DGUV Information 215-450 - Softwareergonomie

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Abschnitt 3.3 - 3.3 Verarbeitung von Informationen und Wissensgenerierung

Bei der Gestaltung von Software sind u. a. die Funktion, die Kapazität und die Arbeitsweise des menschlichen Gedächtnisses zu berücksichtigen.

Die Wahrnehmung und das Behalten, Bewerten und Finden von Entscheidungen sowie Auswählen von Handlungen gehören zur Informationsverarbeitung und Wissensgenerierung des Menschen (siehe Abbildung 2). Das menschliche Gedächtnis verarbeitet Informationen weiter, die über die Sinnessysteme aufgenommen wurden und verknüpft sie mit dem bereits vorhandenen Wissensvorrat.

Die Verarbeitung aller Informationen führt schließlich zur

  • Generierung von Wissen,

  • Lösung von Aufgabenteilen,

  • Entscheidungsfindung und

  • Umsetzung von Handlungen.

Darüber hinaus steuert das Gehirn gezielt einerseits den Vorgang der Wahrnehmung und anderseits die Umsetzung einer Handlung. So kann willentlich bestimmt werden,

  • auf welches Wort einer Bildschirm-Anzeige die Augen gerichtet,

  • wie die Blicke über das Wort gelenkt und

  • welche Handbewegungen ausgeführt werden, sodass durch gezielte Arm-Hand-Finger-Bewegung die Maus geführt und dadurch mit dem Mauszeiger ein Eingabefeld gewählt werden kann.

3.3.1
Die begrenzte Aufnahmekapazität des Gedächtnisses

Physikalische Reizmerkmale aus Daten der Software sind z. B. Farbe, Intensität, Kontrastverteilung, Position und Bewegung. Der Mensch nimmt diese zunächst im sensorischen Speicher auf. Darin werden die Daten kurze Zeit (visuell ca. 0,5 Sekunden, auditiv ca. 5 Sekunden) zwischengespeichert. Im Anschluss daran gelangen diese Informationen in das Kurzzeitgedächtnis. Dort findet ein großer Teil der Denkarbeit statt. Weitere Gedächtnisprozesse interpretieren die vorhandenen Sinnesdaten, messen ihnen Bedeutung bei und verknüpfen sie mit anderen Gedächtnisinhalten.

Die Speicherkapazität des menschlichen Kurzzeitgedächtnisses ist begrenzt und liegt bei fünf bis neun Informationseinheiten (sog. Chunks). Diese Menge kann über einen Speicherzeitraum von etwa 15 bis 30 Sekunden im Kurzzeitgedächtnis behalten werden. Informationseinheiten sind z. B. mehrstellige Zahlen, Tonfolgen, Abkürzungen, Wörter, Symbole, Piktogramme oder größere begriffliche Einheiten. Je mehr Informationseinheiten gespeichert werden müssen, desto unzuverlässiger werden der Zugriff und die korrekte Wiedergabe.

Eine große Anzahl von Informationseinheiten steigert die psychische Belastung und das Risiko für Fehlleistungen (vgl. auch DIN EN ISO 10075-2). Um das Abspeichern von Informationen und Abrufen von Gedächtnisinhalten zu erleichtern, sind folgende Empfehlungen zur Informationsdarstellung zu berücksichtigen:

  • Informationsmenge reduzieren und an die Erfordernisse der Aufgabe anpassen.

  • Organisationsprinzipien (siehe Kapitel 3.2.4 "Ausgewählte Prozesse der Wahrnehmung") nutzen und Informationsmenge und -qualität aufgabenbezogen organisieren (z. B. Gruppen von Informationseinheiten bilden).

  • Informationen priorisieren (z. B. Informationen untergeordneter Priorität oder Zusatzinformationen abrufbar für Bedarfsanfrage vorhalten).

  • Informationen solange darstellen, bis ihre Verarbeitung abgeschlossen werden kann.

  • Schon vorhandene und gängige Informationseinheiten nutzen, z. B. Elemente der Umgangs- oder Fachsprache oder bekannte grafische Darstellungen.

  • Alle Informationen, die parallel verarbeitet werden sollen, müssen auch parallel dargestellt werden.

  • Es ist empfehlenswert, die einzelnen Informationseinheiten möglichst gut unterscheidbar zu gestalten.

  • Es ist am einfachsten, gespeicherte Informationen in der Reihenfolge wiederzugeben, in der sie auch gespeichert wurden.

  • Es sollten mögliche Alternativen angezeigt werden, über die Inhalte wiedererkannt werden können und nicht aus dem Gedächtnis abgerufen werden müssen.

3.3.2
Prozess der Wissensgenerierung

Das Kurzzeitgedächtnis übernimmt auch die Funktion eines Arbeitsgedächtnisses. Dabei werden das Denken und Entscheiden unterstützt und elementare kognitive Prozesse (z. B. Vergleichen, Speichern, Erinnern) genutzt. Die Benutzerin bzw. der Benutzer speichert das Wissen über den erreichten Zustand ihrer bzw. seiner Aufgabenbearbeitung im Langzeitgedächtnis. Um Zeichen, Berührungsmuster oder Tonfolgen zu erkennen, wird gespeichertes Wissen wieder aus dem Langzeitgedächtnis abgerufen und im Kurzzeitgedächtnis mit dort vorhandenen Informationen verglichen. In diesem Prozess wird Wissen generiert. Das Arbeitsgedächtnis ist der Motor der Wissensgenerierung.

Im Langzeitgedächtnis kann Wissen über Wochen, Jahre oder sogar lebenslang gespeichert werden. Seine Kapazität scheint nach bisherigen Erkenntnissen unbegrenzt zu sein. Erinnerungsschwächen können damit zusammenhängen, dass auf vorhandenes Wissen längere Zeit nicht zurückgegriffen wurde. Neue Informationen in das Langzeitgedächtnis einzufügen, ist nur möglich, wenn sie mit vorhandenem Wissen verknüpft werden können.

Software ist daher ergonomisch möglichst so zu gestalten, dass Informationen an vorhandene Wissenseinheiten anknüpfen:

  • Je bekannter Informationen (z. B. Begriffe, Abkürzungen oder Symbole) sind, desto leichter werden sie erkannt und verstanden.

  • Unerwartete und seltene Wörter werden langsamer gelesen aufgrund des häufiger erforderlichen Vor- und Zurückspringens im Text.

  • Zeichenfolgen auf dem Bildschirm sollten möglichst vertraut und gut unterscheidbar sein.

  • Abkürzungen oder Kodierungen sollten sprechbar sein (z. B. IBAN)

  • Wörter und Abkürzungen sollten aus der Fachsprache der Benutzerinnen und Benutzer stammen und mit ihren Erfahrungen in Verbindung stehen (z. B. IBAN für internationale Kontonummern).

  • Im Gedächtnis gespeicherte Informationen werden leichter und effektiver wiedererkannt als gesucht. Daher ist das Anzeigen von mehreren Informationen zur Auswahl effektiver und weniger beanspruchend als relevante Informationen oder Objekte aus dem Gedächtnis abzurufen.

  • Merkmale zur Unterscheidung von Informationen sollten regelhaft am Anfang oder Ende einer Zeichenfolge platziert werden, damit sie sich auf den ersten Blick erfassen lassen (z. B. Mahnung1.docx, Mahnung2.docx).

  • Den Beschäftigten sollen Informationen in externen Speichern bereitgestellt werden, die sie abrufen können (z. B. Abrufen von Zusatzinformationen, kontextsensitive Hilfesysteme). Dadurch können insgesamt zu hohe Beanspruchung des Langzeitgedächtnisses vermieden werden.

  • Erfordert es die Aufgabe, Objekte zu identifizieren, dann sollten diese gut unterscheidbar sein.