DGUV Information 215-450 - Softwareergonomie

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Abschnitt 9.1 - 9.1 Grundsätze der Interaktionsgestaltung

9.1.1 Angemessenheit für Benutzeraufgaben

Ein interaktives System ist aufgabenangemessen, wenn es die Benutzer bei der Erledigung ihrer Aufgaben unterstützt, d. h., wenn die Bedienfunktionen und die Benutzer-System-Interaktionen auf den charakteristischen Eigenschaften der Aufgabe basieren (anstatt auf der zur Aufgabenerledigung eingesetzten Technologie) (DIN EN ISO 9241-110).

Die aufgabenangemessene Gestaltung der Benutzungsoberfläche ist ein wichtiger Grundsatz. Informationen sind aufgabenangemessen anzuordnen, zu strukturieren und darzustellen. Finden Benutzerinnen und Benutzer die von ihnen benötigten Informationen nicht oder sind Inhalte auf mehrere Masken verteilt, erhöht sich der Interaktionsaufwand. Die Anzahl der Klicks oder der Interaktionsschritte steigt und es besteht Verbesserungspotenzial.

Informationen sind aufgabenangemessen präsentiert und gestaltet, wenn z. B. Inhalte so sortiert werden, dass die für die Arbeitsaufgabe benötigten Informationen direkt sichtbar sind. Felder und Informationen, die zu einer Arbeitsaufgabe gehören, sind zu gruppieren. Dadurch sind sie ohne zusätzlichen Navigationsaufwand erreichbar. Wird der Dialog für mehrere unterschiedliche Aufgaben verwendet, so ist abzuwägen, welche Anordnung für die häufigste Aufgabe am sinnvollsten ist. Müssen Daten aus Dokumenten oder Formularen manuell übertragen werden, sollte die Eingabemaske auf dem Bildschirm der vorhandenen Struktur sinnvoll entsprechen.

Aufgabenangemessene Voreinstellungen helfen, Aufgaben zu erledigen, ohne dass für jeden Einzelfall aufwendige Einstellungen vorgenommen werden müssen. So wird beispielsweise beim Drucken automatisch ein Standarddrucker angeboten.

ccc_3498_as_5.jpgWenn die Angemessenheit für Benutzungsaufgaben nicht eingehalten wird ...

Auf einer Maske nicht aufgabenangemessen verteilte Felder erschweren die Suche, was zu Lasten der Leistungsfähigkeit und der Produktivität gehen kann. Es können vermehrt Benutzungsfehler auftreten. Durch den erhöhten Navigationsaufwand benötigen Benutzerinnen und Benutzer mehr Zeit zur Bearbeitung der Aufgabe. Sie müssen sich mehr anstrengen, die benötigten Informationen zusammen zu tragen, deren Struktur und Anordnung zu verstehen bzw. sich zu merken.

9.1.2 Selbstbeschreibungsfähigkeit

Wo immer erforderlich für den Benutzer, bietet das interaktive System angemessene Information an, die die Fähigkeiten des Systems und seine Nutzung unmittelbar offensichtlich machen, ohne dass hierzu unnötige Benutzer-System-Interaktionen erforderlich werden. (DIN EN ISO 9241-110).

Das System informiert die Benutzerinnen und Benutzer über zur Verfügung stehende Funktionen und deren Gebrauch. Für sie soll zu jedem Zeitpunkt offensichtlich sein, wo sie sich in der Programmstruktur befinden, welche Eingaben sie vornehmen können und welche Funktionen sie ausführen können, um die Arbeitsaufgabe zu erledigen.

Die Beschriftungen von Eingabefeldern und Schaltflächen, zusätzliche Informationen z. B. zum erwarteten Eingabeformat, sind handlungsleitend und damit selbstbeschreibungsfähig zu formulieren (siehe Abbildung 48). Informationen über den aktuellen Systemzustand, längere Downloadzeiten, Suchprozesse oder Abhängigkeiten zwischen Feldern unterstützen ebenfalls die Selbstbeschreibungsfähigkeit und erklären, wie das System funktioniert. Weitere Informationsquellen (z. B. Handbücher) sollten dafür nicht erforderlich sein.

In der Abbildung 48 verdeutlicht die Erklärung unter dem Eingabefeld eine Abhängigkeit zu anderen Eingaben. Der Link ist aktiv und kann zur Erkundung der Maske Antragstellung genutzt werden. Die Felder in der verlinkten Maske "Antragstellung" sind erst dann aktiv, wenn der Eingabecheck ein Alter über 18 Jahre erkannt hat.

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Abb. 48
Selbstbeschreibungsfähigkeit eines Eingabefeldes

In Softwareanwendungen werden Funktionen auch mithilfe von Symbolen dargestellt (siehe Abbildung 49). Benutzerinnen und Benutzer sollen die mit den Symbolen verbundenen Funktionen erkennen. Symbole mit Beschriftung erhöhen die Selbstbeschreibungsfähigkeit.

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Abb. 49
Darstellungen von Funktionen mithilfe von Symbolen

Zur Selbstbeschreibungsfähigkeit gehört auch das Anzeigen von aktuellen Systemprozessen. Abbildungen 50 und 51 zeigen Beispiele für selbstbeschreibungsfähige Statusmeldungen beim Speichern.

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Abb. 50
Statusmeldung zum Speicherprozess mit weiteren Details auf Anfrage

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Abb. 51
Ein in der Taskleiste angezeigter Prozessstatus, der auch bei geschlossenem Meldungsfenster informiert.

ccc_3498_as_5.jpgWenn die Selbstbeschreibungsfähigkeit nicht eingehalten wird ...

Mangelhafte Selbstbeschreibungsfähigkeit erhöht den Bednutzungs- und Schulungsaufwand, sowie die Beanspruchung des Kurz- und Langzeitgedächtnisses.

9.1.3 Erwartungskonformität

Das Verhalten des interaktiven Systems ist vorhersehbar, basierend auf dem Nutzungskontext und allgemein anerkannten Konventionen in diesem Kontext (DIN EN ISO 9241-110).

Die Benutzungsschnittstelle mit ihren Funktionen und Eigenschaften soll den Erwartungen der Benutzerinnen und Benutzer, ihrem mentalen Modell vom System, ihren Erfordernissen, sowie den allgemeinen und kulturkreisabhängigen Konventionen entsprechen. Erfahrungen und Gewohnheiten müssen, soweit möglich, berücksichtigt werden.

Es wird zwischen interner und externer Konsistenz unterschieden. Interne Konsistenz erfordert eine einheitliche Gestaltung innerhalb einer Softwareanwendung. Externe Konsistenz bedeutet eine einheitliche Gestaltung über verschiedene Softwareanwendungen hinweg. Ein Beispiel hierfür sind gleiche Symbole für gleiche Funktionen.

Informationen sind erwartungskonform zu strukturieren, konsistent anzuordnen und darzustellen. Sprachliche, aber auch gestalterische Konventionen, wie das Platzieren der Menüleiste oberhalb oder links vom Informationsbereich, sind zu berücksichtigen. Gleiches gilt für die Erwartung an eine spezielle Strukturierung und Darstellung von Informationen. Adressfelder sind z. B. immer in der erwarteten Reihenfolge bzw. auf die gleiche Art und Weise anzuzeigen. Eine widerspruchsfreie, konsistente Anordnung, z. B. von Überschriften, Schaltflächen oder Fehlermeldungen, erleichtert das Auffinden von benötigten Informationen und Funktionen.

Die Konvention für ein Datumsformat ist in verschiedenen Regionen unterschiedlich. Die Benutzungsschnittstelle auf der linken Seite der Abbildung 52 könnte zum Beispiel ein amerikanisches Datumsformat verwenden, das eine Benutzerin oder ein Benutzer im deutschen Sprachraum nicht erwarten würde. Dieser Hinweis fehlt. Die auf der linken Seite der Abbildung 52 dargestellte Softwareanwendung ist daher nicht erwartungskonform und nicht selbstbeschreibungsfähig. Im Gegensatz dazu ist die auf der rechten Seite der Abbildung 52 dargestellte Softwareanwendung erwartungskonform (Datumsformat entspricht unseren Konventionen) und selbstbeschreibungsfähig (das erwartete Datumsformat wird angezeigt).

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Abb. 52
Benutzungsschnittstellen zur Datumseingabe

Auch Menüoptionen müssen erwartungskonform gestaltet werden. Das Beenden einer Softwareanwendung wird nicht unter dem Oberbegriff "Hilfe" erwartet (siehe Abbildung 53).

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Abb. 53
Nicht erwartungskonforme Menüoption

ccc_3498_as_5.jpgWenn die Erwartungskonformität nicht eingehalten wird ...

Die Benutzung der Anwendung erfordert eine erhöhte Konzentration. Damit wird wahrscheinlich das Arbeitstempo geringer, der Lernaufwand höher und die Anzahl von Benutzungsfehlern steigen.

9.1.4 Erlernbarkeit

Das interaktive System unterstützt die Entdeckung seiner Fähigkeiten und deren Verwendung, erlaubt das Explorieren ("Ausprobieren") des interaktiven Systems, minimiert den Lernaufwand und bietet Unterstützung, wenn Lernen erforderlich ist (DIN EN ISO 9241-110).

Durch diesen Grundsatz sollen Benutzungskonzepte entwickelt werden, die leicht erlernbar sind. Die Softwareanwendung zeigt Erklärungen, z. B. in Meldungen oder Assistenzsystemen, und hilft dadurch das System und dessen Funktionsweise schneller zu verstehen und zu erlernen. Die Erklärungen sind verständlich, hilfreich und zielgruppenorientiert formuliert.

ccc_3498_as_5.jpgWenn die Erlernbarkeit nicht eingehalten wird ...

Die Benutzerinnen und Benutzer müssen deutlich mehr Zeit aufwenden, um die Benutzung und die Funktionen der Software zu erlernen und das Arbeitsergebnis zu erreichen. Hinzu kommt eine sinkende Motivation beim Umgang mit kompliziert zu benutzender Software.

9.1.5 Steuerbarkeit

Das interaktive System erlaubt es dem Benutzer, die Kontrolle über die Benutzungsschnittstelle und die Interaktionen zu behalten, einschließlich der Geschwindigkeit, Abfolge und Individualisierung der Benutzer-System-Interaktion (DIN EN ISO 9241-110).

Dieser Grundsatz bezieht sich auf folgende Forderungen für Benutzerinnen und Benutzer:

  • Die Aufgabenbearbeitung mit dem System kann abgebrochen oder zu einem beliebigen Zeitpunkt unterbrochen und später genau an diesem Punkt ohne Datenverlust wieder aufgenommen werden.

  • Die Abfolge der Bearbeitung von Aufgabenschritten sowie die Art der Interaktion (z. B. mit Tastatur, Touchpad oder Maus) kann ausgewählt werden.

  • Die Geschwindigkeit der Interaktion mit dem System kann selbst bestimmt werden (z. B. eine Meldung wird so lange angezeigt, bis das Lesen der Meldung bestätigt worden ist).

Die Angebote für eine Steuerung des Systems durch die Benutzerin oder den Benutzer werden durch die Anforderungen der Arbeitsaufgabe vorgegeben. Ist ein Wechsel zwischen verschiedenen Aufgaben oder Masken nötig, sollte die Anwendung dies ermöglichen. Dauert der Download einer Datei sehr lange, ist eine Abbruchmöglichkeit zu realisieren.

Die Benutzungsschnittstelle soll eine individuelle Anpassung der Software ermöglichen. So können Benutzerinnen und Benutzer Standardwerte verändern oder weitere Aspekte wie die Größe der dargestellten Informationen den eigenen Bedürfnissen entsprechend einstellen (siehe Abbildung 54).

Auch das Verhalten von Elementen und die Darstellung von Informationen ist anpassbar zu gestalten. Welche Anpassungsmöglichkeiten zur Verfügung gestellt werden, ergibt sich aus den Bedürfnissen der Benutzerinnen und Benutzer, den Arbeitsaufgaben und daraus abgeleiteten ergonomischen Anforderungen (siehe Kapitel 11.2 "Aufgabengestaltung im Arbeitssystem - Planen des menschzentrierten Gestaltungsprozesses", Abbildung 71).

ccc_3498_as_5.jpgWenn die Steuerbarkeit nicht eingehalten wird ...

Die Arbeit mit der Softwareanwendung kann umständlicher sein und einen höheren Arbeitsaufwand erfordern, wenn Benutzerinnen und Benutzer die Interaktion nicht nach Erfordernissen ihrer Aufgabe oder ihren Bedürfnissen steuern können.

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Abb. 54
Anpassbare Anzeige von Maskeninformationen durch die Funktionen "verbergen" bzw."anzeigen"

9.1.6 Robustheit gegenüber Benutzungsfehlern

Das interaktive System unterstützt den Benutzer beim Vermeiden von Fehlern, toleriert Benutzungsfehler toleriert Benutzungsfehler im Falle von erkennbaren Fehlern und unterstützt den Benutzer bei der Fehlerbehebung (DIN EN ISO 9241-110).

Dieser Grundsatz bezieht sich auf folgende Aspekte:

  • Fehlervermeidung,

  • Fehlertoleranz und

  • Fehlerbehebung.

Eine Softwareanwendung ist robust gegenüber Benutzungsfehlern, wenn sie fehlerhafte Eingaben erkennt und bei deren Korrektur unterstützt (siehe Abbildung 55).

Das System ist fehlertolerant, wenn trotz fehlerhafter Eingaben das angestrebte Ergebnis der Eingabe mit entweder gar keiner oder nur minimaler Korrektur erreicht werden kann.

Die Softwareanwendung toleriert Fehler bis zu einem gewissen Grad und überlässt Benutzerinnen und Benutzern die Entscheidung, wann und ob sie diese korrigieren. Es kann an anderen Stellen im Dialog weitergearbeitet werden, bevor ein Fehler korrigiert wird. Die Anwendung kann Vorschläge zur Behebung des Fehlers anbieten und diesen nach Bestätigung korrigieren.

Fehler können auch vermieden werden, wenn auf bereits (korrekt) durchgeführte Eingaben oder Informationen zurückgegriffen werden kann. Dies kann auch durch eine automatische Ergänzung einer Eingabe in einem Eingabefeld geschehen (z. B. Autovervollständigen).

ccc_3498_as_5.jpgWenn die Robustheit gegenüber Benutzungsfehlern nicht eingehalten wird ...

Ein nicht fehlerrobustes oder -tolerantes System erschwert den Umgang mit Fehlersituationen. Fehler werden nicht rechtzeitig erkannt und korrigiert. Den Fehler zu verstehen und anschließend zu korrigieren, benötigt zusätzlichen Arbeitsaufwand.

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Abb. 55
Unpassende Fehlermeldung (links), unterstützende Meldung (rechts)

9.1.7 Benutzerbindung

Das interaktive System stellt Funktionen und Informationen auf einladende und motivierende Weise dar und fördert so eine kontinuierliche Interaktion mit dem System (DIN EN ISO 9241-110).

Dieser Grundsatz bezieht sich auf folgende Aspekte:

  • Motivieren des Benutzers bzw. der Benutzerin,

  • Vertrauenswürdigkeit und

  • stärkere Einbeziehung der Benutzerinnen bzw. der Benutzer.

Dieser Grundsatz soll Benutzerinnen und Benutzer ermutigen, das System dauerhaft zu nutzen. Das System präsentiert bestätigende und positiv formulierte Meldungen, z. B. zeigt ein Virenschutzprogramm folgende eindeutige Bestätigung an: "Sie sind geschützt", zusammen mit einem großen grünen Haken und dem Link "Weitere Informationen". In Meldungen können positiv beeinflussende Aspekte eingebaut werden, die auf die Emotionen von Benutzerinnen und Benutzern zielen, z. B. das Bild eines freundlichen Menschen, wenn Hilfe beim Support angefragt wurde.

Benutzungsbindung wird durch Vertrauen in die Nutzung eines Systems gefördert. Dies wird z. B. durch eine fehlerfreie Funktionsweise der Software, ein transparentes Datenmanagement und eine hohe Verfügbarkeit der Software erreicht.

ccc_3498_as_5.jpgWenn die Benutzerbindung nicht eingehalten wird ...

Fehlende Akzeptanz und innere Abneigung bis hin zur Ablehnung gegenüber der Software demotivieren Benutzerinnen und Benutzer. Es besteht die Gefahr, dass mehr Benutzungsfehler entstehen und das Bearbeiten einer Arbeitsaufgabe aufwendiger wird.