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3.6.6 Europäisches und deutsches Druckgeräterecht

3.6.6.1 Einleitung

Das europäische und deutsche Druckgeräterecht regelt im Sinne einer produktbezogenen (vertikalen) Richtlinie die öffentlich-rechtlichen, genauer produktsicherheitsrechtlichen Anforderungen an das Inverkehrbringen und die Inbetriebnahme von Druckgeräten und Baugruppen. Druckgeräte in diesem rechtlichen Sinne sind Behälter, Rohrleitungen, Ausrüstungsteile mit Sicherheitsfunktion und druckhaltende Ausrüstungsteile. Hinzu kommen sogenannte Baugruppen, das sind mehrere Druckgeräte, die von einem Hersteller zu einer zusammenhängenden funktionalen Einheit verbunden werden. Vor diesem Hintergrund wird die Bedeutung des Druckgeräterechts in der Praxis deutlich: Dieser Teil des geltenden Produktsicherheitsrechts befasst sich mit einer Vielzahl von typischerweise Nicht-Verbraucherprodukten (B2B-Produkten; engl. Business-to-Business), denen im Maschinen und (Industrie-)Anlagenbau eine enorme Bedeutung zukommt.

Zu unterscheiden ist das europäische und deutsche Druckgeräterecht somit von gefahrenspezifischen (horizontalen) Richtlinien wie z.B. der EMV-Richtlinie (Richtlinie 2004/108/EG bzw. 2014/30/EU) oder der allgemeinen Produktsicherheitsrichtlinie 2001/95/EG.

Dessen ungeachtet dürfen sich die produktsicherheitsrechtlichen Wirtschaftsakteure wie namentlich Hersteller, Einführer und Händler nicht darauf verlassen, dass neben dem Druckgeräterecht keine weiteren Vorgaben des Produktsicherheitsrechts zu beachten sind: Auch wenn Druckgeräte im Sinne des Druckgeräterechts in Rede stehen, können daneben weitere Harmonisierungsrechtsvorschriften der Europäischen Union zur Anwendung gelangen. In der Praxis kommt dies schon deshalb nicht selten vor, weil sich das europäische und deutsche Druckgeräterecht mit einem ganz spezifischen Risiko befasst: dem Druckrisiko. Weil Druckgeräte bzw. Baugruppen naturgemäß auch andere Risiken in sich bergen, müssen hierfür andere Verordnungen oder Richtlinien der EU zur Anwendung gelangen.

Insgesamt handelt es sich beim Druckgeräterecht um eine Rechtsmaterie, die für die in der Bundesrepublik Deutschland bedeutsame Branche des Maschinen- und Anlagenbaus in Gestalt des Druckgerätesektors ebenso wie für die entsprechende Zulieferindustrie praktisch relevant ist.

Im Folgenden sollen zunächst das europäische (dazu Kap. 3.6.6.2) und sodann das deutsche Druckgeräterecht in seinen Grundzügen dargestellt werden (dazu Kap. 3.6.6.3). Aufgrund der Dominanz der europäischen Regelungen wird der Schwerpunkt dieses Beitrags allerdings auf dem europäischen Druckgeräterecht liegen.

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3.6.6.2 Europäisches Druckgeräterecht

3.6.6.2.1 Rechtsgrundlagen und Materialien

Zunächst werden die Rechtsgrundlagen in den Fokus des Interesses gerückt, die derzeit den Rahmen für das europäische Druckgeräterecht bilden, bevor auf die harmonisierten technischen Normen näher eingegangen wird. Einzugehen ist auf die das europäische Produktsicherheitsrecht prägenden Leitfäden bzw. Guides und damit auf die druckgeräterechtlichen Materialien.

Rechtsgrundlagen

Im Zentrum des europäischen Druckgeräterechts steht derzeit noch die europäische Richtlinie 97/23/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29.5.1997 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über Druckgeräte. Auch wenn inzwischen die Nachfolgerichtlinie 2014/68/EU im Amtsblatt der EU veröffentlicht wurde, wird die Richtlinie 97/23/EG erst mit Wirkung vom 19.7.2016 aufgehoben, Art. 50 Unterabs. 2 Richtlinie 2014/68/EU.

Aufgrund ihres sachlichen Anwendungsbereichs wird die Richtlinie 97/23/EG gemeinhin als EG-Druckgeräterichtlinie oder – noch kürzer – Druckgeräterichtlinie bezeichnet. Sie wurde erlassen, um Handelshemmnisse innerhalb der damaligen Europäischen Gemeinschaft (EG) zu beseitigen, da zuvor die Rechts- und Verwaltungsvorschriften innerhalb der EG-Mitgliedstaaten in Bezug auf Sicherheit, Gesundheitsschutz und gegebenenfalls Schutz von Haustieren und Gütern für europäisch nicht-harmonisierte Druckgeräte uneinheitlich waren. Hinzu kamen unterschiedliche Prüf- und Zulassungsverfahren für Druckgeräte innerhalb der EG. Im Hinblick auf das Ziel der Verwirklichung eines Binnenmarktes innerhalb der EG bzw. heute der EU, in dem eben auch nicht-tarifären Handelshemmnissen der Kampf angesagt werden soll, war dieser Zustand somit nicht länger haltbar. Dass im Druckgerätesektor derart unterschiedliche Bestimmungen Geltung beanspruchen konnten, lag in erster Linie daran, dass vorher bestehende Harmonisierungsrechtsvorschriften der EG den Druckgerätesektor nur sporadisch abgedeckt hatten. So galt etwa die Richtlinie 87/404/EWG nur für einfache Druckbehälter. Zudem war der Rahmenrichtlinie 76/767/EWG des Rates vom 27.6.1976 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über gemeinsame Vorschriften für Druckbehälter sowie über Verfahren zu deren Prüfung kein Erfolg beschieden. Mit dieser Richtlinie wurde eine nur fakultative Angleichung bezweckt, die sich in der Praxis als unzulänglich erwiesen hatte. Aus diesem Grund musste sie durch wirksame Harmonisierungsrechtsvorschriften der EG ersetzt werden.

Die Bestimmungen dieser Richtlinie sollten ab dem 29.11.1999 in den einzelnen Mitgliedstaaten angewendet werden, und zwar durch den Erlass entsprechender nationaler Umsetzungsakte. Im Sinne einer Übergangsbestimmung regelt Art. 20 Abs. 3 Richtlinie 97/23/EG, dass Druckgeräte bis  3.6.6 Europäisches und deutsches Druckgeräterecht – Seite 3 – 01.12.2014<<>>zum 29.5.1999 in Verkehr gebracht und in Betrieb genommen werden durften, wenn sie zum damaligen Zeitpunkt den nationalen Bestimmungen für Druckgeräte entsprachen.

Dass der Richtliniengeber hier die maßgebliche Frist auf den 29.5.1999 gesetzt hat, ist dem Umstand geschuldet, dass er zugleich eine Regelung traf, derzufolge die zur Umsetzung erforderlichen Rechts- und Verwaltungsvorschriften bis zum 29.5.1999 erlassen werden sollten, Art. 20 Abs. 1 Richtlinie 97/23/EG.

Nach alledem endeten die nationalen Möglichkeiten zur Regelung von Anforderungen an das Inverkehrbringen von Druckgeräten Ende 1999. Ab diesem Zeitpunkt bildete die Richtlinie 97/23/EG mit ihren produktsicherheitsrechtlichen Bestimmungen den Dreh- und Angelpunkt für das Inverkehrbringen von Druckgeräten innerhalb der EU.

Die EG-Druckgeräterichtlinie rechnet wie die Niederspannungsrichtlinie 2006/95/EG (dazu Kap. 3.6.3), die EMV-Richtlinie 2004/108/EG (dazu Kap. 3.6.4) oder die R&TTE-Richtlinie 1999/5/EG (dazu Kap. 3.6.5) zu jenen Richtlinien, die auf dem das europäische Produktsicherheitsrecht prägenden Neuen Konzept (engl. New Approach) beruhen.

Kennzeichnend für das europäische Produktsicherheitsrecht im Allgemeinen und damit auch für das europäische Druckgeräterecht im Besonderen ist zum einen die Prägung durch die Verordnung (EG) Nr. 765/2008 (die sogenannte Marktüberwachungsverordnung) und zum anderen das Zusammenspiel mit der Richtlinie 2001/95/EG (der sogenannten allgemeinen Produktsicherheitsrichtlinie). Die europäische Marktüberwachungsverordnung ist als zentraler Bestandteil des europäischen Maßnahmenpakets namens New Legislative Framework (im Folgenden »NLF«), mit der das Neue Konzept überarbeitet wurde, seit dem 1.1.2010 in all ihren Teilen verbindlich und gilt unmittelbar in allen – nach dem Beitritt Kroatiens am 1.7.2013 inzwischen – 28 EU-Mitgliedstaaten, vgl. Art. 288 Unterabs. 2 S. 2 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV). Der darin statuierte Rechtsrahmen für eine gemeinschaftliche Marktüberwachung und die Kontrolle von in den Gemeinschaftsmarkt eingeführten Produkten in Kapitel III gilt gemäß Art. 15 Abs. 1 VO (EG) Nr. 765/2008 »für Produkte, die unter Harmonisierungsrechtsvorschriften der Gemeinschaft fallen«. Weil Harmonisierungsrechtsvorschriften der Gemeinschaft wiederum gemäß Art. 2 Nr. 21 VO (EG) Nr. 765/2008 »Rechtsvorschriften der Gemeinschaft zur Harmonisierung der Bedingungen für die Vermarktung von Produkten« sind, lässt sich die Richtlinie 97/23/EG ohne Weiteres hierzu rechnen. Daraus folgt, dass die Richtlinie 97/23/EG derzeit von den Bestimmungen der Verordnung (EG) Nr. 765/2008überlagert wird. In der Folge muss z.B. der – für die Bestimmung des handlungsspezifischen Anwendungsbereichs der Richtlinie 97/23/EGzentrale Begriff des Inverkehrbringens, der in Art. 2 Abs. 1 Richtlinie 97/23/EG verwendet wird, im Lichte des Art. 2 Nr. 2 VO (EG) Nr. 765/2008 gelesen werden, weil dort definiert wird, was seit dem 1.1.2010 unter dem Rechtsbegriff »Inverkehrbringen« im europäischen Produktsicherheitsrecht zu verstehen ist.

 3.6.6 Europäisches und deutsches Druckgeräterecht – Seite 4 – 01.12.2014<<>>

Was sodann die allgemeine Produktsicherheitsrichtlinie 2001/95/EG anbelangt, gilt diese ausweislich ihres Art. 2 lit. a) für »jedes Produkt, das – auch im Rahmen einer Dienstleistung – für Verbraucher bestimmt ist oder unter vernünftigerweise vorhersehbaren Bedingungen von Verbrauchern benutzt werden könnte, selbst wenn es nicht für diese bestimmt ist«. Wenn und soweit ein vom Druckgeräterecht erfasstes Produkt folglich zugleich Verbraucherprodukt (B2C-Produkt; engl. Business-to-Consumer) im Sinne der Richtlinie 2001/95/EG ist, muss stets geprüft werden, ob nicht die Bestimmungen der Richtlinie 2001/95/EG ergänzend zur Anwendung gelangen.

Im Unterschied zum Niederspannungs-, EMV- und R&TTE-Recht sind Druckgeräte allerdings regelmäßig keine B2C-Produkte. Behälter oder Rohrleitungen sind typischerweise Produkte zur Anwendung in einem rein industriellen Umfeld. Gleichwohl kann es durchaus vorkommen, dass auch solche Produkte (gegebenenfalls im Einzelfall) über Vertriebskanäle vertrieben werden, die Endverbrauchern zugänglich sind. In diesem Fall ist ein Druckgerät ohne Weiteres Verbraucherprodukt im Sinne des europäischen Produktsicherheitsrechts. Denkbar ist hierbei insbesondere auch eine sogenannte Produktmigration: Hierunter wird das Phänomen verstanden, dass ein Produkt zunächst zwar für die Verwendung im rein gewerblichen Bereich bestimmt war, sodann aber auch in die Hände von Verbrauchern gelangt ist. Migrationsprodukte sind nach erfolgter Migration ebenso Verbraucherprodukte wie jene Produkte, die von Anfang an (allein) für den Gebrauch durch Verbraucher bestimmt waren.

Harmonisierte technische Normen

Technische Normen spielen auch im Druckgeräterecht eine herausgehobene Rolle. Dabei sind – entsprechend dem Neuen Konzept – die sogenannten harmonisierten Normen in den Fokus des Interesses zu rücken. Was unter einer harmonisierten Norm zu verstehen sein soll, wird in der EG-Druckgeräterichtlinie selbst nicht definiert. Maßgeblich ist seit dem 1.1.2010 die Definition des Rechtsbegriffs der harmonisierten Norm aus Art. 2 Nr. 9 VO (EG) Nr. 765/2008. Danach ist eine harmonisierte Norm »eine Norm, die von einem in Anhang I der Richtlinie 98/34/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. Juni 1998 über ein Informationsverfahren auf dem Gebiet der Normen und technischen Vorschriften und der Vorschriften für die Dienste der Informationsgesellschaft anerkannten europäischen Normungsgremien auf der Grundlage eines Ersuchens der Kommission nach Artikel 6 jener Richtlinie erstellt wurde«. Normungsrechtlich beachtlich ist zudem seit ihrem Inkrafttreten am 1.1.2013 die Verordnung (EU) Nr. 1025/2012 (sogenannte Normungsverordnung).

Die unter der Richtlinie 97/23/EG gelisteten harmonisierten Normen wurden zuletzt am 24.1.2014 im Amtsblatt der Europäischen Union veröffentlicht (2014/C 22/01). Die Liste kann unter dem folgenden Link abgerufen werden:

 3.6.6 Europäisches und deutsches Druckgeräterecht – Seite 5 – 01.09.2014<<>>

http://ec.europa.eu/enterprise/policies/european-standards/harmonised-standards/pressure-equipmentAndex_en.htm

Die dort aufgeführten harmonisierten Normen begründen im europäischen Druckgeräterecht entsprechend den Kernaussagen des zugrunde liegenden Neuen Konzepts die produktsicherheitsrechtliche Konformitätsvermutung bzw. Vermutungswirkung. Ausdrücklich ist dies in Art. 5 Abs. 2 Richtlinie 97/23/EG geregelt. Dort heißt es wie folgt:

»Stimmen die Druckgeräte und Baugruppen mit den nationalen Normen zur Umsetzung der harmonisierten Normen, deren Fundstellen im Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften veröffentlicht wurden, überein, so wird davon ausgegangen, dass die grundlegenden Anforderungen nach Artikel 3 erfüllt sind. Die Mitgliedstaaten veröffentlichen die Fundstellen der obengenannten nationalen Normen.«

Die Konformitätsvermutung speist sich vor diesem Hintergrund erst aus den nationalen »Spiegelnormen« (»DIN EN«), mit denen die europäischen Normen (»EN«) eins-zu-eins umgesetzt werden.

Leitlinien zur Druckgeräte Richtlinie 97/23/EG (DGRL) und Blue Guide

Ein hilfreiches und in der Praxis häufig zu Rate gezogenes Instrument zur Bewältigung von Rechtsfragen im Zusammenhang mit der Richtlinie 97/23/EG sind die – auch auf Englisch und Französisch herausgegebenen – »Leitlinien zur Druckgeräte Richtlinie 97/23/EG (DGRL)«. Sie werden fortlaufend aktualisiert und liegen derzeit in der Version 1.5. vom 20.3.2014 vor. Verantwortlich für die Herausgabe dieser Leitlinien zeichnet die Working Group »Pressure« (Arbeitsgruppe »Druck«). Diese Arbeitsgruppe, die auf Art. 17 Richtlinie 97/23/EG zurückgeht, besteht aus Vertretern der EU-Mitgliedstaaten, der europäischen Verbände, des Forums benannter Stellen und CEN, wobei den Vorsitz ein Vertreter der Dienststellen der Kommission führt.

Hervorzuheben ist, dass diese Leitlinien selbstredend keinen rechtsverbindlichen Charakter aufweisen. Vielmehr stellen die Leitlinien eine Bezugnahme dar, mit der eine einheitliche Anwendung der Richtlinie 97/23/EG sichergestellt werden soll. Für diese Einheitlichkeit im Vollzug soll auch dadurch Sorge getragen werden, dass die Leitlinien die übereinstimmende Meinung der EU-Mitgliedstaaten wiedergeben.

Die Guidelines behandeln die folgenden Themen:

  • Anwendungsbereich der Richtlinie und Ausnahmen

  • Einstufung und Kategorien

  • Baugruppen

  • Bewertungsverfahren

     3.6.6 Europäisches und deutsches Druckgeräterecht – Seite 6 – 01.09.2014<<>>
  • Grundlegende Anforderungen an den Entwurf

  • Grundlegende Anforderungen an die Fertigung

  • Grundlegende Anforderungen an Werkstoffe

  • Sonstige grundlegende Anforderungen

  • Verschiedenes

  • Allgemeines/Querschnittsthemen

Kennzeichnend für diese Leitlinien ist – im Unterschied zu zahlreichen anderen Leitlinien zu europäischen Harmonisierungsrechtsvorschriften – die Frage-Antwort-Form. Konkret werden in den einzelnen Leitlinien Fragen aufgeworfen, die sodann kurz und prägnant beantwortet werden. Zum besseren Verständnis sehen die Leitlinien noch jeweils eine (kurze) Begründung der Antwort vor. Gerade diese Begründungen versetzen den Leser in die Lage, die Leitlinien als belastbare Grundlage (ebenso für Marktüberwachungsmaßnahmen der Marktüberwachungsbehörden wie für Business-Entscheidungen der privaten Wirtschaftsakteure) anzuerkennen. Umgekehrt besteht die Möglichkeit, die Ergebnisse einzelner Leitlinien zurückzuweisen, wenn und weil die gegebenen Begründungen im Einzelfall nicht zu überzeugen vermögen, zumal die Leitlinien – wie dargestellt – nicht rechtsverbindlich sind.

In den Leitlinien wird immer wieder auch auf den – von der Europäischen Kommission herausgegebenen – »Leitfaden für die Umsetzung der nach dem neuen Konzept und dem Gesamtkonzept verfassten Richtlinien« (den sogenannten Blue Guide) aus dem Jahr 2000 verwiesen. In der Tat kann dieser »alte« Blue Guide nach wie vor hilfreiche Dienste bei der Auslegung der sogenannten New-Approach-Richtlinien wie z.B. der Richtlinie 97/23/EG leisten. Im Hinblick auf die Reform des europäischen Produktsicherheitsrechts in Gestalt des New Legislative Framework (NLF) im Jahr 2008 sollte jedoch stets geprüft werden, ob sich der Inhalt des Blue Guide mit den Bestimmungen des NLF (noch immer) in Einklang bringen lässt. Dies gilt insbesondere im Hinblick auf die unmittelbar anwendbare Marktüberwachungsverordnung aus dem Jahr 2008. Hinzu kommt, dass der Blue Guide aus dem Jahr 2000 inzwischen durch den »neuen« Blue Guide abgelöst worden ist. Die Europäische Kommission hat Anfang 2014 The 'Blue Guide' on the implementation of EU product rules als den »neuen« Blue Guide veröffentlicht. Bislang liegt dieser Guide nur auf Englisch vor.

Auf der folgenden Webseite der Europäischen Kommission kann der »neue« Blue Guide abgerufen werden:

http://ec.europa.eu/enterprise/policies/single-market-goods/documents/internal-market-for-products/new-legislative-framework/index_en.htm

Hinzuweisen ist neben den Leitlinien noch auf das Merkblatt zur EU-Richtlinie 97/23/EG, das vom Bayerischen Staatsministerium für Wirtschaft und Medien, Energie und Technologie herausgegeben wird (Stand: Januar 2014). Darin sind auf nunmehr elf Seiten praktisch wichtige Informationen zum europäischen und deutschen Druckgeräterecht zusammengefasst.

 3.6.6 Europäisches und deutsches Druckgeräterecht – Seite 7 – 01.09.2014<<>>

Das Merkblatt kann auf der folgenden Webseite des genannten Bayerischen Staatsministeriums abgerufen werden:

http://www.stmwi.bayern.de/service/publikationen/eu-produktpolitik/nc/cat/

Webseite der Europäischen Kommission

Schließlich ist auf die Webseite der Europäischen Kommission hinzuweisen, auf der unter dem Stichwort des Druckgerätesektors – auch auf Deutsch – Informationen über Druckgeräte, ortsbewegliche Druckgeräte und Aerosolverpackungen zusammengefasst werden. Abzurufen sind diese Informationen auf der folgenden Webseite:

http://ec.europa.eu/enterprise/sectors/pressure-and-gas/pressure-equipment/index_de.htm

3.6.6.2.2 Richtlinie zur vollständigen Harmonisierung

Die EG-Druckgeräterichtlinie 97/23/EG rechnet zu den sogenannten EU-Binnenmarktrichtlinien, die mit dem Inkrafttreten des Lissabon-Vertrages auf der Grundlage des Art. 114 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) erlassen werden (ehemals Art. 95 des EG-Vertrages). Art. 114 AEUV ist ein wichtiges europarechtliches Instrument zur Rechtsangleichung, da die Norm Mittel zum Zweck der Verwirklichung des europäischen Binnenmarkts ist.

Mit dem europäischen Druckgeräterecht hat der Richtliniengeber ausweislich der Erwägungsgründe zur Richtlinie 97/23/EG das Ziel verfolgt, »Hemmnisse für den freien Handel zu beseitigen«, indem Anforderungen festgelegt werden, »die für den freien Verkehr von Geräten, die in ihren Anwendungsbereich fallen, unerlässlich sind« [Erwägungsgrund (3) zur Richtlinie 97/23/EG]. Die Erfüllung der grundlegenden Sicherheitsanforderungen soll für die Gewährleistung der Sicherheit erforderlich sein [Erwägungsgrund (14) zur Richtlinie 97/23/EG]. In der EG-Druckgeräterichtlinie sind diese Anforderungen in Anhang I der Richtlinie 97/23/EG normiert.

Dementsprechend dürfen die EU-Mitgliedstaaten das Inverkehrbringen und die Inbetriebnahme von sachlich-inhaltlich von der EG-Druckgeräterichtlinie erfassten Druckgeräten und Baugruppen »nicht wegen druckbedingter Risiken verbieten, beschränken oder behindern, wenn diese den Anforderungen dieser Richtlinie entsprechen und mit der CE-Kennzeichnung versehen sind«, Art. 4 Abs. 1.1 Richtlinie 97/23/EG. Vor diesem Hintergrund gilt der freie Verkehr von Druckgeräten und Baugruppen.

Aufgrund des Übereinkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) gelten die Bestimmungen des europäischen Druckgeräterechts auch für die folgenden Staaten der Europäischen Freihandelsassoziation (EFTA):

 3.6.6 Europäisches und deutsches Druckgeräterecht – Seite 8 – 01.09.2014<<>>
  • Island

  • Liechtenstein

  • Norwegen

Dies ergibt sich auch aus der Leitlinie 10/2 der von der Europäischen Kommission herausgegebenen Leitlinien. Danach soll die EG-Druckgeräterichtlinie nicht für gebrauchte Druckgeräte gelten, die aus einem anderen Land des EWR importiert werden. In diesem Fall sollen nur die nationalen Bestimmungen des Empfängerstaates Geltung beanspruchen.

3.6.6.2.3 Der sachliche Anwendungsbereich der EG-Druckgeräterichtlinie: Druckgeräte

Im Folgenden soll der sachliche Anwendungsbereich der EG-Druckgeräterichtlinie zunächst positiv bestimmt werden, bevor auf die ausdrücklich aus dem Anwendungsbereich herausgenommenen Produkte einzugehen sein wird.

Druckgeräte

Das europäische Druckgeräterecht statuiert warenvertriebsrechtliche Anforderungen an das Inverkehrbringen und die Inbetriebnahme von Druckgeräten und Baugruppen. Dabei umfassen Druckgeräte auch alle an drucktragenden Teilen angebrachten Elemente wie z.B. Flansche, Stutzen, Kupplungen, Trageelemente oder Hebeösen.

Druckgeräte sind Behälter, Rohrleitungen, Ausrüstungsteile mit Sicherheitsfunktion und druckhaltende Ausrüstungsteile, Art. 1 Abs. 2.1 Richtlinie 97/23/EG. In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass Druckgeräte mit einem maximal zulässigen Druck (PS) von kleiner oder gleich 0,5 bar ausdrücklich aus dem Anwendungsbereich der Richtlinie 97/23/EG herausgenommen sind. Bei diesen Druckgeräten geht der Richtliniengeber ausweislich des Erwägungsgrunds (4) zur Richtlinie 97/23/EG davon aus, dass diese kein bedeutendes Druckrisiko aufweisen. Aus diesem Grund soll ihr freier Verkehr innerhalb der EU nicht behindert werden.

Behälter bezeichnet gemäß Art. 1 Abs. 2.1.1 Richtlinie 97/23/EG

»ein geschlossenes Bauteil, das zur Aufnahme von unter Druck stehenden Fluiden ausgelegt und gebaut ist, einschließlich der direkt angebrachten Teile bis hin zur Vorrichtung für den Anschluss an andere Geräte. Ein Behälter kann mehrere Druckräume aufweisen;«

Rohrleitungen wiederum sind gemäß Art. 1 Abs. 2.1.2 Richtlinie 97/23/EG

»zur Durchleitung von Fluiden bestimmte Leitungsbauteile, die für den Einbau in ein Drucksystem miteinander verbunden sind. Zu Rohrleitungen 3.6.6 Europäisches und deutsches Druckgeräterecht – Seite 9 – 01.09.2014<<>>zählen insbesondere Rohre oder Rohrsysteme, Rohrformteile, Ausrüstungsteile, Ausdehnungsstücke, Schlauchleitungen oder gegebenenfalls andere druckhaltende Teile. Wärmeaustauscher aus Rohren zum Kühlen oder Erhitzen von Luft sind Rohrleitungen gleichgestellt;«

Ausrüstungsteile mit Sicherheitsfunktion sind gemäß Art. 1 Abs. 2.1.3 Richtlinie 97/23/EG

»Einrichtungen, die zum Schutz des Druckgeräts bei einem Überschreiten der zulässigen Grenzen bestimmt sind. Diese Einrichtungen umfassen

  • Einrichtungen zur unmittelbaren Druckbegrenzung wie Sicherheitsventile, Berstscheibenabsicherungen, Knickstäbe, gesteuerte Sicherheitseinrichtungen (CSPRS) und

  • Begrenzungseinrichtungen, die entweder Korrekturvorrichtungen auslösen oder Abschalten und Sperren bewirken wie Druck-, Temperatur- oder Fluidniveauschalter sowie mess- und regeltechnische Schutzeinrichtungen (SRMCR);«

Schließlich sind druckhaltende Ausrüstungsteile gemäß Art. 1 Abs. 2.1.4 Richtlinie 97/23/EG

»Einrichtungen mit einer Betriebsfunktion, die ein druckbeaufschlagtes Gehäuse aufweisen«

Baugruppen

Druckgeräterechtlich werden auch Baugruppen sachlich erfasst. Baugruppen sind per definitionem »mehrere Druckgeräte, die von einem Hersteller zu einer zusammenhängenden funktionalen Einheit verbunden werden«, Art. 1 Abs. 2.1.5 Richtlinie 97/23/EG. Bei diesen Baugruppen kann es sich einerseits um einfache Baugruppen wie z.B. einen Schnellkochtopf und andererseits um komplexe Baugruppen wie einen Wasserrohrkessel handeln.

In diesem Zusammenhang ist auf den Erwägungsgrund (5) zur Richtlinie 97/23/EG hinzuweisen: Danach gilt die EG-Druckgeräterichtlinie zwar für solche Baugruppen, die vom Hersteller bestimmungsgemäß als Baugruppe – und nicht in Form der nicht zusammengebauten Bauteile – in Verkehr gebracht und in Betrieb genommen werden soll. Sie gilt aber nicht für den Zusammenbau von Druckgeräten, der auf dem Gelände des Anwenders – z.B. in Industrieanlagen – unter seiner Verantwortung erfolgt.

Ausnahmetatbestände

Sodann ist der Blick auf jene Produkte zu richten, die ausdrücklich aus dem Anwendungsbereich der 97/23/EG herausgenommen sind. Der Richtliniengeber hat diese Ausnahmetatbestände in Art. 1 Abs. 3 Richtlinie  3.6.6 Europäisches und deutsches Druckgeräterecht – Seite 10 – 01.09.2014<<>>97/23/EG formuliert. Danach soll das europäische Druckgeräterecht für einen Katalog von insgesamt nicht weniger als 20 Produkten ausdrücklich nicht gelten.

Hervorzuheben sind insbesondere die folgenden Produkte, die nicht von der EG-Druckgeräterichtlinie erfasst werden sollen:

  • Fernrohrleitungen,

  • Netze für die Versorgung, die Verteilung und den Abfluss von Wasser,

  • einfache Druckbehälter im Sinne der Richtlinie 2009/105/EG,

  • Geräte, die zum Betrieb von Fahrzeugen vorgesehen sind, welche von spezifischen Richtlinien erfasst werden,

  • Geräte, die höchstens unter die Kategorie I fielen und die z.B. von der EG-Maschinenrichtlinie 2006/42/EG oder der ATEX-Richtlinie 94/9/EG erfasst werden,

  • Druckgeräte, die aus einer flexiblen Umhüllung bestehen, z.B. aus Luftreifen, Luftkissen, Spielbälle oder aufblasbare Boote,

  • Flaschen und Dosen für kohlensäurehaltige Getränke, die für den Endverbrauch bestimmt sind,

  • Behälter für den Transport und den Vertrieb von Getränken mit einem Produkt aus Druck mal Volumen von bis zu 500 bar mal Liter und einem maximal zulässigen Druck von bis zu 7 bar und

  • Heizkörper und Rohrleitungen im Warmwasserheizsystem.

3.6.6.2.4 Die Anforderungen an das Inverkehrbringen und die Inbetriebnahme

Das europäische Recht der Druckgeräte und Baugruppen statuiert sowohl formelle als auch materielle Anforderungen an das Inverkehrbringen bzw. die Inbetriebnahme der sachlich erfassten Produkte (Druckgeräte und Baugruppen). Der grundlegende Unterschied zwischen den formellen und den materiellen Anforderungen besteht darin, dass sich die materiellen Anforderungen auf die Sicherheit des Produkts beziehen, wohingegen ein Verstoß gegen bloß formelles Recht nicht mit einer Sicherheitsrelevanz einhergeht. Aus einer brandschutzrechtlichen Perspektive sind damit die materiellen Anforderungen von übergeordnetem Interesse, weil sich die formellen Erfordernisse an das Inverkehrbringen und die Inbetriebnahme von vornherein nicht mit dem Aspekt des Brandschutzes befassen.

Auch wenn die Inbetriebnahme in der Richtlinie 97/23/EG erwähnt wird, herrscht gleichwohl Einigkeit, dass für die Eröffnung des handlungsspezifischen Anwendungsbereichs allein das Inverkehrbringen maßgeblich sein soll. Die Herstellung von Druckgeräten oder Baugruppen für den Eigengebrauch, die insbesondere im geltenden Maschinenrecht (Richtlinie  3.6.6 Europäisches und deutsches Druckgeräterecht – Seite 11 – 01.09.2014<<>>2006/42/EG) erfasst wird, ist mithin druckgeräterechtlich ohne Bedeutung, weil es insoweit an einem Inverkehrbringen fehlt.

Indem das Druckgeräterecht allein auf das Inverkehrbringen und nicht auch zugleich auf die Inbetriebnahme abstellt, entspricht es etwa dem europäischen Niederspannungsrecht (vgl. dazu Kap. 3.6.3.2.4). Im Unterschied dazu stehen – neben dem europäischen Maschinenrecht – z.B. das europäische EMV- und das europäische R&TTE-Recht, die beide sowohl das Inverkehrbringen als auch die Inbetriebnahme in Bezug nehmen (vgl. dazu Kap. 3.6.4.2.4 und 3.6.5.2.4). Unter dem Rechtsbegriff des Inverkehrbringens ist seit dem Geltungsbeginn der Marktüberwachungsverordnung am 1.1.2010 gemäß Art. 2 Nr. 2 VO (EG) Nr. 765/2008 »die erstmalige Bereitstellung eines Produkts auf dem Gemeinschaftsmarkt« zu verstehen. Bereitstellung auf dem Markt wiederum ist gemäß Art. 2 Nr. 1 VO (EG) Nr. 765/2008 »jede entgeltliche oder unentgeltliche Abgabe eines Produkts zum Vertrieb, Verbrauch oder zur Verwendung auf dem Gemeinschaftsmarkt im Rahmen einer Geschäftstätigkeit«.

Wenn und soweit die Anforderungen an das Inverkehrbringen von Druckgeräten und Baugruppen nicht ausnahmslos erfüllt werden und die Produkte dadurch »die Sicherheit von Personen und gegebenenfalls von Haustieren oder Gütern zu gefährden drohen«, müssen die EU-Mitgliedstaaten »alle zweckdienlichen Maßnahmen« treffen, »um diese Geräte aus dem Verkehr zu ziehen, das Inverkehrbringen oder die Inbetriebnahme zu verbieten oder den freien Verkehr hierfür einzuschränken«, Art. 8 Abs. 1 Unterabs. 1 Richtlinie 97/23/EG. Umgekehrt führt Product Compliance zum freien Warenverkehr für Druckgeräte und Baugruppen.

Formelle Anforderungen an das Inverkehrbringen

Was die formellen Anforderungen an das Inverkehrbringen von Druckgeräten und Baugruppen anbelangt, spielen Kennzeichnungsbestimmungen eine herausragende Rolle.

Im Druckgeräterecht regeln Art. 15 Richtlinie 97/23/EG sowie mehrere Abschnitte in Anhang I der Richtlinie 97/23/EG formelle Voraussetzungen für das Inverkehrbringen. Während sich Art. 15 Abs. 1, 2 Richtlinie 97/23/EG in Verbindung mit Anhang VI der Richtlinie 97/23/EG mit der CE-Kennzeichnung befasst, werden in Abschnitt 3.3. des Anhangs I der Richtlinie 97/23/EG Vorgaben zur Kennzeichnung und Etikettierung und in Abschnitt 3.4. des Anhangs I der Richtlinie 97/23/EG zur Betriebsanleitung gemacht.

Was die CE-Kennzeichnung anbelangt, sieht Art. 15 Abs. 1, 2 Richtlinie 97/23/EG die folgende Regelung vor:

(Abs. 1) »Die CE-Kennzeichnung besteht aus den Buchstaben >CE< mit dem in Anhang VI als Muster angegebenen Schriftbild. 3.6.6 Europäisches und deutsches Druckgeräterecht – Seite 12 – 01.09.2014<<>>

Der CE-Kennzeichnung folgt die in Artikel 12 Absatz 1 genannte Kennnummer der benannten Stelle, die in der Phase der Produktionsüberwachung eingeschaltet wird.«

(Abs. 2) »Die CE-Kennzeichnung ist sichtbar, deutlich lesbar und unauslöschlich anzubringen auf

  • Druckgeräten im Sinne von Artikel 3 Absatz 1 und

  • Baugruppen im Sinne von Artikel 3 Absatz 2

die fertig hergestellt sind oder sich in einem Zustand befinden, der die Abnahmeprüfung gemäß Anhang I Abschnitt 3.2 ermöglicht.«

Umgekehrt ist damit die CE-Kennzeichnung nicht auf jenen Druckgeräten bzw. Baugruppen anzubringen, die gemäß Art. 3 Abs. 3 Richtlinie 97/23/EG »höchstens die Grenzwerte nach den Nummern 1.1 bis 1.3 sowie Absatz 2 erreichen«.

Bei Baugruppen wiederum ist die CE-Kennzeichnung nicht auf jedem einzelnen der Druckgeräte anzubringen, aus denen sich eine Baugruppe zusammensetzt, Art. 15 Abs. 3 Richtlinie 97/23/EG.

In diesem Zusammenhang ist sodann darauf hinzuweisen, dass seit dem 1.1.2010 zusätzlich die Bestimmung in Art. 30 Abs. 1 VO (EG) Nr. 765/2008 zu beachten ist. Danach darf nur der Hersteller oder sein Bevollmächtigter die CE-Kennzeichnung anbringen.

Im Hinblick auf die Frage, wo die CE-Kennzeichnung anzubringen ist, ergibt sich die Stoßrichtung schon ohne Weiteres aus Art. 15 Abs. 2 Richtlinie 97/23/EG: Danach ist das Druckgerät bzw. die Baugruppe der Ort der Anbringung. Diese Lösung ist sachgerecht, da Druckgeräte bzw. Baugruppen ausreichend Raum für das Anbringen der CE-Kennzeichnung bieten. Konkretisiert wird der Ort der Anbringung schließlich durch die Regelung in Abschnitt 3.3. des Anhangs I der Richtlinie 97/23/EG. Dort wird ausdrücklich geregelt, dass die CE-Kennzeichnung entweder auf dem Druckgerät oder einem an ihm fest angebrachten Typenschild vorzunehmen ist. Ein Ausweichen auf ein Etikett ist zwar in Bezug auf die Angaben gemäß Abschnitt 3.3. lit. b) des Anhangs I der Richtlinie 97/23/EG zulässig. Die CE-Kennzeichnung rechnet aber nicht zu jenen Angaben.

Ein Druckgerät bzw. eine Baugruppe darf gemäß Art. 15 Abs. 5 Richtlinie 97/23/EG nicht mit anderen Kennzeichnungen versehen werden, durch die Dritte hinsichtlich der Bedeutung und des Schriftbildes der CE-Kennzeichnung irregeführt werden können. Bedeutung kann diese Vorgabe etwa für das genuin deutsche GS-Zeichen (dazu ausführlich Kap. 3.6.1.14) haben. Im Ergebnis besteht eine solche Verwechselungsgefahr indes nicht, und zwar weder graphisch-typologisch noch sachlich-inhaltlich, da das GS-Zeichen im Unterschied zur CE-Kennzeichnung ein echtes Qualitätszeichen und Gütesiegel ist.

 3.6.6 Europäisches und deutsches Druckgeräterecht – Seite 13 – 01.12.2014<<>>

Demgegenüber ist die Regelung in Anhang VI der Richtlinie 97/23/EG praktisch wenig bedeutsam; denn dort ist vor allem das Schriftbild der CE-Kennzeichnung geregelt.

Praktisch wichtig ist allerdings die Bestimmung in Abschnitt 3.3. des Anhangs I der Richtlinie 97/23/EG über die Kennzeichnung und Etikettierung. Danach sind alle Druckgeräte mit den folgenden Angaben zu versehen:

  • Name und Anschrift des Herstellers bzw. andere Angaben zu seiner Identifizierung und gegebenenfalls die seines in der EU ansässigen Bevollmächtigten

  • Herstellungsjahr

  • Angaben, die eine Identifizierung des Druckgeräts seiner Art entsprechend erlauben, wie Typ-, Serien- oder Loskennzeichnung, Fabrikationsnummer

  • Angaben über die wesentlichen zulässigen oberen/unteren Grenzwerte

Je nach Art des Druckgeräts sind weitere Angaben zu machen, wenn sie zur Gewährleistung der Sicherheit bei Montage, Betrieb, Benutzung und gegebenenfalls Wartung und regelmäßiger Überprüfung erforderlich sind. Hierzu rechnen gemäß Abschnitt 3.3. des Anhangs I der Richtlinie 97/23/EG etwa

  • das Druckgerätevolumen V in I,

  • die Nennweite DN für Rohrleitungen,

  • die Druckgeräteleistung in kW,

  • die Netzspannung in Volt,

  • die beabsichtigte Verwendung,

  • die Höchstfüllmasse in kg und

  • die Leermasse in kg.

Schließlich sind Warnhinweise auf den Druckgeräten anzubringen, falls dies im konkreten Fall erforderlich ist. Darin ist »auf Fälle unsachgemäßer Verwendung« hinzuweisen, »die erfahrungsgemäß möglich sind«, Abschnitt 3.3. lit. c) des Anhangs I der Richtlinie 97/23/EG.

Instruktiv müssen die Anforderungen aus Abschnitt 3.4. des Anhangs I der Richtlinie 97/23/EG erfüllt werden. Danach muss dem Druckgerät beim Inverkehrbringen eine Betriebsanleitung beigefügt werden, die alle sicherheitsrelevanten Informationen zu den folgenden Aspekten enthält:

  • Montage einschließlich Verbindung verschiedener Druckgeräte

  • Inbetriebnahme

  • Benutzung

  • Wartung einschließlich Inspektion durch den Benutzer

 3.6.6 Europäisches und deutsches Druckgeräterecht – Seite 14 – 01.12.2014<<>>

Sodann muss die Betriebsanleitung auch die Angaben beinhalten, die sich aus Abschnitt 3.3. des Anhangs I der Richtlinie 97/23/EG ergeben (mit Ausnahme der Serienkennzeichnung). Und schließlich muss gegebenenfalls auf die Gefahren einer unsachgemäßen Verwendung gemäß Abschnitt 1.3. des Anhangs I der Richtlinie 97/23/EG und auf die besonderen Merkmale des Entwurfs gemäß Abschnitt 2.2.3. des Anhangs I der Richtlinie 97/23/EG hingewiesen werden, Abschnitt 3.4. lit. c) des Anhangs I der Richtlinie 97/23/EG.

Abschließend ist die EG-Konformitätserklärung dem Druckgerät bzw. der Baugruppe bei Zugrundelegung der Richtlinie 97/23/EG nicht beizufügen; denn eine entsprechende Pflicht sieht insbesondere das Recht der Konformitätsbewertung in Anhang III der Richtlinie 97/23/EG nicht vor. So heißt es etwa bei der internen Fertigungskontrolle (Modul A), dass der Hersteller bzw. sein in der EU ansässiger Bevollmächtigter eine schriftliche Konformitätserklärung ausstellt (Nr. 1) und eine Kopie der EG-Konformitätserklärung zusammen mit den technischen Unterlagen aufbewahrt (Nr. 4). Davon, dass die EG-Konformitätserklärung beim Inverkehrbringen das Druckgerät bzw. die Baugruppe begleiten muss, ist demgegenüber keine Rede in der Richtlinie 97/23/EG. Abweichend hiervon statuiert der deutsche Gesetzgeber in § 4 Abs. 1 Nr. 1 der 14. ProdSV (Druckgeräteverordnung) sehr wohl eine Pflicht zur Zurverfügungstellung der EG-Konformitätserklärung im Zeitpunkt des Inverkehrbringens von Druckgeräten bzw. Baugruppen.

Materielle Anforderungen an das Inverkehrbringen

In Bezug auf die materiellen Anforderungen an das Inverkehrbringen von Druckgeräten sind die in Anhang I der Richtlinie 97/23/EG statuierten grundlegenden Sicherheitsanforderungen von elementarer Bedeutung; denn die von der EG-Druckgeräterichtlinie sachlich erfassten Druckgeräte und Baugruppen können gemäß Art. 3 Abs. 1 Richtlinie 97/23/EG nur dann rechtmäßig in Verkehr gebracht werden, wenn sie die grundlegenden Anforderungen eins-zu-eins erfüllen. Hinzu kommt die Voraussetzung gemäß Art. 2 Abs. 1 Richtlinie 97/23/EG, wonach Druckgeräte und Baugruppen »die Sicherheit und die Gesundheit von Personen und gegebenenfalls von Haustieren oder Gütern« nicht gefährden dürfen.

Keine Gefährdung der Sicherheit und Gesundheit von Personen, von Haustieren oder Gütern auch bei vorhersehbarer Verwendung

Produktsicherheitsrechtlicher Prüfungsmaßstab für Druckgeräte und Baugruppen ist auf den ersten Blick die angemessene Installierung und Wartung sowie die bestimmungsgemäße Verwendung; denn hierbei dürfen sie die in Art. 2 Abs. 1 Richtlinie 97/23/EG genannten Schutzgüter nicht gefährden.

Diese Sichtweise ist indes in mehreren Hinsichten verkürzt: Erstens darf nicht übersehen werden, dass die vorhersehbare Verwendung bzw. Fehlan- 3.6.6 Europäisches und deutsches Druckgeräterecht – Seite 15 – 01.12.2014<<>>wendung in Anhang I der Richtlinie 97/23/EG ausdrücklich angesprochen wird. Zweitens muss die Richtlinie 97/23/EG seit dem 1.1.2010 auch im Lichte der Verordnung (EG) Nr. 765/2008 ausgelegt werden: Abweichend von der Regelung in Art. 2 Abs. 1 Richtlinie 97/23/EG regelt Art. 16 Abs. 2 VO (EG) Nr. 765/2008, »dass unter Harmonisierungsrechtsvorschriften der Gemeinschaft fallende Produkte, die bei bestimmungsgemäßer Verwendung oder bei einer Verwendung, die nach vernünftigem Ermessen vorhersehbar ist, (…) die Gesundheit oder Sicherheit der Benutzer gefährden können (…), vom Markt genommen werden bzw. ihre Bereitstellung auf dem Markt untersagt oder eingeschränkt wird«. Im Wege des Umkehrschlusses aus Art. 16 Abs. 4 VO (EG) Nr. 765/2008 wird man zu dem Ergebnis gelangen müssen, dass der Verordnungsgeber damit auch alle jene europäisch-harmonisierten Produkte zu erfassen suchte, deren Sicherheit zuvor nur am Maßstab der bestimmungsgemäßen Verwendung zu messen war.

Im Ergebnis verlangt das geltende Druckgeräterecht die Sicherheit von Druckgeräten und Baugruppen auch bei einer vorhersehbaren Verwendung (Fehlanwendung).

Grundlegende Sicherheitsanforderungen

Die Erfüllung der grundlegenden Sicherheitsanforderungen ist ausweislich des Erwägungsgrunds (14) zur Richtlinie 97/23/EG für die Gewährleistung der Sicherheit von Druckgeräten wesentlich. Im Rahmen der grundlegenden Sicherheitsanforderungen gilt gemäß Anhang I folgende Gliederung:

  • Vorbemerkungen

  • Allgemeines (Abschnitt 1)

  • Entwurf (Abschnitt 2)

  • Fertigung (Abschnitt 3)

  • Werkstoffe (Abschnitt 4)

Im Anschluss daran werden spezifische Anforderungen für besondere Druckgerätearten statuiert, und zwar für:

  • befeuerte oder anderweitig beheizte überhitzungsgefährdete Druckgeräte gemäß Artikel 3 Abs. 1 (Abschnitt 5)

  • Rohrleitungen gemäß Artikel 3 Abs. 1.3 (Abschnitt 6)

  • besondere quantitative Anforderungen für bestimmte Druckgeräte (Abschnitt 7)

Die genannten grundlegenden Anforderungen können im Folgenden nicht im Einzelnen dargestellt werden. Auf die ebenfalls in Anhang I statuierten Aspekte der »Kennzeichnung und Etikettierung« (Abschnitt 3.3.) und der »Betriebsanleitung« (Abschnitt 3.4.) wurde im Übrigen schon oben bei  3.6.6 Europäisches und deutsches Druckgeräterecht – Seite 16 – 01.12.2014<<>>den formellen Anforderungen eingegangen: Auch wenn der Anhang I die Überschrift »Grundlegende Sicherheitsanforderungen« hat, regelt er somit nicht ausschließlich materielle, d.h. sicherheitsrelevante, Anforderungen. Aus der Fülle der Anforderungen aus Anhang I wird der Fokus im Folgenden auf praktisch besonders wichtige Aspekte gerichtet.

Vorbemerkungen

Wichtig ist zunächst die Pflicht des Herstellers zur Durchführung einer Gefahrenanalyse. Sie ist in Nr. 3 der Vorbemerkungen statuiert und dient dem Zweck, die mit dem Gerät verbundenen druckbedingten Gefahren zu ermitteln. Auslegung und Bau des Geräts müssen anschließend unter Berücksichtigung der Ergebnisse der Gefahrenanalyse erfolgen.

Der Stand der Technik wird in Nr. 4 der Vorbemerkungen ausdrücklich betont: Die grundlegenden Anforderungen aus Anhang I der Richtlinie 97/23/EG sind so zu interpretieren und anzuwenden, dass dem Stand der Technik und der Praxis zum Zeitpunkt der Konzeption und der Fertigung sowie den technischen und wirtschaftlichen Erwägungen Rechnung getragen wird. Ziel ist dabei, ein hohes Maß des Schutzes von Gesundheit und Sicherheit zu gewährleisten.

Als Stand der Technik wird allgemein der Entwicklungsstand fortschrittlicher Verfahren, Einrichtungen oder Betriebsweisen verstanden, der die praktische Eignung einer Maßnahme oder Vorgehensweise zum Schutz der Gesundheit und zur Sicherheit der Beschäftigten oder anderer Personen gesichert erscheinen lässt. Bei der Bestimmung des Stands der Technik sind insbesondere vergleichbare Verfahren, Einrichtungen oder Betriebsweisen heranzuziehen, die mit Erfolg in der Praxis erprobt worden sind.

Abzugrenzen ist der Stand der Technik zum einen von den allgemein anerkannten Regeln der Technik und zum anderen vom Stand von Wissenschaft und Technik. Was die Beschreibung der drei Technikstandards anbelangt, gilt eine sog. Drei-Stufen-Theorie. Danach sind auf der ersten (am wenigsten dynamischen) Stufe die allgemein anerkannten Regeln der Technik, auf der zweiten Stufe der Stand der Technik und auf der dritten (dynamischsten) Stufe der Stand von Wissenschaft und Technik angeführt.

Allgemein anerkannte Regeln der Technik liegen auf der ersten Stufe vor, wenn die technische Regel der Richtigkeitsüberzeugung der vorherrschenden Ansicht der technischen Fachleute entspricht (allgemeine wissenschaftliche Anerkennung) und zudem in der Praxis erprobt und bewährt ist (praktische Bewährung). Sowohl was die allgemeine wissenschaftliche Anerkennung als auch die praktische Bewährung anbetrifft, muss die jeweilige technische Regel der überwiegenden Ansicht der technischen Fachleute entsprechen. Hervorzuheben ist, dass zwischen den allgemein anerkannten Regeln der Technik und den bloß anerkannten Regeln der Technik kein Unterschied besteht.

 3.6.6 Europäisches und deutsches Druckgeräterecht – Seite 17 – 01.12.2014<<>>

Auf der dritten Stufe des Stands von Wissenschaft und Technik werden die neuesten technischen und wissenschaftlichen Erkenntnisse erfasst, sodass namentlich die wissenschaftliche Forschung beachtet werden muss. Kennzeichen für diesen Technikstandard ist die fehlende Begrenzung durch das gegenwärtig Realisierte und Machbare.

Aus einer produkthaftungsrechtlichen Perspektive gilt sogar der neueste Stand der Wissenschaft und Technik, wenn und soweit es um die Anforderungen an das konstruktive Design von Produkten geht. Ein Konstruktionsfehler gemäß § 3 Abs. 1 ProdHaftG soll nach der vom Bundesgerichtshof (BGH) im sog. »Airbag«-Urteil vom 16.6.2009 geäußerten Rechtsauffassung dann vorliegen, »wenn das Produkt schon seiner Konzeption nach unter dem gebotenen Sicherheitsstandard bleibt«. Was die Gewährleistung der erforderlichen Sicherheit anbelangt, »hat der Hersteller bereits im Rahmen der Konzeption und Planung des Produkts diejenigen Maßnahmen zu treffen, die zur Vermeidung einer Gefahr objektiv erforderlich und nach objektiven Maßstäben zumutbar sind«. Objektiv »erforderlich sind die Sicherungsmaßnahmen, die nach dem im Zeitpunkt des Inverkehrbringens des Produkts vorhandenen neuesten Stand der Wissenschaft und Technik konstruktiv möglich sind«. Ausdrücklich betont der BGH, dass der insoweit maßgebliche Stand der Wissenschaft und Technik nicht mit Branchenüblichkeit gleichgesetzt werden darf, weil »die in der jeweiligen Branche tatsächlich praktizierten Sicherheitsvorkehrungen (…) durchaus hinter der technischen Entwicklung und damit hinter den rechtlich gebotenen Maßnahmen zurückbleiben« können.

Allgemeines (Abschnitt 1)

Besondere Aufmerksamkeit verdienen die allgemeinen Ausführungen in Abschnitt 1 des Anhangs I der Richtlinie 97/23/EG. Die Gewährleistung der Sicherheit wird als Schutzziel besonders hervorgehoben, wenn in Abschnitt 1.1. darauf hingewiesen wird, dass Druckgeräte »so ausgelegt, hergestellt, überprüft und gegebenenfalls ausgerüstet und installiert sein [müssen], dass ihre Sicherheit gewährleistet ist, wenn sie im Einklang mit den Vorschriften des Herstellers oder unter nach vernünftigem Ermessen vorhersehbaren Bedingungen in Betrieb genommen werden.« Gesetzessystematisch in engem Zusammenhang hiermit steht die ebenfalls allgemeine Vorgabe, wonach im Falle der Kenntnis oder der Vorhersehbarkeit einer unsachgemäßen Verwendung »die Druckgeräte so auszulegen [sind], dass der Gefahr aus einer derartigen Benutzung vorgebeugt wird oder, falls dies nicht möglich ist, vor einer unsachgemäßen Benutzung des Druckgeräts in angemessener Weise gewarnt wird.«

Druckgeräterechtlich werden hier mithin sowohl die bestimmungsgemäße Verwendung als auch die vorhersehbare Verwendung (Fehlanwendung) als rechtlich relevanter Prüfungsmaßstab in Bezug genommen.

Was die auszuwählenden Lösungen anbelangt, gilt – wie im europäischen Maschinenrecht – die Drei-Stufen-Methode bzw. das Drei-Stufen-Prinzip:

 3.6.6 Europäisches und deutsches Druckgeräterecht – Seite 18 – 01.12.2014<<>>

Die folgenden Grundsätze sind im Sinne einer Hierarchie der Schutzmaßnahmen in der angegebenen Reihenfolge zu beachten:

  • Beseitigung oder Verminderung der Gefahren, soweit dies nach vernünftigem Ermessen möglich ist (1. Stufe)

  • Anwendung von geeigneten Schutzmaßnahmen gegen nicht zu beseitigende Gefahren (2. Stufe)

  • gegebenenfalls Unterrichtung der Benutzer über die Restgefahren und Hinweise auf geeignete besondere Maßnahmen zur Verringerung der Gefahren bei der Installation und/oder der Benutzung (3. Stufe)

Mit der 1. Stufe wird der Grundsatz der Integration der Sicherheit implementiert, der somit oberste Priorität hat. Erst auf der 2. Stufe kommen (technische) Schutzmaßnahmen ins Spiel, wohingegen die Benutzerinformationen namentlich durch die Betriebsanleitung gemäß Abschnitt 3.4. des Anhangs I der Richtlinie 97/23/EG den Abschluss auf der 3. Stufe bilden.

Praktisch wichtig ist die Frage, ob der Grundsatz der Integration der Sicherheit (= 1. Stufe) auch für die vorhersehbare Fehlanwendung Geltung beansprucht oder in diesem Bereich Instruktionen (= 3. Stufe) ausreichend sind. In der produktsicherheitsrechtlichen Literatur wird die vergleichbare Bestimmung aus der Richtlinie 2006/42/EG (so genannte EG-Maschinenrichtlinie) so verstanden, dass damit keineswegs ein Vorrang der Konstruktion vor der Instruktion im Bereich der vorhersehbaren Fehlanwendung einhergehe. Für eine Übertragung dieser Überlegungen auf das Druckgeräterecht spricht, dass der Vorrang der 1. Stufe ausdrücklich an das Korrektiv vernünftigen Ermessens gekoppelt ist. Im Übrigen kann sich diese Sichtweise darauf berufen, dass auch im allgemeinen Produktsicherheitsrecht kein Primat sicherheitsgerechter Konstruktion gilt. Gleichwohl darf nicht übersehen werden, dass der Wortlaut der genannten Bestimmungen aus der Richtlinie 97/23/EG auch Raum für eine Sichtweise bietet, wonach der Grundsatz der Integration der Sicherheit für die vorhersehbare Fehlanwendung gilt.

Entwurf (Abschnitt 2)

Was die Entwurfsphase anbelangt, sind Druckgeräte »unter Berücksichtigung aller für die Gewährleistung der Geräte während ihrer gesamten Lebensdauer entscheidenden Faktoren fachgerecht zu entwerfen« (Abschnitt 2.1. des Anhangs I der Richtlinie 97/23/EG).

Fertigung (Abschnitt 3)

In Bezug auf die Fertigung in Abschnitt 3 des Anhangs I der Richtlinie 97/23/EG wird zunächst das Fertigungsverfahren näher konturiert. Dort heißt es wie folgt:

 3.6.6 Europäisches und deutsches Druckgeräterecht – Seite 19 – 01.12.2014<<>>

»Der Hersteller muss die sachkundige Ausführung der in der Entwurfsphase festgelegten Maßnahmen gewährleisten, indem er geeignete Techniken und entsprechende Verfahren anwendet;«

Sodann ist auf die Abnahme hinzuweisen, die in Abschnitt 3.2. geregelt ist. Die Abnahme besteht stets aus einer

  • Schlussprüfung gemäß Abschnitt 3.2.1. und einer

  • Druckprüfung gemäß Abschnitt 3.2.2.

Was die Schlussprüfung anbelangt, wird durch eine Sichtkontrolle und eine Prüfung der zugehörigen Unterlagen überprüft, ob die Anforderungen der EG-Druckgeräterichtlinie erfüllt werden. Die Druckprüfung wiederum ist eine Druckfestigkeitsprüfung.

Bei Baugruppen kommt schließlich noch eine Prüfung der Ausrüstungsteile mit Sicherheitsfunktion hinzu (Abschnitt 3.2.3.).

3.6.6.2.5 Ausstellen bei Messen, Ausstellungen und Vorführungen

Anders als das europäische Niederspannungsrecht (dazu ausführlich Kap. 3.6.3) regelt das europäische Druckgeräterecht ausdrücklich das Ausstellen von Druckgeräten und Baugruppen, die den Bestimmungen der Richtlinie 97/23/EG nicht vollumfänglich entsprechen, bei Messen, Ausstellungen und Vorführungen.

Das Ausstellen von Druckgeräten und Baugruppen bei den genannten Veranstaltungen ist gemäß Art. 2 Abs. 3 Richtlinie 97/23/EG rechtlich zulässig, wenn ein sichtbares Schild deutlich auf den Umstand der fehlenden Konformität mit der EG-Druckgeräterichtlinie und darauf hinweist, dass das betreffende Erzeugnis erst dann erworben werden kann, wenn der Hersteller oder sein Bevollmächtigter die Übereinstimmung hergestellt hat.

Im Falle einer Vorführung sind zudem insbesondere die geeigneten Sicherheitsmaßnahmen zu treffen, um den Schutz von Personen zu gewährleisten.

3.6.6.2.6 Die Konformitätsvermutung

Die das Neue Konzept kennzeichnende Konformitätsvermutung oder Vermutungswirkung ist in Art. 5 Richtlinie 97/23/EG geregelt. Danach kann die Konformitätsvermutung erstens aus der Kombination von CE-Kennzeichnung und EG-Konformitätserklärung (Abs. 1) und zweitens aus nationalen »Spiegelnormen« von europäisch-harmonisierten Normen (Abs. 2) abgeleitet werden.

 3.6.6 Europäisches und deutsches Druckgeräterecht – Seite 20 – 01.12.2014<<>>

Art. 5 Abs. 1, 2 Richtlinie 97/23/EG lautet wie folgt:

(Abs. 1) »Die Mitgliedstaaten gehen davon aus, dass Druckgeräte und Baugruppen, die mit der CE-Kennzeichnung gemäß Artikel 15 und der Konformitätserklärung gemäß Anhang VII versehen sind, sämtliche Bestimmungen dieser Richtlinie erfüllen, einschließlich der in Artikel 10 vorgesehenen Konformitätsbewertung.«

(Abs. 2) »Stimmen die Druckgeräte und Baugruppen mit den nationalen Normen zur Umsetzung der harmonisierten Normen, deren Fundstellen im Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften veröffentlicht wurden, überein, so wird davon ausgegangen, dass die grundlegenden Anforderungen nach Artikel 3 erfüllt sind. Die Mitgliedstaaten veröffentlichen die Fundstellen der obengenannten nationalen Normen.«

Was die produktsicherheitsrechtliche Konformitätsvermutung gemäß Art. 5 Abs. 2 Richtlinie 97/23/EG anbelangt, hat der Richtliniengeber deutlich gemacht, dass sie nicht schon aus der im Amtsblatt der EU veröffentlichten harmonisierten Norm (EN) folgt, sondern erst mit der ersten nationalen »Spiegelnorm« (z.B. DIN EN) beansprucht werden kann. Dabei spielt im Übrigen keine Rolle, in welchem der inzwischen 28 EU-Mitgliedstaaten der erste nationale Umsetzungsakt in Kraft tritt. Einen aktuellen Überblick über die unter der Richtlinie 97/23/EG gelisteten Normen bietet die Mitteilung der Kommission 2014/C 22/01 (dazu oben Kap. 3.6.6.2.1).

Der Liste lässt sich ohne Weiteres entnehmen, dass die harmonisierten Normen im Bereich des europäischen Druckgeräterechts allein von der europäischen Normungsorganisation namens CEN (Europäisches Komitee für Normung) erarbeitet werden.

Prägend für das Neue Konzept ist die Möglichkeit, den Nachweis für die Einhaltung der grundlegenden Sicherheitsanforderungen auch auf andere Art und Weise zu erbringen.

3.6.6.2.7 Das Konformitätsbewertungsverfahren

Das Recht der Konformitätsbewertung ist in Art. 10 Richtlinie 97/23/EG in Verbindung mit Anhang III der Richtlinie 97/23/EG statuiert. Dabei bestimmt sich das anwendbare Konformitätsbewertungsverfahren nach der Kategorie, in der das Gerät gemäß Art. 9 Richtlinie 97/23/EG eingestuft wird. Bei der Einstufung gemäß Art. 9 Richtlinie 97/23/EG werden die Druckgeräte gemäß Art. 3 Abs. 1 Richtlinie 97/23/EG (und damit umgekehrt nicht die Druckgeräte gemäß Art. 3 Abs. 3 Richtlinie 97/23/EG) entsprechend ihrem Gefahrenpotential in die vier folgenden Kategorien eingestuft:

  • Kategorie I

  • Kategorie II

     3.6.6 Europäisches und deutsches Druckgeräterecht – Seite 21 – 01.12.2014<<>>
  • Kategorie III

  • Kategorie IV

Dabei weisen Druckgeräte der Kategorie I das geringste und Druckgeräte der Kategorie IV das höchste Gefahrenpotential auf.

Für die Einstufung der Druckgeräte sind der maximal zulässige Druck PS, das für sie maßgebliche Volumen V bzw. die Nennweite DN und die Gruppe der Fluide, für die sie bestimmt sind, relevant.

Druckgeräterechtlich wird abhängig von der ermittelten Kategorie eine Vielzahl von Konformitätsbewertungsverfahren zur Verfügung gestellt. Im Einzelnen kommen

  • bei der Kategorie I das Modul A,

  • bei der Kategorie II die Module A1, D1 und E1,

  • bei der Kategorie III die Module B1+D, B1+F, B+E, B+C1 und H und

  • bei der Kategorie IV die Module B+D, B+F, G und H1

in Betracht. Dabei kann sich der Hersteller im Falle mehrerer zur Auswahl stehender Verfahren selbst für ein Modul entscheiden, Art. 10 Abs. 1.4 Richtlinie 97/23/EG. Stets kann der Hersteller auch ein Konformitätsbewertungsverfahren auswählen, das für eine höhere Kategorie vorgesehen ist.

3.6.6.2.8 Das Verhältnis zu anderen Richtlinien des Neuen Konzepts

Druckgeräte und Baugruppen, die unter die EG-Druckgeräterichtlinie 97/23/EG fallen, können daneben auch noch von anderen New Approach-Richtlinien bzw. von anderen europäischen Harmonisierungsrechtsvorschriften sachlich erfasst werden. So kann es z.B. vorkommen, dass Druckgeräte und Baugruppen neben der Richtlinie 97/23/EG auch die Anforderungen der EG-Maschinenrichtlinie 2006/42/EG erfüllen müssen. Mit der CE-Kennzeichnung des jeweiligen Geräts wird in diesem Szenario entsprechend zum Ausdruck gebracht, dass sämtliche anwendbaren CE-Richtlinien beachtet, d.h. deren Anforderungen eingehalten wurden, vgl. Art. 15 Abs. 4 Unterabs. 1 Richtlinie 97/23/EG. Von Interesse ist zudem das Verhältnis der EG-Druckgeräterichtlinie zur Richtlinie 94/9/EG (so genannte Atex-Richtlinie), zur Richtlinie 2009/105/EG über einfache Druckbehälter und zur Richtlinie 2001/95/EG (so genannte allgemeine Produktsicherheitsrichtlinie).

Das Verhältnis zur EG-Maschinenrichtlinie 2006/42/EG

Als in hohem Maße praktisch relevant erweist sich das Verhältnis zwischen der EG-Druckgeräterichtlinie 97/23/EG und der EG-Maschinenrichtlinie 2006/42/EG.

 3.6.6 Europäisches und deutsches Druckgeräterecht – Seite 22 – 01.12.2014<<>>

Rechtlicher Ausgangspunkt zur Klärung des Verhältnisses vom europäischen Druckgeräte- zum Maschinenrecht ist aus einer druckgeräterechtlichen Perspektive Art. 1 Abs. 3.6 Richtlinie 97/23/EG. Danach sollen Geräte, die nach Art. 9 Richtlinie 97/23/EG höchstens unter die Kategorie I fielen und die von der Richtlinie 89/392/EWG, das ist eine Vorgängerrichtlinie zur EG-Maschinenrichtlinie 2006/42/EG, erfasst werden, nicht unter das europäische Druckgeräterecht fallen. Diese Geräte sollen mithin allein am Maßstab des europäischen Maschinenrechts zu messen sein.

Wenn man sich der Abgrenzungsfrage hingegen von der maschinenrechtlichen Seite annähert, ergibt sich ein abweichendes Bild: In Art. 3 Richtlinie 2006/42/EG ist statuiert, dass die EG-Maschinenrichtlinie für Maschinen und Gefährdungen nicht bzw. ab dem Beginn der Anwendung dieser anderen Richtlinien nicht mehr gilt, wenn die in Anhang I genannten, von einer Maschine ausgehenden Gefährdungen ganz oder teilweise von anderen Gemeinschaftsrichtlinien genauer erfasst werden. Mit anderen Worten zieht das europäische Maschinenrecht seinen Geltungsanspruch zurück, wenn und soweit spezifische Gefährdungen in anderen europäischen Harmonisierungsrechtsvorschriften spezieller geregelt sind. Was die hier interessierenden spezifischen Druckrisiken einer Maschine anbelangt, verweist Art. 3 Richtlinie 2006/42/EG mithin in das europäische Druckgeräterecht, und zwar unabhängig von der Kategorie (I-IV) des jeweiligen Druckgeräts.

Vor dem geschilderten Hintergrund existieren somit unvereinbare Vorgaben zur Bestimmung des Verhältnisses der Richtlinien 97/23/EG und 2006/42/EG. In der Praxis behilft man sich mit dem – nicht rechtsverbindlichen – Leitfaden für die Anwendung der Maschinenrichtlinie 2006/42/EG, der von der Europäischen Kommission herausgegeben wird. Dort wird die druckgeräterechtliche Lösung bevorzugt: Druckgeräte, die nicht höher als in Kategorie I eingestuft sind und in Maschinen eingebaut werden, die in den Anwendungsbereich der EG-Maschinenrichtlinie fallen, sind und bleiben danach aus dem Anwendungsbereich der Richtlinie 97/23/EG herausgenommen. Art. 3 Richtlinie 2006/42/EG findet mithin insoweit keine Anwendung. Diese Abgrenzungsformel gilt im Übrigen auch für solche Druckgeräte der Kategorie I, die einzeln in Verkehr gebracht werden, wenn sie dazu bestimmt sind, zum Teil einer Maschine zu werden.

Bei Druckgeräten der Kategorien II–IV kommt es dementsprechend zur parallelen Anwendbarkeit der Richtlinien 97/23/EG und 2006/42/EG.

Das Verhältnis zur Atex-Richtlinie 94/9/EG

Wenn und weil Druckgeräte und Baugruppen zugleich Geräte und Schutzsysteme zur bestimmungsgemäßen Verwendung in explosionsgefährdeten Bereichen im Sinne des Art. 1 Abs. 1 Richtlinie 94/9/EG sein können, muss das Verhältnis der EG-Druckgeräterichtlinie 97/23/EG zur so genannten Atex-Richtlinie 94/9/EG geklärt werden.

 3.6.6 Europäisches und deutsches Druckgeräterecht – Seite 23 – 01.12.2014<<>>

Maßgeblich für die Abgrenzung ist die Regelung in Art. 1 Abs. 3.6 Richtlinie 97/23/EG. Danach fallen Geräte, die nach Art. 9 Richtlinie 97/23/EG höchstens unter die Kategorie I fielen und die von der Richtlinie 94/9/EG erfasst werden, unter die Atex-Richtlinie. Im Umkehrschluss finden die beiden Richtlinien parallele Anwendung, wenn Druckgeräte und Baugruppen der Kategorien II–IV in Rede stehen.

Das Verhältnis zur Richtlinie 2009/105/EG über einfache Druckbehälter

In der Richtlinie 2009/105/EG werden die Anforderungen an das Inverkehrbringen von einfachen Druckbehältern statuiert. Gemäß Art. 1 Abs. 1 Richtlinie 2009/105/EG findet sie Anwendung auf serienmäßig hergestellte einfache Druckbehälter.

Unter einem einfachen Druckbehälter bzw. einem Behälter wird jeder geschweißte Behälter verstanden, »der einem relativen Innendruck von mehr als 0,5 bar ausgesetzt und zur Aufnahme von Luft oder Stickstoff bestimmt ist, jedoch keiner Flammenwirkung ausgesetzt wird«, Art. 1 Abs. 3 lit. a) Richtlinie 2009/105/EG.

Was das Verhältnis der Richtlinie 2009/105/EG zur EG-Druckgeräterichtlinie anbelangt, gilt die klare Bestimmung in Art. 1 Abs. 3.3 Richtlinie 97/23/EG: Danach gilt die EG-Druckgeräterichtlinie nicht für einfache Druckbehälter im Sinne der Richtlinie 2009/105/EG.

Das Verhältnis zur Richtlinie 2001/95/EG

Demgegenüber ist die – ansonsten oftmals schwierige – Abgrenzung zur allgemeinen Produktsicherheitsrichtlinie 2001/95/EG mit Blick auf die EG-Druckgeräterichtlinie 97/23/EG praktisch weniger bedeutsam. Dies liegt daran, dass Druckgeräte und Baugruppen in der Regel keine Produkte im Sinne des Art. 2 lit. a) Richtlinie 2001/95/EG sind. Denn Produkt in diesem Sinne ist – neben anderen Voraussetzungen – »jedes Produkt, das – auch im Rahmen der Erbringung einer Dienstleistung – für Verbraucher bestimmt ist oder unter vernünftigerweise vorhersehbaren Bedingungen von Verbrauchern benutzt werden könnte, selbst wenn es nicht für diese bestimmt ist«. Kurz gesagt handelt es sich um Verbraucherprodukte.

In welchen Fällen die allgemeine Produktsicherheitsrichtlinie 2001/95/EG neben speziellerem Inverkehrbringensrecht (wie z.B. der EG-Niederspannungsrichtlinie 2006/95/EG oder der EG-Spielzeugrichtlinie 2009/48/EG) zur Anwendung gelangt, regelt Art. 1 Abs. 2 Unterabs. 1 Richtlinie 2001/95/EG wie folgt:

»Die Richtlinie findet auf alle in Artikel 2 Buchstabe a) definierten Produkte Anwendung. Jede Vorschrift dieser Richtlinie gilt insoweit, als es im Rahmen gemeinschaftlicher Rechtsvorschriften keine spezifischen 3.6.6 Europäisches und deutsches Druckgeräterecht – Seite 24 – 01.12.2014<<>>Bestimmungen über die Sicherheit der betreffenden Produkte gibt, mit denen dasselbe Ziel verfolgt wird.«

In Art. 1 Abs. 2 Unterabs. 2 Richtlinie 2001/95/EG wird diese allgemeine Regelung noch weiter ausdifferenziert, und zwar in Bezug auf die Anwendbarkeit der Art. 2 lit. b)–c), 3, 4 Richtlinie 2001/95/EG einerseits, in Bezug auf die Anwendbarkeit der Art. 5–18 Richtlinie 2001/95/EG andererseits.

Entscheidend ist danach stets die Frage, ob das speziellere Inverkehrbringensrecht spezifische Rechtsvorschriften bzw. Bestimmungen vorhält. Spezifisch bedeutet gewiss, dass die Anforderungen entsprechend oder weitergehend sein können; spezifisch bedeutet allerdings auch, dass die speziellen Anforderungen hinter den allgemeinen Anforderungen der allgemeinen Produktsicherheitsrichtlinie 2001/95/EG zurückbleiben können, mit der Folge, dass der Rückgriff auf die Richtlinie 2001/95/EG nicht zulässig ist.

Was im Einzelfall spezifisch ist und was nicht, ist mitunter naturgemäß schwierig zu beurteilen. Einigkeit besteht dahingehend, dass im Falle einer ausbleibenden Regelung im spezielleren Gesetz (Schweigen des Richtliniengebers) auf die allgemeine Produktsicherheitsrichtlinie 2001/95/EG zurückgegriffen werden kann.

3.6.6.3 Deutsches Druckgeräterecht

Das deutsche Druckgeräterecht ist Gegenstand der Vierzehnten Verordnung zum Produktsicherheitsgesetz (Drückgeräteverordnung – 14. ProdSV) vom 27.9.2002. Anders als das EMV- und R&TTE-Recht fand das deutsche Druckgeräterecht somit – wie z.B. das Niederspannungsrecht – Eingang in eine Verordnung zum ProdSG.

Die Druckgeräteverordnung besteht aus nur acht Paragraphen. Der Grund hierfür liegt vor allem darin, dass auf die richtlinienrechtlichen Inhalte aus den Anhängen zur Richtlinie 97/23/EG verwiesen wird: So gelten zwar die grundlegenden Sicherheitsanforderungen aus Anhang I der Richtlinie 97/23/EG auch in der Druckgeräteverordnung; dort hat es in § 3 Abs. 1 der 14. ProdSV aber mit einem Verweis auf Anhang I der Richtlinie 97/23/EG sein Bewenden.

Die Druckgeräteverordnung ist der deutsche Umsetzungsakt der EG-Druckgeräterichtlinie 97/23/EG. Aufgrund dessen sind die Unterschiede zwischen europäischer EG-Druckgeräterichtlinie 97/23/EG und deutscher Druckgeräteverordnung naturgemäß gering. Im Folgenden ist der Fokus daher insbesondere auf jene rechtlichen Aspekte zu richten, die ohne Vorbild auf europäischer Ebene sind und daher genuin deutsches Druckgeräterecht darstellen.

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3.6.6.3.1 Der sachliche Anwendungsbereich der 14. ProdSV: Neue Druckgeräte oder Baugruppen

Die Druckgeräteverordnung gilt gemäß § 1 Abs. 1 für »die Bereitstellung auf dem Markt von neuen Druckgeräten und Baugruppen mit einem maximal zulässigen Druck von über 0,5 bar«. Aufgrund dieser Regelung hat der deutsche Gesetzgeber dafür gesorgt, dass nicht nur (und damit eben abweichend vom europäischen Druckgeräterecht) das Inverkehrbringen, also die erstmalige Bereitstellung eines Druckgeräts oder einer Baugruppe auf dem Markt, am Maßstab der Druckgeräteverordnung zu messen ist, sondern darüber hinaus sämtliche Abgabeprozesse in der Liefer- und Vertriebskette (z.B. die Abgabe vom Großhändler an den Zwischenhändler, der es wiederum an den Einzelhändler weiterreicht). Erst in dem Zeitpunkt, in dem das Druckgerät bzw. die Baugruppe in Betrieb genommen und damit erstmals ge- und benutzt wird, wird aus dem vormals neuen Gerät ein altes oder gebrauchtes Gerät. Die etwaige Abgabe dieses gebrauchten Druckgeräts bzw. dieser gebrauchten Baugruppe ist mithin nicht mehr am Maßstab der Druckgeräteverordnung zu messen.

3.6.6.3.2 Die Anwendbarkeit von § 3 Abs. 1, 2 ProdSG

Aus einer rechtsdogmatischen, am ProdSG orientierten Perspektive ergibt sich vor diesem Hintergrund folgendes Bild: Wer ein Druckgerät oder eine Baugruppe auf dem Markt bereitzustellen beabsichtigt, muss die Anforderungen aus § 3 Abs. 1 ProdSG in Verbindung mit der 14. ProdSV (= Druckgeräteverordnung) beachten, wenn und soweit das Gerät neu ist. Wichtig ist sodann die Rechtslage, wenn z.B. nach der ersten Abgabe in der Liefer- bzw. Vertriebskette eine Rechtsänderung eintritt. Das durch das ProdSG abgelöste Geräte- und Produktsicherheitsgesetz (GPSG) hat diese Rechtsfrage noch klar und eindeutig geregelt: Unabhängig davon, ob es sich bei dem in Rede stehenden Produkt um ein technisches Arbeitsmittel oder um ein Verbraucherprodukt gehandelt habe, sollte stets »die Rechtslage im Zeitpunkt seines erstmaligen Inverkehrbringens in den Europäischen Wirtschaftsraum« gelten, § 4 Abs. 3 S. 1, 2 GPSG. Diese Regelung hat der Gesetzgeber nicht in das ProdSG übernommen: Ausweislich der Gesetzesbegründung zum ProdSG habe sie sich zwar bewährt; sie sei aber immer stark erklärungsbedürftig gewesen. Die neue Bestimmung des § 3 Abs. 2 S. 3 ProdSG sei weitaus besser verständlich und verfolge das gleiche Ziel. Entscheidend ist vor diesem Hintergrund der in der Gesetzesbegründung deutlich zum Ausdruck kommende Wille des Gesetzgebers, an die alte und bewährte Rechtslage unter dem GPSG anzuknüpfen. Danach bleibt es auch unter dem ProdSG dabei, dass die maßgebliche Rechtslage jene im Zeitpunkt des erstmaligen Inverkehrbringens in den Europäischen Wirtschaftsraum ist. Nachträgliche Rechtsänderungen führen nicht dazu, dass das nach wie vor neue Druckgerät oder die neue Baugruppe etwa um- oder nachgerüstet werden müsste, um im Einklang mit den geltenden Anforderungen des nationalen Produktsicherheitsrechts auf dem Markt bereitgestellt zu werden.

 3.6.6 Europäisches und deutsches Druckgeräterecht – Seite 26 – 01.09.2015<<>>

Sobald ein Produkt auf dem Markt bereitgestellt werden soll, das nicht mehr neu (und damit alt oder besser: gebraucht) ist, ergibt sich der produktsicherheitsrechtliche Maßstab aus § 3 Abs. 2 ProdSG. Das gebrauchte Druckgerät bzw. die gebrauchte Baugruppe darf daher nur dann auf dem Markt bereitgestellt werden, »wenn es bei bestimmungsgemäßer oder vorhersehbarer Fehlanwendung die Sicherheit und Gesundheit von Personen nicht gefährdet«. Der 14. ProdSV kommt in diesem Zusammenhang keine Bedeutung mehr zu. Was die maßgebliche Rechtslage anbelangt, gilt wiederum § 3 Abs. 2 S. 3 ProdSG. Zum besseren Verständnis sollte man auch hier § 4 Abs. 3 S. 3, 4 GPSG zu Rate ziehen.

3.6.6.3.3 Der Vollzug der Druckgeräteverordnung

Was den Vollzug der Druckgeräteverordnung anbelangt, gelten keine Besonderheiten: Für die Marktüberwachung gilt Abschnitt 6 des ProdSG und damit die §§ 24 ff. ProdSG.

Damit obliegt die Marktüberwachung den nach Landesrecht zuständigen Behörden,§ 24 Abs. 1 S. 1 ProdSG. Wer dies im Einzelfall ist, muss dem Verwaltungsorganisationsrecht des betreffenden Landes entnommen werden. Den hiermit angesprochenen Marktüberwachungsbehörden stehen die Befugnisse aus den §§ 26–28 ProdSG zu, d.h., sie können insbesondere die Marktüberwachungsmaßnahmen gemäß § 26 Abs. 2, 4 ProdSG treffen. Im Falle der Non-Konformität eines Druckgeräts oder einer Baugruppe sind sie sogar verpflichtet, die erforderlichen Maßnahmen gemäß § 26 Abs. 2 S. 1, 2 ProdSG zu treffen. Denn ein Entschließungsermessen ist den Marktüberwachungsbehörden insoweit nicht eingeräumt.

Kommt eine Marktüberwachungsbehörde im Rahmen einer Risikobewertung zu dem Ergebnis, dass von dem betreffenden Produkt sogar ein ernstes Risiko ausgeht, muss sie mit Rückruf, Rücknahme und/oder einem (endgültigen) Bereitstellungsverbot reagieren, § 26 Abs. 4 S. 1 ProdSG. Dies gilt allerdings nur dann, wenn ein Monitoring freiwilliger Maßnahmen des verantwortlichen Wirtschaftsakteurs nicht in Betracht kommt. Im Falle ernster Risiken ist immer auch an das europäische Meldesystem namens RAPEX zu denken, welches seit dem 1.1.2010 nicht mehr nur Verbraucherprodukte, sondern auch (europäisch-harmonisierte) B2B-Produkte erfasst.

Für das Wirtschaftsverwaltungsrecht typische Nachschaubefugnisse der Marktüberwachungsbehörden sind schließlich in § 28 ProdSG geregelt.

3.6.6.3.4 Ordnungswidrigkeiten

§ 8 der 14. ProdSV enthält einen druckgeräterechtlichen Ordnungswidrigkeitentatbestand: Danach handelt ordnungswidrig, »wer vorsätzlich oder fahrlässig entgegen § 4 Abs. 1 ein Druckgerät oder eine Baugruppe auf dem Markt bereitstellt«. Mit diesem Verweis auf § 4 Abs. 1 der 14. ProdSV werden die Voraussetzungen für die Bereitstellung auf 3.6.6 Europäisches und deutsches Druckgeräterecht – Seite 27 – 01.09.2015<<>>dem Markt in Bezug genommen. Vor diesem Hintergrund kann der Verstoß gegen die Einhaltung der Sicherheitsanforderungen gemäß § 3 Abs. 1, 2 der 14. ProdSV (in Bezug genommen gemäß § 4 Abs. 1 Nr. 1 der 14. ProdSV) oder gegen die Pflicht zur Beifügung der Dokumentation gemäß Abschnitt 3.3. des Anhangs I der Richtlinie 97/23/EG bzw. der Betriebsanleitung in deutscher Sprache gemäß Abschnitt 3.4. des Anhangs I der Richtlinie 97/23/EG (in Bezug genommen gemäß § 4 Abs. 1 Nr. 2 der 14. ProdSV) sanktioniert werden.

Bei der Übertretung handelt es sich um eine Ordnungswidrigkeit gemäß § 39 Abs. 1 Nr. 7 lit. a) ProdSG. Sie kann daher mit einer Geldbuße bis zu 100.000 € geahndet werden, § 39 Abs. 2 ProdSG.

Der in § 8 der 14. ProdSV in Verbindung mit § 4 Abs. 1 Nr. 1 der 14. ProdSV angesprochene Verstoß kann in Bezug auf die fehlende CE-Kennzeichnung zugleich eine Ordnungswidrigkeit gemäß § 39 Abs. 1 Nr. 6 ProdSG darstellen, die mit einer Geldbuße bis zu 10.000 € geahndet werden kann. Für dieses Nebeneinander zweier Ordnungswidrigkeitentatbestände für den Fall des Bereitstellens eines Produkts (hier: eines Druckgeräts oder einer Baugruppe) auf dem Markt ohne die erforderliche CE-Kennzeichnung gibt es keine belastbare Begründung, zumal es hierfür auch noch unterschiedliche Bußgeldrahmen gibt.

3.6.6.3.5 Unterschiede zur Richtlinie 97/23/EG

Abschließend ist auf zwei bedeutsame Unterschiede zwischen der Druckgeräteverordnung und der EG-Druckgeräterichtlinie 97/23/EG hinzuweisen, die sich zum einen auf die EG-Konformitätserklärung und zum anderen auf die Betriebsanleitung beziehen:

EG-Konformitätserklärung

Was die EG-Konformitätserklärung anbelangt, ist diese entsprechend den Vorgaben aus Anhang VII der Richtlinie 97/23/EG auszustellen und den Druckgeräten oder Baugruppen beizufügen. Diese Anforderung folgt unmittelbar aus § 4 Abs. 1 Nr. 1 der 14. ProdSV. Demgegenüber lässt sich der Richtlinie 97/23/EG eine solche Pflicht zur Beifügung der EG-Konformitätserklärung nicht entnehmen.

Beim Inverkehrbringen von Druckgeräten und Baugruppen in Deutschland sollte somit die Vorgabe aus der Druckgeräteverordnung befolgt werden.

Betriebsanleitung

In der Richtlinie 97/23/EG ist die Pflicht zur Beifügung einer Betriebsanleitung statuiert, wenn dies erforderlich ist. Dieser Vorbehalt der Erforderlichkeit fehlt in der Druckgeräteverordnung: Die Betriebsanleitung gemäß Abschnitt 3.4. des Anhangs I der Richtlinie 97/23/EG ist den  3.6.6 Europäisches und deutsches Druckgeräterecht – Seite 28 – 01.09.2015<<Druckgeräten und Baugruppen in deutscher Sprache beizufügen, § 4 Abs. 1 Nr. 2 der 14. ProdSV.

Vor diesem Hintergrund sollte beim Inverkehrbringen von Druckgeräten und Baugruppen in Deutschland stets eine Betriebsanleitung beigefügt werden.

Literatur zum europäischen Druckgeräterecht

Schucht: Produktsicherheitsrechtliche Haftungsrisiken beim Inverkehrbringen von Druckgeräten, Produkthaftpflicht international (PHi) 2014, S. 38 ff.