DGUV Information 211-037 - Schutz der Gesundheit bei Mehrfachbelastungen durch Beruf, Ehrenamt und Familie; Eine Hilfestellung für Arbeitnehmer

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Abschnitt 3.2 - 3.2 Beispiele für Handlungsmöglichkeiten zur Reduzierung der Belastung

Anhand von typischen Beispielen wird aufgezeigt, welche Möglichkeiten sich bieten, Überbelastungen durch Mehrfachbeschäftigungen und mobile Tätigkeiten zu reduzieren.

Die Beispiele sollen vor allem die Vorgehensweise illustrieren, sie sind keine Rezepte, die in vergleichbaren Fällen einfach übernommen werden können, Sie können sich aber an ihnen orientieren. In Ihrem persönlichen "Fall" müssen Sie Ihren Lösungsweg finden. Die Beispiele zeigen, dass es auch in schwierigen Fällen immer Lösungsansätze gibt.

Bei der Darstellung wird jeweils hervorgehoben, an welcher Stelle Ihr Arbeitgeber zur Lösung beitragen kann, was Sie als Arbeitnehmer selbst tun können und welche Beratungs- und Unterstützungsmöglichen Dritter ggf. genutzt werden können.

Beispiel 1 - Mobil arbeitender Servicetechniker im Bereich Telekommunikation hat durch zusätzliche Pflege der Eltern Probleme mit dem Zeitmanagement

bgvr_ausrufungszeichen.jpgH. Lang
"Ich bin jeden Tag unterwegs, oft erfahre ich erst am Vortag meine Einsatzorte. Mal bin ich draußen auf Baustellen, wenn ein Kabel beschädigt wurde, dann arbeite ich an Schaltkästen oder auch an Verteileranlagen in Gebäuden. Ich muss immer auf alles eingestellt sein, manchmal ist es nicht nur unbequem, sondern auch nicht ungefährlich vor Ort. Ob ich von der Arbeit rechtzeitig nach Hause komme, weiß ich oft auch nicht, auch aufgrund der wechselnden, oft weit entfernten Dienstorte. Das ist ein Problem, denn ich kümmere mich selbst um die Pflege meiner betagten Eltern. Wie lange das noch geht, auch finanziell, weiß ich nicht, es liegt mir aber sehr viel daran. Meine Frau unterstützt mich, sie arbeitet aber in Wechselschicht, so dass wir gut planen müssen. Es ist auf Dauer sehr anstrengend. Ich muss mehr auf meine Gesundheit achten."

Herr Lang ist u.a. mit dem Problem andauernder Mobilität bei der Arbeit und den konkurrierenden Anforderungen in seinem privaten Umfeld konfrontiert. Typisch für solche Arbeitsplätze ist die erhebliche Termindichte und kurzfristige Änderung von Einsatzzeiten und -orten. Auch die Arbeitssicherheit wechselnder Einsatzorte ist bei weitem nicht so zuverlässig gewährleistet wie die an stationären, entsprechend durchorganisierten Arbeitsplätzen.

  • Arbeitsorganisation unter Berücksichtigung der privaten Anforderungen:

    Eine Arbeitsorganisation, die die Beschäftigten in die Dienstplangestaltung mit einbezieht bzw. nach Vorgabe eines Sollrahmens gänzlich den mobilen Teams überlässt, kann hier für erhebliche Entlastung sorgen. Erfolgreich praktiziert werden Lösungen, bei denen mehrere Kollegen zusammen Teams bilden, die sich die Arbeit selbstständig zeitlich einteilen. In einem Team kann ein Kollege einspringen oder einen Einsatzort tauschen, wenn der andere private Verpflichtungen hat. Beim nächsten Einsatz ist es umgekehrt. Die Abstimmung ist sicherlich wegen der Kurzfristigkeit schwierig, aber mit technischen Mitteln möglich. Online-Tools haben sich hier bewährt, da die mobilen Mitarbeiter meist via UMTS/3 G miteinander bzw. mit dem Firmennetzwerk verbunden sind. Zudem sollte der Arbeitgeber ggf. über besondere private Belastungen informiert werden. Häufig bieten sich ungeahnte Möglichkeiten (Betreuungsmöglichkeiten am/im Umfeld des Arbeitsplatzes o.ä.).

    Als Arbeitgeber sollten Sie derartige Formen der mitarbeiterorientierten Arbeitsorganisation unterstützen und die Infrastruktur, etwa für digitale Abstimmungsverfahren, bereitstellen.

    Als Arbeitnehmer sollten Sie das Gespräch mit Ihren Vorgesetzten, der Arbeitnehmervertretung sowie Ihren Kolleginnen und Kollegen suchen. Die Umstellung auf diese neue Form der Arbeitsorganisation kann nur gemeinsam gelingen.

  • Sicherheit und Gesundheit unterwegs:

    Da bei mobiler Arbeit oftmals keine vorhergehende Gefährdungsbeurteilung der aufzusuchenden Arbeitsorte möglich ist, ist hier zunächst der Arbeitgeber verpflichtet, die Beschäftigten so zu unterweisen, dass auch unterwegs die erforderlichen Maßnahmen zum Schutz deren Gesundheit getroffen werden können. Nur so können die Beschäftigten ihren Einsatzort kompetent beurteilen und ggf. aktiv werden. Die (mobilen) Beschäftigten sollten im Ernstfall die Befugnis haben, die Arbeit unter den angetroffenen Bedingungen nicht aufzunehmen. Entsprechende Zeitfenster für Unterweisungen im Dialog sollten im Dienstplan dafür eingeräumt werden.

    Bei Fragen zur sicheren Gestaltung des Arbeitsplatzes und zur belastungsoptimierten Organisation der Arbeit bietet Ihr zuständiger Unfallversicherungsträger vielfältige Beratungsleistungen. Stimmen Sie Ihren Klärungsbedarf mit allen Interessengruppen ab und lassen Sie sich ggf. durch Ihre Berufsgenossenschaft oder Unfallkasse beraten.

  • Hilfestellungen im privaten Bereich:

    Kommunale, konfessionelle oder andere Initiativen bieten vielfältige Hilfestellungen. Der Arbeitgeber kann die Beschäftigten durch zentrale Beratungsleistungen in seinem Hause (entsprechende Träger bieten dies häufig kostenlos an - z. B. ein fester Termin im Monat) unterstützen oder auch Kooperationen mit örtlichen Anbietern (z. B. Trägern von Kindergärten oder Sozialberatung) eingehen.

    Wenn es in einem Betrieb mehrere Mitarbeiter mit zu pflegenden Angehörigen gibt oder Beschäftigte mehrere mit Kindern gibt, kann es für den Arbeitgeber sinnvoll sein, einen Rahmenvertrag mit einer externen Beratung (EAP) zu schließen, um die Beschäftigten bei Notfällen zu entlasten. Diese Institutionen bieten von der Organisation der täglichen Kinderbetreuung, über Notfallbetreuung für Kinder und pflegebedürftige Personen die Vermittlung von Langzeitplätzen für pflegebedürftige Angehörige. Auch "Lebenslagen-Coaching" anzubieten ist eine gute Möglichkeit der Unterstützung.

Beispiel 2 - Maurer mit Mehrfachbelastungen durch eine ehrenamtliche Tätigkeit

bgvr_ausrufungszeichen.jpgO. Merz
"Ich bin Maurer von Beruf und wohne in einem kleinen Ort. Hier hilft man sich unter den Nachbarn. Auch wenn einer sein Haus baut, helfen die Nachbarn mit. Das hilft Kosten sparen, der ganze Bau wird wesentlich billiger. Auch unsere Pfarrscheune haben wir gemeinsam renoviert, die baufälligen Mauern wieder aufgebaut und noch ein neues Stück drangebaut. Kein Problem, da bin ich ja Fachmann, und auch hier ist das Geld immer knapp. Also abends nach der Arbeit schnell zum Pfarrgrundstück und noch 2-3 Stunden ehrenamtlich weitergearbeitet. War ja Sommer, also kein Problem. Und die Kumpels aus der Nachbarschaft habe ich da auch alle wieder getroffen. War eine schöne Zeit, aber mein Rücken hat sie auch noch in Erinnerung..."

Herr Merz fällt insbesondere durch die körperliche Mehrfachbelastung aus Beruf und Ehrenamt auf. Dennoch dürfen die persönlichen Ressourcen nicht überbelastet werden. Genau das passiert aber gerade dann häufig, wenn die Identifikation mit dem Ehrenamt hoch ist.

  • Die Erfahrung von Herrn Merz ist wichtig für die Kirchgemeinde. Gut wäre es, wenn sich weitere ehrenamtliche Helfer finden, die im Beruf körperlich nicht so belastet sind. Herr Merz kann diese dann mit seinem Wissen und seiner Erfahrung anleiten. Das für ihn und die Gemeinde wichtige Ehrenamt kann so aufrecht erhalten werden, ohne die persönlichen Ressourcen zu überlasten. Der für die Ehrenämter Verantwortliche sollte hier handeln. Sie als aktiver Ehrenamtler sollten diese Problematik thematisieren.

  • Die VBG als gesetzliche Unfallversicherung, bei der die Ehrenamtlichen versichert sind, kann um Beratung gebeten werden, z. B. in Bezug auf technische Hilfen für Tätigkeiten mit hohen physischen Belastungen oder auch zu Fragen möglicher Fehlbelastungen und Lösungsmöglichkeiten insgesamt. Im Ehrenamt sollten dieselben Standards für Sicherheit und Gesundheit bei der Arbeit gelten wie im Beruf.

  • Bei der Anschaffung von technischen Hilfen können z. B. mehrere Kirchgemeinden gemeinsam einen Verleihpool aufbauen.

  • Der Arbeitgeber kann die Beschäftigten befähigen, ihre Belastungen selbst einzuschätzen und Abhilfemaßnahmen zu ergreifen, die möglicherweise schon durch die Gefährdungsbeurteilung in Ihrem Betrieb bekannt sind.

Beispiel 3 - Sachbearbeiterin mit klassischen Belastungen und Mehrfachtätigkeit

bgvr_ausrufungszeichen.jpgE. Beinhorn
"Ich arbeite als Sachbearbeiterin im öffentlichen Dienst in einem Großraumbüro als Teilzeitkraft 30 Stunden in der Woche. Nach der Geburt von zwei Kindern habe ich zunächst nur halbtags gearbeitet und habe dann später wegen erhöhter finanzieller Belastungen nach dem Hausbau die Arbeitsteilzeit auf das Möglichste erhöht. Am Arbeitsplatz bin ich sehr schlechten Rahmenbedingungen durch Lärm und Zwistigkeiten mit Kolleginnen ausgesetzt, die mir sehr zu schaffen machen. Ich versuche, gute Arbeitsleistungen abzuliefern und eine höhere Einstufung zu erreichen. Doch das gemeinsam mit meinem Ehemann Bernd verdiente Geld reicht nicht aus, um die nötige Schuldentilgung vorzunehmen. Deshalb nahm ich Aushilfstätigkeiten in einer Supermarktkette an. Die Aushilfstätigkeit ist zwar körperlich anstrengend, hier treffe ich allerdings auf Kolleginnen, die mich unterstützen und ein freundschaftliches Verhältnis zu mir pflegen."

Frau Beinhorns Situation fällt durch klassische Belastungen an ihrem Hauptarbeitsplatz auf. Dieser belastet sie über das erträgliche Maß hinaus durch ungünstige Umgebungsbedingungen (Lärm) und soziale Probleme. Der Zweitjob scheint weniger das Problem darzustellen. Er erzeugt dennoch zusätzliche Belastungen.

  • Frau Beinhorn sollte am Arbeitsplatz das Gespräch mit ihren Vorgesetzten und ggf. dem Personalrat führen, um die Hintergründe für ihre Probleme am Arbeitsplatz ansprechen zu können und gemeinsam Lösungsmöglichkeiten zu suchen. Auch Ihr Betriebsarzt sollte hinzugezogen und der Arbeitsplatz überprüft werden. Die Unterstützung des Arbeitgebers im Rahmen der betrieblichen Gesundheitsförderung sowie Angebote der Krankenkasse können hilfreich sein, um die Verantwortung von Frau Beinhorn für ihre eigene Gesundheit zu fördern. Die Quelle für die Lärmbelastung ist durch den Arbeitgeber zu prüfen und abzustellen bzw. für Schutz zu sorgen.

  • Der Arbeitgeber hat die Möglichkeit, Konflikte am Arbeitsplatz konstruktiv zu benennen und professionell bearbeiten zu lassen. Klären Sie mit Ihren Mitarbeitern die Bereitschaft zu persönlicher Unterstützung durch Dritte ("Coaching") und teambildenden Veranstaltungen ab und stellen Sie die Möglichkeiten dazu zur Verfügung.

  • Neben Abklärung von speziellen Arbeitszeitmodellen wäre auch die Prüfung einer evtl. Weiterqualifizierung durch inner- oder außerbetriebliche Maßnahmen sinnvoll, um den finanziellen Druck zu reduzieren.

Bei Fragen zum Schutz vor Lärm am Arbeitsplatz und zur kollegialen Form der Arbeitsorganisation (auch Hilfe bei Mobbing) bietet der zuständige Unfallversicherungsträger vielfältige Beratungsleistungen. Stimmen Sie Ihren Klärungsbedarf mit allen Interessengruppen ab und kontaktieren Sie den Ansprechpartner Ihrer Berufsgenossenschaft oder Unfallkasse.