DGUV Information 205-024 - Unterweisungshilfen für Einsatzkräfte mit Fahraufgaben

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Abschnitt 3.1 - 3.1 Rechtliche Grundlagen

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Es gilt den Einsatzort so schnell, aber auch so sicher wie möglich, zu erreichen. Hierbei wird regelmäßig von den Vorgaben der StVO abgewichen. Im Hinblick auf das Verhalten der anderen Verkehrsteilnehmer als Reaktion auf das Blaulicht und das Einsatzhorn besteht seitens der Einsatzkraft eine Erwartungshaltung.

Es stellt sich von daher die Frage, auf welcher Grundlage und in welchen Rechtsbezügen geschieht dies. Innerhalb der StVO finden sich hierzu die Paragraphen 35 und 38.

§ 35 Sonderrechte

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Wenn man die nichtdeutschen Vertragsstaaten des Nordatlantikpaktes und der gleichen weglässt, so liest sich § 35 StVO folgendermaßen:

§ 35 Sonderrechte

(1) Von den Vorschriften dieser Verordnung sind die Bundeswehr, die Bundespolizei, die Feuerwehr, der Katastrophenschutz, die Polizei und der Zolldienst befreit, soweit das zur Erfüllung hoheitlicher Aufgaben dringend geboten ist.

(5a) Fahrzeuge des Rettungsdienstes sind von den Vorschriften dieser Verordnung befreit, wenn höchste Eile geboten ist, um Menschenleben zu retten oder schwere gesundheitliche Schäden abzuwenden.

(8) Die Sonderrechte dürfen nur unter gebührender Berücksichtigung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung ausgeübt werden.

Was bedeutet dies im Einzelfall?

Für die Feuerwehr bezieht sich das Sonderrecht auf die Organisation und somit auf deren Angehörige. Dieses Recht ist also personengebunden. Es könnte daher im Einsatzfall auch bei der Anfahrt zum Feuerwehrhaus mit dem privaten Pkw in Anspruch genommen werden. Da dies für andere Verkehrsteilnehmer jedoch nicht ersichtlich ist, ist äußerste Vorsicht geboten (siehe auch Leitfaden für die Ausbildung Verkehrssicherheit der FUK Niedersachsen Modul "PKW" (Anfahrt zum Feuerwehrhaus nach Alarmierung) im Anhang). Für den Rettungsdienst bezieht sich das Sonderrecht auf die jeweiligen Fahrzeuge. In diesem Fall ist das Sonderrecht also fahrzeuggebunden. Der Absatz 8 dieses Paragraphen nimmt dann noch einmal Bezug auf § 1 der StVO:

§ 1 Grundregeln

(1) Die Teilnahme am Straßenverkehr erfordert ständige Vorsicht und gegenseitige Rücksicht.

(2) Wer am Verkehr teilnimmt hat sich so zu verhalten, dass kein Anderer geschädigt, gefährdet oder mehr, als nach den Umständen unvermeidbar, behindert oder belästigt wird.

Das heißt also, dass die Befreiung von der StVO nach § 35 ihre Grenzen hat, nämlich dort, wo andere gefährdet werden. In diesem Zusammenhang sind Geschwindigkeitsübertretungen, Überholverbote, rote Ampeln und andere Verkehrszeichen, insbesondere die der Vorfahrt, natürlich doch gebührend zu berücksichtigen.

§ 38 Blaues Blinklicht und gelbes Blinklicht

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Blaulicht und Einsatzhorn stellen eine Handlungsaufforderung an die anderen Verkehrsteilnehmer dar. Diese haben sofort freie Bahn zu schaffen. Wie sie das machen, ist ihnen überlassen.

Von daher ist auch der gängige Begriff des Wegerechts falsch. § 38 ist eine Verpflichtung für die anderen Verkehrsteilnehmer. Für die Einsatzfahrerinnen bzw. Einsatzfahrer erwächst daraus kein Recht.

Videos zu §§ 35 und 38 StVO

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1. Einsatzfahrt nur mit Blaulicht:

Das Einsatzfahrzeug fährt auf eine Kreuzung mit Lichtzeichenanlage (Ampel) zu, die in seiner Fahrtrichtung rot zeigt. Um die Kreuzung dennoch zu passieren, erfolgt ein Wechsel auf die einstreifige, baulich getrennte Gegenfahrbahn. Der Gegenverkehr kann das Einsatzfahrzeug ohne Signalhorn nicht wahrnehmen - es kommt zu einer Blockadesituation oder sogar zu einem Unfall.

ccc_3483_20160301_121.jpgDie fahrzeugführende Person des Einsatzfahrzeugs kann keine angemessene Reaktion der anderen Verkehrsteilnehmer allein aufgrund des § 35 StVO erwarten.
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2. Verwendung von Blaulicht und Einsatzhorn:

Das Einsatzfahrzeug fährt im Stadtverkehr mit Blaulicht und Einsatzhorn. Ein vor ihm fahrendes Fahrzeug hält an um es passieren zu lassen. Das Überholen wird mit moderater Geschwindigkeit bei gutem Überblick durchgeführt.

An einer Kreuzung mit Lichtzeichenanlage, die für das Einsatzfahrzeug rot zeigt, wird rechtzeitig auf die Gegenfahrbahn gewechselt, um den wartenden Fahrzeugen den geplanten Fahrweg frühzeitig anzuzeigen. Das Nähern an die Kreuzung geschieht unter sehr deutlicher Reduktion der Geschwindigkeit, um sicher feststellen zu können, dass alle anderen, insbesondere die Fahrzeuge des Querverkehrs, die momentan grün haben, das Einsatzfahrzeug und dessen Vorhaben erkannt haben und entsprechend reagieren, also freie Bahn schaffen. Erst danach wird wieder moderat beschleunigt.

Verkehrsunfall bei einer Einsatzfahrt

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Die Sonderrechte beziehen sich ausschließlich auf die Regelungen der StVO, andere Gesetze und Verordnungen bleiben davon unberührt. Die Gebote und Verbote dieser Gesetze müssen daher bei Einsatzfahrten eingehalten werden. So bleiben z. B. das Fahren ohne Führerschein oder das Fahren unter Alkoholeinfluss von den Sonderrechten unberührt und damit weiter verboten. Auch die Gefährdung des Straßenverkehrs (§ 315c StGB) fällt hierunter:

§ 315c Gefährdung des Straßenverkehrs

  1. (1)

    Wer im Straßenverkehr

    1. 1.

      ein Fahrzeug führt, obwohl er

      1. a)

        infolge des Genusses alkoholischer Getränke oder anderer berauschender Mittel oder

      2. b)

        infolge geistiger oder körperlicher Mängel

    nicht in der Lage ist, das Fahrzeug sicher zu führen, oder

    1. 2.

      grob verkehrswidrig und rücksichtslos

      1. a)

        die Vorfahrt nicht beachtet,

      2. b)

        falsch überholt oder sonst bei Überholvorgängen falsch fährt,

      3. c)

        an Fußgängerüberwegen falsch fährt,

      4. d)

        an unübersichtlichen Stellen, an Straßenkreuzungen, Straßeneinmündungen oder Bahnübergängen zu schnell fährt,

      5. e)

        an unübersichtlichen Stellen nicht die rechte Seite der Fahrbahn einhält,

      6. f)

        auf Autobahnen oder Kraftfahrstraßen wendet, rückwärts oder entgegen der Fahrtrichtung fährt oder dies versucht oder

      7. g)

        haltende oder liegengebliebene Fahrzeuge nicht auf ausreichende Entfernung kenntlich macht, obwohl das zur Sicherung des Verkehrs erforderlich ist,

und dadurch Leib oder Leben eines anderen Menschen oder fremde Sachen von bedeutendem Wert gefährdet, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.

  1. (2)

    In den Fällen des Absatzes 1 Nr. 1 ist der Versuch strafbar.

  2. (3)

    Wer in den Fällen des Absatzes 1

    1. 1.

      die Gefahr fahrlässig verursacht oder

    2. 2.

      fahrlässig handelt und die Gefahr fahrlässig verursacht,

wird mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.

Was heißt "dringend geboten"?

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Ob die Inanspruchnahme von Sonderrechten dringend geboten ist oder nicht, lässt sich durch die Einsatzkraft mit Fahraufgabe nach einer Alarmierung nicht ohne Weiteres selbst feststellen. Die Entscheidung, ob Sonderrechte in Anspruch genommen werden müssen oder nicht obliegt in der Regel der verantwortlichen Führungskraft (z. B. Zugführerin/Zugführer, Gruppenführerin/Gruppenführer). In einigen Bundesländern bzw. Hilfeleistungsorganisationen entscheidet darüber ausschließlich die Leitstelle.

Höchste Eile

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Es ist nicht erforderlich, dass die angenommene Lebensbedrohung tatsächlich besteht. Auszugehen ist vielmehr von der Situation, wie sie sich im Moment der Entscheidung über die Inanspruchnahme von Sonderrechten darstellt. Klagt beispielsweise eine Patientin bzw. ein Patient bei seinem Notruf über Atemnot, so ist im Regelfall davon auszugehen, dass eine Atemstörung vorliegt und damit eine lebensbedrohliche Situation besteht, so dass die Inanspruchnahme von Sonderrechten geboten ist. Stellt sich an der Einsatzstelle heraus, dass es sich bei der "Atemnot" nur um eine Erkältung gehandelt hat, ändert das nichts an der Rechtmäßigkeit der vorangegangenen Entscheidung.

Die "höchste Eile" muss in Bezug auf eine oder mehrere konkrete Patienteninnen bzw. Patienten geboten sein. Die Voraussetzungen für die Inanspruchnahme von Sonderrechten sind daher nicht gegeben, wenn ein Fahrzeug beispielsweise von einem entfernten Krankenhaus wieder in seinen zu diesem Zeitpunkt nicht abgedeckten Rettungsdienstbereich zurückkehren oder eine "verwaiste" Wache besetzen soll, sondern erst dann, wenn sich in diesem Bereich ein konkreter Notfall ereignet hat. Gleiches gilt, wenn bspw. die Wache anzusteuern ist, um das Fahrzeug aufzufüllen oder zu reinigen. Die Inanspruchnahme von Sonderrechten zu diesem Zweck ist nur zulässig, wenn bereits ein Folgeauftrag für das Fahrzeug vorliegt, nicht, wenn es "bloß" das zur Zeit einzig freie Einsatzmittel ist.

Hingegen liegen die Voraussetzungen für die Inanspruchnahme von Sonderrechten sehr wohl vor, wenn ein Fahrzeug bei einem größeren Schadensfall einen Bereitstellungsraum ansteuert. Zwar ist auch hier noch kein konkreter Patient bzw. Patientin für das Fahrzeug "vorgesehen", es ist noch nicht einmal klar, ob es überhaupt zum Einsatz kommen wird. Es besteht aber bereits eine konkrete Schadenslage, bei der das Fahrzeug zum Einsatz kommt und nicht nur die abstrakte Möglichkeit, dass sich in der Folgezeit ein Notfallereignis ergibt.

Merke

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siehe auch:

Leitfaden für die Ausbildung Verkehrssicherheit der FUK Niedersachsen - Modul "PKW" im Anhang

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