Gemäß Nr. 3.5.2. des Anhangs I der Richtlinie 2006/42/EG müssen mobile Maschinen gegebenenfalls die Anbringung leicht zugänglicher Feuerlöscher ermöglichen oder mit einem integrierten Feuerlöschsystem ausgerüstet sein. Der Vollständigkeit halber ist zudem auf die brandschutzrechtliche Regelung in Nr. 5.5. des Anhangs I der Richtlinie 2006/42/EG hinzuweisen, die sich auf Maschinen bezieht, die zum Einsatz unter Tage bestimmt sind.

3.6.7.2.5 Ausstellen bei Messen, Ausstellungen und Vorführungen

Anders als das europäische Niederspannungsrecht (dazu ausführlich Kap. 3.6.3) regelt das europäische Maschinenrecht ausdrücklich das Zeigen von Maschinen und unvollständigen Maschinen, die den Bestimmungen der Richtlinie 2006/42/EG nicht vollumfänglich entsprechen, insbesondere bei Messen, Ausstellungen und Vorführungen.

Das Ausstellen von Maschinen und unvollständigen Maschinen bei den genannten Veranstaltungen ist gemäß Art. 6 Abs. 3 Richtlinie 2006/42/EG rechtlich zulässig, wenn ein sichtbares Schild deutlich auf den Umstand der fehlenden Konformität mit der EG-Maschinenrichtlinie und darauf hinweist, dass das betreffende Erzeugnis erst dann lieferbar ist, wenn die Konformität hergestellt wurde.

 3.6.7 Europäisches und deutsches Maschinenrecht – Seite 22 – 01.09.2015<<>>

Im Falle einer Vorführung von Maschinen oder unvollständigen Maschinen ist zudem der Schutz von Personen durch geeignete Sicherheitsmaßnahmen zu gewährleisten.

3.6.7.2.6 Die Konformitätsvermutung

Die das Neue Konzept kennzeichnende Konformitätsvermutung oder Vermutungswirkung ist in Art. 7 Richtlinie 2006/42/EG geregelt. Danach kann die Konformitätsvermutung erstens aus der Kombination von CE-Kennzeichnung und EG-Konformitätserklärung (Abs. 1) und zweitens aus europäisch-harmonisierten Normen (Abs. 2) abgeleitet werden.

Art. 7 Abs. 1, 2 Richtlinie 2006/42/EG lautet wie folgt:

(Abs. 1) »Die Mitgliedstaaten betrachten eine Maschine, die mit der CE-Kennzeichnung versehen ist und der die EG-Konformitätserklärung mit den in Anhang II Teil 1 Abschnitt A aufgeführten Angaben beigefügt ist, als den Bestimmungen dieser Richtlinie entsprechend.«

(Abs. 2) »Ist eine Maschine nach einer harmonisierten Norm hergestellt worden, deren Fundstellen im Amtsblatt der Europäischen Union veröffentlicht worden sind, so wird davon ausgegangen, dass sie den von dieser harmonisierten Norm erfassten Sicherheits- und Gesundheitsschutzanforderungen entspricht.«

Was die produktsicherheitsrechtliche Konformitätsvermutung gemäß Art. 7 Abs. 2 Richtlinie 2006/42/EG anbelangt, hat der Richtliniengeber deutlich gemacht, dass sie schon aus der im Amtsblatt der EU veröffentlichten harmonisierten Norm (EN) folgt, sodass es keiner nationalen »Spiegelnorm« (z.B. DIN EN) bedarf. Einen aktuellen Überblick über die unter der Richtlinie 2006/42/EG gelisteten Normen bietet die Mitteilung der Kommission 2015/C 054/01 (dazu oben Kap. 3.6.7.2.1).

Prägend für das Neue Konzept ist die Möglichkeit, den Nachweis für die Einhaltung der grundlegenden Sicherheitsanforderungen auch auf andere Art und Weise zu erbringen.

3.6.7.2.7 Das Konformitätsbewertungsverfahren

Das Recht der Konformitätsbewertung ist in Art. 12 Richtlinie 2006/42/EG in Verbindung mit den Anhängen VIII-X der Richtlinie 2006/42/EG statuiert. Maßgebliche Bedeutung kommt in diesem Zusammenhang der Frage zu, ob die Maschine eine sog. Anhang-IV-Maschine ist. Bei diesen spezifischen Maschinen handelt es sich um jene 23 Maschinenkategorien, die im Anhang IV der Richtlinie 2006/42/EG aufgeführt sind. Exemplarisch seien Hobelmaschinen für einseitige Bearbeitung von Holz, mit eingebauter maschineller Vorschubeinrichtung und Handbeschickung und/oder Handentnahme (Nr. 3), Handkettensägen für die Holzbearbeitung (Nr. 8) oder Hebebühnen für Fahrzeuge (Nr. 16) genannt. Die Aufzählung  3.6.7 Europäisches und deutsches Maschinenrecht – Seite 23 – 01.09.2015<<>>in Anhang IV der Richtlinie 2006/42/EG ist dabei abschließend, d.h. nur die dort ausdrücklich aufgeführten Maschinen sind Anhang-IV-Maschinen im Sinne des europäischen Maschinenrechts.

Wenn und soweit eine Maschine nicht im Anhang IV der Richtlinie 2006/42/EG aufgeführt wird, gilt Art. 12 Abs. 2 Richtlinie 2006/42/EG in Verbindung mit Anhang VIII der Richtlinie 2006/42/EG, sodass im Ergebnis das Verfahren der internen Fertigungskontrolle zur Anwendung gelangt. Die interne Fertigungskontrolle bringt für den Hersteller von Maschinen den Vorteil mit sich, dass er keine benannte Stelle (engl. notified body) in das Verfahren der Konformitätsbewertung einschalten muss.

Bei den Anhang-IV-Maschinen wiederum gilt Art. 12 Abs. 3, 4 Richtlinie 2006/42/EG. Je nachdem, ob die betreffende Maschine nach harmonisierten Normen hergestellt wurde oder nicht, gilt entweder

  • Art. 12 Abs. 3 Richtlinie 2006/42/EG in Verbindung mit Anhang VIII, IX oder X (= Fertigung nach harmonisierten Normen) oder

  • Art. 12 Abs. 4 Richtlinie 2006/42/EG in Verbindung mit Anhang IX oder X (keine Fertigung nach harmonisierten Normen).

Die Beachtung harmonisierter Normen, die im Übrigen alle relevanten grundlegenden Sicherheits- und Gesundheitsschutzanforderungen berücksichtigen müssen, führt somit im geltenden Maschinenrecht zu einer Privilegierung im Recht der Konformitätsbewertung, denn der Hersteller kann in diesem Szenario das Verfahren der internen Fertigungskontrolle anwenden. Umgekehrt bleibt dem Hersteller einer Anhang-IV-Maschine nur die Wahl zwischen

  • der EG-Baumusterprüfung gemäß Anhang IX der Richtlinie 2006/42/EG und

  • der umfassenden Qualitätssicherung gemäß Anhang X der Richtlinie 2006/42/EG,

wenn erstens harmonisierte Normen bei der Herstellung der Maschine nicht oder nur teilweise berücksichtigt wurden, zweitens angewandte harmonisierte Normen nicht alle relevanten grundlegenden Sicherheits- und Gesundheitsschutzanforderungen berücksichtigen oder es drittens für die betreffende Maschine keine harmonisierten Normen gibt. In diesen Fällen muss somit ausnahmslos eine benannte Stelle in das Konformitätsbewertungsverfahren eingeschaltet werden.

Was die stets zu erstellenden technischen Unterlagen anbelangt, gelten die Vorgaben aus Anhang VII der Richtlinie 2006/42/EG, wobei in Teil A »Technische Unterlagen für Maschinen« und in Teil B »Spezielle technische Unterlagen für unvollständige Maschinen« geregelt sind. Mit Blick auf die technischen Unterlagen für Maschinen ist hervorzuheben, dass der Inhalt der technischen Unterlagen ausführlich in Nr. 1 geregelt ist.

 3.6.7 Europäisches und deutsches Maschinenrecht – Seite 24 – 01.09.2015<<>>

Danach gehören u.a. die folgenden Aspekte zum erforderlichen Inhalt der technischen Unterlagen:

  • eine allgemeine Beschreibung der Maschine

  • die Unterlagen über die Risikobeurteilung, aus denen hervorgeht, welches Verfahren angewandt wurde

  • die angewandten Normen und sonstigen technischen Spezifikationen unter Angabe der von diesen Normen erfassten grundlegenden Sicherheits- und Gesundheitsschutzanforderungen

  • ein Exemplar der Betriebsanleitung der Maschine

  • eine Kopie der EG-Konformitätserklärung

Die technischen Unterlagen für Maschinen sind für die zuständigen Behörden der 28 EU-Mitgliedstaaten nach dem Tag der Herstellung der Maschine mindestens zehn Jahre lang bereitzuhalten. Bei der Serienfertigung gilt der Tag der Fertigstellung der letzten Einheit (Nr. 2). Praktisch wichtig ist schließlich die Aussage in Nr. 3 des Teils A des Anhangs VII der Richtlinie 2006/42/EG: Werden die technischen Unterlagen auf begründetes Verlangen der zuständigen einzelstaatlichen Behörden nicht vorgelegt, »so kann dies ein hinreichender Grund sein, um die Übereinstimmung der betreffenden Maschine mit den grundlegenden Sicherheits- und Gesundheitsschutzanforderungen anzuzweifeln«.

3.6.7.2.8 Das Verhältnis zu anderen Richtlinien des Neuen Konzepts

Maschinen und unvollständige Maschinen, die unter die EG-Maschinenrichtlinie 2006/42/EG fallen, können daneben auch noch von anderen New Approach-Richtlinien bzw. von anderen europäischen Harmonisierungsrechtsvorschriften sachlich erfasst werden. In der Praxis kann es z.B. vorkommen, dass Maschinen neben der Richtlinie 2006/42/EG auch die Anforderungen der EG-Druckgeräterichtlinie 97/23/EG oder der EMV-Richtlinie 2004/108/EG erfüllen müssen. Mit der CE-Kennzeichnung der jeweiligen Maschine wird in diesem Szenario entsprechend zum Ausdruck gebracht, dass sämtliche anwendbaren CE-Richtlinien beachtet, d.h. deren Anforderungen eingehalten wurden, vgl. Art. 30 Abs. 3 VO (EG) Nr. 765/2008. Von Interesse ist zudem das Verhältnis der EG-Maschinenrichtlinie zur Richtlinie 2006/95/EG (so genannte EG-Niederspannungsrichtlinie), zur Richtlinie 1999/5/EG (so genannte R&TTE-Richtlinie), zur Richtlinie 94/9/EG (so genannte Atex-Richtlinie) und schließlich zur Richtlinie 2001/95/EG (so genannte allgemeine Produktsicherheitsrichtlinie).

 3.6.7 Europäisches und deutsches Maschinenrecht – Seite 25 – 01.09.2015<<>>

Das Verhältnis zur EG-Druckgeräterichtlinie

Als in hohem Maße praktisch relevant erweist sich das Verhältnis zwischen der EG-Maschinenrichtlinie 2006/42/EG und der EG-Druckgeräterichtlinie 97/23/EG.

Rechtlicher Ausgangspunkt zur Klärung des Verhältnisses vom europäischen Maschinen- zum Druckgeräterecht ist aus einer maschinenrechtlichen Perspektive Art. 3 Richtlinie 2006/42/EG. Dort ist statuiert, dass die EG-Maschinenrichtlinie für Maschinen und Gefährdungen nicht bzw. ab dem Beginn der Anwendung dieser anderen Richtlinien nicht mehr gilt, wenn die in Anhang I der Richtlinie 2006/42/EG genannten, von einer Maschine ausgehenden Gefährdungen ganz oder teilweise von anderen Gemeinschaftsrichtlinien genauer erfasst werden. Mit anderen Worten zieht das europäische Maschinenrecht seinen Geltungsanspruch zurück, wenn und soweit spezifische Gefährdungen in anderen europäischen Harmonisierungsrechtsvorschriften spezieller geregelt sind. Was die hier interessierenden spezifischen Druckrisiken einer Maschine anbelangt, verweist Art. 3 Richtlinie 2006/42/EG mithin in das europäische Druckgeräterecht, und zwar unabhängig von der Kategorie (I-IV) des jeweiligen Druckgeräts.

Wenn man sich der Abgrenzungsfrage hingegen von der druckgeräterechtlichen Seite annähert, ergibt sich ein abweichendes Bild: Gemäß Art. 1 Abs. 3.6 Richtlinie 97/23/EG sollen Geräte, die nach Art. 9 Richtlinie 97/23/EG höchstens unter die Kategorie I fielen und die von der Richtlinie 89/392/EWG, das ist eine Vorgängerrichtlinie zur EG-Maschinenrichtlinie 2006/42/EG, erfasst werden, nicht unter das europäische Druckgeräterecht fallen. Diese Geräte sollen mithin allein am Maßstab des europäischen Maschinenrechts zu messen sein.

Vor dem geschilderten Hintergrund existieren somit im Ergebnis unvereinbare Vorgaben zur Bestimmung des Verhältnisses der Richtlinien 2006/42/EG und 97/23/EG. In der Praxis behilft man sich mit dem schon erwähnten Leitfaden für die Anwendung der Maschinenrichtlinie 2006/42/EG. Darin wird die druckgeräterechtliche Lösung bevorzugt: Druckgeräte, die nicht höher als in Kategorie I eingestuft sind und in Maschinen eingebaut werden, die in den Anwendungsbereich der EG-Maschinenrichtlinie fallen, sind und bleiben danach aus dem Anwendungsbereich der Richtlinie 97/23/EG herausgenommen. Art. 3 Richtlinie 2006/42/EG findet mithin insoweit keine Anwendung. Diese Abgrenzungsformel gilt im Übrigen auch für solche Druckgeräte der Kategorie I, die einzeln in Verkehr gebracht werden, wenn sie dazu bestimmt sind, zum Teil einer Maschine zu werden.

Bei Druckgeräten der Kategorien II-IV kommt es dementsprechend zur parallelen Anwendbarkeit der Richtlinien 97/23/EG und 2006/42/EG.

 3.6.7 Europäisches und deutsches Maschinenrecht – Seite 26 – 01.09.2015<<>>

Das Verhältnis zur EMV-Richtlinie

In Bezug auf die EG-Maschinenrichtlinie 2006/42/EG gilt die EMV-Richtlinie nach Ansicht der Europäischen Kommission im Leitfaden für die Anwendung der EG-Maschinenrichtlinie 2006/42/EG für solche Maschinen im Sinne des Art. 2 S. 1, 2 lit. a) Richtlinie 2006/42/EG, die elektrische oder elektronische Bauteile enthalten, die elektromagnetische Störungen verursachen oder davon betroffen sein können. Insgesamt regelt die Richtlinie 2004/108/EG den Aspekt der elektromagnetischen Verträglichkeit im Zusammenhang mit der Funktion von Maschinen.

Umgekehrt beansprucht die EG-Maschinenrichtlinie 2006/42/EG Geltung auch im Hinblick auf das Phänomen der elektromagnetischen Verträglichkeit, wenn und soweit sicherheitsrelevante elektromagnetische Störungen in Rede stehen, und zwar unabhängig davon, ob diese durch Strahlung oder über Kabel übertragen werden. Überraschend ist diese Anwendbarkeit der EG-Maschinenrichtlinie 2006/42/EG nicht, wenn man sich vor Augen führt, dass sich der Anwendungsbereich der Richtlinie 2004/108/EG allein auf den nicht-sicherheitsrelevanten Bereich des Phänomens elektromagnetischer Verträglichkeit bezieht.

Im Ergebnis sind die beiden Richtlinie damit parallel anwendbar.

Das Verhältnis zur EG-Niederspannungsrichtlinie

Bestimmte elektrische Betriebsmittel im Sinne des Art. 1 Richtlinie 2006/95/EG sind auch Maschinen im Sinne des europäischen Maschinenrechts (vgl. Art. 2 S. 1, 2 lit. a) Richtlinie 2006/42/EG). In dieser Konstellation können beide EU-Richtlinien entweder nebeneinander anwendbar sein, wobei dann in der EG-Konformitätserklärung gleichwohl nur die Richtlinie 2006/42/EG aufgeführt werden soll. Es kann aber auch dazu kommen, dass eine der beiden Richtlinien mit ihrem Geltungsanspruch zurücktreten muss: Während die »alte« EG-Maschinenrichtlinie (Richtlinie 98/37/EG) insoweit einer gefahrenorientierten bzw. phänomenbezogenen Abgrenzung das Wort redete, indem sie danach fragte, ob »von einer Maschine hauptsächlich Gefahren aufgrund von Elektrizität« ausgingen (= Anwendbarkeit der Richtlinie 73/23/EWG, also der »alten« Niederspannungsrichtlinie) und somit eine entsprechende Risikobewertung evozierte, ging mit der neuen EG-Maschinenrichtlinie 2006/42/EG insoweit ein Paradigmenwechsel einher: Im Sinne einer produktspezifischen oder -bezogenen Abgrenzung hat der Richtliniengeber nunmehr bestimmte elektrische Betriebsmittel abschließend aufgezählt, die nur und allein am Maßstab des europäischen Niederspannungsrechts zu messen sind. Damit wollte der Richtliniengeber für eine Klarstellung der Abgrenzung der Anwendungsbereiche von Maschinenrichtlinie und Niederspannungsrichtlinie sorgen und eine größere Rechtssicherheit für die Hersteller schaffen.

 3.6.7 Europäisches und deutsches Maschinenrecht – Seite 27 – 01.09.2015<<>>

In diesem Zusammenhang handelt es sich um die folgenden elektrischen und elektronischen Erzeugnisse:

  • für den häuslichen Gebrauch bestimmte Haushaltsgeräte

  • Audio- und Videogeräte

  • informationstechnische Geräte

  • gewöhnliche Büromaschinen

  • Niederspannungsschaltgeräte und -steuergeräte

  • Elektromotoren

Für diese Erzeugnisse gelten damit allein die Anforderungen aus der Richtlinie 2006/95/EG. Alle übrigen elektrisch betriebenen Maschinen fallen somit in den Anwendungsbereich der EG-Maschinenrichtlinie. Für sie gilt damit auch Nr. 1.5.1. des Anhangs I der EG-Maschinenrichtlinie 2006/42/EG, wo es wie folgt heißt:

»Eine mit elektrischer Energie versorgte Maschine muss so konstruiert, gebaut und ausgerüstet sein, dass alle von Elektrizität ausgehenden Gefährdungen vermieden werden oder vermieden werden können.

Die Schutzziele der Richtlinie 73/23/EWG gelten für Maschinen. In Bezug auf die Gefährdungen, die von elektrischem Strom ausgehen, werden die Verpflichtungen betreffend die Konformitätsbewertung und das Inverkehrbringen und/oder die Inbetriebnahme von Maschinen jedoch ausschließlich durch die vorliegende Richtlinie geregelt.«

Damit übernimmt die EG-Maschinenrichtlinie die Sicherheitsziele der EG-Niederspannungsrichtlinie eins-zu-eins.

Das Verhältnis zur R&TTE-Richtlinie 1999/5/EG

In Bezug auf das Verhältnis der EG-Maschinenrichtlinie zur R&TTE-Richtlinie (Richtlinie 1999/5/EG) gilt die R&TTE-Richtlinie hinsichtlich der Nutzung des Funkfrequenzspektrums nach Ansicht der Europäischen Kommission im Leitfaden für die Anwendung der EG-Maschinenrichtlinie 2006/42/EG ohne Weiteres für Funkanlagen und Telekommunikationsendeinrichtungen, die in bestimmte Maschinen eingebaut werden wie z.B. Fernsteuerungen.

Demgegenüber gelten die Anforderungen der Richtlinie 2006/42/EG für die Sicherheit von Fernsteuerungen für Maschinen.

Das Verhältnis zur Atex-Richtlinie 94/9/EG

Eine Schnittstelle zur Atex-Richtlinie (Richtlinie 94/9/EG) ist – wie oben bereits erwähnt – in Nr. 1.5.7. des Anhangs I der Richtlinie 2006/42/EG vorgesehen. Danach muss eine Maschine »so konstruiert und gebaut sein,  3.6.7 Europäisches und deutsches Maschinenrecht – Seite 28 – 01.09.2015<<>>dass jedes Explosionsrisiko vermieden wird, das von der Maschine selbst oder von Gasen, Flüssigkeiten, Stäuben, Dämpfen und anderen von der Maschine freigesetzten oder verwendeten Stoffen ausgeht«. Damit sollen die genannten Explosionsgefährdungen von der EG-Maschinenrichtlinie 2006/42/EG abgedeckt werden.

Sodann wird in Nr. 1.5.7. des Anhangs I der Richtlinie 2006/42/EG darauf hingewiesen, dass die Maschine hinsichtlich »des Explosionsrisikos, das sich aus dem Einsatz der Maschine in einer explosionsgefährdeten Umgebung ergibt, (…) den hierfür geltenden speziellen Gemeinschaftsrichtlinien entsprechen« muss. Dieser Verweis ist als Verweis auf die Atex-Richtlinie zu verstehen, die somit ohne Weiteres neben der Richtlinie 2006/42/EG anwendbar ist. Dies ergibt sich auch aus Art. 3 Richtlinie 94/9/EG, wonach die von der Atex-Richtlinie sachlich erfassten Geräte, Schutzsysteme und Vorrichtungen die grundlegenden Sicherheits- und Gesundheitsanforderungen aus Anhang II der Richtlinie 94/9/EG erfüllen müssen. Als Geräte im Sinne der Atex-Richtlinie gelten gemäß Art. 1 Abs. 3 lit. a) Richtlinie 94/9/EG »Maschinen, Betriebsmittel, stationäre oder ortsbewegliche Vorrichtungen, Steuerungs- und Ausrüstungsteile sowie Warn- und Vorbeugungssysteme, die einzeln oder kombiniert zur Erzeugung, Übertragung, Speicherung, Messung, Regelung und Umwandlung von Energien und zur Verarbeitung von Werkstoffen bestimmt sind und die eigene potenzielle Zündquellen aufweisen und dadurch eine Explosion verursachen können«. Maschinen können somit ohne Weiteres auch dem sachlichen Anwendungsbereich der Atex-Richtlinie unterfallen.

Im Übrigen gilt die Atex-Richtlinie weder für Bereiche innerhalb von Maschinen noch für Konstellationen, bei denen möglicherweise eine explosionsfähige Atmosphäre existiert, und auch nicht für Explosionsgefährdungen unter nicht-atmosphärischen Bedingungen.

Das Verhältnis zur Richtlinie 2001/95/EG

Was die Abgrenzung zur allgemeinen Produktsicherheitsrichtlinie 2001/95/EG anbelangt, ist diese aus der Perspektive der EG-Maschinenrichtlinie praktisch weniger bedeutsam. Dies liegt daran, dass Maschinen und unvollständige Maschinen typischerweise keine Produkte im Sinne des Art. 2 lit. a) Richtlinie 2001/95/EG sind. Denn Produkt in diesem Sinne ist – neben anderen Voraussetzungen – »jedes Produkt, das – auch im Rahmen der Erbringung einer Dienstleistung – für Verbraucher bestimmt ist oder unter vernünftigerweise vorhersehbaren Bedingungen von Verbrauchern benutzt werden könnte, selbst wenn es nicht für diese bestimmt ist«. Kurz gesagt handelt es sich um Verbraucherprodukte. Damit kann die allgemeine Produktsicherheitsrichtlinie beispielsweise Bedeutung erlangen bei handgehaltenen und/oder handgeführten tragbaren Maschinen im Sinne der Nr. 2 des Anhangs I der Richtlinie 2006/42/EG wie z.B. Bohrmaschinen oder Kreissägen, wenn und soweit diese Maschinen etwa in Baumärkten oder DIY-Märkten zum Kauf für Verbraucher angeboten werden.

 3.6.7 Europäisches und deutsches Maschinenrecht – Seite 29 – 01.09.2015<<>>

In welchen Fällen die allgemeine Produktsicherheitsrichtlinie 2001/95/EG neben speziellerem Inverkehrbringensrecht (wie z.B. der EG-Niederspannungsrichtlinie 2006/95/EG oder der EG-Spielzeugrichtlinie 2009/48/EG) zur Anwendung gelangt, regelt Art. 1 Abs. 2 Unterabs. 1 Richtlinie 2001/95/EG wie folgt:

»Die Richtlinie findet auf alle in Artikel 2 Buchstabe a) definierten Produkte Anwendung. Jede Vorschrift dieser Richtlinie gilt insoweit, als es im Rahmen gemeinschaftlicher Rechtsvorschriften keine spezifischen Bestimmungen über die Sicherheit der betreffenden Produkte gibt, mit denen dasselbe Ziel verfolgt wird.«

In Art. 1 Abs. 2 Unterabs. 2 Richtlinie 2001/95/EG wird diese allgemeine Regelung noch weiter ausdifferenziert, und zwar in Bezug auf die Anwendbarkeit der Art. 2 lit. b)-c), 3, 4 Richtlinie 2001/95/EG einerseits, in Bezug auf die Anwendbarkeit der Art. 5–18 Richtlinie 2001/95/EG andererseits.

Entscheidend ist danach stets die Frage, ob das speziellere Inverkehrbringensrecht spezifische Rechtsvorschriften bzw. Bestimmungen vorhält. Spezifisch bedeutet gewiss, dass die Anforderungen entsprechend oder weitergehend sein können; spezifisch bedeutet allerdings auch, dass die speziellen Anforderungen hinter den allgemeinen Anforderungen der allgemeinen Produktsicherheitsrichtlinie 2001/95/EG zurückbleiben können, mit der Folge, dass der Rückgriff auf die Richtlinie 2001/95/EG nicht zulässig ist.

Was im Einzelfall spezifisch ist und was nicht, ist mitunter naturgemäß schwierig zu beurteilen. Einigkeit besteht dahingehend, dass im Falle einer ausbleibenden Regelung im spezielleren Gesetz (Schweigen des Richtliniengebers) auf die allgemeine Produktsicherheitsrichtlinie 2001/95/EG zurückgegriffen werden kann.

Im Hinblick auf das europäische Maschinenrecht verbleibt im Hinblick auf die Statuierung grundlegender Anforderungen in Art. 5 Abs. 1 lit. a) Richtlinie 2006/42/EG in Verbindung mit Anhang I der Richtlinie 2006/42/EG kein Raum für eine ergänzende Anwendung der Artt. 2 lit. b)–c), 3–4 Richtlinie 2001/95/EG.

Zudem besteht neben den umfangreichen Bestimmungen zur Kennzeichnung der Maschinen in Nr. 1.7.3. des Anhangs I der Richtlinie 2006/42/EG ersichtlich keine Notwendigkeit für eine ergänzende Anwendung des Art. 5 Abs. 1 Unterabs. 4 lit. a) Richtlinie 2001/95/EG; denn Nr. 1.7.3. des Anhangs I der Richtlinie 2006/42/EG sieht eine Regelung sowohl im Hinblick auf die Produkt-Kennzeichnung als auch die Herstellerdaten vor.

3.6.7.3 Deutsches Maschinenrecht

Das deutsche Maschinenrecht ist Gegenstand der Neunten Verordnung zum Produktsicherheitsgesetz (Maschinenverordnung – 9. ProdSV) vom 12.5.1993. Anders als das EMV- und R&TTE-Recht fand das deutsche  3.6.7 Europäisches und deutsches Maschinenrecht – Seite 30 – 01.09.2015<<>>Maschinenrecht somit – wie z.B. das Niederspannungsrecht – Eingang in eine Verordnung zum ProdSG.

Die Maschinenverordnung besteht aus nur neun Paragraphen. Der Grund hierfür liegt vor allem darin, dass in der Maschinenverordnung umfangreich auf die richtlinienrechtlichen Inhalte aus den Anhängen zur Richtlinie 2006/42/EG verwiesen wird: So gelten zwar die grundlegenden Sicherheits- und Gesundheitsschutzanforderungen aus Anhang I der Richtlinie 2006/42/EG ohne Weiteres auch in der Maschinenverordnung; dort hat es aber in § 3 Abs. 2 Nr. 1 der 9. ProdSV mit einem Verweis auf Anhang I der Richtlinie 2006/42/EG sein Bewenden.

Die Maschinenverordnung ist der deutsche Umsetzungsakt der EG-Maschinenrichtlinie 2006/42/EG. Aufgrund dessen sind die Unterschiede zwischen europäischer EG-Maschinenrichtlinie 2006/42/EG und deutscher Maschinenverordnung naturgemäß gering. Im Folgenden ist der Fokus daher insbesondere auf jene rechtlichen Aspekte zu richten, die ohne Vorbild auf europäischer Ebene sind und daher genuin deutsches Maschinenrecht darstellen.

3.6.7.3.1 Der sachliche Anwendungsbereich der 9. ProdSV: Neue Maschinen

Die Maschinenverordnung gilt gemäß § 1 Abs. 1 für »die Bereitstellung auf dem Markt und die Inbetriebnahme von folgenden neuen Produkten«, wobei sodann im Einzelnen Maschinen, auswechselbare Ausrüstungen, Sicherheitsbauteile, Lastaufnahmemittel, Ketten, Seile und Gurte, abnehmbare Gelenkwellen und unvollständige Maschinen aufgeführt werden. Aufgrund dieser Regelung hat der deutsche Gesetzgeber dafür gesorgt, dass nicht nur (und damit eben abweichend vom europäischen Maschinenrecht) das Inverkehrbringen, also die erstmalige Bereitstellung einer Maschine bzw. unvollständigen Maschine auf dem Markt, am Maßstab der Maschinenverordnung zu messen ist, sondern darüber hinaus sämtliche Abgabeprozesse in der Liefer- und Vertriebskette (z.B. die Abgabe vom Großhändler an den Zwischenhändler, der es wiederum an den Einzelhändler weiterreicht). Allerdings muss es sich bei den sachlich erfassten Erzeugnissen um neue Produkte handeln. Erst in dem Zeitpunkt, in dem die Maschine bzw. unvollständige Maschine in Betrieb genommen und damit erstmals ge- und benutzt wird, wird aus dem vormals neuen Gerät ein altes oder gebrauchtes Gerät. Die etwaige Abgabe dieser Gebrauchtmaschine ist mithin nicht mehr am Maßstab der Maschinenverordnung zu messen.

3.6.7.3.2 Die Anwendbarkeit von § 3 Abs. 1, 2 ProdSG

Aus einer rechtsdogmatischen, am ProdSG orientierten Perspektive ergibt sich vor diesem Hintergrund folgendes Bild: Wer eine (unvollständige) Maschine auf dem Markt bereitzustellen beabsichtigt, muss die Anforderungen aus § 3 Abs. 1 ProdSG in Verbindung mit der  3.6.7 Europäisches und deutsches Maschinenrecht – Seite 31 – 01.09.2015<<>>9. ProdSV (= Maschinenverordnung) beachten, wenn und soweit das Gerät neu ist. Wichtig ist sodann die Rechtslage, wenn z.B. nach der ersten Abgabe in der Liefer- bzw. Vertriebskette eine Rechtsänderung eintritt. Das durch das ProdSG abgelöste Geräte- und Produktsicherheitsgesetz (GPSG) hat diese Rechtsfrage noch klar und eindeutig geregelt: Unabhängig davon, ob es sich bei dem in Rede stehenden Produkt um ein technisches Arbeitsmittel oder um ein Verbraucherprodukt gehandelt habe, sollte stets »die Rechtslage im Zeitpunkt seines erstmaligen Inverkehrbringens in den Europäischen Wirtschaftsraum« gelten, § 4 Abs. 3 S. 1, 2 GPSG. Diese Regelung hat der Gesetzgeber nicht in das ProdSG übernommen: Ausweislich der Gesetzesbegründung zum ProdSG habe sie sich zwar bewährt; sie sei aber immer stark erklärungsbedürftig gewesen. Die neue Bestimmung des § 3 Abs. 2 S. 3 ProdSG sei weitaus besser verständlich und verfolge das gleiche Ziel. Entscheidend ist vor diesem Hintergrund der in der Gesetzesbegründung deutlich zum Ausdruck kommende Wille des Gesetzgebers, an die alte und bewährte Rechtslage unter dem GPSG anzuknüpfen. Danach bleibt es auch unter dem ProdSG dabei, dass die maßgebliche Rechtslage jene im Zeitpunkt des erstmaligen Inverkehrbringens in den Europäischen Wirtschaftsraum ist. Nachträgliche Rechtsänderungen führen nicht dazu, dass die nach wie vor neue Maschine bzw. unvollständige Maschine etwa um- oder nachgerüstet werden müsste, um im Einklang mit den geltenden Anforderungen des nationalen Produktsicherheitsrechts auf dem Markt bereitgestellt zu werden.

Sobald eine Maschine auf dem Markt bereitgestellt werden soll, die nicht mehr neu (und damit alt oder besser: gebraucht) ist, ergibt sich der produktsicherheitsrechtliche Maßstab aus § 3 Abs. 2 ProdSG. Die Gebrauchtmaschine darf daher nur dann auf dem Markt bereitgestellt werden, wenn sie »bei bestimmungsgemäßer oder vorhersehbarer Fehlanwendung die Sicherheit und Gesundheit von Personen nicht gefährdet«. Der 9. ProdSV kommt in diesem Zusammenhang keine Bedeutung mehr zu. Was die maßgebliche Rechtslage anbelangt, gilt wiederum § 3 Abs. 2 S. 3 ProdSG. Zum besseren Verständnis sollte man auch hier § 4 Abs. 3 S. 3, 4 GPSG zu Rate ziehen.

3.6.7.3.3 Der Vollzug der Maschinenverordnung

Was den Vollzug der Maschinenverordnung anbelangt, gelten grundsätzlich keine Besonderheiten: Für die Marktüberwachung gilt Abschnitt 6 des ProdSG und damit die §§ 24 ff. ProdSG.

Damit obliegt die Marktüberwachung den nach Landesrecht zuständigen Behörden,§ 24 Abs. 1 S. 1 ProdSG. Wer dies im Einzelfall ist, muss dem Verwaltungsorganisationsrecht des betreffenden Landes entnommen werden. Den hiermit angesprochenen Marktüberwachungsbehörden stehen die Befugnisse aus den §§ 26–28 ProdSG zu, d.h. sie können insbesondere die Marktüberwachungsmaßnahmen gemäß § 26 Abs. 2, 4 ProdSG treffen. Im Falle der Non-Konformität einer (unvollständigen) Maschine sind sie sogar verpflichtet, die erforderlichen Maßnahmen gemäß § 26  3.6.7 Europäisches und deutsches Maschinenrecht – Seite 32 – 01.09.2015<<>>Abs. 2 S. 1, 2 ProdSG zu treffen. Denn ein Entschließungsermessen ist den Marktüberwachungsbehörden insoweit nicht eingeräumt.

Kommt eine Marktüberwachungsbehörde im Rahmen einer Risikobewertung zu dem Ergebnis, dass von dem betreffenden Produkt sogar ein ernstes Risiko ausgeht, muss sie mit Rückruf, Rücknahme und/oder einem (endgültigen) Bereitstellungsverbot reagieren, § 26 Abs. 4 S. 1 ProdSG. Dies gilt allerdings nur dann, wenn ein Monitoring freiwilliger Maßnahmen des verantwortlichen Wirtschaftsakteurs nicht in Betracht kommt. Im Falle ernster Risiken ist immer auch an das europäische Meldesystem namens RAPEX zu denken, welches seit dem 1.1.2010 nicht mehr nur Verbraucherprodukte, sondern auch (europäisch-harmonisierte) B2B-Produkte erfasst. Für das Wirtschaftsverwaltungsrecht typische Nachschaubefugnisse der Marktüberwachungsbehörden sind schließlich in § 28 ProdSG geregelt.

In der Maschinenverordnung ist darüber hinaus die Besonderheit zu beachten, dass § 7 der 9. ProdSV eine spezifische Regelung zur Marktüberwachung beinhaltet. Dabei befasst sich § 7 Abs. 1 der 9. ProdSV mit (vollständigen) Maschinen und § 7 Abs. 2 der 9. ProdSV mit unvollständigen Maschinen. Beide Absätze beinhalten eine so genannte Generalklausel, weil die Marktüberwachungsbehörden darin jeweils ermächtigt werden, »alle erforderlichen Maßnahmen« zu treffen, um sicherzustellen, dass Maschinen und unvollständige Maschinen nur dann auf dem Markt bereitgestellt werden bzw. – bei den vollständigen Maschinen – in Betrieb genommen werden, wenn sie den Bestimmungen der Maschinenverordnung eins-zu-eins entsprechen.

Als speziellere Regelungen gehen die Befugnisnormen aus der Maschinenverordnung den §§ 26 ff. ProdSG vor, sodass behördlicherseits im Ergebnis im Falle der Anwendung der Generalklausel auf § 7 Abs. 1, 2 der 9. ProdSV und im Falle der Anwendung von Standardmaßnahmen auf den Katalog der Befugnisse aus § 26 Abs. 2 S. 2 Nrn. 1–9 ProdSG zurückzugreifen ist.

3.6.7.3.4 Ordnungswidrigkeiten

In § 8 der 9. ProdSV sind insgesamt neun Ordnungswidrigkeitentatbestände geregelt. Hervorzuheben sind die drei folgenden Tatbestände:

Gemäß § 8 Nr. 1 der 9. ProdSV handelt ordnungswidrig, wer vorsätzlich oder fahrlässig »entgegen § 3 Absatz 2 Nummer 2 nicht sicherstellt, dass die technischen Unterlagen verfügbar sind«. Dieser Ordnungswidrigkeitentatbestand führt mithin abermals die Bedeutung der im Konformitätsbewertungsverfahren zu erstellenden technischen Unterlagen 3.6.7 Europäisches und deutsches Maschinenrecht – Seite 33 – 01.09.2015<<>>vor Augen. Sanktioniert werden kann damit die Nichterfüllung einer im Zeitpunkt des Inverkehrbringens bzw. der Inbetriebnahme zu erfüllenden formellen Anforderung, die sich aus § 3 Abs. 2 Nr. 2 der 9. ProdSV bzw. dem dahinter stehenden Art. 3 Abs. 1 lit. b) Richtlinie 2006/42/EG ergibt. Der Ordnungswidrigkeitentatbestand gemäß § 8 Nr. 4 der 9. ProdSV nimmt Bezug auf die EG-Konformitätserklärung. Danach handelt ordnungswidrig, wer schuldhaft »eine EG-Konformitätserklärung nicht oder nicht rechtzeitig ausstellt oder nicht sicherstellt, dass sie der Maschine beiliegt« und damit gegen die Vorgabe aus § 3 Abs. 2 Nr. 5 der 9. ProdSV verstößt. Schließlich knüpft der Tatbestand in § 8 Nr. 6 der 9. ProdSV an das Kennzeichnungsrecht an, indem ordnungswidrig handelt, wer vorsätzlich oder fahrlässig »eine nicht zulässige Kennzeichnung, ein nicht zulässiges Zeichen oder eine nicht zulässige Aufschrift auf einer Maschine anbringt«. Damit wird auf § 5 Abs. 5 S. 1 der 9. ProdSV Bezug genommen, der sich mit der CE-Kennzeichnung befasst und die Irreführung Dritter hinsichtlich der Bedeutung oder des Schriftbildes der CE-Kennzeichnung oder in beiderlei Hinsicht zu verhindern beabsichtigt.

Dass die vorliegend getroffene Auswahl relevanter Ordnungswidrigkeitentatbestände nur formelle Aspekte betrifft, ist im Übrigen kein Zufall; denn der Katalog der Ordnungswidrigkeitentatbestände sanktioniert dezidiert nicht Verstöße gegen die materiellen Anforderungen aus dem Anhang I der Richtlinie 2006/42/EG, die von § 3 Abs. 2 Nr. 1 der 9. ProdSV in Bezug genommen werden. Mit anderen Worten bringt fehlende Compliance mit den grundlegenden Sicherheits- und Gesundheitsschutzanforderungen nicht die Gefahr der Verwirklichung einer maschinenrechtlichen Ordnungswidrigkeit mit sich.

Was die Rechtsfolge im Falle der Verwirklichung sämtlicher maschinenrechtlicher Ordnungswidrigkeitentatbestände anbelangt, wird jeweils auf § 39 Abs. 1 Nr. 7 lit. a) ProdSG verwiesen. Danach drohen in diesen Fällen gemäß § 39 Abs. 2 ProdSG Geldbußen bis zu 100.000 €.

Literatur

Literatur zum europäischen Maschinenrecht

Kirchberg/Hüning/Schulze: Die neue EG-Maschinenrichtlinie, 3. Aufl. 2011

Klindt/Kapoor: Die neue EG-Maschinenrichtlinie 2006/42/EG. Risikoanalyse, Teilmaschinen, Einbauerklärung, Original-Betriebsanleitung – welche Neuerungen gelten ab 2010 für die Maschinenindustrie?, Der Sachverständige (DS) 2009, S. 95 ff.

Klindt/Kraus/von Locquenghien/Ostermann: Die neue EG-Maschinenrichtlinie 2006, 2. Aufl. 2007

Langner/Klindt: Technische Sicherheitsvorschriften und Normen, in: Dauses (Hrsg.), Handbuch des EU-Wirtschaftsrecht, Bd. 1, Losebl., 36. Erg.-Lfg. 2014, C. VI, Rn. 89 ff.

 3.6.7 Europäisches und deutsches Maschinenrecht – Seite 34 – 01.09.2015<<

Ostermann/Klindt: Der Umbau von Maschinen und Maschinenanlagen im Spiegel des Gerätesicherheitsrechts, Neue Zeitschrift für Arbeitsrecht (NZA) 2001, S. 237 ff.