Anhang 4 - Anwendung der Risikomatrix
A 4.1
Allgemeines
In der Praxis hat sich in vielen Jahren Einsatzerfahrung von PSAgS gezeigt, dass bei Störlichtbogenereignissen, bei denen PSAgS fachgerecht getragen wurde, in der Regel keine Verletzungen aufgetreten sind - zum Teil auch bei Überschreitung des rechnerischen Schutzpegels der PSAgS. Dies zeigt, dass das Berechnungsverfahren (Kapitel 3 Phase 3) in der Regel ausreichend Sicherheitsreserven enthält, zumal die dort teilweise angenommenen Worst-Case-Bedingungen in vielen Fällen nicht alle zeitgleich vorliegen.
Darüber hinaus können aber auch nicht direkt quantifizierbare Einflussfaktoren wie z. B. die Qualifikation des Personals, der Einsatz von überbrückungssicherer Ausrüstung oder fehlende Ausbreitungsmöglichkeiten eines Störlichtbogens das Eintrittsrisiko einer Störlichtbogenverletzung deutlich verringern, ohne dass diese Faktoren im Berechnungsverfahren bislang abgebildet werden konnten.
Mit dem hier beschriebenen erweiterten Ansatz einer Risikobewertung können über die bisher bewerteten numerischen Rechenparameter hinaus nun auch weitere Maßnahmen (technische, organisatorische, persönliche) und Einflussfaktoren (statistische, ergonomische) bei der Beurteilung einer Gefährdung durch Störlichtbögen berücksichtig werden (Abb. A 4-1).
Abb. A 4-1
Gesamtbewertung der Einflussfaktoren ergibt Störlichtbogenrisiko
Die Risikobewertung eröffnet damit die Möglichkeit, unter bestimmten Voraussetzungen Überschreitungen des rechnerischen Schutzpegels von PSAgS in festgelegten Grenzen zu erlauben, wenn das daraus resultierende Verletzungsrisiko hinreichend klein ist. Dies wird mit der Anwendung der Risikomatrix (Kapitel 3, Abb. 3-2) und dem im Folgenden beschriebenen Anwendungsverfahren erreicht. Das Restrisiko einer Verletzung durch Störlichtbogen ist die Verknüpfung der erwarteten Verletzungsschwere und der erwarteten Eintrittswahrscheinlichkeit einer Verletzung - jeweils nach Berücksichtigung aller getroffenen Maßnahmen.
Die Risikomatrix kann erst angewandt werden, wenn das Berechnungsverfahren (Kapitel 3, Phase 3) eine Überschreitung des rechnerischen Schutzpegels der PSAgS ergibt. Es ist dann die Eintrittswahrscheinlichkeit und die Verletzungsschwere einer Störlichtbogenverletzung nach Anwendung der getroffenen Maßnahmen abschätzen. Das sich ergebende Restrisiko ist zu bewerten
(Risikomatrix):
"grün": | Tätigkeiten dürfen durchgeführt werden | |
---|---|---|
"gelb": | Tätigkeiten dürfen durchgeführt werden, aber aktives Risikomanagement ist notwendig: | |
- | Risiko nach DIN EN 31010 (VDE 0050-1) so gering wie vernünftigerweise praktikabel (ALARP - as low as reasonably practicable)halten, | |
- | Einzelfallbewertung, | |
- | regelmäßige Überprüfung, ob weitere technische, | |
organisatorische oder persönliche Maßnahmen möglich sind, | ||
- | ggf. Turnusfestlegung | |
"rot": | Tätigkeiten dürfen so nicht durchgeführt werden; | |
- | ggf. weitere Maßnahmen nach Phase 5 durchführen, | |
- | ggf. ist die Anlage freizuschalten |
A 4.2
Bewertung der erwarteten Verletzungsschwere
Es ist die erwartete Verletzungsschwere bei Eintritt eines Störlichtbogens unter Berücksichtigung aller getroffenen Schutzmaßnahmen zu bewerten. Die gravierendsten Auswirkungen bestehen im Zusammenhang mit den thermischen Lichtbogenwirkungen.
Der Schweregrad einer Verbrennung ist grundsätzlich abhängig von einer Vielzahl komplexer Faktoren, wie z. B. der Intensität und der Dauer des einwirkenden Wärmeflusses auf die Hautoberfläche und der daraus bedingten Temperaturerhöhung in verschiedenen Tiefen der Haut. Die erwartete Verletzungsschwere wird in diesem Verfahren über das Verhältnis der erwarteten Lichtbogenenergie (WLB ) des Störlichtbogens und dem rechnerischen Schutzpegel der PSAgS (WLBS ) entsprechend der nachfolgend angegebenen Tabelle A 4-1 vereinfacht abgeschätzt.
Anmerkung 1:
Die in Tabelle A 4-1 angegebenen Werte basieren auf Literaturauswertungen und Festlegungen der AG Störlichtbogen und beinhalten einen Sicherheitsabstand, der aus Expertensicht als ausreichend angesehen wird.
Anmerkung 2:
Diese DGUV Information betrachtet nicht die möglichen Gefährdungen durch weitere Effekte eines Störlichtbogens, z. B. durch Druck, Schall, wegfliegende Teile, Strahlung, geschmolzene Partikel oder Gase. Diese Gefährdungen müssen ggf. gesondert betrachtet werden.
A 4.3
Bewertung der Eintrittswahrscheinlichkeit
Es ist bei der Anwendung der Risikomatrix die erwartete Eintrittswahrscheinlichkeit (EW) einer Verletzung durch Störlichtbogen (SLB) unter Berücksichtigung aller getroffenen Maßnahmen abzuschätzen. Dabei beeinflussen sowohl die Maßnahmen gegen das Auftreten eines Störlichtbogens wie auch die Maßnahmen gegen die Auswirkungen eines möglichen Störlichtbogens die erwartete Eintrittswahrscheinlichkeit einer Verletzung (Abb. A 4-2).
Die möglichen Kategorien für die Eintrittswahrscheinlichkeit einer Störlichtbogenverletzung sind in Tabelle A 4-2 aufgeführt.
Tabelle A 4-1 Bewertungskriterien zur Ermittlung der möglichen Verletzungsschwere
Bezeichnung | Beschreibung | Lichtbogenenergie/Schutzpegel | |
---|---|---|---|
1 | Leichte Verletzung | Hautverbrennung < 2. Grades | WLB / WLBS ≤ 1 |
2 | Reversible Verletzung | Hautverbrennung 2. Grades; Blasenbildung, starke Schmerzen, vollständige Heilung oder mit Narbenbildung | 1 < WLB / WLBS ≤ 3 |
3 | Irreversible Verletzung | Hautverbrennung 3. Grades; Verbrennung tieferer Hautschichten | 3 < WLB / WLBS ≤ 10 |
4 | Tödliche Verletzung | Hautverbrennungen 3. Grades oder schwerer, großflächig, irreversibel, mit tödlichen Folgen | WLB / WLBS > 10 |
Abb. A 4-2
Einfluss von Maßnahmen gegen Auftreten und Auswirkung von Störlichtbögen
Die Eintrittswahrscheinlichkeit einer Verletzung durch Störlichtbögen kann auf Basis von detaillierten Bewertungskriterien (Tabelle A 4-3) auch differenzierter abgeschätzt werden. Dabei kommen Bewertungspunkte zum Einsatz, die für die nachfolgenden Bewertungskriterien vergeben werden können:
- a)
Art/Zustand der Anlage
- b)
Technische Maßnahmen
- c)
Organisatorische Maßnahmen
- d)
Persönliche Maßnahmen
- e)
Statistische Einflussfaktoren
- f)
Ergonomische Einflussfaktoren
Die Summe der Bewertungspunkte ergibt einen Wert mit dessen Hilfe die Eintrittswahrscheinlichkeit festgelegt werden kann (siehe Abb. A 4-3).
Jedes betrachtete Kriterium ist in Bezug auf die ausgeführte Tätigkeit/Tätigkeitsgruppe und die vorliegende Anlage/auf den vorliegenden Anlagentyp sowie im Zusammenwirken mit den anderen Kriterien nach Tabelle A 4-3 zu bewerten.
Die Bewertungspunkte 0 bis 10 sind dahingehend zu vergeben, wie weit das jeweilige Kriterium die Verletzungswahrscheinlichkeit beeinflusst: Einfluss führt zu Verletzungswahrscheinlichkeit:
0 | praktisch unmöglich; |
---|---|
2 | denkbar, aber sehr unwahrscheinlich; |
4 | unwahrscheinlich; |
7 | selten; |
10 | gelegentlich bis häufig. |
Ist ein Kriterium nicht zutreffend (z. B. es ist keine entsprechende Maßnahme möglich, es liegen keine statistischen Daten vor), ist der Wert der Bewertungspunkte für dieses Kriterium auf den Durchschnittwert der anderen bewerteten Kriterien zu setzen, damit das Ergebnis nicht verzerrt wird.
Beispiel:
Kriterium a) | ... 4 Punkte |
---|---|
Kriterium b) | ... nicht zutreffend |
→ Wert wird auf 3,5 Punkte gesetzt | |
Kriterium c) | ... 2 Punkte |
Kriterium d) | ... 4 Punkte |
Kriterium e) | ... nicht zutreffend |
→ Wert wird auf 3,5 Punkte gesetzt | |
Kriterium f) | ... 4 Punkte |
Die Bewertung der Kriterien a, c, d und f ergeben zusammen 14 Punkte. Die Werte der nicht zutreffenden Kriterien b und e werden auf den Wert 3,5 (=14/4: Mittelwert der 4 anderen Kriterien) gesetzt.
Tabelle A 4-2 Erwartete, durchschnittliche Verletzungshäufigkeit eines Beschäftigten nach Maßnahmen
Bezeichnung | Beschreibung | Häufigkeit | |
---|---|---|---|
1 | Praktisch unmöglich | Mit einer Verletzung muss nicht gerechnet werden. | < 1x in 100 Jahren |
2 | Denkbar, aber sehr unwahrscheinlich | Unter theoretischen Betrachtungen könnte es zu einer Verletzung kommen. Dies ist in der Praxis unter vernünftig vorhersehbaren Voraussetzungen nicht zu erwarten. | 1x in 100 Jahren |
3 | Unwahrscheinlich | In der Branche sind Unfälle bekannt, die nicht ausgeschlossen werden können, aber sehr selten sind. | 1x in 50 Jahren |
4 | Selten | Eine Verletzung durch einen Störlichtbogen ist durchaus möglich | 1x in 10 Jahren |
5 | Gelegentlich bis häufig | Eine Verletzung durch einen Lichtbogen ist zu erwarten. | monatlich ... jährlich |
Tabelle A 4-3 Kriterien zu Abschätzung der Eintrittswahrscheinlichkeit einer Verletzung
Bezeichnung | Beschreibung | mögliche Bewertungspunkte (Einfluss auf EW) | |
---|---|---|---|
a) | Art/Zustand der Anlage | Art/Zustand der Anlage hinsichtlich überbrückungsfähiger Potenziale (Lichtbogenentstehung) oder der Begrenzung von Lichtbogenauswirkung, z. B.
| 0 ... praktisch unmöglich 2 ... denkbar, sehr unwahrscheinlich 4 ... unwahrscheinlich 7 ... selten 10 ... gelegentlich bis häufig |
b) | Technische Maßnahmen | Technische Maßnahmen zur Vermeidung von Potenzialüberbrückungen (Lichtbogenentstehung) oder zur Begrenzung von Lichtbogenauswirkungen, z. B.
| 0 ... praktisch unmöglich 2 ... denkbar, sehr unwahrscheinlich 4 ... unwahrscheinlich 7 ... selten 10 ... gelegentlich bis häufig nicht zutreffend |
c) | Organisatorische Maßnahmen | Organisatorische Maßnahmen zur Vermeidung von Potenzialüberbrückungen (Lichtbogenentstehung) oder zur Begrenzung von Lichtbogenauswirkungen, z. B.
| 0 ... praktisch unmöglich 2 ... denkbar, sehr unwahrscheinlich 4 ... unwahrscheinlich 7 ... selten 10 ... gelegentlich bis häufig nicht zutreffend |
d) | Persönliche Maßnahmen | Persönliche Maßnahmen zur Vermeidung von Potenzialüberbrückungen (Lichtbogenentstehung) oder zur Begrenzung von Lichtbogenauswirkungen, z. B.
| 0 ... praktisch unmöglich 2 ... denkbar, sehr unwahrscheinlich 4 ... unwahrscheinlich 7 ... selten 10 ... gelegentlich bis häufig nicht zutreffend |
e) | Statistische Einflussfaktoren | Statistische Einflussfaktoren, die bei der Bewertung der Eintrittswahrscheinlichkeit eines Lichtbogens oder einer Verletzung durch Lichtbogen eine Rolle spielen, z. B.
| |
f) | Ergonomische Einflussfaktoren | Ergonomische Einflussfaktoren, die bei der Bewertung der Eintrittswahrscheinlichkeit eines Lichtbogens oder einer Verletzung durch Lichtbogen eine Rolle spielen, z. B.
| 0 ... praktisch unmöglich 2 ... denkbar, sehr unwahrscheinlich 4 ... unwahrscheinlich 7 ... selten 10 ... gelegentlich bis häufig nicht zutreffend |
Die Summe der Bewertungspunkte für die Kriterien a) bis f ) führt zur Einstufung der erwarteten Eintrittswahrscheinlichkeit einer Verletzung in der Risikomatrix (Abb. A 4-3):
Abb. A 4-3
Risikomatrix mit Summe der Bewertungspunkte