DGUV Information 250-453 - Handlungsanleitung für die arbeitsmedizinische Vorsorge nach dem Berufsgenossenschaftlichen Grundsatz G 46 "Belastungen des Muskel- und Skelettsystems einschließlich Vibrationen"

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Anhang 2 - Beurteilungsverfahren für den betrieblichen Praktiker

Art der Tätigkeit/ Gefährdung/ Belastung und tabellarische Zuordnung von Risikofaktoren, typischen Beispielen bzw. Tätigkeiten, betroffenen Körperregionen, Auswahlkriterien und Beurteilungskriterien.

Die Tabelle in Anhang 2 bietet eine systematische Übersicht über Risikofaktoren bis hin zu Auswahl- und Beurteilungskriterien. Diese Zusammenstellung unterstützt die Auswahl kritischer Tätigkeiten, bei denen eine arbeitsmedizinische Vorsorge nach dem Grundsatz G 46 für höher belastete Beschäftigte angeboten werden sollten.

Die Spalte "typische Beispiele/Tätigkeiten" dient als Liste mit beispielhaften Hinweisen zur Auswahl kritischer Tätigkeiten.

In der Spalte Beurteilungskriterien sind Verfahren für den betrieblichen Praktiker aufgeführt.

Sofern die Beurteilungsverfahren nach Anhang 2 noch keine Entscheidung ermöglichen, ob eine arbeitsmedizinische Vorsorge nach dem Grundsatz G 46 angeboten werden sollten, stehen die ergänzend in Anhang 3 aufgelisteten, auf gesicherten arbeitswissenschaftlichen Erkenntnissen beruhenden speziellen Beurteilungsverfahren zur Verfügung.

Anhang 2 - Tabelle:

Beurteilungsverfahren für den betrieblichen Praktiker: Art der Tätigkeit/ Gefährdung/ Belastung und tabellarische Zuordnung von Risikofaktoren, typischen Beispielen bzw. Tätigkeiten, betroffenen Körperregionen, Anmerkungen zu Auswahlkriterien und Beurteilungskriterien

Art der Tätigkeit / Gefährdung / BelastungRisikofaktorenTypische Beispiele / TätigkeitenBetroffene Körperregion / OrganeAuswahlkriterien
  • Gefährdungsbeurteilung kritisch

  • Besondere Personengruppen (Ältere, Jugendliche, ...)

Beurteilungskriterien*
1. Manuelle Lastenhandhabung - Heben, Halten, Tragen
Heben, Halten, TragenHöhe der Belastung ergibt sich aus Last, Haltung, Zeit
  • Baugewerbe: Baugerüstmontage, Mauern mit Zweihandsteinen, Zimmererarbeiten

  • Verkehrsgewerbe: Fahrzeuginstandhaltung, Gepäckladearbeiten am Flughafen

  • Land- und Forstwirtschaft, Gartenbau

  • Metallindustrie: Gießereien / Gussputzer, Metallbau

  • Pflege- und Gesundheitsdienst: Tätigkeiten in der Kranken-/ Altenpflege

  • Handel und Logistik: Lager-, Kommissionier-, Transportarbeiten, Pakete sortieren

Gesamtes Muskel-Skelett-System, große Muskelgruppen und große Gelenke, insbesondere aber
  • Wirbelsäule

Kriterien / Verfahren für den betrieblichen Praktiker:
  • Risikoindex: z.B. mit der Leitmerkmalmethode "Heben, Halten, Tragen" [1], [2], Screeningverfahren für die schnelle und praxisnahe Anwendung.

  • Grenzlast: z.B. mit DIN EN 1005-2 [3], Ermittlung einer Grenzlast für spezifische Hebe- und Tragevorgänge.

1. Manuelle Lastenhandhabung - Ziehen, Schieben
Ziehen, SchiebenHöhe der Belastung ergibt sich aus Kraft, Haltung, Zeit, Ausführungsbedingungen
  • Pflege- und Gesundheitsdienst: Ziehen und Schieben von Betten und Rollstühlen

  • Verkehrsgewerbe: Schieben und Ziehen von Trolleys in Flugzeugen, Gepäckladearbeiten im Flughafen, spezielle Arbeiten des Fluggerätemechanikers, Hausmüllentsorgung (Müllwerker)

  • Gartenbau: Container mit Pflanzen schieben und ziehen (Verladen)

  • Handel und Logistik: Lager-, Kommissionier- und Transportarbeiten, Rollbehälter ziehen / schieben im Versand / bei der Post

  • Branchenübergreifend: Ziehen und Schieben von Karren / Wagen

Gesamtes Muskel-Skelett-System, große Muskelgruppen und große Gelenke, insbesondere aber
  • Wirbelsäule

  • Schulter-Arm-Hand-Bereich

Kriterien / Verfahren für den betrieblichen Praktiker:
  • Risikoindex: z.B. mit der Leitmerkmalmethode "Ziehen und Schieben" [1], [2], Screeningverfahren für die schnelle und praxisnahe Anwendung.

  • Grenzkraft: z.B. mit DIN EN 1005-3 [7], ISO 11228-2 [8], Ermittlung einer Grenzkraft für eine spezifische Kraftausübung, z.B. beim Ziehen und Schieben von Lasten.

2. Erzwungene Körperhaltungen - Sitzen
Sitzen
  • Statische Haltungsarbeit

  • Höhe der Belastung ergibt sich aus der Dauer der erzwungenen Sitzhaltung und fehlender Bewegungsmöglichkeit

Spezielle Arbeitsplätze/Tätigkeiten:
  • Mikroskopierarbeitsplätze

  • Sitzende (überwiegend) Tätigkeit am Prozessleitsystem, Leitwartentätigkeit

  • Tätigkeit auf Führerständen

  • Überwachungsarbeitsplätze

Gesamtes Muskel-Skelett-System durch erhöhte Haltungsarbeit, insbesondere aber Nacken, Schulter, ArmKriterien / Verfahren für den betrieblichen Praktiker:
  • SUVA-Checkliste "Ergotest" - Ermitteln der körperlichen Belastungen bei Tätigkeiten im Sitzen [25]

  • Empfehlungen für Körperwinkel: z.B. mit DIN EN 1005-4 [11], ISO 11226 [12], Empfehlungen für Gelenkwinkelbereiche der unteren Extremitäten und des unteren Rückens

  • Maßnahmen / Risikoklasse: z.B. mit dem OWAS-Verfahren [10], Beobachtungsverfahren mit grober Belastungsklassifikation und zugehörigen Bewertungsschemata.

Diese Auswahlkriterien finden keine Anwendung für Tätigkeiten an Bildschirmarbeitsplätzen und sonstigen BüroarbeitsplätzenDurchblutungsstörung der unteren Extremitäten
Art der Tätigkeit / Gefährdung / BelastungRisikofaktorenTypische Beispiele / TätigkeitenBetroffene Körperregion / OrganeAuswahlkriterien
  • Gefährdungsbeurteilung kritisch

  • Besondere Personengruppen (Ältere, Jugendliche, ...)

Beurteilungskriterien*
2. Erzwungene Körperhaltungen - Stehen
Stehen
  • Statische Haltungsarbeit

  • Höhe der Belastung ergibt sich aus der Dauer der erzwungenen Stehhaltung und fehlender Bewegungsmöglichkeit

  • Fleischverarbeitende Industrie: Fleischzerlegung

  • Pflege- und Gesundheitsdienst: Langandauern des Stehen am OP-Tisch, teilweise verbunden mit Zwangshaltungen

  • Einzelhandel: Verkaufstätigkeiten

  • Baugewerbe: Zimmerer

Gesamtes Muskel-Skelett-System durch erhöhte Haltungsarbeit, insbesondere aber Lendenwirbelsäule sowie, Hüftgelenke, Knie und FüßeKriterien/Verfahren für den betrieblichen Praktiker:
  • Empfehlungen für Körperwinkel: z.B. mit DIN EN 1005-4 [11], ISO 11226 [12], Empfehlungen für Gelenkwinkelbereiche der unteren Extremitäten

  • Maßnahmen/Risikoklasse: z.B. mit dem OWAS-Verfahren [10], Beobachtungs- verfahren mit grober Belastungsklassifikation und zugehörigen Bewertungsschemata.

Orthostatische Kreislaufbeschwerden, Durchblutungsstörung der unteren ExtremitätenHinweis: Derzeit sind nur diese Beurteilungsverfahren bekannt, die ansatzweise für die Beurteilung empfohlen werden können. Zu beachten sind Kombinationen mit weiteren Belastungsfaktoren.
2. Erzwungene Körperhaltungen - Rumpfbeuge
Rumpfbeuge
  • Statische Haltungsarbeit

  • Arbeitsräume mit niedriger Höhe (keine Stehhöhe)

  • Metallindustrie: Behälterbau, Schiffbau, Schweißen in engen Räumen, Schweißnaht-Sichtprüfung

  • Bergbau: in Streben mit Flözmächtigkeiten unter 210 cm, Arbeiten in Gewinnungsbetrieben (Streb) freie Arbeitsraumhöhe < ca. 160 cm, Hauer in der Herrichtung - Schildmontagearbeiten

  • Baugewerbe: Betonbauer, Eisenflechter, Estrichleger, Fliesenleger, Installateure, Maurer

  • Verkehrsgewerbe: Flugzeug-"Belader"

  • Gartenbau: Gemüseernte, Pflanzarbeiten, Schneidearbeiten in Bodennähe, Veredelung Rosen etc. (Okulieren)

Lendenwirbelsäule, Hüftgelenke, Knie, FüßeKriterien/Verfahren für den betrieblichen Praktiker:
  • Empfehlungen zur Bewertung von Oberkörperhaltungen: DIN EN 1005-4 [11], ISO 11226 [12]

  • Maßnahmen/Risikoklasse: z.B. mit dem OWAS-Verfahren [10], Beobachtungsverfahren mit grober Belastungsklassifikation und zugehörigen Bewertungsschemata.

Hinweis: Derzeit sind nur diese Beurteilungsverfahren bekannt, die ansatzweise für die Beurteilung empfohlen werden können. Zu beachten sind Kombinationen mit weiteren Belastungsfaktoren.
2. Erzwungene Körperhaltungen - Hocken, Knien, Liegen
Hocken, Knien, Liegen
  • Statische Haltungsarbeit

  • Höhe der Belastung ergibt sich aus Dauer der erzwungenen Haltung und fehlender Bewegungsmöglichkeit

  • Extreme Kniegelenk-Winkelstellung

  • Druck (Schleimbeutel Kniegelenk)

  • Bergbau: Hauer in der Gewinnung - Arbeiten in Gewinnungsbetrieben (Streb) bei einer freien Arbeitsraumhöhe bis ca. 120 cm

  • Baugewerbe: Bodenleger, Dachdecker, Fliesenleger, Installateure, Parkettleger

  • Metallindustrie: Schweißen in engen Räumen (z.B. Behälter, Doppelböden, Schiffbau)

  • Branchenübergreifend: Arbeiten an schwer zugänglichen Stellen, z.B. Schiffsbau, Turbinenbau, Flugzeugbau

Knie- und Hüftgelenke, Nacken, WirbelsäuleKriterien/Verfahren für den betrieblichen Praktiker:
  • Empfehlungen zur Bewertung von Gelenkwinkelbereichen der unteren Extremitäten: DIN EN 1005-4 [11], ISO 11226 [12],

  • Maßnahmen/Risikoklasse: z.B. mit dem OWAS-Verfahren [10], Beobachtungsverfahren mit grober Belastungsklassifikation und zugehörigen Bewertungsschemata.

Nerven (Druckschädigung peripherer Nerven)
Kreislauf (partielle Durchblutungsstörung)Hinweis: Derzeit sind nur diese Beurteilungsverfahren bekannt, die ansatzweise für die Beurteilung empfohlen werden können. Zu beachten sind Kombinationen mit weiteren Belastungsfaktoren.
Art der Tätigkeit / Gefährdung / BelastungRisikofaktorenTypische Beispiele / TätigkeitenBetroffene Körperregion / OrganeAuswahlkriterien
  • Gefährdungsbeurteilung kritisch

  • Besondere Personengruppen (Ältere, Jugendliche, ...)

Beurteilungskriterien*
2. Erzwungene Körperhaltungen - Arme über Schulterniveau
Arme über Schulterniveau
  • Statische Haltungsarbeit

  • Höhe der Belastung ergibt sich aus der Dauer der erzwungenen Haltung und fehlender Bewegungsmöglichkeit

  • Baugewerbe: Malerarbeiten, Stukkateure und Verputzer, Trockenbau

  • Automobilindustrie: Spezielle Montagearbeiten bei der Herstellung und Instandhaltung von Fahrzeugen)

  • Branchenübergreifend: Instandhaltungsarbeite

Schulter, Arm, Hals-, LendenwirbelsäuleKriterien/Verfahren für den betrieblichen Praktiker:
  • Risikoindex: z.B. mit dem RULA-Verfahren [13, 23], Screeningverfahren für die praxisnahe Anwendung

  • Empfehlungen zur Bewertung von Gelenkwinkelbereichen der oberen Extremitäten: DIN EN 1005-4 [11], ISO 11226 [12],

  • Maßnahmen / Risikoklasse: z.B. mit dem OWAS-Verfahren [10], Beobachtungsverfahren mit grober Belastungsklassifikation und zugehörigen Bewertungsschemata.

3. Arbeit mit erhöhter Kraftanstrengung und/oder Krafteinwirkung
Schwer zugängliche Arbeitsstellen (Steigen, Klettern)
  • Steighöhe und Dauer, Häufigkeit,

  • Umwelteinflüsse

  • Absturzgefährdung

  • Gartenbau: Baumpflege /-fällung unter Anwendung der Seilklettertechnik (SKT) nach SKT-A und SKT-B

  • Baugewerbe: Fassadenbauer - Errichtung von Fassaden, Gerüstbau bei Arbeiten an Sonderbauten (Brücken, Türme)

  • Energieversorger: Wartung, z.B. Freileitungsbereich, Windkraftanlagen, Sendemasten

Gesamtes Muskel-Skelett-System, mit den Schwerpunkten untere Extremitäten und Schulter-Arm-Hand-BereichKriterien/Verfahren für den betrieblichen Praktiker:
  • derzeit nur Expertenverfahren verfügbar.

Einsatz des Hand / ArmSystems als Werkzeug (Klopfen, Schlagen, Drehen, Drücken)
  • Krafthöhe und Häufigkeit

  • Baugewerbe: Arbeiten mit Abbruchhammer

  • Gartenbau: Baumpflege /-fällung unter Anwendung der Seilklettertechnik (SKT) nach SKT-A (i.V.m. Handsägen)

  • Fleischverarbeitende Industrie: Fleischzerlegung

  • Branchenübergreifend: Montagetätigkeiten

Schulter-Arm-Hand-BereichKriterien / Verfahren für den betrieblichen Praktiker:
  • derzeit nur Expertenverfahren verfügbar.

Kraft-/ Druckeinwirkung bei der Bedienung von Arbeitsmitteln
  • Krafteinwirkung und Dauer

  • Gartenbau: Baumpflege /-fällung unter Anwendung der Seilklettertechnik (SKT) nach SKT-B (i.V.m. Motorsägen), Baumschere bedienen (Überlastung der Hand)

  • Baugewerbe: Gerüstbau

  • Verkehrsgewerbe: Rangierer

  • Branchenübergreifend: Bedienen von Winden, Schrauben

Alle Strukturen des Muskel-Skelett-Systems der betroffenen Körperregion, insbesondere NervenKriterien/Verfahren für den betrieblichen Praktiker:
  • derzeit nur Expertenverfahren verfügbar.

Art der Tätigkeit / Gefährdung / BelastungRisikofaktorenTypische Beispiele / TätigkeitenBetroffene Körperregion / OrganeAuswahlkriterien
  • Gefährdungsbeurteilung kritisch

  • Besondere Personengruppen (Ältere, Jugendliche, ...)

Beurteilungskriterien*
4. Repetitive Tätigkeiten mit hohen Handhabungsfrequenzen
Repetitive Tätigkeiten mit hohen HandhabungsfrequenzenHöhe der Belastung ergibt sich aus Häufigkeit, Kraftaufwendung, Extreme Gelenkstellungen
  • Handel, Logistik und Post: Tätigkeiten in Verpackung und Versand, Briefe Sortieren, Kommissionierarbeiten

  • Nahrungsmittelindustrie: z.B. Fisch-, Fleischverarbeitung

  • Textil- und Bekleidungsindustrie: Näharbeitsplätze

  • Pflege- und Gesundheitsdienst: Masseure

Direkt betroffen sind Muskeln, Sehnen, Sehnenansätze des Schulter-Arm-Hand-Bereiches, ggfs. Knochen.Kriterien / Verfahren für den betrieblichen Praktiker:
  • Grenzfrequenz: Kilbom-Verfahren [21, 22, 23], Richtwerte zu Grenzfrequenzen von Schulter-Arm-Handbewegungen.

  • Risikoindex: z.B. mit der Leitmerkmalmethode "Manuelle Arbeitsprozesse" [33], Screeningverfahren für die schnelle und praxisnahe Anwendung RULA-Verfahren [13, 23], Screeningverfahren für die praxisnahe Anwendung oder OCRA-Checkliste [15, 16], Ausführliche Checkliste für den erfahrenen Praktiker.

Spezielle Berufe/ Tätigkeiten:
  • Tätigkeiten in Drahtziehereien

  • Kleinteil-Montagetätigkeiten

  • Handreiniger der Stadtreinigung

  • Berufsmusiker: u.a. Streicher

  • Spezielle Tätigkeiten im Labor, wie Ausstreichen von Bakterienkulturen mit Platinösen auf Kultursubstraten, Bedienung von Kurbelmikrotomen an histo-(patho-)logischen Arbeitsplätzen und Pipettieren (täglich mehrstündig in Forschungsbetrieben)

Indirekt betroffen ist das gesamte Muskel-Skelett-System durch erhöhte Haltungsarbeit.

2Gewichtung, Kommentare zu BeurteilungskriterienDie aufgeführten Kriterien / Methoden sind für spezielle Fragestellungen im Sinne einer vermuteten Ursache-Wirkungsbeziehung erarbeitet worden. Sie beziehen sich zumeist auf spezielle Belastungs-/ Gefährdungsarten und werden mit unterschiedlichen Zielvorstellungen angewendet (Risikoindex, Grenzkraft /-last, Dosis u.a.). Die Verfahren sind kurz kommentiert. Auf eine kritische Beurteilung der Verfahren bzgl. deren Vorzügen und Nachteilen ist bewusst verzichtet worden.