Anhang 4 - Informationen für den Betriebsarzt
4.1 Werte im biologischen Material
Arbeitsplatzbezogene Werte
Für PCB gibt es keine rechtsverbindlichen Grenzwerte am Arbeitsplatz im biologischen Material (Biologische Grenzwerte, BGW).
Von der Deutschen Forschungsgemeinschaft wurden für PCB keine biologischen Arbeitsstofftoleranzwerte (BAT), keine biologischen Leitwerte (BLW) und keine Expositionsäquivalente für krebserzeugende Arbeitsstoffe (EKA) aufgestellt.
Humanbiomonitoring-Werte
Für den Bereich der Allgemeinbevölkerung hat das Umweltbundesamt folgende Human-Biomonitoring-Werte (HBM-Werte) festgelegt:
HBM-I-Wert: 3,5 µg PCBgesamt/Liter Serum
HBM-II-Wert: 7 µg PCBgesamt/Liter Serum
PCBgesamt = 2 * ΣPCB (138 + 153 + 180 im Serum)
Die Werte stellen insbesondere auf das werdende Kind, Säuglinge und Kleinkinder und deren besondere Empfindlichkeit gegenüber PCB ab.
Bei Unterschreitung des HBM-I-Wertes ist nach dem aktuellen Stand der Bewertung nicht mit einer gesundheitlichen Beeinträchtigung zu rechnen. Bei Überschreitung des HBM-II-Wertes ist eine für die betroffenen Risikogruppen als relevant anzusehende gesundheitliche Beeinträchtigung möglich. Wegen der Plazenta-Gängigkeit von PCB, der besonderen Empfindlichkeit von Kindern im prä- und perinatalen Bereich gegenüber PCB und der langen biologischen Halbwertszeit von PCB gelten Frauen im gebärfähigen Alter gleichermaßen als zu schützende Zielgruppe; der HBM-II-Wert ist unter diesen Umständen ein Interventionswert für Frauen in gebärfähigem Alter [Umweltbundesamt 2012].
Bedeutung von Referenzwerten
Als Referenzwert wird das 95 %-Perzentil der Konzentrationsverteilung einer beruflich nicht gegenüber einem Gefahrstoff exponierten repräsentativen Bevölkerungsgruppe herangezogen. Dies bedeutet, dass 5 % der Allgemeinbevölkerung Werte oberhalb des Referenzwertes aufweisen, dass 95 % jedoch Werte unterhalb des Referenzwertes besitzen.
In Abhängigkeit von äußeren Einflüssen können Referenzwerte somit unterschiedlich sein (z. B. in unterschiedlichen Ländern, Bevölkerungsgruppen).
Referenzwerte beschreiben die zum jeweiligen Untersuchungszeitpunkt bestehende Belastungssituation der Allgemeinbevölkerung. Sie machen keinerlei Aussagen zur Frage einer Gesundheitsgefährdung bei Einhaltung oder Überschreitung dieses Wertes und geben auch keinerlei Hinweise, ab welchem Ausmaß einer Referenzwert-Überschreitung ggf. mit Gesundheitsschäden zu rechnen ist.
Referenzwerte für niedrigchlorierte PCB
Von der Deutschen Forschungsgemeinschaft wurden 2011 für niedrigchlorierte PCB folgende Biologische Arbeitsstoff-Referenzwerte (BAR) veröffentlicht:
PCB 28: 0,02 µg/l Plasma bzw. Serum
PCB 52: < 0,01 µg/l Plasma bzw. Serum
PCB 101: < 0,01 µg/l Plasma bzw. Serum
Höhere Messwerte dieser drei Kongenere deuten auf eine zusätzliche Exposition am Arbeitsplatz oder im Innenraumbereich hin.
Referenzwerte für höherchlorierte PCB
Das Umweltbundesamt hat 1999 Referenzwerte auf Basis einer bundesweit repräsentativen Bevölkerungsstichprobe veröffentlicht. Hierbei wurden sowohl für Serum/Plasma als auch für Vollblut Referenzwerte für die höherchlorierten Kongenere PCB 138, 153 und 180 erstellt; diese werden im außerberuflichen Bereich im Wesentlichen durch die Nahrung aufgenommen. Aufgrund ihrer langen biologischen Halbwertszeit nehmen diese Referenzwerte mit steigendem Lebensalter zu (Kumulation), weswegen die Referenzwerte altersgeschichtet sind.
Das Umweltbundesamt hat 2003 die Referenzwerte aktualisiert. Hierbei wurden ausschließlich Konzentrationsangaben im Vollblut gemacht.
Neuere Studien, die nicht beruflich PCB-belastete Vergleichsgruppen (wenngleich auch nicht im Sinne einer bundesweit repräsentativen Auswahl) mitgeführt haben, zeigen, dass infolge der zurückgehenden Konzentrationen von PCB in der Umwelt, insbesondere auch im Bereich von Nahrungsmitteln, die Referenzwerte im weiteren zeitlichen Verlauf noch weiter abgesunken sein dürften.
4.2 Arbeitsmedizinische Vorsorge
Eine eingehende Erhebung der Arbeitsvorgeschichte einschließlich Abschätzung einer möglichen Exposition gegenüber PCB und konkurrierenden anderen Gefahrstoffen ist bei der Durchführung einer arbeitsmedizinischen Beratung oder Untersuchung unabdingbar. Dabei sind auch die möglichen Aufnahmepfade (inhalativ, dermal, oral) abzuklären.
Im Rahmen der Beratung sind die individuellen Arbeitsgegebenheiten einschließlich der Anwendung persönlicher Schutzausrüstung und des individuellen arbeitshygienischen Verhaltens zu ermitteln. Hierbei ist erforderlichenfalls auf eine Optimierung hinzuwirken.
Bei Hinweisen auf eine Exposition ist ein Biomonitoring vorzunehmen. Hierbei sollten mindestens die sechs Leit-Kongenere und PCB 118 im Serum/Plasma in einem hierfür zertifizierten Laboratorium bestimmt werden. Auf Grund der langen biologischen Halbwertszeit spielt der Probenahmezeitpunkt eine nachrangige Rolle.
Bei Einhaltung der jeweiligen Referenzwerte für die einzelnen PCB-Kongenere ist nach bisherigen Erkenntnissen nicht von einer erhöhten Gesundheitsgefährdung durch PCB auszugehen.
Bei Überschreitung der Referenzwerte sind die Gefährdungsbeurteilung, die Schutzmaßnahmen und das arbeitshygienische Verhalten zu überprüfen und ggf. anzupassen. Akute Effekte sind in der Regel nicht zu erwarten (geringe akute Toxizität von PCB). Dies gilt auch für die irritative Wirkung auf die Atemwege.
Im Rahmen ärztlicher Untersuchungen sollten bei Überschreitung der Referenzwerte die im Anhang 3 genannten Symptome abgeklärt und folgende Basisuntersuchungen (in Normalschrift dargestellt) durchgeführt werden. Ergeben sich hierbei Auffälligkeiten, muss der Betriebsarzt entscheiden, welches weitere Vorgehen angemessen ist. Etwaige Auffälligkeiten können neben PCB auch durch eine Vielzahl anderweitiger außerberuflicher wie auch ggf. beruflicher Einwirkungen oder aus innerer Ursache hervorgerufen sein. Soweit im betriebsärztlichen Rahmen möglich, sollten diese ggf. abgeklärt werden. Lassen sich keine anderweitigen Ursachen ermitteln, muss geprüft werden, inwieweit PCB als Ursache in Frage kommen.
Hierbei spielt die Höhe der internen Exposition im Biomonitoring eine wesentliche Entscheidungsgrundlage. Allerdings liegen derzeit für viele Symptome keine ausreichend gesicherten Kenntnisse zu den Dosis-Wirkungsbeziehungen und Wirkschwellen von PCB bei Erwachsenen vor. Erforderlichenfalls sollte der Betriebsarzt Kontakt mit dem zuständigen Unfallversicherungsträger aufnehmen. Die aufgeführten zusätzlichen Untersuchungen (in Kursivschrift dargestellt) sollten bei Auffälligkeiten in den Basisuntersuchungen erfolgen. Sie bleiben in der Regel weiterführenden Maßnahmen im Rahmen der speziellen fachärztlichen Diagnostik und der Kausalabklärung (z. B. im Rahmen eines Begutachtungsverfahrens bei Berufskarnkheiten-Verdacht) außerhalb der betriebsärztlichen Tätigkeit vorbehalten.
Haut und Konjunktiven
Inspektion: Abklärung von Irritationen, Pigmentstörungen (Hyperpigmentierungen), Haarausfall, Komedonen, Akne, Photosensibilität, (Prä)kanzerosen, Konjunktivitis, Talgdrüsenverdickung an den Augenlidern.
Leber
Klinische Untersuchung
Laborwerte: Transaminasen, γ-GT im Serum; Porphyrine im Urin
Weitere Untersuchungen:
Sonographie
Schilddrüse
Klinische Untersuchung
Laborwerte: fT3, fT4, TSH; Schilddrüsen-Antikörper: TAK, TRAK, TPO
Weitere Untersuchungen:
Sonographie
Metabolisches Syndrom, hämatologische Befunde
Laborwerte: Differentialblutbild; Glukose im Blut/Serum, HB A1c im Serum, Lipoprotein-Differenzierung.
Bauchspeicheldrüse
Laborwerte: Lipase und Amylase im Serum
Weitere Untersuchungen:
Sonographie
Peripheres Nervensystem
Klinische Untersuchung: Sensibilität, Motorik, Vibrationsempfinden (Stimmgabel)
Weitere Untersuchungen:
Nervenleitgeschwindigkeit, Elektromyogramm
Zentralnervensystem
Anamnese und ärztliches Gespräch: Abklärung kognitiver Leistungseinbußen; ggf. spezieller Fragebogen analog zu G 45 "Styrol"
Weitere Untersuchungen:
psychometrische Leistungsdiagnostik und psychiatrische Exploration
Bei besonderem Verdacht im Einzelfall
Laboruntersuchungen: Abklärung des Corticoid-Hormon-Status:
Cortisol, Hydroxyproxyprogesteron, DHEAS, Progesteron, LH, FSH, Testosteron. Bei Subfertilität Spermiogramm
Es können auch Gesundheitsschäden mit größerer Latenz (z. B. im Bereich der Schilddrüse, am Nervensystem) auftreten. Deshalb sind ggf. Nachuntersuchungen angezeigt.
Nach den vorliegenden Erfahrungen sind beim Erwachsenen bedeutsame Veränderungen des Immunsystems mit Krankheitswert auch bei höheren Belastungen in der Regel nicht zu erwarten. Zur Frage einer möglichen Risikoerhöhung für bestimmte Malignome kann angesichts der derzeit vorliegenden Datenlage keine gesicherte Aussage gemacht werden. Diesbezüglich können keine konkretisierenden Untersuchungsempfehlungen gegeben werden.