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Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts
84, 11 [Nr. 3 Anspruch auf Gaststättenerlaubnis trotz Versagung der Baugenehmigung]

Rechtsgrundlagen:

GastG §§ 3 Abs. 1 Satz 2, 4 Abs. 1 Nr. 3
Urteil des 1. Senats vom 17. Oktober 1989 - BVerwG 1 C 18.87

Das Antrags- oder Sachbescheidungsinteresse für einen gaststättenrechtlichen Erlaubnisantrag fehlt nicht ohne weiteres deswegen, weil die Erteilung der entsprechenden Baugenehmigung bestandskräftig abgelehnt worden ist.

Ein Gaststättenbetrieb widerspricht u. a. dann im Hinblick auf seine örtliche Lage dem öffentlichen Interesse im Sinne des § 4 Abs. 1 Nr. 3 GastG, wenn er mit Vorschriften des Bauplanungsrechts unvereinbar ist.

Ob ablehnende Baubescheide – entsprechend dem Regelungsgehalt von Baugenehmigungen – für das gaststättenrechtliche Erlaubnisverfahren Bindungswirkung dahin entfalten, daß das Vorhaben als mit bestimmten Baurechtsnormen vereinbar oder unvereinbar anzusehen ist, beurteilt sich in erster Linie nach dem Bauordnungsrecht der Länder. Aus Bundesrecht läßt sich eine solche Bindungswirkung nicht herleiten.

Das Gaststättengesetz verbietet nicht, die Gaststättenerlaubnis vor einer etwa erforderlichen Baugenehmigung zu erteilen.

Vorinstanzen

I. Verwaltungsgericht MünchenII. Verwaltungsgerichtshof München

Die Klägerin ist Pächterin einer Gaststätte in M. Sie begehrt für dieses Lokal von der beklagten Stadt die Erlaubnis zum Betrieb einer Schank- und Speisewirtschaft mit einer zulässigen Betriebszeit bis 1 Uhr. Die Beklagte versagte die Gaststättenerlaubnis für einen über 22.00 Uhr hinausgehenden Gaststättenbetrieb wegen der örtlichen Lage des Betriebs und wegen der BVerwGE 84, 11, Seite 12„Vorgaben“ aus baurechtlichen Verfahren. Die Gaststätte ist baurechtlich nämlich nur mit einer Betriebszeit bis 22 Uhr genehmigt. Anträge auf Erteilung der Baugenehmigung für einen Gaststättenbetrieb über 22.00 Uhr hinaus waren von der Beklagten unter Berufung auf § 34 BBauG abgelehnt worden.

Die auf Erteilung einer uneingeschränkten Gaststättenerlaubnis gerichtete Verpflichtungsklage der Klägerin hatte in der Berufungsinstanz Erfolg. Das Bundesverwaltungsgericht wies die Revisionen der Beklagten und der Landesanwaltschaft Bayern zurück.

Aus den Gründen:

Die Revisionen der Beklagten und der Landesanwaltschaft sind unbegründet. Das Berufungsurteil, das die Beklagte dazu verpflichtet, der Klägerin die beantragte Gaststättenerlaubnis ohne einschränkende Betriebszeitregelung zu erteilen, verstößt nicht gegen revisibles Recht. ...

Die Versagung der beantragten Erlaubnis für eine Gaststätte mit einer über 22.00 Uhr hinausgehenden Betriebszeit (vgl. § 3 Abs. 1 Satz 2 GastG) läßt sich weder aus dem Gesichtspunkt des fehlenden Sachbescheidungsinteresses (1.) noch mit den in den baurechtlichen Verfahren ergangenen „Vorgaben“ (2.) rechtfertigen. Ohne Rechtsfehler hat das Berufungsgericht der Klägerin einen Anspruch auf die von ihr begehrte Erlaubnis zuerkannt (3.).

1. Der Versagungsbescheid stützt sich nicht auf mangelndes Antrags- oder Sachbescheidungsinteresse (zum diesbezüglichen Ermessensspielraum vgl. BVerwGE 42, 115 [117]; 50, 282 [286]), und er läßt sich darauf auch nicht stützen. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts fehlt es am Antrags- oder Sachbescheidungsinteresse für einen Erlaubnisantrag, wenn der Antragsteller an der Verwertung der von ihm beantragten Erlaubnis gehindert, die Erlaubnis für ihn also nutzlos wäre. Ein Hindernis für die Ausnutzung der beantragten – die Betriebszeit (§ 3 Abs. 1 Satz 2 GastG) nicht begrenzenden – Gaststättenerlaubnis kann darin liegen, daß die Nutzung der Gaststättenräume bisher auch baurechtlich nur bis 22.00 Uhr genehmigt ist. Dieses baurechtliche Hindernis stände dem Sachbescheidungsinteresse der Klägerin hinsichtlich ihres gaststättenrechtlichen Erlaub-BVerwGE 84, 11, Seite 13nisantrags aber nur dann entgegen, wenn es sich „schlechthin nicht ausräumen“ ließe (vgl. BVerwGE 48, 242 [247]; 61, 128 [131]). Das ist nicht der Fall. Die Beklagte mag derzeit nicht die Absicht haben, das genannte Hindernis zu beseitigen. Doch ist es – und darauf kommt es in diesem Zusammenhang an – rechtlich nicht ausgeschlossen, daß sie die Baugenehmigung auf eine gastgewerbliche Nutzung der Gaststättenräume nach 22.00 Uhr erstreckt; denn nach den von der Revision nicht angegriffenen Feststellungen des Berufungsgerichts ist davon auszugehen, daß der Betrieb der Gaststätte „Z.“ zwischen 22.00 Uhr und 1.00 Uhr materiell baurechtmäßig wäre.

2. Auch aus ... den Entscheidungen, die zur Frage der Betriebszeit der Gaststätte in baurechtlichen Verfahren ergangen sind, ergibt sich nicht, daß der angefochtene Versagungsbescheid rechtmäßig wäre. ...

Die Revisionen berufen sich vor allem auf die bestandskräftigen Bescheide, mit denen Anträge auf baurechtliche Genehmigung einer über 22.00 Uhr hinausgehenden gastgewerblichen Nutzung der Räume der Gaststätte abgelehnt wurden. ... Die Revisionen messen diesen Bescheiden Bindungswirkung in dem Sinne bei, daß die Behörde im gaststättenrechtlichen Erlaubnisverfahren von der bauplanungsrechtlichen Unzulässigkeit des Vorhabens der Klägerin ausgehen müsse. Träfe dies zu, so wäre der angefochtene Ablehnungsbescheid in der Tat durch § 4 Abs. 1 Nr. 3 GastG gedeckt. Nach dieser Bestimmung ist die Gaststättenerlaubnis nämlich u. a. dann zu versagen, wenn der Gaststättenbetrieb im Hinblick auf seine örtliche Lage dem öffentlichen Interesse widerspricht. Widerspricht ein Gaststättenbetrieb wegen seiner örtlichen Lage ganz oder teilweise Vorschriften des Bauplanungsrechts, so widerspricht er insoweit auch dem öffentlichen Interesse im Sinne des § 4 Abs. 1 Nr. 3 GastG. Die von den Revisionen angenommene Bindungswirkung besteht jedoch nicht.

Wie in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts anerkannt ist, regelt die (positive) bauaufsichtliche Genehmigung nach dem Bauordnungsrecht der Länder nicht nur, daß ein bestimmtes Bauvorhaben ausgeführt werden darf; neben diesem gestattenden Teil (Baufreigabe) hat die Baugenehmigung vielmehr die umfassende Feststellung der Vereinbarkeit BVerwGE 84, 11, Seite 14des Bauvorhabens einschließlich der ihm zugedachten Nutzung mit den öffentlich-rechtlichen Vorschriften zum Inhalt, soweit sie für die baurechtliche Prüfung einschlägig sind (vgl. z. B. Urteil vom 11. Mai 1989 – BVerwGE 82, 61). Diese feststellende Regelung der Baugenehmigung entfaltet im gaststättenrechtlichen Erlaubnisverfahren insoweit Bindungswirkung, als es um Rechtsfragen geht, deren Beurteilung in die originäre Regelungskompetenz der Bauaufsichtsbehörde fällt oder zu ihr zumindest den stärkeren Bezug hat (BVerwGE 80, 259 [261 f.]).

Eine entsprechende Bindungswirkung kommt jedoch den in Rede stehenden Bescheiden, mit denen die baurechtliche Genehmigung für eine über 22.00 Uhr hinausgehende Nutzung der Gaststättenräume abgelehnt wurde, nicht zu. Die von den Revisionen angeführte revisible Vorschrift des Art. 43 Abs. 2 BayVwVfG über die Wirksamkeit eines Verwaltungsakts ist in diesem Zusammenhang unergiebig. Es geht nicht um die – im vorliegenden Fall nicht zweifelhafte – Wirksamkeit der Ablehnungsbescheide, sondern darum, wie weit ihre Regelung inhaltlich reicht; ob sie sich in der Antragsablehnung erschöpft oder ob – entsprechend dem Regelungsumfang der Baugenehmigung – die jeweils tragenden Gründe ebenfalls zum Regelungsinhalt gehören. Der Wortlaut der ergangenen Ablehnungsbescheide gibt darüber keine Auskunft. Die Antwort auf die Frage nach der inhaltlichen Tragweite der ablehnenden Baubescheide kann sich daher nur aus dem Gesetz, und zwar aus dem nicht revisiblen bayerischen Bauordnungsrecht ergeben (vgl. BVerwGE 48, 271 [273]). Das Berufungsurteil legt dar, es sei gesetzlich keine allgemeine Bindungswirkung von Baubescheiden für noch nicht abgeschlossene gaststättenrechtliche Verfahren angeordnet; lediglich positive Baubescheide entfalteten hinsichtlich der zu prüfenden Sachgesichtspunkte in gewissem Umfang Bindungswirkung, nicht aber ablehnende Baubescheide. Hierin liegt die Feststellung, daß nach bayerischem Bauordnungsrecht der Ablehnungsbescheid – anders als die Baugenehmigung – keinen verbindlichen Ausspruch über die Vereinbarkeit oder Unvereinbarkeit des Bauvorhabens mit bestimmten Baurechtsnormen enthält. Diese – für sich genommen irrevisible – Auslegung des Landesrechts verstößt nicht gegen Bundesrecht: Weder aus dem Gaststättengesetz noch aus dem Grundgesetz noch aus sonstigen bundesrechtlichen Normen läßt sich herleiten, daß ein BVerwGE 84, 11, Seite 15baurechtlicher Ablehnungsbescheid hinsichtlich seiner Gründe Bindungswirkung entfalten müßte. Ob die Verneinung einer solchen Bindungswirkung sogar verfassungsrechtlich geboten ist (vgl. BVerwGE 48, 271; dazu z. B. Gaentzsch, NJW 1986, 2787 [2792]), kann offenbleiben.

Schneidet nach bayerischem Landesrecht bei ablehnenden Baubescheiden eine Bindungswirkung der erörterten Art aus, so braucht nicht mehr geprüft zu werden, ob die Gaststättenbehörde hier auch aus anderen Gründen nicht an die Beurteilung gebunden wäre, die die Frage der Betriebszeit in den ergangenen Baubescheiden gefunden hat. Insbesondere kann der Senat dahingestellt lassen, wie die zwischen dem Oberbundesanwalt und der Landesanwaltschaft Bayern strittige Frage zu entscheiden ist, ob das öffentliche Baurecht oder aber nur das Gaststättenrecht eine Rechtsgrundlage für die Beschränkung der Betriebszeit einer Gaststätte bietet. ...

3. Gibt es demnach keine für das gaststättenrechtliche Erlaubnisverfahren bindende Vorentscheidung über die Zulässigkeit einer verlängerten Betriebszeit, so hatte das Berufungsgericht selbständig zu prüfen, ob ein Erlaubnisversagungsgrund im Sinne des § 4 Abs. 1 GastG vorliegt. Das Berufungsgericht ist zu dem Ergebnis gelangt, ein Versagungsgrund bestehe nicht, daher habe die Klägerin einen Anspruch auf die beantragte Erlaubnis. Dies ist revisionsgerichtlich nicht zu beanstanden.

Daß es für die von der Klägerin beabsichtigte gastgewerbliche Nutzung der Gaststättenräume in der Zeit zwischen 22.00 Uhr und 1.00 Uhr noch an der nach Ansicht der Beklagten erforderlichen Baugenehmigung fehlt, steht der Erteilung der Gaststättenerlaubnis nicht entgegen. Das Gaststättengesetz verbietet nicht, die Gaststättenerlaubnis vor einer etwa erforderlichen Baugenehmigung zu gewähren.

Die Erteilung der beantragten Erlaubnis scheitert auch nicht an dem von der Beklagten ins Feld geführten Versagungsgrund des § 4 Abs. 1 Nr. 3 GastG. Nach den für den erkennenden Senat bindenden tatsächlichen Feststellungen des Berufungsgerichts widerspricht der beabsichtigte nächtliche Gaststättenbetrieb nicht im Hinblick auf seine örtliche Lage dem öffentlichen Interesse, insbesondere nicht dem öffentlichen Interesse, wie es sich in den einschlägigen bauplanungsrechtlichen Vorschriften konkretisiert. Son-BVerwGE 84, 11, Seite 16stige Versagungsgründe sind nach den berufungsgerichtlichen Feststellungen nicht ersichtlich, die Beklagte hat solche auch nicht geltend gemacht.

Der Anspruch der Klägerin auf antragsgemäße Erlaubnis ist schließlich nicht deswegen zweifelhaft, weil die Gaststättenbehörde spezifisch baurechtliche Fragen, die sich im Rahmen des § 4 Abs. 1 Nr. 3 GastG stellen, nicht mit Bindungswirkung für ein noch ausstehendes Baugenehmigungsverfahren entscheiden kann, die bindende Klärung derartiger Fragen vielmehr in dem darauf zugeschnittenen Baugenehmigungsverfahren durch die Bauaufsichtsbehörde erfolgt (vgl. BVerwGE 80, 259 [261 f.]). Daß die Gaststättenbehörde die baurechtlichen Vorfragen nicht mit einer die Baurechtsbehörde bindenden Wirkung entscheiden kann, mag zwar die Frage nahelegen, ob die Gaststättenbehörde aus Gründen der Verfahrensökonomie (vgl. § 10 Satz 2 VwVfG) von der – möglicherweise langwierigen – Prüfung dieser Fragen absehen und die beantragte Gaststättenerlaubnis unter der aufschiebenden Bedingung erteilen darf, daß die Baugenehmigung erteilt wird (vgl. dazu z. B. M.-J. Seibert, Die Bindungswirkung von Verwaltungsakten, 1989, S. 401, 569 ff.). Dies bedarf jedoch im vorliegenden Fall keiner Entscheidung. Desgleichen braucht nicht geklärt zu werden, ob für die erstrebte Verlängerung der Betriebszeit eine Baugenehmigung erforderlich und für die Bemessung der zulässigen Betriebszeit spezifisches Baurecht maßgeblich ist. Selbst wenn die genannten Fragen positiv zu beantworten sein sollten, muß die Beklagte unter den hier gegebenen Umständen die beantragte Gaststättenerlaubnis unabhängig vom Baugenehmigungsverfahren erteilen: Die Gaststättenbehörde hat im angefochtenen Bescheid die Gaststättenerlaubnis nicht nur aus – nicht durchgreifenden – Bindungsgründen, sondern auch aus eigener materiellrechtlicher Überzeugung gemäß § 4 Abs. 1 Nr. 3 GastG versagt. Im anschließenden Verwaltungsrechtsstreit mußte daher geprüft werden, ob dieser angebliche Versagungsgrund vorliegt. Nachdem nunmehr feststeht, daß dies nicht der Fall ist, gibt es für die Gaststättenbehörde keinen verfahrensökonomischen Gesichtspunkt mehr, der es rechtfertigen könnte, die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit des nächtlichen Gaststättenbetriebs offenzulassen. Der Beklagten ist es aber selbstverständlich unbenommen, der von ihr zu erteilenden uneingeschränkten Gaststättenerlaubnis gegebenenfalls den klarstellenden Hinweis beizufügen, daß die Klägerin zur BVerwGE 84, 11, Seite 17rechtmäßigen gastgewerblichen Nutzung der Gaststättenräume nach 22.00 Uhr noch einer entsprechenden Baugenehmigung bedarf und daß diese durch die Erteilung der Gaststättenerlaubnis nicht präjudiziert ist.