DGUV Information 203-077 - Thermische Gefährdung durch Störlichtbögen Hilfe bei der Auswahl der persönlichen Schutzausrüstung

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Anhang 3 - Kenngrößen und Risikoanalyse der thermischen Lichtbogengefährdung von Personen

A 3.1
Allgemeine Vorbemerkung

Die Aussagen dieses Anhangs sind auf Drehstromsysteme zugeschnitten. Für Gleichstromsysteme gelten die Aussagen im übertragenen Sinne. Auf Besonderheiten für DC-Systeme wird im Anschluss an den jeweiligen Abschnitt hingewiesen.

A 3.2
Energetische Kenngrößen der thermischen Lichtbogengefährdung von Personen

Die elektrische Energie, die in einen Störlichtbogen eingespeist wird, wird dort nahezu vollständig umgewandelt und in unterschiedlichen Formen abgegeben bzw. wieder freigesetzt. Die Auswirkungen von Störlichtbögen werden deshalb primär von der elektrischen Lichtbogenenergie WLB bestimmt. Die elektrische Lichtbogenenergie kennzeichnet die Verhältnisse bei einem Lichtbogenkurzschluss in einer Anlage eindeutig. Für unterschiedliche Netz- und Anlagenbedingungen ergeben sich verschiedene Lichtbogenenergien.

Die für eine Person infolge thermischer Wirkungen maßgebliche Expositions- bzw. Gefährdungsgröße ist die Energiedichte, die an der exponierten Oberfläche der Haut auftritt. Das ist die Einwirkenergie Ei, die bei unmittelbarer thermischer Lichtbogeneinwirkung als direkte Einwirkenergie Ei0 vorliegt. Trägt die Person eine PSAgS dann ist die Einwirkenergie als Durchgangsenergie Eit zu betrachten. In der Prüfung von PSAgS wird festgestellt, ob die Durchgangsenergie die Grenze für das Einsetzen von Hautverbrennungen 2. Grades (Stoll/Chianta-Kriterium) übersteigt. Die erfolgreiche Prüfung erbringt damit den Nachweis, dass diese PSAgS bis zu dem Niveau der direkten Einwirkenergie, das in dieser Prüfung eingestellt ist, lichtbogenbeständig ist und schützt.

Zwischen der elektrischen Lichtbogenenergie und der direkten Einwirkenergie gibt es einen komplexen nichtlinearen Zusammenhang, der durch die konkreten Transmissions- und Expositionsverhältnisse einschließlich der Anlagenkonfiguration und des Wirkabstandes zwischen dem Lichtbogen und der Person (Übertragungsverhältnisse) bestimmt wird. Die Transmissions- und Expositionsbedingungen für die thermischen Wirkungen können sehr vielfältig sein. Eine Gefährdungsbeurteilung muss alle diesbezüglichen Fälle einschließen bzw. abdecken und erfordert eine Worst-Case-Betrachtung.

Für den Box-Test von PSAgS (Schutztextilien und Schutzkleidung) nach DIN EN 61482-1-2 (VDE 0682-306-1-2) [11] ist der Zusammenhang zwischen elektrischer Lichtbogenenergie und direkter Einwirkenergie für die beiden Störlichtbogenschutzklassen bekannt. Sie sind die Kontrollgrößen für die Prüfeinstellung und charakterisieren die Übertragungsverhältnisse des Prüfaufbaus.

Beim Box-Test bestehen insbesondere infolge der durch den kleinräumigen Boxaufbau realisierten Lichtbogen-Richtwirkung (Gasströmung), die Strahlungseinwirkung (einschließlich Reflexionen) und durch die Elektrodenmaterialauswirkungen Worst-Case-Übertragungsbedingungen. Vergleichende Untersuchungen zu anderen Anordnungen zeigen, dass sich bei gleicher eingespeister elektrischer Lichtbogenenergie im Box-Test-Aufbau die höchsten thermischen Einwirkenergien ergeben.

A 3.3
Verfahren der Ermittlung von WLB und WLBS

Mit nachfolgend beschriebenen Verfahren ist deshalb die elektrische Lichtbogenenergie WLB, die im Anwendungsbereich zu erwarten ist, zu bestimmen. Es wird der maximale Wert der zu erwartenden elektrischen Lichtbogenenergie, angegeben in kJ, ermittelt. Auf dieser Basis ist dann nachzuweisen, dass die maximal auftretenden Beanspruchungen (thermischen Wirkungen) das Schutz- und Festigkeitsniveau der PSAgS nicht übersteigen. Die diesbezügliche Kenngröße ist die Lichtbogenenergie der Prüfklasse des Boxtests, der Prüfpegel. Das Niveau der äquivalenten Lichtbogenenergie der PSA-Prüfung muss diesen Pegel abdecken. Im Anwendungsfall vorliegende Abweichungen von den Abstands-, Geometrie- und Transmissionsverhältnissen der Prüfung können in der Bestimmung der äquivalenten Lichtbogenenergie, dem Schutzpegel WLBS berücksichtigt werden.

Ausgehend vom Schutzpegel (äquivalente Lichtbogenenergie) ist bei der Wahl der Prüf- oder Störlichtbogenschutzklasse der PSAgS die Relation zum Erwartungswert für die elektrische Lichtbogenenergie zu betrachten.

Die thermischen Gefahren eines Störlichtbogens sind abgedeckt, wenn

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Die Prüfströme der Prüfklassen des Boxtests entsprechen nicht den Einsatzgrenzen der PSAgS im Hinblick auf das Kurzschlussstromniveau!

Die Risikoanalyse umfasst folgende Arbeitsschritte:

  • Bestimmung des Erwartungswertes der elektrischen Lichtbogenenergie,

  • Betrachtung des Lichtbogenschutzpegels der PSAgS,

  • Berücksichtigung abweichender Expositionsbedingungen.

Innerhalb der Arbeitsschritte sind für den zu analysierenden Arbeitsplatz bzw. -bereich zu bestimmen:

  • Die Nennspannung bzw. Vereinbarungsspannung des Netzes.

  • Der prospektive (metallische) Kurzschlussstrom (AC: Anfangs-Kurzschlusswechselstrom bzw. DC: Dauerkurzschlussstrom).

  • Das R/X-Verhältnis der Netz- bzw. Kurzschlussstromkreisimpedanz (AC) bzw. der ohmsche Widerstand R und die Induktivität L des Stromkreises (DC).

  • Die Anlagengeometrie (Elektrodenabstände und Volumenverhältnisse an möglichen Fehlerorten).

  • Die Arbeitsabstände (mögliche Entstehungs- und Brennorte für Störlichtbögen, minimale Wirkabstände zu Lichtbögen).

  • Art, Typ, Einstellung und Charakteristika der Schutzeinrichtung(en) (dem Arbeitsbereich vorgeordnete Leistungsschalter, Sicherungen oder andere spezielle Schutzeinrichtungen).

  • Die Schutzpegel der Prüfklassen der PSAgS.

Anmerkung:

Es wird darauf hingewiesen, dass verschiedene Schaltzustände des Verteilungsnetzes bzw. speisenden Energieversorgungssystems zu unterschiedlichen Kurzschlussleistungen und Energiewerten führen können. Es kann deshalb erforderlich sein, für eine Anlage mehrere solcher Fälle zu analysieren, um dann den Fall zu ermitteln, bei dem die höchste Lichtbogengefährdung besteht.

Die Analyse des Energieversorgungssystems muss für alle relevanten Arbeitsbereiche, d. h. im Allgemeinen vom Einspeisepunkt des betreffenden Netzes bis in den Abnehmerbereich, erfolgen.

A 3.4
Arbeitsschritte

Unter A 3.4 sind Betrachtungen für Wechsel- und Drehstromsysteme dargestellt, die im Wesentlichen auch auf Gleichstromsysteme übertragbar sind. Besonderheiten für Gleichstromsysteme sind in den Abschnitten A 3.4.3.1, A 3.4.4.1, A 3.4.6.1 und A 3.4.7.1 beschrieben.

A 3.4.1
Erfassung der allgemeinen Betriebsbedingungen

Ausgangspunkt ist die Betrachtung der allgemeinen Betriebsbedingungen. Zuerst ist eine Liste der Netzspannungsebenen, Anlagenarten und Anlagenorte im Netz sowie der Arbeitsaufgaben aufzustellen.

Anmerkung:

Dabei ist zu beachten, dass sich für unterschiedliche Schaltzustände des Netzes und des vorgeordneten Versorgungssystems verschiedene prospektive Kurzschlussströme ergeben. Der Kurzschlussstrom ist am höchsten, wenn der Netzknotenpunkt (die Sammelschiene einer Schaltanlage oder eines Verteilers) durch mehrere Einspeisungen oder Transformatoren gespeist wird. Für die gleiche Anlage müssen die unterschiedlichen Werte des Kurzschlussstroms bei verschiedenen Schaltzuständen dennoch berücksichtigt werden, da die Lichtbogenenergie bei dem kleineren Kurzschlussstrom infolge der längeren Ausschaltzeit der Überstromschutzeinrichtung durchaus größer als für den höheren Strom sein kann.

Hinsichtlich der Arbeitsaktivitäten (elektrotechnische Arbeiten, Schalthandlungen) spielen alle Tätigkeiten eine Rolle, die an offenen elektrischen Anlagen ausgeführt werden oder bei denen die Anlagen geöffnet werden (Arbeiten in der Nähe unter Spannung stehender Teile, Arbeiten unter Spannung).

Anmerkung:

Im Falle bauartgeprüfter Schaltanlagen, für die der prüftechnische Nachweis der Lichtbogenfestigkeit vorliegt (Mittelspannung: Lichtbogenprüfung nach DIN EN 62271-200, Niederspannung: Lichtbogenprüfung Kriterium 1-5 nach EN 61439-2 Beiblatt 1) kann beim Bedienen und Arbeiten an einer geschlossenen Anlage immer ein Personenschutz vorausgesetzt werden; sie brauchen nicht in die weitere Analyse einbezogen werden.

Bei nichtgeprüften Anlagen kann nicht davon ausgegangen werden, dass die Anlagen im Falle eines inneren Lichtbogenfehlers geschlossen bleiben und/oder dass keine unzulässigen Lichtbogenwirkungen außerhalb der Anlage auftreten (z. B. durch austretende heiße Gase, berstende Teile etc.); hier muss eine Behandlung wie im Falle geöffneter Anlagen erfolgen bzw. eine gesonderte Betrachtung der Gefährdungssituation erfolgen.

A 3.4.2
Berechnung der Kurzschlussströme an den betrachteten Arbeitsplätzen

Voraussetzung für die Risikoanalyse und Auswahl der PSAgS ist die Kenntnis der prospektiven Kurzschlussströme bzw. Kurzschlussleistungen in den Anlagen (bzw. Netzknotenpunkten), die als Arbeitsorte in Frage kommen.

Anmerkung:

In der Regel ist die Risikoanalyse für verschiedene Arbeitsplätze in einem Netz oder Versorgungssystem vorzunehmen. Oft ist es in größeren Systemen zweckmäßig, struktur- und parametergleiche oder ähnliche elektrische Grundkonfigurationen (Schaltungen) zu bilden und zu betrachten.

Die Kurzschlussstromberechnung ist nach den Standardverfahren der Normen DIN EN 60909-0 (VDE 0102) [8] oder DIN EN 61660-1 (VDE 0102-10) [9] durchzuführen. Dafür steht in der Regel Berechnungssoftware zur Verfügung.

In Drehstromsystemen sind für jeden Arbeitsplatz/Anlagenbereich die maximalen und minimalen prospektiven dreipoligen Anfangs-Kurzschlusswechselströme

I"k 3,max und

I"k 3,min

für die möglichen/relevanten Schaltzustände des Netzes zu bestimmen. Diese Ströme werden standardgemäß für metallischen, d. h. impedanzlosen Kurzschluss (Fehlerstellenimpedanz ist Null) ermittelt. Angaben zum Kurzschlussstrom bzw. der Kurzschlussleistung können auch durch den Versorgungsnetzbetreiber zur Verfügung gestellt werden. Wichtig ist, dass die Kurzschlussströme für den Fehlerort gelten, der dem betrachteten Arbeitsort entspricht.

Anmerkung:

Sollte für Niederspannungsnetze vom Versorgungsnetzbetreiber nur der Kurzschlussstrom (bzw. die Kurzschlussleistung) am speisenden Abspanntransformator bereitgestellt werden, dann muss der Kurzschlussstrom für Arbeitsorte (Fehlerorte), die entfernt vom Transformator im Niederspannungsnetz liegen, eine Berechnung auf der Grundlage der technischen Daten des Einspeisetransformators von Mittelspannung auf Niederspannung und unter Berücksichtigung der verwendeten Niederspannungs-Kabelbauarten und -längen erfolgen. Es muss ggf. eine Mehrfachspeisung des Fehlerortes beachtet werden.

Im Falle eines realen Kurzschlusses (mit Störlichtbogen) fließt infolge der Störlichtbögen (Fehlerstellenimpedanzen) ein reduzierter Strom, der Lichtbogenkurzschlussstrom (Fehlerstrom bei Lichtbogenkurzschluss).

Steht Software zur Verfügung, die auch die Bestimmung des Kurzschlussstroms bei Lichtbogenkurzschluss IkLB vornimmt, so ist dieser Strom ebenfalls für die relevanten Schaltzustände zu ermitteln.

Der Lichtbogenkurzschlussstrom lässt sich ausgehend von I"k 3,min auch mit Hilfe eines Strombegrenzungsfaktors kB berechnen. Es gilt

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Der Faktor kB wird auf der Grundlage der Lichtbogenspannung ULB in Abhängigkeit von der Nennspannung des Netzes UNn, dem R/X-Verhältnis der Impedanz des Kurzschlussstromkreises und des Elektrodenabstandes d (Abstand benachbarter Leiter in der elektrischen Anlage) ermittelt.

Anmerkung:

Die Reduzierung bzw. Begrenzung des Fehlerstroms infolge der Störlichtbögen an der Fehlerstelle hat praktisch nur in Niederspannungsssystemen Einfluss. Für Mittelspannungs- oder Hochspannungs-Netze kann die Strombegrenzung vernachlässigt werden (kB= 1).

A 3.4.2.1
Besonderheiten bei der Berechnung der Kurzschlussströme für DC-Systeme

In DC-Systemen ist der prospektive Dauerkurzschlussstrom IkDC (metallischer Kurzschluss) zu bestimmen. Der Lichtbogenkurzschlussstrom wird iterativ bestimmt.

A 3.4.3
Bestimmung der Kurzschlussdauer (Lichtbogendauer)

Die Lichtbogendauer tLB bzw. Kurzschlussdauer tk ist eine wesentliche Größe, die für die Risikoanalyse benötigt wird. Sie wird durch die Überstromschutzeinrichtungen bestimmt und kann im Allgemeinen aus Selektivitätsberechnungen und/oder den Ausschalt-Kennlinien (Strom-Zeit-Kennlinien) der Hersteller der Überstromschutzeinrichtungen entnommen werden.

Es ist zu beachten, dass die Ausschaltzeit bei strom-zeitabhängigen Überstromschutzeinrichtungen, z. B. Schmelzsicherungen von der Höhe des tatsächlichen Kurzschlussstroms und damit von der Strombegrenzung durch die Störlichtbögen selbst beeinflusst wird.

Im Niederspannungsbereich entspricht der tatsächliche Kurzschlussstrom nicht dem prospektiven Kurzschlussstrom, sondern dem Lichtbogenkurzschlussstrom IkLB, und kann deutlich begrenzt sein. Der tatsächliche Kurzschlussstrom IkLB lässt sich unter Berücksichtigung einer Reihe von Einflussgrößen nur näherungsweise und mit gewissen Unsicherheiten bestimmen (siehe A 3.4.2). Man liegt im Allgemeinen im sicheren Bereich, wenn man von einer Strombegrenzung von 50 % ausgeht und mit diesem reduzierten Strom die Ausschaltzeit aus der Strom-Zeit-Kennlinie bestimmt. Der Strombegrenzungsfaktor beträgt dann kB = 0,5; es folgt:

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Bei Angabe von Streubereichen für die Strom-Zeit-Kennlinie einer Überstromschutzeinrichtung (z. B. Sicherung) ist der Wert der oberen Bereichsgrenze für die Kurzschlussdauer anzusetzen.

Anmerkung 1:

Zur Bestimmung der Ausschaltzeit ist als relevante Überstromschutzeinrichtung die dem jeweiligen Arbeitsbereich vorgeordnete heranzuziehen. Das können auch Überstromschutzeinrichtungen sein, die an dieser Stelle für die Zeit der Arbeiten eingesetzt oder aktiviert werden, z. B. sogenannte Arbeitsschutzsicherungen. Bei Mehrfachspeisung des Arbeitsbereichs ist die Überstromschutzeinrichtung mit der längsten Ausschaltzeit zur Bestimmung der Kurzschlussdauer zugrunde zu legen.

Anmerkung 2:

Bei Nutzung von Softwaretools (Selektivitätsberechnungen) ist darauf zu achten, dass die Berechnung auf der Grundlage des begrenzten Lichtbogenkurzschlussstroms IkLBerfolgt.

Hinsichtlich der Überstromschutzeinrichtungen sind Schutzbereiche und Selektivitätsstufungen zu beachten. Bei nicht-strombegrenzenden Sicherungen und Leistungsschaltern mit Direktauslöser kann die Kurzschlussdauer direkt aus der Strom-Zeit-Kennlinie bzw. den zeitlichen Abstufungen der Selektivität (Staffelplan) entnommen werden. Bei Leistungsschaltern ist dabei gegebenenfalls die Einstellung von Zeitverzögerungsstufen oder Staffelzeiten zu beachten. Für die Ausschaltzeit von Leistungsschaltern ohne Zeitverzögerung können folgende Richtwerte als typisch angesehen werden:

Tabelle A 3-1 Typische Ausschaltzeiten von Leistungsschaltern

LeistungsschalterUnverzögerte Ausschaltzeit
Niederspannung
( < 1000 V )
60 ms
Mittelspannung
( 1 bis 35 kV )
100 ms
Hochspannung
( > 35 kV )
150 ms

Herstellerinformationen können diesbezüglich genauere Daten liefern.

Bei strombegrenzend wirkenden Sicherungen liegt die Kurzschlussdauer unter 10 ms. Die Strom-Zeit-Kennlinien dieser Sicherungen weisen die virtuelle Schmelzzeit aus, so dass die tatsächliche Ausschaltzeit damit nicht übereinstimmen muss. Bei Sicherungen im Strombegrenzungsfall sollte aus Sicherheitsgründen eine Kurzschlussdauer von tk = 10 ms angesetzt werden. Dieser Wert liegt auf der sicheren Seite.

Anmerkung: Bei Kurzschlussdauern von über 1 s kann ggf. davon ausgegangen werden, dass die Person sich aus dem unmittelbaren Gefahrenbereich zurückziehen kann und deshalb längere Zeiten nicht berücksichtigt werden müssen. Dies gilt nicht, wenn das Arbeitsumfeld ein Entfernen der Person verhindert oder einschränkt, z. B. Arbeiten in engen Kabelgräben oder -kanälen, schmalen Arbeitsgängen, Arbeiten auf Leitern oder Hebeeinrichtungen.

A 3.4.3.1
Besonderheiten bei der Bestimmung der Kurzschlussdauer für DC-Systeme

Die von den Herstellern von Sicherungen angegebenen Ausschaltkennlinien geben in der Regel die virtuellen Schmelzzeiten für einen Stromkreis mit einer Zeitkonstante von τ = 0 an. In den meisten praktischen Fällen kann die Verlängerung der Schmelz- bzw. Ausschaltzeit für τ ≠ 0 vernachlässigt werden, weil die Kurzschlussdauer groß im Vergleich zur Zeitkonstante ist. Generell ist den Hinweisen der Hersteller der Sicherungen zur Umrechnung zu folgen. Analoges gilt für Leistungsschalter.

A 3.4.4
Bestimmung des Erwartungswertes der elektrischen Lichtbogenenergie

Es ist die maximal zu erwartende elektrische Lichtbogenenergie für den betreffenden Fehlerort bzw. die betrachtete Arbeitssituation zu ermitteln.

Die elektrische Lichtbogenenergie hängt von den Netzbedingungen ab, d. h. von der Kurzschlussleistung S"k des Netzes an den in Frage kommenden Fehlerorten und der Kurzschlussdauer tk, die durch die elektrischen Überstromschutzeinrichtungen (Ausschaltzeiten der Leistungsschalter und Sicherungen, ggf. von gesonderten Schutzeinrichtungen) bestimmt wird und aus den Schutzkennlinien zu ermitteln ist:

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Die Kurzschlussleistung des Netzes am Fehlerort ergibt sich aus der Nennspannung bzw. vereinbarten Versorgungsspannung des Netzes UNn und dem maximalen prospektiven dreipoligen Kurzschlussstrom I"k 3,max für die relevanten Netzschaltzustände.

Bei Mehrfachspeisung der Fehlerstelle setzt sich der Kurzschlussstrom I"k 3,max aus den entsprechenden Teilströmen zusammen. Gegebenenfalls sind Kurzschlussstromanteile von Motoren, die auf die Fehlerstelle rückspeisen können, zu beachten.

Bei Fehlerorten in Schaltanlagen und Verteilungen sind im Allgemeinen die Leitungsimpedanzen zwischen Speisequelle (meist Transformator) und Anlage zu berücksichtigen.

Die Lichtbogenenergie ist außerdem von den Anlagenbedingungen abhängig, die durch einen Faktor kP charakterisiert werden, der die Art der Lichtbogenausbildung und die Elektrodengeometrie am Fehlerort berücksichtigt. Dieser Faktor lässt sich mit Hilfe der Lichtbogenspannung näherungsweise ermitteln. Für Lichtbogenspannungen gibt es empirische Bestimmungsgleichungen, die - neben den elektrischen Stromkreisparametern - die Kenntnis der Leiterabstände der Anlagen erfordert. Man kann dann von der Bestimmung der 50-%-Lichtbogenspannungswerte ausgehen [21].

Für eine sehr grobe Abschätzung ohne Berücksichtigung der Anlagengeometrie können auch die theoretischen Maxima der Größe kP benutzt werden, die sich mit nachfolgender Gleichung bestimmen lassen:

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R ist dabei der Wirkanteil, X der Blindanteil der Impedanz des Kurzschlussstromkreises.

Diese Worst-Case-Berechnung ist immer anzuwenden bei Elektrodenanordnungen, die direkt auf die arbeitende Person gerichtet sind (siehe Abb. A 3-1).

Darüber hinaus wurde festgestellt, dass für die praktisch üblichen Anlagenkonfigurationen die nachfolgend angegebenen kp-Wertebereiche typisch sind und als Richtwerte angewendet werden können (Tabelle A 3-2).

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Abb. A 3-1
Elektrodenanordnung, die direkt auf die dort arbeitende Person gerichtet ist

A 3.4.4.1
Besonderheiten bei der Bestimmung des Erwartungswertes der elektrischen Lichtbogenenergie für DC-Systeme

Im Gegensatz zur Lichtbogenenergieermittlung in Wechsel- und Drehstromsystemen wird für DC-Systeme ein iterativer Ansatz zur Bestimmung des Lichtbogenkurzschlussstroms und der Lichtbogenleistung benutzt, mit deren Hilfe dann die Lichtbogenenergie zu ermitteln ist. Ausgangspunkt ist die Strom-Spannungs-Charakteristik des DC-Lichtbogens, die durch die Gleichung

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Anmerkung:

In der angegebenen Gleichung ist der Lichtbogenkurzschlussstrom in A einzusetzen. Mit dem Elektrodenabstand in mm ergibt sich dann die Lichtbogenspannung in V.

Tabelle A 3-2 Richtwerte für bezogene Lichtbogenleistung

Netz-Nennspannung
UNn
Abstand
d
Resistanz/Reaktanz-Verhältnis
R/X
Bezogene Lichtbogenleistung
kP
400 V30 mm0,20,229
0,50,215
1,00,199
≥ 2,00,181
45 mm0,20,289
0,50,263
1,00,240
≥ 2,00,222
60 mm0,20,338
0,50,299
1,00,270
≥ 2,00,253
10 ... 20 kV120 ... 2400,10,04 ... 0,08

Anmerkung:

Bei Anwendung der Maximalwerte oder der Richtwerte umgeht man die Ermittlung der Geometrieverhältnisse auf Kosten der Genauigkeit. Gerade bei der Anwendung der Maximalwerte entsteht u. U. ein deutlicher Sicherheitsabstand.

angenähert wird. Diese Näherungsgleichung ist aus messtechnischen Untersuchungen abgeleitet worden und beschreibt den wechselseitigen Strom-Spannungs-Zusammenhang am Lichtbogen für den sich im DC-Ersatzstromkreis bei Lichtbogenkurzschluss einstellenden Arbeitspunkt. Zur Vereinfachung wird der Ersatzstromkreis linearisiert, indem der Lichtbogen als linearer ohmscher Widerstand RLB betrachtet wird. Für den linearisierten Stromkreis gilt

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Der Widerstand RN ist der ohmsche Widerstand des DC-Systems bei kurzgeschlossenem Lichtbogen und ergibt sich folglich aus der Nennspannung des Netzes UNn und dem prospektiven (metallischen) Kurzschlussstrom IkDC nach RN = UNn / IkDC.

Mit Hilfe des Ansatzes für die Lichtbogenspannung ULB wird der lineare Lichtbogenwiderstand RLB = ULB / IkLB bestimmt, der anschließend zur Bestimmung des Lichtbogenkurzschlussstroms IkLB auf der Grundlage der Stromkreisgleichung benutzt wird:

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Hierfür ist folglich ein iteratives Verfahren erforderlich.

Im ersten Iterationsschritt wird ein Wert für den Lichtbogenkurzschlussstrom vorgegeben. Zweckmäßig ist ein Wert von 50 % des metallischen Kurzschlussstroms des Stromkreises: IkLB = 0,5 · IkDC. Damit werden die Lichtbogenspannung und anschließend der zugehörige Lichtbogenwiderstand errechnet. Mit diesem Lichtbogenwiderstand wird der korrigierte Lichtbogenkurzschlussstrom bestimmt, der dann in nächsten Iterationsschritt wieder zur Ermittlung der Lichtbogenspannung dient. Aus den korrelierenden Werten von Lichtbogenspannung und Lichtbogenkurzschlussstrom des betreffenden Iterationsschritts i ergibt sich die Lichtbogenleistung zu PLB (i) = ULB (i) · IkLB (i) . Die Iteration wird beendet, wenn ein geeignetes Abbruchkriterium erreicht ist. Als geeignet kann eine Abweichung von kleiner als 0,5 % angesehen werden.

Für grobe Abschätzungen kann die Lichtbogenleistung näherungsweise auch als Maximum der in einem linearen Widerstand umsetzbaren Leistung bestimmt werden. Für lineare DC-Stromkreise beträgt diese Maximalleistung 25 % der Kurzschlussleistung Pk = UNn · IkDC = U2Nn / RN .

Die bezogene Lichtbogenleistung beträgt dann kp,max = 0,25. Die Lichtbogenleistung bestimmt sich dann nach PLB,max = 0,25 · Pk .

Die Lichtbogenenergie wird in Analogie zu den AC-Systemen aus der resultierende Lichtbogenleistung und der Kurzschlussdauer errechnet. Die Kurzschlussdauer bestimmt sich aus den Ausschaltkennlinien der Überstromschutzeinrichtungen mit Hilfe des Lichtbogenkurzschlussstroms.

A 3.4.5
Bestimmung des Arbeitsabstandes

Der Arbeitsabstand a ist der Abstand zwischen dem Störlichtbogen und dem Körper der Person (Oberkörper), der bei Arbeitshandlungen im betrachteten Arbeitsumfeld wirksam wird oder auch einzuhalten ist. Bei unterschiedlichen Handlungen in einem Arbeitsumfeld ist der geringste entstehende Abstand anzusetzen. Für die Fehlerstelle (Ort eines Störlichtbogens) ist die Anordnung der potentiellen Elektroden des Lichtbogens in der Anlage (Leiteranordnung) maßgebend.

Als Arbeitsumfeld und Arbeitsplätze gelten die elektrischen Anlagen, an denen Personen elektrotechnische Arbeiten bei geöffneter Anlage (Reparaturen, Wartungs- und Instandhaltungsarbeiten, Montage, Prüfen, Messen etc.) ausführen. Das sind Arbeiten in der Nähe unter Spannung stehender Teile (AiN) oder Arbeiten unter Spannung (AuS).

Typische Arbeitsabstände, die sich aus den Arbeitshaltungen der Personen und den charakteristischen Konstruktionen bzw. Geometrien und Abmessungen von elektrischen Anlagen ergeben, betragen:

Tabelle A 3-3 Typische Arbeitsabstände

AnlagentypTypische Arbeitsabstände
Niederspannuns-Verteiler, Hausanschlusskästen, MCC300 ... 450 mm
Niederspannungs-Schaltanlagen300 ... 600 mm
MS-Schaltanlagen≥ 825 mm

Es sind möglichst die genauen Abstandsverhältnisse zu bestimmen und der Bestimmung des Arbeitsabstands zugrunde zu legen. Man kann jedoch grundsätzlich davon ausgehen, dass bei Arbeiten der Abstand von a = 300 mm zum Oberkörper einer Person nur selten unterschritten wird und insbesondere im Niederspannungsbereich als Richtwert angesetzt werden kann.

Anmerkung:

Bei Arbeiten an geschlossenen Anlagen, die eine Bauartprüfung auf Lichtbogenfestigkeit bestanden haben, kann Personenschutz vorausgesetzt werden; ein Arbeitsabstand braucht folglich nicht bestimmt zu werden (siehe Abschnitt 3.4.1). Im Falle nichtgeprüfter Anlagen muss von Lichtbogenwirkungen außerhalb der Anlage, z. B. durch sich öffnende Türen, gerechnet werden. Der dann zu berücksichtigende Arbeitsabstand setzt sich aus dem Abstand zur Anlagenhülle und den o. g. typischen Arbeitsabständen (Werte der unteren Grenze) zusammen.

Die Festlegung eines Sicherheitsabstandes, der bei Arbeiten nicht unterschritten werden darf, ist eine mögliche Maßnahme, Arbeitshandlungen mit der PSAgS eines bestimmten Schutzniveaus (Prüf- bzw. Störlichtbogenschutzklasse) zu ermöglichen.

A 3.4.6
Lichtbogenschutzpegel der PSAgS

Für den Prüfaufbau des Box-Tests nach DIN EN 61482-1-2 (VDE 0682-306-1-2) [11] ist sichergestellt, dass die thermischen Übertragungsverhältnisse (einschließlich Wirkung Elektrodenmaterial) Worst-Case-Bedingungen entsprechen. Für die Anwendungsgrenzen der PSAgS kann man von den elektrischen Lichtbogenenergien WLBP der Prüfeinstellung ausgehen, die den jeweiligen Einwirkenergien Ei0P im Test entsprechen:

Tabelle A 3-4 Parameter des Box-Tests

Box-Test DIN EN 61482-1-2 (VDE 0682-306-1-2)Statistische Mittelwerte
StörlichtbogenschutzklasseElektrische Lichtbogenenergie WLBPDirekte Einwirkenergie Ei0P
APC 1168 kJ146 kJ/m2
APC 2320 kJ427 kJ/ m2

Anmerkung:

Die angegebenen direkten Einwirkenergiewerte Ei0P, die die Störlichtbogenschutzklassen des Box-Test-Verfahrens kennzeichnen, entsprechen nicht den ATPV-Werten, die in Tests nach DIN EN 61482-1-1 (VDE 0682-306-1-1) [10] oder in daran anschließenden Verfahren nach NFPA 70E [14] und IEEE 1584 [15] bestimmt werden; es sind weder die zugrunde liegenden Transmissions- und Expositionsbedingungen vergleichbar noch sind analytische Umrechnungen oder mathematische Überführungen in diese Werte möglich.

Die Lichtbogenenergiewerte WLBP führen im Wirkabstand von a = 300 mm (dem Prüfaufbau entsprechend) zu den betreffenden Einwirkenergien. Die Lichtbogenenergie WLBP, die die Störlichtbogenschutzklasse des Box-Tests kennzeichnet, wird als Vergleichsgröße WLBS für die ermittelte Lichtbogenenergie WLB des Anwendungsbereichs benutzt.

Dabei ist vorausgesetzt, dass die PSAgS-Anwendung für Arbeitsabstände von a = 300 mm und Anlagen vorgesehen wird, die analog zum Box-Test-Aufbau (mit einem Volumen von rund V = 1,6 · 10-3 m3 ) kleinräumig und durch Seiten-, Rück- und Schottwände begrenzt sind (siehe Abb. 4-5). Bei abweichenden Bedingungen sind Korrekturen möglich.

A 3.4.6.1
Lichtbogenschutzpegel der PSAgS für DC-Systeme

Auch für DC-Anwendungen ergeben sich die Schutzpegel der PSAgS aus den AC-Prüfpegeln des Boxtests WLBP.

Anmerkung:

Durch Untersuchungen wurde nachgewiesen, dass die Energieverhältnisse in DC-Systemen durch die für AC-Systeme geltenden Bedingungen abgedeckt werden [28].

A 3.4.7
Berücksichtigung abweichender Expositionsverhältnisse

Aus der elektrischen Lichtbogenenergie der Prüfklasse WLBP lässt sich für einen beliebigen Arbeitsabstand a über die experimentell nachgewiesene umgekehrte quadratische Abstandsproportionalität ein Schutzpegel (äquivalente Lichtbogenenergie) WLBS ermitteln, bei dem der Schutz durch die PSAgS bei dem betreffenden Abstand a noch gegeben ist. Außerdem lässt sich die Anlagenkonfiguration berücksichtigen. Allgemein gilt für den Box-Test

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Der Transmissionsfaktor kT für die Lichtbogenenergie beträgt für die Box-Test-Bedingungen kT = 1. Für abweichende Brenn- und Transmissionsbedingungen kann der Transmissionsfaktor kT auch mit folgenden Werten angesetzt werden:

Tabelle A 3-5 Transmissionsfaktor kT

Art der AnlageTransmissionsfaktor
kT
(sehr) kleinräumige Anlagen mit Seiten-, Rück- und Schottwänden1
Großräumige Anlagen, Raumbegrenzung vor allem durch Rückwand1,5 ... 1,9
Offene Anlagen ohne wesentliche Begrenzungen des Elektrodenraumes2,4

A 3.4.7.1
Berücksichtigung abweichender Expositionsverhältnisse für DC-Systeme

Die Transmissionsfaktoren kT aus Tabelle A 3-5 können auch für DC-Anwendungen angewendet werden. Die Bestimmung der Schutzpegel der PSAgS erfolgt ebenfalls in gleicher Weise wie für AC-Systeme mit den AC-Prüfpegeln des Boxtests WLBP.

Durch Untersuchungen wurde nachgewiesen, dass die thermischen Übertragungsverhältnisse in DC-Systemen durch die für AC-Systeme geltenden Bedingungen abgedeckt werden.

A 3.4.8
Anwendung der Analyseergebnisse zur Gefährdungsbeurteilung

In der Gefährdungsbeurteilung bzw. Wahl der Prüf- oder Störlichtbogenschutzklasse der PSAgS (Box-Test) ist ausgehend von der äquivalenten Lichtbogenenergie die Relation zum Erwartungswert für die elektrische Lichtbogenenergie zu betrachten. Der Schutz vor den thermischen Gefahren eines Störlichtbogens ist gegeben, wenn die elektrische Lichtbogenenergie WLB kleiner oder gleich des Schutzpegels (äquivalente Lichtbogenenergie) WLBS ist. WLBWLBS

Von dieser Relation ausgehend lassen sich mit den oben genannten Bestimmungsgrößen und -gleichungen die Grenzen für die Anwendbarkeit der PSAgS einer gewählten Prüf- und Störlichtbogenschutzklasse hinsichtlich des Kurzschlussstrombereichs, der erlaubten Kurzschlussdauer bzw. Ausschaltzeit der Überstromschutzeinrichtung (und damit der Überstromschutzeinrichtung selbst) und des zulässigen Arbeitsabstandes ermitteln.

A 3.5
Alternative Prüfverfahren

Bei alternativen Prüfverfahren zum Box-Test-Verfahren ist die beschriebene Vorgehensweise nicht anwendbar. Es ist dann notwendig, den Zusammenhang zwischen elektrischer Energie und direkter Einwirkenergie (Übertragungsfunktion) allgemeingültig für den betreffenden Testaufbau zu bestimmen oder die direkte Einwirkenergie zu ermitteln, die im Anwendungsfall bei einem Unfall zu erwarten ist, und sie mit dem Einwirkenergiepegel der PSA-Prüfung zu vergleichen.

Neben dem Box-Test wird auch ein Prüfverfahren nach DIN EN 61482-1-1 (VDE 0682-306-1-1) [10] verwendet (Open-Arc-Test). Im Gegensatz zum Box-Test-Verfahren, bei dem ein gerichteter Prüflichtbogen erzeugt wird, ähnlich eines Störlichtbogens wie er z. B. bei einem Störlichtbogenunfall bei der Arbeit an einem Schaltschrank oder einer Verteilung zu erwarten ist, wird beim Open-Arc-Verfahren der Störlichtbogen offen und ungerichtet, also quasi im Freifeld erzeugt. Beide Verfahren sind nicht direkt vergleichbar und nicht ineinander überführbar oder umrechenbar. Dies liegt einerseits an der Art der durch den Prüfaufbau vorgegeben Länge und Ausbreitung des Störlichtbogens, am verwendeten Elektrodenmaterial und vielen anderen physikalisch-technischen Unterschieden. Die Wärmeübertragung erfolgt beim Open-Arc-Test hauptsächlich strahlungsbedingt.

Andererseits führt der Open-Arc-Test im Ergebnis zum so genannten "Arc Thermal Performance Value", dem ATPV. Hierbei wird nach einem statistischen Verfahren die Einwirkenergie bestimmt, bei der eine 50 %-ige Wahrscheinlichkeit besteht, hinter der PSA eine Verbrennung 2. Grades zu erleiden. Auch wenn ein Störlichtbogen-Unfall relativ unwahrscheinlich ist, erlaubt die PSA-Verordnung der EU keine PSA-Auslegung, die eine solche Verletzung toleriert. Deshalb konnte das Prüfverfahren innerhalb der EU bis 07-2019 grundsätzlich keine Anwendung finden. Erst mit der 2. Ausgabe der IEC 61482-1-1: 07-2019 wird mit der Bestimmung eines zusätzlichen Ergebnisparameters ELIM die Voraussetzung geschaffen, dass mit Open-Arc-Prüfungen die Konformitätsvermutung zur EU-Verordnung erfüllt werden können (siehe auch A 2.3).

Der ATPV ist die direkte Einwirkenergie, die bei den speziellen Übertragungsverhältnissen des Tests entsteht. Es ist anzumerken, dass weder der ATPV noch der ELIM mit den Pegeln der direkten Einwirkenergie der Prüfklassen des Box-Tests übereinstimmen. Die Einwirkenergielevel des Box-Test-Verfahrens sind keine ATPV- oder ELIM-Werte bzw. Grenzen des ATPV- oder ELIM-Bereichs.

Produkte, die auf internationalen Märkten erhältlich sind, sind u. U. nach beiden Verfahren, also Box-Test und Open-Arc-Test geprüft. Auch wenn die Prüfergebnisse nicht direkt vergleichbar sind, so können sie dennoch bei der Auswahl einer geeigneten PSAgS helfen, insbesondere dann, wenn die maximal zu erwartende Lichtbogenenergie über der in A 3.4.4 beschriebenen Lichtbogenenergie der Störlichtbogenschutzklasse WLBP (Prüfpegel) bzw. der äquivalenten Lichtbogenenergie WLBS (Schutzpegel) liegt.

Ein Hersteller, der seine Produkte nach beiden Verfahren getestet hat, kann deshalb auch für EU-Märkte die erzielten ELIM-Werte angeben, um dem Anwender bei der Auswahl geeigneter PSAgS ein weiteres Auswahlkriterium an die Hand zu geben.

Für die Anwendung von ATPV und ELIM bei der Auswahl der PSAgS muss allerdings eine Risikoanalyse vorgenommen werden, in der die zu erwartende Einwirkenergie ermittelt wird. Hierfür geben u.a. NFPA 70E [14] und IEEE 1584 [15] entsprechende Algorithmen an.

Es ist allerdings anzumerken, dass die ATPV-basierte Prüfung und PSAgS-Auswahl an die Beschränkungen des Verfahrens gebunden sind.