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Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts
55, 369 [Nr. 47 Bekanntmachung im Bebauungsplanverfahren; Vorhaben innerhalb im Zusammenhang bebauter Ortsteile; Begriff der „Einfügung“]

Rechtsgrundlagen:

BBauG 1960 §§ 2 Abs. 6 Satz 2, 12 Satz 2, 34; BBauG 1976 §§ 2 a Abs. 6 Satz 2, 12 Satz 1, 34
Urteil des 4. Senats vom 26. Mai 1978 - BVerwG 4 C 9.77

Ohne eine den §§ 2 Abs. 6 Satz 2, 12 Satz 2 BBauG 1960 (§§ 2 a Abs. 6 Satz 2, 12 Satz 1 BBauG 1976) entsprechende Bekanntmachung kann ein gültiger Bebauungsplan nicht entstehen.

Bekanntmachungen im Bebauungsplanverfahren müssen den Bebauungsplan, auf den sie sich beziehen, so bezeichnen, daß die Bekanntmachung geeignet ist, den an der Planung Interessierten dieses Interesse bewußt zu machen.

BVerwGE 55, 369, Seite 370

Es reicht weder für eine Bekanntmachung nach den §§ 2 Abs. 6 Satz 2 und 12 Satz 2 BBauG 1960 noch für eine Bekanntmachung nach den §§ 2 a Abs. 6 Satz 2 und 12 Satz 1 BBauG 1976 aus, wenn der Bebauungsplan, auf den sie sich beziehen, ausschließlich mit einer Nummer bezeichnet wird.

Bebauungspläne können nicht durch Gewohnheitsrecht entstehen.

Berücksichtigt werden muß (ebenso wie bei der des § 34 Abs. 1 BBauG 1960, so auch) bei der Anwendung von § 34 Abs. 1 BBauG 1976 die Umgebung einmal insoweit, als sich die Ausführung des Vorhabens auf sie auswirken kann, und zweitens insoweit, als die Umgebung ihrerseits den bodenrechtlichen Charakter des Baugrundstücks prägt oder doch beeinflußt (im Anschluß an das Urteil vom 18. Oktober 1974 – BVerwG IV C 77.73Buchholz 406.11 § 34 BBauG Nr. 45).

Abzustellen ist (auch) bei der Anwendung von § 34 Abs. 1 BBauG 1976 auf das, was in der Umgebung des Vorhabens tatsächlich vorhanden ist (im Anschluß an die Urteile vom 18. Oktober 1974 aaO und vom 29. November 1974 – BVerwG IV C 10.73 – Buchholz 406.11 § 34 BBauG Nr. 46).

Die Anforderung, daß sich nach § 34 Abs. 1 BBauG 1976 das Vorhaben der Eigenart der näheren Umgebung einfügen muß, geht über das hinaus, was § 34 BBauG 1960 mit der Voraussetzung verlangte, daß das Vorhaben nach der vorhandenen Bebauung unbedenklich sein müsse.

Ein Vorhaben, das sich – in jeder Hinsicht – innerhalb des aus seiner Umgebung hervorgehenden Rahmens hält, fügt sich in der Regel seiner Umgebung ein.

Auch ein Vorhaben, das sich nicht in jeder Hinsicht innerhalb des aus seiner Umgebung hervorgehenden Rahmens hält, kann sich der Umgebung einfügen. Das ist der Fall, wenn es weder selbst noch infolge einer nicht auszuschließenden Vorbildwirkung geeignet BVerwGE 55, 369, Seite 371ist, bodenrechtlich beachtliche Spannungen zu begründen oder vorhandene Spannungen zu erhöhen.

Vorinstanzen

I. Verwaltungsgericht SchleswigII. Oberverwaltungsgericht Lüneburg

Die Klägerin ist Eigentümerin der in der beigeladenen Gemeinde nebeneinander liegenden unbebauten Flurstücke 6/14 und 6/12. Sie möchte auf diesen Flurstücken ein Einfamilienhaus errichten. Das Flurstück 6/14 ist etwa 1600 qm groß. Es grenzt auf seiner nördlichen Seite an eine parallel zum Wattenmeer verlaufende Straße. Das südlich anschließende Flurstück 6/12 hat eine Größe von etwa 980 qm. Beide Flurstücke waren bis 1969 gemeinsam mit dem weiter westlich gelegenen Flurstück 6/13 Teile des Flurstücks 6/5, das damals im Eigentum der Klägerin stand und auf seinem mittlerweile das Flurstück 6/13 bildenden Teil mit einem Einfamilienhaus bebaut war. Dieses Flurstück 6/13 wurde im Juni 1969 (zusammen mit dem südlich dahinterliegenden Flurstück 36/11) von dem Gesamtflurstück abgetrennt. Die Teilung wurde bodenverkehrsrechtlich genehmigt.

Die Flurstücke 6/14 und 6/12 liegen im räumlichen Geltungsbereich des Bebauungsplanes Nr. 8. Der Entwurf dieses Bebauungsplans wurde am 6. Mai 1963 von der Gemeindevertretung beschlossen. Die Bekanntmachung nach § 2 Abs. 6 Satz 2 BBauG erfolgte dahin, daß „der Entwurf zum Bebauungsplan Nr. 8“ der Gemeinde M. einschließlich der dazugehörigen Unterlagen für die Dauer eines Monats im Gemeindebüro während der Dienstzeit zur Einsichtnahme ausliege. Nachdem der Bebauungsplan im August 1964 mit einer Reihe von Auflagen genehmigt worden war und die Gemeindevertretung am 4. September 1964 über die Auflagen erneut beschlossen hatte, wurde die Genehmigung ebenfalls unter einer lediglich nummernmäßigen Bezeichnung des Planes bekanntgemacht.

Nach dem Inhalt des Bebauungsplans Nr. 8 liegt das Flurstück 6/14 in einem Ferienhausgebiet, während das Flurstück 6/12 als landwirtschaftliche Nutzfläche festgesetzt ist. Das Haus auf dem – gleichfalls im Ferien-BVerwGE 55, 369, Seite 372hausgebiet liegenden – Flurstück 6/13 ist im Plan als „vorhandenes Gebäude“ wiedergegeben; der Plan setzt insoweit zusätzlich Baugrenzen fest, die in zwei Richtungen die Grundfläche des vorhandenen Gebäudes überschreiten. Mit Ausnahme eines weiteren, damals ebenfalls bereits bebauten Flurstücks weist der Bebauungsplan bei den anderen Grundstücken des Ferienhausgebietes die überbaubaren Grundstücksflächen zeichnerisch durch Baugrenzen aus. Die von den Baugrenzen umschlossenen Flächen sind jeweils etwa 25 bis 30 m voneinander entfernt. Über ihre Bebauung bestimmt der die Festsetzung erläuternde Text, daß die Grundfläche der Häuser mindestens 70 qm betragen müsse und höchstens 160 qm betragen dürfe; in Ausnahmefällen könne eine Grundfläche bis zu 180 qm zugelassen werden. Das Ferienhausgebiet wurde bis Anfang 1974 im wesentlichen entsprechend dem Inhalt des Bebauungsplanes mit Wochenendhäusern bebaut.

Die Klägerin suchte im Februar 1974 um die Erteilung der Genehmigung für ein Einfamilienhaus auf dem Flurstück 6/14 nach. Der Beklagte lehnte den Antrag mit der Begründung ab, daß für das Flurstück 6/14 im Bebauungsplan eine (selbständige) Bebaubarkeit nicht vorgesehen sei.

Das Verwaltungsgericht hat die nach erfolglosem Vorverfahren erhobene Verpflichtungsklage abgewiesen. Es ist von der Maßgeblichkeit des Bebauungsplanes Nr. 8 ausgegangen und hat angenommen, daß dieser Plan eine Bebauung der von der Klägerin beabsichtigten Art nicht gestatte.

Das Berufungsgericht hat der Klage stattgegeben. Es hat angenommen, daß der Bebauungsplan Nr. 8 wegen unzureichender Bekanntmachung ungültig sei und daß das dementsprechend nach § 34 BBauG 1960 zu beurteilende Vorhaben nach dieser Vorschrift zulässig sei.

Die Revision des Beklagten hatte keinen Erfolg.

Aus den Gründen:

Das angefochtene Urteil verletzt kein Bundesrecht. Allerdings ist, was die Würdigung nach § 34 BBauG anlangt, nunmehr auf die durch das Gesetz vom 18. August 1976 (BGBl. I S. 2221) geschaffene neue Fassung BVerwGE 55, 369, Seite 373dieser Vorschrift abzustellen (BGBl. I S. 2256 – BBauG 1976 –; vgl. Urteil vom 24. Februar 1978 – BVerwGE 55, 272 –). Das führt jedoch nicht zu einem abweichenden Ergebnis. Die Feststellungen des Berufungsgerichts gestatten vielmehr den Schluß, daß der von der Klägerin geltend gemachte Genehmigungsanspruch auch nach § 34 BBauG 1976 begründet ist.

Das Berufungsgericht gelangt zur Maßgeblichkeit des § 34 BBauG 1960 dadurch, daß es im Gegensatz zum erstinstanzlichen Urteil eine Heranziehung des § 30 BBauG 1960 ablehnt: Das Grundstück der Klägerin liege nicht im Geltungsbereich eines (qualifizierten) Bebauungsplanes. Der Bebauungsplan Nr. 8 sei nichtig. Dem ist in Übereinstimmung mit dem Oberbundesanwalt beizupflichten.

...

Nach § 2 Abs. 6 Satz 2 BBauG 1960 (jetzt § 2 a Abs. 6 BBauG 1976) hatten die Gemeinden bei Einleitung des Planverfahrens Ort und Dauer der Auslegung der „Entwürfe der Bauleitpläne ... ortsüblich bekanntzumachen mit dem Hinweis darauf, daß Bedenken und Anregungen während der Auslegungsfrist vorgebracht werden können“. Zum Abschluß des Verfahrens mußte eine weitere Bekanntmachung vorgenommen werden: Nach § 12 Satz 2 BBauG 1960 (jetzt § 12 Satz 1 BBauG 1976) erforderte das Inkrafttreten des Bebauungsplanes, daß die Gemeinde die Genehmigung des Bebauungsplanes sowie Ort und Zeit der Auslegung des genehmigten Bebauungsplanes ortsüblich bekanntmachte. Das eine wie das andere stand – und steht auch nach der Neufassung – unter der Sanktion der Nichtigkeit des Bebauungsplanes: Ohne hinreichende Bekanntmachung sowohl des Planentwurfs als auch der Plangenehmigung konnte und kann ein gültiger Bebauungsplan nicht zustande kommen (siehe zu § 2 Abs. 6 Satz 2 BBauG 1960 den Beschluß vom 8. Januar 1968 – BVerwG 4 CB 109.66 – Buchholz 406.11 § 10 BBauG Nr. 1 S. 1 [2] und zu § 12 Satz 2 BBauG 1960 das Urteil vom 7. Mai 1971 – BVerwG 4 C 76.68 – Buchholz 406.11 § 2 BBauG Nr. 7 S. 6 [12]).

Die Gemeinde M. hat sich bei ihren Bekanntmachungen darauf beschränkt, den Bebauungsplan Nr. 8 mit lediglich seiner Nummer zu bezeichnen. Das Berufungsgericht prüft, ob das zur „Individualisierung“ BVerwGE 55, 369, Seite 374des Planes ausgereicht habe und nimmt an, daß die Beantwortung dieser Frage ausschließlich von den §§ 2 und 12 BBauG 1960 – und nicht etwa vom Landesrecht – abhänge. Das entspricht entgegen dem Vorbringen des beigeladenen Ministers der Rechtslage.

Die §§ 2 Abs. 6 Satz 2 und 12 Satz 2 BBauG 1960 und ebenso die §§ 2 a Abs. 6 Satz 2 und 12 Satz 1 BBauG 1976 überlassen das „Wie“ der vorzunehmenden Bekanntmachung der „Ortsüblichkeit“ und damit zugleich landes- und ortsrechtlicher Regelung. Darum geht es jedoch hier nicht. Ob bei der Bekanntmachung des Planentwurfs und (später) der Plangenehmigung die Angabe lediglich der Nummer des Bebauungsplanes genügt, betrifft als Frage nicht das „Wie“ der Bekanntmachung, also ihre Art und Weise, sondern das „Was“, d. h. ihren Gegenstand. Über diesen Gegenstand bestimmt das Bundesrecht abschließend: Es verlangt, wie sich bei allen genannten Vorschriften aus der Verwendung des bestimmten Artikels ergibt, daß sich die Bekanntmachung erkennbar nicht auf nur (irgend-)„einen“ Bebauungsplan bezieht, sondern auf einen ganz bestimmten, eben auf „den“ (jeweiligen) Bebauungsplan.

Der Beklagte wendet sich gegen das angefochtene Urteil mit Argumenten, denen zutreffende Überlegungen zugrunde liegen. So ist es richtig, daß sich aus der Rechtsprechung zu den Anforderungen an die Verkündung von Landschaftsschutzverordnungen (vgl. dazu mit weiteren Nachweisen BVerwGE 26, 129) für die Beurteilung der im vorliegenden Verfahren entscheidenden Frage wenig gewinnen läßt. Jene Rechtsprechung will erreichen, daß der räumliche Geltungsbereich von Landschaftsschutzverordnungen nicht nur durch Eintragungen in eine Karte, sondern durch eine textliche Umschreibung festgelegt wird; sie will das erreichen, weil nur der Text wahrhaft eine Festlegung bewirkt, während „Änderungen der Karte der Kontrolle der Öffentlichkeit entzogen“ sind (BVerwGE 17, 192 [197]). Die damit angesprochenen Probleme liegen in einer anderen Ebene als die Frage, ob es bei der Bekanntmachung von Planentwürfen und Plangenehmigungen ausreicht, wenn der Plan nur mit einer Nummer bezeichnet wird.

Richtig ist an den Ausführungen des Beklagten auch, daß die Ersetzung der Nummer durch einen geographischen Hinweis in der Infor-BVerwGE 55, 369, Seite 375mation über die Rechtslage nicht oder doch nicht wesentlich über das hinausführt, was eine Nummer erreicht: Wer wissen will, ob die angelaufene Planung bzw. der in Kraft getretene Plan ein bestimmtes Grundstück betrifft, kommt bei der einen wie der anderen Bekanntmachung nicht umhin, nähere Erkundigungen einzuziehen. Mag an Stelle der Nummer ein grobes (geographisches) Stichwort – etwa „Ortsteil A, B-Straße nördlicher Teil“ – ausreichen oder mag – wie das Berufungsgericht meint – eine Umschreibung notwendig sein, die grob schon den Geltungsbereich erkennen läßt, eine verläßliche Information in dem Sinne, daß sich der so Informierte den weitere Erkenntnisse erschließenden Weg zur Behörde ersparen könne, wird auf diese Weise nicht vermittelt. Das bestätigt auch der von der Revision in Bezug genommene Beschluß vom 21. Mai 1957 – BVerwG I B 272.56 – Buchholz 406.18 NRW § 11 AufbG Nr. 1 S. 1. Indessen geht es bei der hier interessierenden Frage gar nicht um die „Information über die Rechtslage“. Der Beklagte stellt der Vermittlung einer solchen Information – ebenfalls zutreffend – die von ihm so genannte „Anstoßfunktion“ gegenüber. Aber er irrt, wenn er diese in der Tat unerläßliche Anstoßfunktion für erfüllt hält, sofern sich die Bekanntmachung auf die Angabe lediglich einer Nummer beschränkt.

Die Bekanntmachungen einerseits nach § 2 Abs. 6 Satz 2 BBauG 1960 (§ 2 a Abs. 6 Satz 2 BBauG 1976) und andererseits nach § 12 Satz 2 BBauG 1960 (§ 12 Satz 1 BBauG 1976) haben verschiedene Aufgaben. Die Bekanntmachung nach § 2 Abs. 6 Satz 2 BBauG 1960 (§ 2 a Abs. 6 Satz 2 BBauG 1976) steht in enger Beziehung zu der den nachfolgenden Plan tragenden planerischen Abwägung. Sie ermöglicht, ja sie fordert dazu heraus, mit „Bedenken und Anregungen“ zur Planung beizutragen; und sie „verschafft“ auf diese Weise dem Planungsträger „erst das Material, das bei der Beschlußfassung sachgerecht berücksichtigt werden muß“ (Beschluß vom 8. Januar 1968 aaO, S. 1 f.). Die Bekanntmachung nach § 12 Satz 2 BBauG 1960 (§ 12 Satz 1 BBauG 1976) dient einem anderen Zweck. Ihr Ziel ist nicht die „Ermunterung“ zu einer Mitwirkung, sondern die Ersatzverkündung einer Rechtsnorm. Mit ihr wird ein Rechtssetzungsverfahren abgeschlossen, d. h. es wird die aufgrund dieses Verfahrens gesetzte Norm inhaltlich festgelegt, und es wird zugleich – mit dem Anspruch, auf Dauer sicher auffindbar zu sein – der Abschluß des Rechts-BVerwGE 55, 369, Seite 376setzungsverfahrens dokumentiert. Diese Unterschiede zwischen den beiden Bekanntmachungen heben nicht die Gemeinschaft auf, die sich bereits aus dem Worte „Bekanntmachung“ ergibt: Bekanntmachungen haben Adressaten, und was sie wenigstens erreichen müssen, ist, diesen Adressaten bewußt zu machen, daß sie Betroffene dessen sind, was bekanntgemacht wird. In diesem Sinne ist bei jeder Bekanntmachung unerläßlich, daß sie zumindest „anstößt“.

Der beigeladene Minister versucht, auf dieser Grundlage so zu folgern: Da sich sowohl die Bekanntmachung nach § 2 Abs. 6 Satz 2 BBauG 1960 (§ 2 a Abs. 6 Satz 2 BBauG 1976) als auch die Bekanntmachung nach § 12 Satz 2 BBauG 1960 (§ 12 Satz 1 BBauG 1976) an jedermann wende, nämlich jedermann zu einer Beteiligung am Planverfahren berechtigt sei und zugleich jedermann von der Geltung des Bebauungsplanes erfaßt werde, genüge eine entsprechend allgemeine Anstoßwirkung; eine derartige Anstoßwirkung erfordere aber nicht mehr als die Angabe einer Nummer. Diese Folgerungsweise ist abzulehnen. Sie trifft die Sache nicht: Richtig ist, daß – formal – jedermann das Recht zur Beteiligung hat, und richtig ist auch, daß eine Rechtsnorm – formal – für jedermann gilt. Die Bekanntmachung nach den §§ 2 (2 a) und 12 BBauG 1960/1976 wendet sich jedoch an den – sei es jetzt oder sei es (bei der Bekanntmachung nach § 12 BBauG 1960/1976) evtl. erst künftig – Interessierten. Es entspricht der Erfahrung, daß sich niemand an einem Planverfahren beteiligt und niemand sich bemüht, von einem erlassenen Plan Kenntnis zu erlangen, wenn er daran nicht irgendein Interesse hat. Dieses vorausgesetzte Interesse muß sich – selbstverständlich – nicht aus dem Eigentum an einem zu beplanenden oder beplanten Grundstück ergeben; es hat aus sich nicht einmal damit zu tun, daß jemand der Gemeinde angehört oder in einer benachbarten Gemeinde wohnt oder wenigstens an der fraglichen Gegend allgemein „interessiert“ ist. Wie weit nämlich der Kreis der möglicherweise Interessierten im Einzelfall auch sein mag: Er ist jedenfalls wesentlich enger als der durch „jedermann“ gebildete Kreis derer, die zur Beteiligung berechtigt und später dem Gelten des Planes unterworfen sind.

Eine Bekanntmachung verfehlt ihren Sinn und damit auch ihre Aufgabe, wenn sie in ihrer „Anstoßwirkung“ nicht einmal so weit vordringt, den – aus welchem Grunde immer – möglicherweise Interessierten BVerwGE 55, 369, Seite 377bewußt zu machen, daß sie derart interessiert sind und deshalb erforderlichenfalls weitere Schritte unternehmen müssen, um ihr Interesse wahrnehmen zu können. Den sich daraus ergebenden Anforderungen genügt nicht die Bekanntmachung eines Planentwurfs oder eine Plangenehmigung, bei der der Plan einzig mit einer aus sich nichts besagenden Nummer bezeichnet wird; zumindest genügt sie diesen Anforderungen – selbst in kleinen Gemeinden und selbst dann, wenn von Eingeweihten entsprechende Schlußfolgerungen zu erwarten sein mögen – nicht verläßlich. Darauf aber kommt es sowohl für § 2 Abs. 6 Satz 2 BBauG 1960 (§ 2 a Abs. 6 Satz 2 BBauG 1976) als auch für § 12 Satz 2 BBauG 1960 (§ 12 Satz 1 BBauG 1976) an. Wer meint, daß die Angabe lediglich einer Nummer ausreiche, müßte im Grunde bei einiger Konsequenz bereit sein, selbst die Angabe der Nummer für entbehrlich und die Mitteilung für genügend zu halten, daß „eine“ Planung eingeleitet werde bzw. „ein“ Plan in Kraft trete. Auch darin noch eine hinreichende Bekanntmachung zu sehen, verbietet sich jedoch von selbst.

Der Beklagte meint, daß es für die Beurteilung des Falles auf den Inhalt des Bebauungsplanes Nr. 8 selbst dann ankomme, wenn der Plan aus planverfahrensrechtlichen Gründen ungültig sei. Seine langjährige Handhabung durch die damit befaßten Behörden und auch durch das Schleswig-Holsteinische Verwaltungsgericht habe zur Entstehung von Gewohnheitsrecht geführt. Zumindest müsse die beigeladene Gemeinde in ihrem Vertrauen auf die Gültigkeit des Planes geschützt werden. Dem ist das Berufungsgericht mit Recht nicht gefolgt. Der erkennende Senat hat in seinem Beschluß vom 12. Juni 1973 – BVerwG 4 B 137.72 – ausgesprochen: „Bereits mit Rücksicht auf den allgemeinen (vgl. § 9 BBauG [1960]) wie den qualifizierten (vgl. § 30 BBauG [1960]) Inhalt von Bebauungsplänen und ferner mit Rücksicht auf das vorgeschriebene Verfahren (vgl. insbesondere die §§ 2 Abs. 6 und 8, 9 Abs. 6 und 11 BBauG [1960]) ist offensichtlich, daß derartige Pläne nicht durch Gewohnheitsrecht entstehen können. Das bestätigt zudem § 34 BBauG [1960]. ‚Faktische‘ Entwicklungen sind – von § 35 BBauG [1960] abgesehen – im Sinne einer sie legalisierenden Wirkung beachtlich, wenn sie zur Anwendbarkeit des § 34 BBauG [1960] führen ... Daraus ergibt sich zugleich, daß die Anwendung des § 30 BBauG [1960] mit Hilfe der Vorstellung eines gewohn-BVerwGE 55, 369, Seite 378heitsrechtlich entstandenen Bebauungsplanes weder erforderlich noch möglich ist.“ Daran ist festzuhalten. Was andererseits die Inanspruchnahme eines Vertrauensschutzes anlangt, bedarf der vom Beklagten vertretene Standpunkt keiner ausgedehnteren Widerlegung: Wenn eine Gemeinde eine aus formellen Gründen ungültige Satzung erläßt und diese über einen längeren Zeitraum „handhabt“, kann nicht ernstlich in Betracht kommen, daß sie daraus (und aus einer entsprechenden Handhabung durch andere Behörden) einen Vertrauensschutz herzuleiten vermag, der es ihr gestattet, auch weiterhin entgegen der wahren Rechtslage zu Lasten der davon Betroffenen an ihrer Handhabung festzuhalten.

Da demnach § 30 BBauG 1960/1976 nicht anzuwenden ist, kommt es für die Beurteilung des Falles auf § 34 BBauG an, und zwar – wie bereits bemerkt – nunmehr auf § 34 BBauG 1976. Daß das Grundstück der Klägerin innerhalb eines im Zusammenhang bebauten Ortsteils (und nicht etwa im Außenbereich) liegt, begegnet nach den Feststellungen des Berufungsgerichts keinen Zweifeln und wird auch vom Beklagten und den Beigeladenen nicht angezweifelt.

Das Berufungsgericht hat unter Anwendung des § 34 BBauG 1960 entschieden, daß das Vorhaben der Klägerin „nach der vorhandenen Bebauung ... unbedenklich“ sei. Das ist, wie die überzeugende Begründung des Berufungsgerichts ergibt, richtig, reicht jedoch nach der inzwischen geänderten Rechtslage nicht (mehr) aus. Nach § 34 Abs. 1 BBauG 1976 – nur dieser Absatz kommt bei der hier gegebenen Sachlage in Betracht – ist innerhalb der im Zusammenhang bebauten Ortsteile ein Vorhaben nur zulässig, „wenn es den Festsetzungen eines Bebauungsplanes nicht widerspricht und es sich nach Art und Maß der baulichen Nutzung, Bauweise und der Grundstücksfläche, die überbaut werden soll, in die Eigenart der näheren Umgebung unter Berücksichtigung der für die Landschaft charakteristischen Siedlungsstruktur einfügt, die Erschließung gesichert ist und wenn sonstige öffentliche Belange nicht entgegenstehen, insbesondere die Anforderungen an gesunde Wohn- und Arbeitsverhältnisse gewahrt bleiben und das Ortsbild nicht beeinträchtigt wird“. Den Feststellungen des Berufungsgerichts ist jedoch zu entnehmen, daß das Vorhaben der Klägerin auch diese – strengeren – Zulässigkeitsvoraussetzungen des § 34 Abs. 1 BBauG 1976 erfüllt.

BVerwGE 55, 369, Seite 379

Der umfangreiche Tatbestand des § 34 Abs. 1 BBauG 1976 wirft zahlreiche, im einzelnen derzeit noch nicht oder nicht vollauf geklärte Fragen auf. Vielen dieser Fragen braucht aus Anlaß des hier zu beurteilenden Falles nicht nachgegangen zu werden. Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts sowie nach dem Revisionsvorbringen aller Beteiligten ist vielmehr davon auszugehen, daß im Zusammenhang mit der Änderung des § 34 BBauG die Zulässigkeit des Vorhabens der Klägerin allein durch das in Zweifel gerückt worden sein kann, was – auf eine kurze Formel gebracht – die „Unbedenklichkeit“ nach § 34 BBauG 1960 vom „Einfügen“ nach § 34 BBauG 1976 unterscheidet.

§ 34 BBauG 1960 gestattete, soweit es hier interessiert, Vorhaben, wenn sie nach der vorhandenen Bebauung unbedenklich waren. Das Erfordernis der Unbedenklichkeit hatte in der Rechtsprechung eine im Akzent mehr „negative“ als „positive“ Auslegung erfahren. In BVerwGE 32, 31 (32) ist dazu ausgeführt worden: „Es genügt, wenn das Vorhaben mit der vorhandenen Bebauung in dem Sinne vereinbar ist, daß seine Ausführung keinen bodenrechtlich relevanten Widerspruch hervorruft. Insofern gilt ..., daß ein Vorhaben der vorhandenen Bebauung nicht (positiv) zu entsprechen braucht, sondern für seine Zulässigkeit ausreicht, daß es ihr nicht widerspricht.“ Entscheidend war letztlich, ob die etwaige Abweichung zwischen dem Vorhaben und der bereits vorhandenen Bebauung den Grad des Widerspruchs erreichte, und zwar – was im Grunde als Bezugspunkt selbstverständlich war – eines bodenrechtlich relevanten (und nicht etwa eines andere Belange betreffenden) Widerspruchs (vgl. dazu insbesondere das Urteil vom 29. November 1974 – BVerwG 4 C 10.73 – Buchholz 406.11 § 34 BBauG Nr. 46 S. 121 [123]).

Stellt man dem – zumal unter Berücksichtigung der Entstehungsgeschichte – den mit der Neufassung vollzogenen Wechsel von der „Unbedenklichkeit“ zur „Einfügung“ gegenüber, so ergibt sich als zweifelsfrei, daß der Gesetzgeber das Fehlen eines Widerspruchs für die Zulässigkeit eines Vorhabens nicht mehr ausreichen lassen will und daß es, darauf bezogen, sein Ziel gewesen ist, die Anforderung an das Verhältnis zwischen dem bereits Vorhandenen und dem Hinzutretenden in einem bestimmten Ausmaß „anzuheben“. Nicht geändert hat sich dagegen – weil, wie gesagt, BVerwGE 55, 369, Seite 380ohnedies selbstverständlich – die „Richtung“, um die es bei der in Rede stehenden Anforderung geht: Die neue Fassung des § 34 Abs. 1 BBauG 1976 verlangt eine Einfügung „nach Art und Maß der baulichen Nutzung, Bauweise und der Grundstücksfläche, die überbaut werden soll, ... unter Berücksichtigung der für die Landschaft charakteristischen Siedlungsstruktur“. Das umschreibt nur ausführlicher, was bodenrechtlich belangvoll, d. h. im Sinne der Rechtsprechung zu § 34 BBauG 1960 bodenrechtlich relevant ist (vgl. dazu die §§ 1 ff., 16 ff. und 22 f. BauNVO).

Nicht geändert hat sich ferner – abgesehen allerdings davon, daß § 34 Abs. 1 BBauG 1976 das Merkmal der „Bebauung“ durch das weitergehende Merkmal der „Umgebung“ ersetzt hat –, auf welche Weise aus dem Vorhandenen der Maßstab für das neue Vorhaben zu gewinnen ist: Berücksichtigt werden muß auch aufgrund der neuen Fassung „die Umgebung ... einmal insoweit ..., als sich die Ausführung des Vorhabens auf sie auswirken kann, und zweitens insoweit, als die Umgebung ihrerseits den bodenrechtlichen Charakter des Baugrundstücks prägt oder doch beeinflußt. Dabei muß zwar die Betrachtung auf das Wesentliche zurückgeführt werden, und es muß alles außer acht gelassen werden, was die ‚vorhandene Bebauung‘ (jetzt: Umgebung) nicht prägt oder in ihr gar als Fremdkörper erscheint; aber es darf doch nicht nur diejenige Bebauung als erheblich angesehen werden, die gerade in der unmittelbaren Nachbarschaft des Baugrundstücks überwiegt, sondern es muß auch die Bebauung der weiteren Umgebung des Grundstücks insoweit berücksichtigt werden, als auch sie noch ‚prägend‘ auf dasselbe einwirkt“ (Urteil vom 18. Oktober 1974 – BVerwG 4 C 77.73 – Buchholz 406.11 § 34 BBauG Nr. 45 S. 111 [114]). Daß der Wortlaut des § 34 Abs. 1 BBauG 1976 die Eigenart der „näheren“ Umgebung betont, zielt nicht auf eine im Vergleich zur Auslegung des § 34 BBauG 1960 veränderte Abgrenzung, sondern hebt nur – zu Recht – hervor, daß in aller Regel die größere Nähe mit einer stärker prägenden Wirkung Hand in Hand geht.

Damit hängt zusammen: Nicht geändert hat sich auch, wiewohl § 34 Abs. 1 BBauG 1976 dieses Wort nicht mehr verwendet, daß bei der Bildung des Maßstabes auf das „Vorhandene“ und nur auf das Vorhandene abzustellen ist. Daher kommt es – wie bei § 34 BBauG 1960 – im BVerwGE 55, 369, Seite 381Zusammenhang mit § 34 Abs. 1 BBauG 1976 ebenfalls „auf die vorhandene und nicht auf eine möglicherweise demnächst entstehende Bebauung“ bzw. sonstige Umgebung an (Urteil vom 29. November 1974 – BVerwG 4 C 10.73 – Buchholz 406.11 § 34 BBauG Nr. 46 S. 121 [126]). Außerdem zieht das „Vorhandene“ insofern die Grenze, als bei der Bildung des Maßstabes alles „Vorhandene“ zu berücksichtigen ist, sofern es nur prägende Wirkung hat, also etwas Vorhandenes und zugleich Prägendes nicht einfach deshalb von vornherein vernachlässigt werden darf, weil es vielleicht „städtebaulich unerwünscht“ ist (Urteil vom 18. Oktober 1974 aaO, S. 115, ferner S. 117). Diese Ansicht – das sei zur Vermeidung von Mißverständnissen hinzugefügt – bedeutet nicht, daß bei der Anwendung des § 34 Abs. 1 BBauG 1976 keine Rolle spielte, ob das hinzutretende Vorhaben städtebaulich angemessen oder unangemessen ist. Es müssen nämlich zwei Fragen auseinandergehalten werden: Die städtebauliche Angemessenheit des hinzutretenden Vorhabens ist erheblich im Zusammenhang mit der Frage, ob sich dieses Vorhaben in der vom Gesetz geforderten Weise in seine Umgebung „einfügt“. Nicht darum, sondern um etwas anderes geht es jedoch bei der nach dem Gesagten (auch) für § 34 Abs. 1 BBauG 1976 zu verneinenden Frage, ob bei der Ermittlung der maßgebenden „näheren Umgebung“ so verfahren werden darf, daß von vornherein nicht einmal in den Blick genommen wird, was an dieser Umgebung vielleicht städtebaulich unerwünscht ist.

Das Merkmal des „Einfügens“ unterwirft die Zulässigkeit von Vorhaben im unbeplanten Innenbereich, wie bereits hervorgehoben, schärferen Anforderungen, als sie innerhalb des § 34 BBauG 1960 vom Merkmal der „Unbedenklichkeit“ ausgingen. Zu klären ist, worin die Verschärfung besteht. Das bereitet Schwierigkeiten. Das Wort „Einfügen“ ist nicht eindeutig (a). Auch Hinweise darauf, daß das Einfügen im Vergleich zur Unbedenklichkeit eine „positivere“ Anforderung sei (b) oder daß § 34 BBauG in seiner neuen Fassung keine (materiellen) „Verschlechterungen“ mehr gestatte (c), führen nicht durchschlagend weiter.

a) Das Wort „Einfügen“ ergibt nicht schon aus sich, was die in Rede stehende Verschärfung kennzeichnet. Sein Wortsinn zwingt nicht einmal zu der Annahme, daß mehr als das Fehlen eines bodenrechtlich relevanten BVerwGE 55, 369, Seite 382Widerspruchs gemeint sei. Dem Wortsinn läßt sich erst recht nicht entnehmen, was sich im Vergleich zur Unbedenklichkeit geändert hat. Das eine wie das andere wird darin deutlich, daß der erkennende Senat in BVerwGE 32, 31 [32] bereits zu § 34 BBauG 1960 die Auslegungsformeln „anpassen“ und „einfügen“ erwogen und nicht als unzutreffend, sondern – wegen des tendenziell mehr „negativen Gehalt[s]“ des Merkmals der Unbedenklichkeit – nur als mißverständlich bezeichnet hat.

b) Ebenso ist auch mit der – an das erwähnte Urteil vom 23. April 1969 aaO anknüpfenden – Erläuterung, daß das Einfügen im Verhältnis zur Unbedenklichkeit „einen mehr positiven Gehalt“ habe und „im positiven Sinne“ etwas fordere (so z. B. Dyong in Ernst/Zinkahn/Bielenberg, Bundesbaugesetz § 34 Rdnr. 13), lediglich herausgestellt, daß die Änderung auf eine Verschärfung zielt. Das Wort „positiv[er]“ ergibt dagegen nicht, worin der Unterschied liegt.

c) Der Gehalt dessen, was das „Einfügen“ von der „Unbedenklichkeit“ unterscheidet, wird greifbar auch nicht dadurch zum Ausdruck gebracht, daß man das „Einfügen“ als eine Abkehr von der „Verschlechterungsrechtsprechung“ bezeichnet (so Bielenberg BlGBW 1977, 142). Dazu ist folgendes zu bemerken:

Der erkennende Senat hat in seinem Urteil vom 23. April 1969 aaO als Beispiel für das Vorliegen eines Widerspruchs angeführt, daß „der hinzutretende Bau die vorhandene Situation mehr als nur geringfügig verschlechtert“. Ob dieses Beispiel im Zuge der nachfolgenden Handhabung des § 34 BBauG 1960 allerwärts so verstanden worden ist, wie es der Senat seinerzeit gemeint hat, mag auf sich beruhen. Jedenfalls hat dieses Beispiel die weitere Diskussion namhaft beeinflußt. Gerade die Annahme, daß demnach geringfügige Verschlechterungen der jeweiligen Situation grundsätzlich nicht zu verhindern seien, hat den Gesetzgeber bestärkt, den § 34 BBauG 1960 zu ändern. So gesehen, trägt es in der Tat zum Verständnis des Wechsels von der „Unbedenklichkeit“ zum „Einfügen“ bei, über die neue Fassung zu sagen, daß sie grundsätzlich selbst geringfügige Verschlechterungen nicht mehr gestatte. Die darin liegende Einsicht ist jedoch zur Definition dessen, was als „Einfügen“ anzusehen BVerwGE 55, 369, Seite 383ist, ebensowenig geeignet, wie es die „geringfügige Verschlechterung“ für das Erfordernis der „Unbedenklichkeit“ war.

Es sind vor allem zwei Dinge, die in diesem Zusammenhang nicht übersehen werden dürfen: Einseitig darauf abzuheben, ob das hinzutretende Vorhaben zu einer (materiellen) „Verschlechterung“ führt, birgt die Gefahr in sich, daß gar nicht mehr nach der „Einfügung“ in die konkrete Umgebung gefragt, sondern mehr oder weniger abstrakt, d. h. von dieser konkreten Umgebung abgelöst, geprüft wird, ob es sich bei dem Vorhaben um eine städtebaulich förderungswürdige Entwicklung handelt. Diese Gefahr wird besonders deutlich an dem Beispiel, daß über die Zulässigkeit eines mit Emissionen verbundenen Vorhabens zu befinden ist. Auch ein solches Vorhaben kann sich bei entsprechend beschaffener Umgebung in diese Umgebung „einfügen“, obgleich sich nicht bezweifeln läßt, daß das Hinzutreten von (weiteren) Emissionen in gewisser Weise stets – also selbst in einem durch industrielle Nutzungen geprägten Gebiet – eine Verschlechterung bedeutet.

Es kommt – zweitens – hinzu, daß der Begriff der (materiellen) Verschlechterung nicht gleichsam eindimensional ist. Bauliche Entwicklungen sind aus der Sicht der öffentlichen Belange, die im § 1 Abs. 6 BBauG 1976 angeführt sind und die hier allein als Maßstäbe in Betracht kommen, häufig unterschiedlich dahin zu beurteilen, ob sie zu einer Verschlechterung führen: Eine Bebauung mit an sich unerwünschten Auswirkungen auf das Ortsbild kann mit der erwünschten Gewinnung von Arbeitsplätzen verbunden sein; eine als solche eher negative Verdichtung der Bebauung kann sozialen Bedürfnissen der Bevölkerung oder der Vermeidung einseitiger Bevölkerungsstrukturen dienen u. ä. m. Die Beurteilung, ob sich ein neues Vorhaben sozusagen insgesamt als eine „Verschlechterung“ darstellt, würde daher häufig eine planerische Abwägung zwischen den jeweils berührten öffentlichen Belangen voraussetzen und in der Sache darauf angelegt sein, die nachteilige Berührung von Belangen der einen Art gegen die Förderung von Belangen der anderen Art gleichsam aufzurechnen, also anzunehmen, daß das eine durch das andere kompensiert werde. Derartige Abwägungen von Kompensationen können jedoch nicht innerhalb einzelner Baugenehmigungsverfahren von der BVerwGE 55, 369, Seite 384Baugenehmigungsbehörde vorgenommen werden; sie müssen der gemeindlichen Bauleitplanung vorbehalten bleiben. Was zur Unzulässigkeit solcher „Kompensationen“ bei Anwendung des § 35 Abs. 2 und 3 BBauG 1960 in BVerwGE 42, 8 [14 ff.] ausgeführt worden ist, gilt entsprechend auch für § 34 BBauG alter wie neuer Fassung. Trifft das jedoch zu, dann kann in § 34 Abs. 1 BBauG 1976 das Merkmal des Einfügens auch nicht in dem Sinne als ein Verbot von „Verschlechterungen“ verstanden werden, daß jeweils über eine Abwägung der berührten Belange zu ermitteln sei, ob das Vorhaben „insgesamt“ als eine (materielle) Verschlechterung angesehen werden muß oder nicht. Ein Vorhaben, das – nach Maßgabe der jeweiligen Umgebung – in auch nur einer Hinsicht eine so eindeutige Verschlechterung nach sich zieht, daß es nur durch die Vornahme einer „Kompensation“ zu retten wäre, ist nach § 34 Abs. 1 BBauG 1976 ohne weiteres unzulässig; seine Ausführung könnte allenfalls über eine förmliche Bauleitplanung ermöglicht werden.

Zusammenfassend ist demnach festzuhalten: Der Eintritt einer Verschlechterung der vorgegebenen Situation kann unter bestimmten Voraussetzungen, ohne daß es weiterer Überlegungen und Prüfungen bedarf, ausschließen, daß sich ein Vorhaben seiner Umgebung einfügt. Aber der Eintritt oder Nichteintritt von (materiellen) Verschlechterungen ist dem „Einfügen“ nicht in der Weise zugeordnet, daß dieser Begriff mit Hilfe des Merkmals der (materiellen) „Verschlechterung“ definiert werden könnte.

Der erkennende Senat meint, daß der Unterschied zwischen dem „Einfügen“ (§ 34 Abs. 1 BBauG 1976) und der als Fehlen eines (bodenrechtlich relevanten) Widerspruches verstandenen Unbedenklichkeit (§ 34 BBauG 1960) in folgendem gesehen werden muß:

Auszugehen ist davon, daß sich der jeweils beachtlichen Umgebung ein Rahmen entnehmen läßt: Sind in der als Maßstab beachtlichen Umgebung Wohngebäude, Gewerbebetriebe ohne erhebliche Nachteile für die Umgebung, aber auch Gewerbebetriebe von stärker emittierender Art vorhanden, so reicht in der Art der Bebauung der Rahmen „vom ‚Mischgebiet‘ bis zum ‚Industriegebiet‘“ (Urteil vom 18. Oktober 1974 aaO S. 118). Sind in der als Maßstab beachtlichen Umgebung die Grundstücke mindestens zu einem Viertel, höchstens aber zur Hälfte bebaut, so BVerwGE 55, 369, Seite 385reicht im Maß der Bebauung der Rahmen von der Grundflächenzahl 0,25 bis zur Grundflächenzahl 0,5. Haben die Häuser in der als Maßstab beachtlichen Umgebung zwei, drei oder vier Vollgeschosse, so schließt der Rahmen in dieser Richtung zwei bis vier Vollgeschosse ein. Liegen die bebauten Grundstücksflächen jeweils an der Straße oder bis zu 12 m von ihr entfernt, so ist damit in bezug auf die überbaubaren Grundstücksflächen der Rahmen gegeben u. s. w., Je reiner, d. h. einheitlicher, die beachtliche Umgebung ist, um so enger wird voraussetzungsgemäß der Rahmen, den sie hergibt. Daß es im Einzelfall – etwa bei Emissionen von unterschiedlicher Art und Stärke – schwieriger sein kann, den „Rahmen“ zu ermitteln, als es in den genannten Beispielen der Fall ist, hebt nicht die Möglichkeit der Festlegung dieses „Rahmens“ auf und ändert nichts an seiner grundsätzlichen Maßgeblichkeit.

Das Merkmal des „Einfügens“ verlangt, daß das zu beurteilende Vorhaben zu dem aus seiner (maßgebenden) Umgebung ableitbaren Rahmen in bestimmter Beziehung steht. Das bedeutet:

Ein Vorhaben, das sich – in jeder Hinsicht – innerhalb des aus seiner Umgebung hervorgehenden Rahmens hält, fügt sich in der Regel seiner Umgebung ein. Allerdings muß beachtet werden: Es ist selten so, daß die vom jeweiligen Rahmen umfaßten baulichen oder auch nicht-baulichen Nutzungen gleichmäßig über die beachtliche Umgebung verteilt sind, daß also – ausgedrückt an dem oben gewählten Beispiel mit den Geschoßzahlen – vom Baugrundstück in jeder Richtung zwei-, drei- und viergeschossige Häuser sozusagen im steten Wechsel aufeinanderfolgen. Im allgemeinen wird eine ungleichmäßige Verteilung jener Nutzungen festzustellen sein, bei der etwa die sich dem Vorhaben im Süden anschließende Bebauung innerhalb des Rahmens „höher“ liegt, als es für die ihm im Norden folgende Bebauung zutrifft, oder in der für die unmittelbare Umgebung des Baugrundstücks ein anderer Akzent charakteristisch ist, als es bei der sonst noch beachtlichen Umgebung der Fall ist. Bei einer solchen Sachlage kann die Zulässigkeit eines Vorhabens nicht ohne Rücksicht darauf, daß seine unmittelbare Umgebung oder seine Umgebung in einer bestimmten (Himmels-)Richtung gesteigert schutzwürdig ist, allein daraus hergeleitet werden, daß es den insgesamt maßgebenden Rahmen BVerwGE 55, 369, Seite 386nicht überschreitet. Daraus folgt: Ein Vorhaben, das sich – in jeder Hinsicht – innerhalb des aus seiner Umgebung hervorgehenden Rahmens hält, fügt sich gleichwohl seiner Umgebung dann nicht ein, wenn das Vorhaben es an „der gebotenen Rücksichtnahme auf die sonstige“, d. h. vor allem: auf die in seiner unmittelbaren Nähe vorhandene, „Bebauung“ fehlen läßt (Urteil vom 18. Oktober 1974 aaO S. 118).

Die Feststellung, daß sich alle Vorhaben, die den durch ihre Umgebung gesetzten „Rahmen“ einhalten, in der Regel dieser Umgebung „einfügen“, erschöpft die Möglichkeiten des „Einfügens“ nicht. Auch Vorhaben, die den aus ihrer Umgebung ableitbaren Rahmen überschreiten, können sich dennoch dieser Umgebung „einfügen“. Bei der „Einfügung“ geht es weniger um „Einheitlichkeit“ als um „Harmonie“. Daraus, daß ein Vorhaben in seiner Umgebung – überhaupt oder doch in dieser oder jener Beziehung – ohne ein Vorbild ist, folgt noch nicht, daß es ihm an der („harmonischen“) Einfügung fehlt. Das Erfordernis des Einfügens schließt nicht schlechthin aus, etwas zu verwirklichen, was es in der Umgebung bisher nicht gibt. So ist es z. B. – je nach den konkreten Umständen – denkbar, daß sich in einem bisher tatsächlich nur dem Wohnen dienenden Gebiet ein außerhalb dieses Rahmens liegendes Kurheim „einfügt“; es ist nicht ausgeschlossen, daß sich ein Bauwerk mit einer hinter der maßgebenden Umgebung zurückbleibenden Geschoßflächenzahl oder mit einem zusätzlichen halben Geschoß seiner Umgebung „einfügt“; es kann sein, daß etwa ein Jugendheim, das im Zusammenhang mit seiner besonderen Funktion einen größeren Freiplatz benötigt, hinter die in der Umgebung eingehaltene Bauflucht zurücktritt und sich dennoch der Umgebung „einfügt“. Das Gebot des „Einfügens“ soll nicht als starre Festlegung auf den gegebenen Rahmen allen individuellen Ideenreichtum blockieren; es zwingt nicht zur Uniformität. Das Erfordernis des „Einfügens“ hindert nicht schlechthin daran, den vorgesehenen „Rahmen“ zu überschreiten. Aber es hindert daran, dies in einer Weise zu tun, die – sei es schon selbst oder sei es infolge der Vorbildwirkung – „geeignet ist, ... [bodenrechtlich beachtliche und erst noch ausgleichsbedürftige] Spannungen zu begründen oder die vorhandenen Spannungen zu erhöhen“ (BVerwGE 54, 73 [79]). Auf diese – wenn man es so gegenüberstellen will – mehr formelle „Verschlechterung“, auf das Vorliegen einer „Störung“ BVerwGE 55, 369, Seite 387oder „Belastung“ in dieser Hinsicht (vgl. zu diesen Ausdrücken – im Zusammenhang mit § 1 BauGestVO – BVerwGE 2, 172 [177]) kommt es an, wenn zu entscheiden ist, ob ein den vorgegebenen Rahmen überschreitendes Vorhaben dennoch zulässig ist. In dieser Ausrichtung steht das Erfordernis des Einfügens nicht nur in Beziehung zu den in § 1 Abs. 6 BBauG 1976 angeführten öffentlichen Belangen, sondern darin liegt zugleich seine Beziehung zur Bauleitplanung: Ein Vorhaben, das im Verhältnis zu seiner Umgebung bewältigungsbedürftige Spannungen begründet oder erhöht, das – in diesem Sinne – „verschlechtert“, „stört“, „belastet“, bringt die ihm vorgegebene Situation gleichsam in Bewegung. Es stiftet eine „Unruhe“, die potentiell ein Planungsbedürfnis nach sich zieht. Soll es zugelassen werden, kann dies sachgerecht nur unter Einsatz der – jene Unruhe gewissermaßen wieder auffangenden – Mittel der Bauleitplanung geschehen. Ein Vorhaben, das um seiner Wirkung willen selbst schon planungsbedürftig ist oder doch das Bedürfnis einer Bauleitplanung nach sich zieht, fügt sich seiner Umgebung nicht ein.

Die Anwendung dieser Grundsätze auf den vorliegenden Fall führt zu dem Ergebnis, daß das Vorhaben der Klägerin nicht nur nach § 34 BBauG 1960 zulässig war, sondern auch nach § 34 Abs. 1 BBauG 1976 zulässig ist. Es fügt sich der Eigenart seiner näheren Umgebung ein. Der Beklagte geht in seinen Ausführungen zu § 34 Abs. 1 BBauG 1976 deshalb fehl, weil er dabei die Festsetzungen des Bebauungsplanes Nr. 8 zugrunde legt. Dieser Bebauungsplan erfaßt das vormalige Flurstück 6/5 in einer Weise, die – abgesehen von seiner nach Ansicht des Berufungsgerichts inkonsequenten Lage „quer“ zur Straße – ihm in der Tat einen Zuschnitt gibt, der die Bebauung mit nur einem Haus nahezulegen scheint. Die Würdigung anhand von § 34 Abs. 1 BBauG 1976 erfordert jedoch, von den Festsetzungen des – nichtigen – Bebauungsplanes Nr. 8 abzusehen, und sie erfordert darüber hinaus, auch die formellen Grundstücksgrenzen außer Betracht zu lassen (vgl. Urteil vom 26. Juni 1970 – BVerwG 4 C 73.68 – Buchholz 406.11 § 34 BBauG Nr. 28 S. 73 [75]). Geschieht das, so bereitet es keine Schwierigkeiten, zu § 34 Abs. 1 BBauG 1976 in Beziehung zu setzen, daß das Berufungsgericht feststellt, die „Errichtung eines Gebäudes an dieser Stelle“ führe „nur dazu, daß der dieses Baugebiet bestimmende Abstand zwischen den Gebäuden auch an dieser Stelle BVerwGE 55, 369, Seite 388wirksam wird“. Ein Vorhaben, das derart einer seiner Umgebung zu entnehmenden Regel entspricht, fügt sich dieser Umgebung ein; es ist daher – andere Hindernisse eines Einfügens sind nicht ersichtlich – nach § 34 Abs. 1 BBauG 1976 zulässig.